Protocol of the Session on February 3, 2022

Wir werden aber natürlich nicht umhinkommen, Herr Voigt, auch über Unterschiede zur reden. Deswegen will ich das an dieser Stelle auch mal sagen: Sie haben gesagt „werteorientierte Entwicklung“. Ich will auf einen Wert eingehen, obwohl es vielleicht gar nicht in der Sache, inhaltlich so maßgeblich für die heutige Beratung ist. Ich kann sehr gut verstehen – wirklich –, wenn jemand sagt, ein Landesaufnahmeprogramm für Geflüchtete oder für Menschen in extremer Not in einem Bundesland wie Thüringen ist nicht zielführend, weil es eine gemeinsame bundesrepublikanische Anstrengung, eine gemeinsame europäische Anstrengung braucht. Das kann ich als Argument durchaus verstehen. Sie haben ja eben auch gerufen: Richtig! Nur, Herr Walk, diese Kritik wird halt dann erst glaubhaft, wenn man sich gemeinsam für so ein bundesrepublikanisches Aufnahmeprogramm einsetzt

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und gemeinsam, über Thüringen hinaus – vielleicht auch an die Europäische Union adressiert – Forderungen für eine gemeinsame humanitäre, verantwortungsvolle Politik formuliert und sich danach richtet. Dann wird so ein Einwand durchaus nachvollziehbar und glaubhaft.

Aber was ich nicht verstehe, Herr Voigt, ist, dass man es zur Bedingung für eine Zustimmung zum Haushalt von 12 Milliarden macht, dass 1,5 Millionen Euro, mit denen Thüringen einen kleinen bescheidenen Beitrag leisten kann, Menschen in extremer Not zu helfen, nicht in diesem Haushalt stehen. Ich mag als Atheist vielleicht nicht so viel Ahnung davon haben, aber ich glaube, mit einem christlichen Verständnis hat das wenig zu tun.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Deswegen, Herr Voigt, der Titel zur Globalen Mehrausgabe

(Unruhe CDU)

für ein Landesaufnahmeprogramm steht im Haushalt mit dem Titelansatz 0. Aber das heißt nicht, dass wir diese Diskussion in der Sache, welche humanitäre Verantwortung Thüringen auch bei der Aufnahme von Geflüchteten tragen muss und tragen soll, damit beendet haben. Die werden wir in der Sache mit Ihnen im kommenden Jahr weiterführen. Das ist keine Frage, die sich an einem Haushaltstitel entscheidet, sondern eine politische Debatte über die Werte, die wir in der Landespolitik vertreten wollen.

Meine Damen und Herren! Herr Voigt, Sie haben es wieder gesagt, Sie haben uns das Sparen beigebracht, Sie haben Rot-Rot-Grün das Sparen beigebracht.

(Beifall CDU)

Sie haben vorhin auch davon gesprochen, „die Sucht zum Verbrauch“ zu bekämpfen. Ich meine, Sie rennen durchs Land und tun so, als ob die Finanzministerin immer früh ins Kabinett kommt und sagt, so, heute ist ein Betrag x in der Schatulle des Landes, und die Minister ziehen dann los und geben das Geld aus und verschwenden das Geld. Das ist das Bild, was Sie zeichnen. Dass das natürlich Quatsch ist, wissen Sie selbst. Deswegen will ich ergänzend sagen, dass ich das politische Ziel, nominell immer weniger im Haushalt zu haben, überhaupt nicht verstehe und nicht sinnvoll, sondern merkwürdig finde. Ich will Ihnen ganz deutlich sagen, was Sie damit erreichen. Und dann frage ich Sie auch nach Ihrer Vision oder nach Ihrer Idee, die Sie damit verbinden. Wir haben eine Inflationsrate von über 3 Prozent im letzten Jahr. Das heißt, 100 Euro, die ich im letzten Jahr aufgewendet habe, um Leistungen, Investitionen und Ähnliches zu tätigen, reichen in Zukunft nicht mehr aus, um denselben Leistungskatalog zu erhalten, ich muss 103 Euro dafür ausgeben, im Baubereich im Übrigen 106 Euro – ich komme gleich darauf zurück. Wenn ich mich dann aber gleichzeitig hier

hinstelle und sage, ich habe da noch mal 2 Euro gespart, habe nur noch 98 Euro und dann habe ich noch mal reingeschrieben, dass im Laufe des Jahres noch mal 3 Euro gespart werden sollen, dann habe ich im Prinzip, wenn ich denselben Leistungskatalog erhalten will wie im Vorjahr, nur noch 95 Euro für notwendige Ausgaben von eigentlich 103 Euro zur Verfügung.

