Protocol of the Session on November 1, 2017

weil es nämlich leitendes Thema des Thüringer Lehrplans ist, dass Goethe und Schiller gelesen werden, und das ist auch gut so und dafür braucht es nicht mal eine Leitkultur in der Thüringer Verfassung. Überraschend, oder?

(Beifall CDU, DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Doch!)

Aber genauso gut ist es vielleicht auch, Effi Briest zu lesen. Aber vielleicht ist es genauso gut, auch noch einen Shakespare gelesen zu haben. Oder ist Ihnen das schon wieder abgängig, weil es jetzt eben nicht der deutschen Kultur entspricht, sondern woanders herkommt?

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wissen Sie, wenn wir auf dem Niveau hier

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Da müssen Sie selbst lachen!)

Debatten führen – das können wir gern machen.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Wir machen es doch!)

Sie machen es, genau. Ich will mich auf diese kleine Münze nicht einlassen.

(Beifall CDU)

(Abg. Möller)

Auf diese kleine Münze lasse ich mich nicht ein, aber was ich Ihnen schon mitgeben will, ist Folgendes: Das, was mich eigentlich fast amüsiert, ist, wie Sie versuchen, aus jedem Thema Ihren kleinen triefenden Saft der Opferrolle rauszusaugen: „Ihr hört mir alle gar nicht zu und das ist ja alles so ganz schlimm und eigentlich begreift ihr so gar nicht, was da passiert in dieser Gesellschaft.“

(Beifall CDU)

Das ist mir, offen gestanden, einen Ticken zu wenig, weil ich es wirklich leid bin, wenn Sie nicht verstehen, dass es hier bei den Kollegen parteiübergreifend eine ehrliche Akzeptanz für kluge Ideen gibt. Aber das, was Sie anbieten, ist häufig einfach nicht satisfaktionsfähig.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Das haben wir gehört!)

Darauf wollten wir hinweisen. Ich kann es Ihnen nur noch mal sagen: Gucken Sie mal den Artikel 30 der Verfassung an, auf den Sie Bezug nehmen. Da steht Kultur schon drin, da steht Kunst schon drin, das wird schon verfassungsrechtlich in Thüringen geschützt.

(Beifall CDU)

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Nein, das ist etwas anderes!)

Ja, das ist was anderes, weil Sie nämlich sagen, wir wollen in die Verfassung die deutsche Leitkultur hineinschreiben. Das habe ich inhaltlich versucht – vielleicht war es nicht inhaltlich genug, das nächste Mal werde ich es noch garnieren mit ein paar Fichte-, Hegel- und Wem-auch-immer-Zitaten, wenn Sie es gern haben wollen,

(Beifall DIE LINKE)

aber es wird an der Substanz nichts ändern, nämlich in der Fragestellung „deutsche Leitkultur“. Die Leitkultur ist etwas, das gilt es gesellschaftlich immer wieder zu verhandeln.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!)

Natürlich.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Erklären Sie das mal Ihren Wählern!)

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Sie scheitern doch daran!)

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Machen Sie ruhig weiter so!)

Nein, ich will es Ihnen erklären. Sie tun jetzt so, als ob man natürlich nicht seine Traditionsbestände hat von Goethe, Schiller, Fichte. Natürlich hat man das. Aber trotzdem gibt es doch Interpretationen. Oder

wollen Sie ernsthafterweise behaupten, dass die Leitkultur Deutschlands 1918, die Leitkultur Deutschlands 1935 und die Leitkultur Deutschlands 2017 nicht unterschiedlich waren?

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Es hat doch keiner etwas anderes behauptet!)

Natürlich sind die unterschiedlich, weil eine Kultur sich aus den Erfahrungsbeständen der jeweiligen Generationen speist. Wissen Sie, warum „die Würde ist unantastbar“ im Deutschen Grundgesetz steht? Weil natürlich die Deutschen begriffen haben, dass in den 30er-Jahren eben nicht die Würde des Menschen unantastbar war. Genau aus dem Grund ist das so in die Verfassung geschrieben worden.

(Beifall CDU)

Das ist der Erfahrungsbestand dessen, was die deutsche Kultur in den 30er-Jahren, aber auch in der ersten Hälfte der 20er-Jahre erfahren hat, wo man gemerkt hat, wir müssen offensichtlich da auch unser kulturelles Verständnis verändern und sagen, dass jeder Mensch eben da auch gleichwertig ist. Deswegen kann ich Ihnen nur mitgeben: Ich finde, dass die Thüringer Verfassung – und das gilt parteiübergreifend für diejenigen, die die Verfassung mitgeschrieben haben – wirklich ein sehr kluges Dokument dessen ist, was der Gründungsaufruf der Thüringer nach der friedlichen Revolution gewesen ist. Da steht eben unter anderen drin, dass unsere Kunst und Kultur gepflegt werden sollen. Das ist letztlich auch der Kulturbegriff, kommt aus dem Lateinischen, „Cultura“ heißt „pflegen“ und „bearbeiten“, das ist das Gegenteil von „Natura“, was schon da und vorgefunden ist. Das, was Sie wollen, ist, Sie glauben, dass ernsthafterweise irgendwo etwas vorgefunden ist. Wissen Sie, bei Kulturdebatten, das ist persönlich mein Hobby, weil ich das selbst lese, egal ob das jetzt Goethe oder Schiller ist, gucken Sie sich Thea Dorn an „Die deutsche Seele“, das können Sie alles lesen. Sie haben sogar in Ihren eigenen Reihen Leute, die über wesentliche Verfassungsrechtler der Weimarer Republik promoviert haben, da können Sie auch mal nachlesen

(Beifall CDU)

und werden feststellen, dass das eben Begrifflichkeiten sind, die immer wieder neu zu diskutieren sind.

