Protocol of the Session on June 9, 2022

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: So war es früher doch auch!)

Ich weiß natürlich, dass – auch ich, auch wir haben das damals überlegt. Wir haben zwei August-Kinder, wie gehen wir damit um, wann schicken wir sie in die Schule – Eltern ihre Kinder natürlich immer beschützen wollen und das Beste für ihre Kinder wollen. Aber manchmal ist dieser Schutz oder Kokon nicht immer nur das einzig Ausschlaggebende

oder das Beste. Kinder wollen gefördert werden. Kinder müssen sich auch entwickeln können. Deswegen braucht es hier Sach- und Fachverstand, den ich den Eltern nicht abspreche, ganz und gar nicht. Aber es braucht hier auch –

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Na ja!?)

Nein! Aber Eltern sollten sich auch beraten lassen. Manchmal ist es gut, manchmal ist es –

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Da hat ja keiner etwas dagegen!)

Sie wollen, dass die Eltern das allein entscheiden können, ob die Kinder zurückgestellt werden. Ob das im Sinne des Kindes ist, mag jetzt mal dahingestellt sein. Wir meinen, das sollte auf sachlichen und fachlichen Füßen und auf Expertisen stehen und gemeinsam passieren.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Mobile Sonderpädagogische Dienst soll umgestellt werden. Die zwangsweisen Klassenwiederholungen – besser bekannt als Sitzenbleiben – sollen künftig wieder in jeder Klassenstufe möglich sein, auch in der Grundschule, dabei arbeiten wir seit vielen Jahren sehr gut mit der individuellen Schuleingangsphase. Sie können die ersten beiden Jahre Grundschulzeit in ein, zwei oder in drei Jahren absolvieren. Sie wollen das Sitzenbleiben jetzt schon nach der ersten Klasse. Stellen Sie sich das mal vor: Einem Kind wird nach nur einem Jahr quasi attestiert, du bleibst sitzen, du musst das Jahr wiederholen. Und das, obwohl wir bergeweise Studien haben, die sagen, dass zwangsweise Klassenwiederholungen leider zu nichts führen.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Das stimmt doch gar nicht!)

Was wir brauchen, ist individuelle Förderung von Anfang an.

(Beifall DIE LINKE)

Und dann brauchen wir auch noch ein Realitätsverständnis, was wir eigentlich als Grundlage haben, aber darauf gehe ich später noch mal ein mit unseren zweijährigen Lehrplänen.

Nun zu den einzelnen Forderungen: Bestimmt können wir über jede einzelne Forderung trefflich streiten. Wir jedenfalls als Bündnis 90/Die Grünen sind davon überzeugt, dass schon Ihre zugrundeliegende Analyse – wenn ich es mal so nennen darf – falsch ist und auf ideologischen Behauptungen beruht. Der Blick auf die Schulstatistik zeigt nämlich sehr genau, dass sich weder die Anzahl der Förderschulen noch die Anzahl der Kinder und Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förder

bedarf in den Förderschulen verringert hat. Hört, hört! Die ist genau gleichgeblieben bzw. hat sich zum Teil sogar nach vorn entwickelt. Von einem rücksichtslosen Vorantreiben der Inklusion, wie Sie es nennen, kann also absolut keine Rede sein. Im Gegenteil. Wir haben ein zeitgemäßes inklusives Schulgesetz, alle Förderbereiche bleiben bestehen. Und bitte vergessen Sie nicht: Inklusion ist kein Almosen, sondern ein Menschenrecht.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und auch das Elternwahlrecht – ich habe es eben schon mal gesagt – ist eindeutig geregelt, weil Sie eben gesagt haben, stimmt ja gar nicht. Bitte schauen Sie in § 8a Abs. 3 Thüringer Schulgesetz, dort braucht es keine neue Formulierung. Da ist ganz klar geregelt, dass die Eltern entscheiden können. Die Eltern haben dieses Recht und das will ihnen niemand nehmen. Hören Sie auf, Angstmache zu betreiben! Hören Sie auf, diese Stimmungsmache zu betreiben, Herr Tischner!

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

§ 8a Abs. 3 Thüringer Schulgesetz, lesen Sie es noch mal bis zu Ihrer Rede und dann können wir gern darüber reden.