(Unruhe CDU)

Das heißt, Herr Voigt, ich senke meine Leistung um 8 Prozent ab. Und wenn Sie sich dann hier hinstellen und sagen, wir müssen an zukünftige Generationen denken, dann sage ich Ihnen, was nämlich die Konsequenz davon ist: Wenn ich eine Investition, eine Ausgabe, einen Zuschuss für etwas, das notwendig ist, in die Zukunft verlagere, dann spare ich damit kein Geld, sondern ich sorge dafür, dass ich für eine Investition im Baubereich, in die ich in diesem Jahr 100 Euro investiert hätte,

(Beifall DIE LINKE)

im nächsten Jahr 106 Euro investieren muss. Das ist kein Sparen, sondern das ist Geldverschwenden, wenn ich heute das Geld hätte.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und weil Sie es ja angesprochen haben, acht Jahre, Herr Voigt: Ich frage mich auch immer, wer sich da hinstellt, wer wem eigentlich das Sparen gerade beibringt. Bis 2014 wurden von der damaligen Regierung Staatsschulden, zusätzlich Sonderminusvermögen müsste man ja sagen, zuzüglich der Forderungen aus alternativen Finanzierungen, abzüglich der freien Rücklagen, von rund 16 Milliarden Euro als tatsächliche Schuldenlast angehäuft – 16 Milliarden Euro.

In der 6. Legislaturperiode, das war 2014 bis 2019, Rot-Rot-Grün ohne die mitbestimmende und mitgestaltende Opposition CDU, wurde dieser Teil um 2,8 Milliarden Euro gesenkt.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

2,8 Milliarden Euro! Ja, Herr Voigt, hören Sie die Zahlen einfach mal an. Um 2,8 Milliarden wurde es gesenkt. Nun haben wir, Achtung – in der Öffentlichkeit würde man sagen: Funfact – tatsächlich auch wieder einen Haushalt gehabt, der Schulden aufgenommen hat. Das war der erste Haushalt, den wir dann gemeinsam mit Ihnen beschlossen haben.

(Unruhe CDU)

Herr Bühl, ich kritisiere das nicht. Genau das war die Begründung, es war notwendig, es war gerecht

fertigt und wir haben damit wichtige Aufgaben geleistet.

Aber wenn man selbst das noch mal zusammenrechnet mit diesen 2,8 Milliarden minus die 1,2 Milliarden, dann haben wir als rot-rot-grüne Minderheitsregierung mehr Schulden reduziert, als Sie in der vierten und fünften Legislaturperiode aufgenommen haben.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, wenn das so ist, dann sollte man sich mit dieser moralischen Forderung „Wir bringen Ihnen mal das Sparen bei“ vielleicht etwas zurückhalten und die tatsächliche Entwicklung in den letzten Jahren sehen. Wir gehen damit sehr verantwortungsvoll um. Das haben die Regierungen auch gezeigt, 2014 bis 2019, aber auch diese. Und ich denke, diesen Weg werden wir auch gemeinsam fortsetzen. Aber ich sage Ihnen auch ganz deutlich, wenn Sie über das Sparen reden – und verstehen Sie das bitte als Rat in kollegialer Verbundenheit –, Sie dürfen hinter Ihrem Motiv, Rot-Rot-Grün und der rot-rot-grünen Landesregierung das Geld wegzunehmen, nicht Gefahr laufen, volkswirtschaftliche Weichen falsch zu stellen, Sie dürfen nicht Gefahr laufen, die soziale Infrastruktur in diesem Land zu gefährden, weil Sie in der Konsequenz das, was Sie als Heimat beschreiben und nicht als vielleicht gelebte Gesellschaft, nämlich das gesellschaftliche Leben in Thüringen gefährden. Das als mein kollegialer Rat auch an Sie.