Wenn Sie noch eine Literaturliste und Empfehlungen von mir haben wollen, dann lesen Sie Peter Watson „Der deutsche Genius“, 600 Seiten, wenn es Ihnen nicht zu dick ist, aber da steht wenigstens drin, wie deutsche Aufklärung passiert ist. Oder lesen Sie von mir aus „Preußen“ von Clark, dann werden Sie feststellen, dass eben die Preußen und die Bayern bis zu dem Gründungsmythos der deutschen Nation eben fast wenig gemein hatten. Das

ist immer noch deutsche Leitkultur; ich könnte endlos weitergehen. Was mich aber anstinkt, ist, dass Sie solche Sachen eigentlich nur nutzen wollen, um sich in eine Opferrolle zu projizieren und so zu tun, als ob Ihnen ernsthaftes Interesse daran liegt. Das ist nicht so. Sie haben kein ernsthaftes Interesse.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das will ich Ihnen nur mitgeben. Sie haben kein ernsthaftes Interesse. Wenn Sie ein ernsthaftes Interesse hätten, dann würden Sie einen offenen Diskurs führen – das wollen Sie gar nicht. Das ärgert mich, weil Sie damit nämlich auch die Chancen, dass Menschen draußen das, was wir hier tun, ernst nehmen, diffamieren. Sie tun so, als ob das hier so ein kleiner Spielzeughaufen ist, wo man mal so eine kleine Stinkbombe reinwirft, dann wird die diskutiert. Das finde ich, offen gestanden, irgendwie schwierig und das ärgert mich, weil Sie damit ernsthafte Debatten so ein bisschen verstellen.

Deswegen kann ich Ihnen nur mitgeben: Ich diskutiere diese Begrifflichkeit gern. Ernsthaft, ich diskutiere das gern, ich komme da auch zu Ihnen und wir diskutieren über das Thema „Leitkultur“. Und wenn Sie das am Ende immer noch glauben, dann können Sie hier mal einen ernsthaften Antrag stellen, aber tun Sie bitte nicht so, als ob hier niemand Sie ernst nimmt, als ob niemand mit Ihnen inhaltlich diskutieren will. Das ist nicht so, das gilt übrigens für alle. Und ich nehme Ihnen auch ab, dass Sie ein ernsthaftes Interesse daran haben, wenn wir politische Vorschläge machen. Aber eines bleibt trotzdem auch klar: Wir haben einen Kulturbegriff in Deutschland, der ein einladender Kulturbegriff ist. Ich will keinen Begriff in der Thüringer Verfassung haben, der letztlich nur darauf ausgelegt ist, dass er Leute ausschließt. Das ist nicht mein Verständnis von freiheitlicher Gesellschaft.

(Beifall CDU, SPD)

Deswegen bin ich hier reingewählt worden. Übrigens, ich habe nichts gegen meinen Kollegen, der mit mir den Wahlkreis vertritt, in dem ich zweimal hintereinander die Mehrheit gewonnen habe. Ich sage Ihnen eins: Wenn 2019 die Wahl ansteht, habe ich keine Sorge, dass meine Kollegen hier aus der CDU-Fraktion Ihnen als AfD-Vertreter mal ganz genau zeigen, wer die Mehrheit der Leute im Wahlkreis repräsentiert. Auf diese spannende Debatte freue ich mich und kann Ihnen nur eins sagen: Ich freue mich auf die Stammtischdiskussion, wenn Sie ernsthaft dabei sind, die Konzepte erklären zu wollen, die Sie offensichtlich selbst nicht verstanden haben.

(Beifall CDU)

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Die Heraus- forderung nehmen wir gern an!)

Es gibt eine weitere Wortmeldung. Herr Abgeordneter Höcke, Sie haben eine Minute.

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Bei einer Mi- nute lohnt sich das nicht, Frau Präsidentin!)

(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE: Es lohnt sich auch nicht bei mehr!)

Es gibt eine weitere Wortmeldung. Frau Abgeordnete Marx.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen, es geht auch ganz schnell, es ist nur etwas zum Nachlesen im Protokoll, weil die Kollegen von der AfD sich immer daran orientieren, was hier gesagt wurde. Ich zitiere Friedrich Schiller: „Höhern Sieg hat der errungen, der der Wahrheit Blitz geschwungen, der die Geister selbst befreit. Freiheit der Vernunft erfechten, heißt für alle Völker rechten, gilt für alle ew‘ge Zeit“. Danke schön.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)