Beim Blick auf die sogenannten Zurückstellungen – sage ich jetzt auch noch mal – zeigt sich, dass Kinder selbstverständlich weiterhin zurückgestellt werden. Die Anzahl der Nichteinschulungen hat sogar zugenommen. Im Schuljahr 2018/2019 hatten wir 1.225 Kinder, die zurückgestellt wurden, im Schuljahr 2021/2022 waren es 1.353. Das passiert also, und zwar gut begründet mit fachlicher, mit medizinischer, mit entwicklungspsychologischer Expertise. Und das ist auch gut und richtig so.

Warum jetzt die Entwicklungspläne Inklusion in § 2 Thüringer Schulgesetz gestrichen werden sollen, bleibt im Gesetzentwurf auch völlig offen. Das heißt, Sie reißen viel auf, aber Sie geben keine Antworten. Die Forderung, wie gesagt, die zwangsweisen Klassenwiederholungen, also das Sitzenbleiben, wieder massiv zu forcieren, lehnen wir ganz klar ab. Schülerinnen und Schüler mit vermeintlich schlechten Noten – da müsste man vielleicht manchmal eher fragen, was die Gründe dafür sind – sollen nicht einfach wieder in Warteschleifen geschickt werden, obwohl das nachweislich nichts bringt. Dazu gibt es, wie gesagt, auch jede Menge Studien, ich erinnere nur an die Klemm-Studie und an viele andere. Was es vielmehr konsequent braucht, ist die individuelle Förderung. Das ist klar. Denn unsere Kinder sind alle verschieden, und das ist auch gut so, das ist normal. Sie müssen indivi

duell gefördert werden, sie brauchen jede und jeder die nötige Unterstützung, die es braucht. Das gilt übrigens für alle. Für die, die vielleicht Defizite in einzelnen Bereichen haben, genauso wie für die, die vielleicht besonders schlau sind und die dann oft unterfordert sind, was sich beispielsweise auch in – ich sage mal – mitunter auffälligem Verhalten äußern kann, wie wir das auch alle kennen.

Völlig außer Acht bleibt bei Ihnen außerdem die Tatsache, dass die Lehrpläne auf zwei Schuljahre ausgerichtet sind. Es liefe auch ins Leere und wäre wenig aussagekräftig, Schülerinnen und Schüler schon nach einem Jahr mit Blick auf die Erreichung der Lernziele von zwei Jahren zu beurteilen, es sei denn, wir treten die Lehrpläne alle – ich sage es mal so salopp – in die Tonne, aber das lehnen wir jedenfalls klar ab, denn diese sind natürlich auch mit viel Sach- und Fachverstand auf den Weg gebracht worden.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: So ein Quatsch!)

Sie können dann auch reden. Ich höre Ihnen dann auch wieder zu.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU)

(Zwischenruf Abg. Wolf, DIE LINKE: Wir sind aber nicht im Jahr 1990!)

Wir sind selbstverständlich bereit, auch das Thema „Inklusion“ weiter im Landtag zu diskutieren. Seit vielen Jahren beschäftigen wir uns schließlich in diesem Haus mit den Rahmenbedingungen, mit den Herausforderungen und auch mit den Chancen der schulischen Inklusion. Wir schlagen allerdings vor, anhand des 2021 von der Landesregierung vorgelegten „Thüringer Entwicklungsplans Inklusion 2021-2025“ tatsächlich die aktuellen Herausforderungen zu diskutieren. Deswegen haben wir auch einen entsprechenden Antrag vorgelegt. Das Ziel war und ist es, im Ausschuss gemeinsam politische Forderungen mit Blick auf eine inklusive Schulentwicklung in Thüringen zu erarbeiten. Ob und inwieweit das möglich ist, wird sich noch zeigen. Meistens ist es ja so, dass wir uns hier im Parlament immer öffentlichkeitswirksam großartig streiten, dann kommt Herr Tischner und sagt: Ja komm, lass uns doch vernünftig reden. Es wäre auch schön, wenn wir das auch im Plenum mal hinbekämen. Ich bin bereit dazu, vernünftig zu reden – das ist überhaupt gar keine Frage –, aber Sie brauchen ja immer die Bühne, Sie brauchen immer den großen Auftritt – schade eigentlich. Wir werden hoffentlich trotzdem nach dieser Plenarsitzung gut zueinander finden.