(Beifall DIE LINKE)

Nun haben Sie auch zur Globalen Minderausgabe gesprochen und das will ich auch tun. Sie nennen das Generationendividende. Und dann sage ich noch mal: Das Beispiel Generationendividende, da kommt ja nichts raus.

(Zwischenruf Abg. Prof. Dr. Voigt, CDU: Doch!)

Nein, nein, Herr Voigt, wir verlagern Investitionen, die notwendig sind, in die Zukunft. Wir belasten zukünftige Generationen. Ich habe es Ihnen doch zu sagen versucht. Eine Investition, die wir heute nicht tätigen, weil Sie sagen, das Geld ist in der Rücklage besser aufgehoben,

(Unruhe CDU)

kostet nächstes Jahr mehr. Wir legen nächstes Jahr drauf und haben den notwendigen Nutzen dieser Investition in diesem Jahr noch nicht. Das ist auch eine Belastung zukünftiger Generationen. Sie dürfen nicht immer nur daran denken, dass zukünftige Generationen ihre Lasten in Euro berechnen. Sie

werden auch davon profitieren, was wir ihnen an Infrastruktur, an Leistungen, an gesellschaftlicher Verfasstheit hinterlassen. Aber das ist möglicherweise auch etwas, was uns in der Vision, auch in der Idee von diesem Land unterscheidet.

(Beifall DIE LINKE)

Nun habe ich in den vergangenen Tagen oft gesagt, ich bin kein Freund der Globalen Minderausgabe. Ich denke, es ist allen klar, es ist eine Entwertung des Parlaments, man muss das so eindeutig sagen. Wir geben unsere Verantwortung für den Haushalt zumindest in Höhe von 330 Millionen Euro aus der Hand und übertragen diese Verantwortung an die Landesregierung.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich will auch sagen: Man kann verfassungsrechtliche Fragen stellen, aber wenn ich der Auffassung wäre, das wäre verfassungsrechtlich nicht richtig und es wäre verfassungswidrig, würde ich heute hier nicht stehen und um Zustimmung für diesen Haushalt werben. Ich glaube, es ist zulässig, ich glaube aber, dass wir in den verfassungsrechtlichen Bereich noch hineindiskutieren müssen und den auch für die Zukunft klären müssen. Ich hoffe, dass wir aber vor dieser Entscheidung nicht allzu oft stehen.

Ich will hier noch sagen, warum ich das nicht für gut halte: Denn der Effekt, den Sie sich wünschen, tritt gar nicht ein, weil ich glaube, Sie haben die Systematik der Globalen Minderausgabe nicht verstanden.

(Beifall DIE LINKE)

Wenn ich Ihren Beitrag am Montag in der „Thüringer Allgemeine“ zur Kenntnis nehme: Dort begründen Sie die Globale Minderausgabe wieder mit den Minderausgaben der vergangenen Haushaltsjahre. Dahinter steckt ja die Idee, dass Sie die Minderausgaben der letzten Jahre durch eine Globale Minderausgabe sozusagen abfischen und am Ende einsammeln können. Und das ist tatsächlich ein Trugschluss, dem Sie unterliegen. Denn die Finanzministerin ist gezwungen, die Globale Minderausgabe frühzeitig im Jahr zu adressieren, konkret zu untersetzen, was dann in der Konsequenz dazu führt – und das müssen wir uns auch bewusst machen, Herr Voigt –, dass es natürlich auch in diesem Haushaltsjahr Investitionen, Ausgabeplanungen gibt, die sich am Ende des Jahres nicht realisieren lassen können. Und die kommen dann am Ende zu den Einsparungen noch mal oben drauf. Das heißt, mit einer Globalen Minderausgabe laufen wir Gefahr, den Thüringerinnen und Thü