Einige Themen, die uns übrigens wichtig wären – denn es gibt schon Punkte, die im Gesetz auch

noch verbesserungswürdig sind –, sind aus unserer Sicht zum Beispiel die Stärkung des Rechts auf Bildung durch den Abbau von Zugangshürden beim Erwerb von Schulabschlüssen durch junge Menschen. Wir haben immer noch viel zu viele Schulabbrecherinnen – Jugendliche, die die Schule ohne Abschluss verlassen. Da das Recht auf Bildung zu stärken und zu sagen, wir wollen, dass jede und jeder tatsächlich einen Schulabschluss machen kann, das ist etwas, was wir gern verbessert wissen wollen.

Eine weitere Frage, die uns am Herzen liegt, ist, wie wir zum Beispiel auch mehr Schwung in die Schulentwicklung bekommen. Wir meinen, beispielsweise durch systematisches Qualitätsmanagement an den Schulen. Ja, das gehört auch dazu in einer modernen, zeitgemäßen Schule, da sehr genau hinzuschauen. Auch die Schulplatzvergabe – das ist, wenn ich mein Kind in einer Schule anmelde, wo es tatsächlich den Platz bekommt – erzeugt viel Unmut im Land, das wissen wir. So gilt im Moment die räumliche Nähe zur Schule als wichtigstes Kriterium. Das ist sicherlich auch richtig, immer zu schauen, welche Schule liegt möglichst nah dran. Aber ob Geschwisterkinder beispielsweise die Schule besuchen, ist oft nachrangig, und das führt zu Problemen für die Familien. Das haben wir erkannt. Das sorgt gerade in den Städten für Probleme und das wollen wir uns näher anschauen. Das gilt übrigens auch für das Thema, das wir neulich im Ausschuss diskutiert haben. Das interessiert vielleicht auch Frau Tasch im Eichsfeld, wo der Schulbesuch grenzüberschreitend stattgefunden hat, wenn Kinder dort sozusagen historisch gewachsen Schulen im Nachbarland besuchen. Darüber müssen wir reden. Das sind Punkte, die ich tatsächlich als Herausforderung erkenne und wo ich auch durchaus gern gesprächsbereit bin.

Der Ausbau des Ganztags, die Entbürokratisierung, die Kooperation von Schule und Jugendhilfe, ein Sozialindex, der wirklich da hilft, wo es nottut, eine dauerhafte Finanzierung der Digitalisierung – das sind alles Themen, die aus unserer Sicht im Kontext des Schulgesetzes diskutiert werden sollten, wenn wir tatsächlich etwas für unsere Lehrerinnen und Lehrer, für die Pädagoginnen, für alle an Schule Beschäftigten tun wollen.

Ich sage es noch mal: Der Gesetzentwurf der CDU und FDP überzeugt uns nicht annähernd. Dennoch wollen wir uns Gesprächen und echten Verbesserungen nicht verschließen, denn darum soll es gehen. Für uns steht fest, dass es mit uns keine Abkehr vom Grundgedanken eines inklusiven Schulwesens geben kann und wird.

(Beifall DIE LINKE)

Stattdessen werben wir für eine sachorientierte Auseinandersetzung auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und nicht basierend auf Mutmaßungen oder Stimmungsmache.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Das wird die Praxis zeigen!)

Ja, Praxis gehört auch dazu. Entschuldigung, wissenschaftliche Erkenntnis beruht oft auf einer sehr genauen Beobachtung und Zusammenarbeit mit der Praxis. Sie wollen das jetzt hoffentlich nicht infrage stellen. So wissenschaftsfeindlich präsentiert sich sonst nur die AfD.