ringern, den Unternehmen in diesem Land noch mehr Geld für die Aufgaben wegzunehmen, die sie dringend zu bewältigen haben. Das ist nämlich auch der volkswirtschaftliche und haushaltspolitische Trugschluss, dem Sie bei der Globalen Minderausgabe unterliegen. Darüber müssen wir auch in den nächsten Wochen und Monaten im Haushalts- und Finanzausschuss reden. Ich sage Ihnen: Die Globale Minderausgabe ist ein Instrument, auf das wir uns in diesem Jahr mit Ihnen verständigt haben. Es kann aber nicht sein, dass die Globale Minderausgabe tatsächlich zu einem wirklichen Instrument der Haushaltspolitik wird. Es ist das schlechteste Instrument, was ein Parlament auf den Weg bringen kann.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann sage ich Ihnen auch, Herr Voigt: Die Globale Minderausgabe wird auch nicht spurlos an diesem Haushalt vorbeigehen, weil eben die Systematik so ist, wie ich eben versucht habe, sie Ihnen zu beschreiben. Es wird Projekte treffen, die Sie auf den Weg gebracht haben, es wird Projekte treffen, die wir auf den Weg gebracht haben, es wird Projekte oder Investitionen betreffen, die von vielen in Thüringen erwartet werden. Und ich sagen Ihnen auch in aller Deutlichkeit, Herr Voigt: Sie können sich nicht hier hinstellen und sagen: Also das, was die CDU eingebracht hat, das ist bei der Globalen Minderausgabe sakrosankt. Also wer die Verantwortung für den Haushalt, für die Haushaltsbewirtschaftung in einer derartigen Höhe aus der Hand gibt, der trägt auch für das Aus‑der‑Hand‑Geben die Verantwortung und der wird sich dann eben im Laufe des Jahres auch immer wieder mit dieser eigenen Verantwortung auseinandersetzen müssen.

Deswegen sage ich Ihnen an dieser Stelle ganz deutlich: Wir werden nicht zulassen und ich werde Sie im kommenden Jahr immer wieder daran erinnern, wenn Sie sich einzelne Titel raussuchen, die eben nicht in dem gewünschten Umfang, den wir heute auf den Weg bringen, realisiert und ausgegeben worden sind, und dann mit dem Finger auf die Landesregierung zeigen, aber Ihre eigene Verantwortung für die Globale Minderausgabe nicht mehr benennen. Das werden wir nicht durchgehen lassen und wir werden Sie immer wieder an Ihre Verantwortung erinnern.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein großes Thema und die erste Einigung, die wir erzielt haben, war ja die Finanzierung der Kommunen in Thüringen. Das war wirklich ein Schwerpunkt und wir haben, was die Finanzsituation der Kom

munen anbetrifft, sage ich mal, entweder eine unterschiedliche Wahrnehmung oder wir interpretieren Zahlen anders, weil Sie hier wieder gesagt haben, den Gemeinden, den Landkreisen, den Kommunen wurde durch Rot-Rot-Grün in den letzten Jahren Geld weggenommen. Ich will Ihnen noch mal sagen: Von 2014 bis 2022 steigen die Zuschüsse des Landes an die Thüringer Kommunen um 1,2 Milliarden Euro. Noch mal: Die Entwicklung der kommunalen Steuereinnahmen –

(Zwischenruf Abg. Prof. Dr. Voigt, CDU)

ja, Sie können mit dem Kopf schütteln, schauen Sie sich doch beim Landesamt für Statistik die Zahlen einfach mal an, gucken Sie in die Haushalte rein, dann werden Sie auch die Zahlen wiederentdecken.

Gleichzeitig stiegen auch die kommunalen Steuereinnahmen, sodass die Kommunen in dem Jahr 2022 gegenüber 2014 über 1,7 Milliarden Euro mehr zur Verfügung haben. Denselben Maßstab an die Kommunen angelegt, wie Sie ihn ans Land anlegen, dass nominell die Haushalte sinken müssen, den möchte ich im Land nicht vertreten. Das müssten Sie mit Ihren Bürgermeistern mal ausdiskutieren. Aber ich möchte so eine Position nicht tragen. Ich weise Ihre Falschdarstellung ganz entschieden zurück.