Wir werben, wie gesagt, für diese sachorientierte Auseinandersetzung. Natürlich gilt es, die politische Auseinandersetzung über den besten Weg für unsere Schulen nicht auf dem Rücken von Schülerinnen und Schülern, von Pädagoginnen und allen in Schule Beschäftigten auszutragen, sondern im Dialog mit ihnen und auf Augenhöhe. Das sagen wir hier auch an dieser Stelle ganz klar zu. Wir sind dazu bereit. Unsere Schwerpunkte habe ich benannt. Wir werden diese sicherlich auch in geeigneter Form in die parlamentarische Debatte gemeinsam mit unseren Partnern einbringen. In diesem Sinne freue ich mich auch auf die Diskussion im Ausschuss. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. Als nächster Redner erhält Abgeordneter Jankowski für die Fraktion der AfD das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Abgeordnete, liebe Eltern und Schüler am Livestream und natürlich auch liebe Gäste auf der Tribüne, die CDU hat nun einen neuen Anlauf zur Änderung des Schulgesetzes genommen, diesmal zusammen mit der FDP. Der Antrag, der im Dezember noch so hitzig diskutiert wurde, wurde zurückgezogen und etwas überarbeitet. Aus den damals 20 Seiten wurden nun nur noch 11, und war der ursprüngliche Antrag noch eher ein buntes Sammelsurium an Forderungen, wurde er jetzt entschlackt und fokussiert sich ein bisschen mehr auf das Thema „Inklusion“. Ansonsten ist aber vieles gleich geblieben, viele Passagen sind noch eins zu eins vorhanden. Man merkt aber schon von Seite 1 an, dass alles ein wenig – ich sage mal – weichgespülter wurde. Formulierungen wurden entschärft, wurden schwammiger, verklausuliert. Man hat den Eindruck, dass man nirgendwo anecken will. Mit anderen Worten: Man

(Abg. Rothe-Beinlich)

merkt, dass die Gruppe der FDP an der Antragserstellung beteiligt war.

(Beifall AfD)

Ich glaube aber, dass, auch wenn der Antrag nun etwas weichgespülter und entschlackt wurde, er deswegen nicht weniger Konfliktpotenzial besitzt. Der Hauptkonfliktpunkt liegt nun mal in der Frage der Inklusion, und hier treffen zwei Welten aufeinander; das hat man schon an meiner Vorrednerin gemerkt. Auf der einen Seite Rot-Rot-Grün, die alles so belassen wollen, wie es momentan ist, das merkt man auch in ihrem Antrag. Zuerst ein paar Feststellungen, dass alles durch Corona schlimmer geworden ist, dass sich die bestehenden Bildungsungleichheiten in den letzten beiden Jahren verstärkt haben, dass nun viele Kinder und Jugendliche einen besonderen Unterstützungsbedarf entwickelt haben, den sie vorher nicht hatten. Das ist auch alles richtig. Aber das lag nicht am Coronavirus. Vielmehr lag es an der unverhältnismäßigen Coronamaßnahmenpolitik dieser Landesregierung.

(Beifall AfD)

Ansonsten enthält der Antrag von Rot-Rot-Grün noch einen Teil von Fragen an die Landesregierung, die man auch gut und gern in eine Kleine Anfrage hätte stecken können, aber ansonsten keine Forderungen oder Änderungswünsche zur bestehenden Inklusionspolitik. Warum auch? Rot-RotGrün konnten in der letzten Legislatur bei der Änderung des Schulgesetzes ihren Wunschträumen ja freien Lauf lassen. Seitdem betreibt man Inklusion ohne Bezug zur Realität immer weiter voran. Die Inklusion wird weiter vorangetrieben, ohne dass dafür vorher die sächlichen, räumlichen und vor allem personellen Voraussetzungen geschaffen wurden. Das sonderpädagogische Fachpersonal für den Gemeinsamen Unterricht fehlt größtenteils an den Schulen, die Lehrer werden mit ihren Inklusionsproblemen alleingelassen, die Lehrer werden zusätzlich zum Personalmangel noch weiter belastet und der Lehrerberuf wird immer unattraktiver.

All diese Probleme ignoriert Rot-Rot-Grün komplett und betreibt weiter eine Politik der Inklusion um jeden Preis. Kommt Kritik am eingeschlagenen Kurs, kommt dann auch immer gern der Verweis auf die UN-Behindertenrechtskonvention und dann gleich die Parole, die wir auch gehört haben: Inklusion ist ein Menschenrecht und man versucht damit, jede Diskussion abzuwürgen.

Auch die Gruppe der FDP ging in ihrem separaten Antrag mehrmals auf diese Konvention ein, deswegen möchte ich dazu nur mal ganz kurz was sagen. Das Anliegen der UN-Behindertenrechtskonvention war es, allen Menschen mit Behinderungen unein

geschränkt den Zugang zum Bildungswesen zu ermöglichen. Das ist richtig und muss natürlich auch eine Selbstverständlichkeit sein.

(Beifall AfD)