Meine Damen und Herren, ich bin der Überzeugung, wenn wir uns darin einig sind, dass Gewalt kein Mittel zur Durchsetzung politischer und damit auch immer ökonomischer und geostrategischer Interessen und politischer Ziele sein darf, dann gilt dies für politische Akteure im Rahmen der politischen Auseinandersetzung ebenso wie für Staaten im Rahmen sowohl ihrer Innen- als auch ihrer Außenpolitik. Die G20-Teilnehmerstaaten, die die Menschenrechte systematisch verletzen, mit Gewalt gegen die eigene Bevölkerung vorgehen, sind genauso zu verurteilen wie die existenzbedrohende strukturelle Gewalt infolge politischer Entscheidungen der G20-Staaten, die zu weltweiter sozialer Ungleichheit, zu Armut, medizinischer Unterversorgung, Umweltzerstörungen, Entwertung sozialer
und politischer Rechte und in der Konsequenz zu Tausenden toten Geflüchteten im Mittelmeer führen. Es ist genauso zu verurteilen, wenn Beamte die Grenze von der zulässigen Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols auf der Grundlage von Gesetzen hin zur Straftat überschreiten, weil die Ausübung der Gewalt unverhältnismäßig, willkürlich, anlasslos und nur einfach ein individueller Ausdruck von Macht ist.
Meine Damen und Herren, wer allein diese Vielschichtigkeit von Gewalt, die ich versucht habe in wenigen Sätzen nur anzudeuten, bereits missachtet, negiert das, worauf die „taz“ vor wenigen Tagen durchaus kritisch, aber doch in erster Linie zur Selbstreflektion anregend hingewiesen hat. Zur Wahrheit der Gewaltdebatte gehört demnach, dass bei der politischen Auseinandersetzung eindeutige Grenzen zwischen legitimer und nicht legitimer Gewalt innerhalb von Gesellschaft, Politik und Medien nicht existieren, auch wenn diese vielleicht allgemein beteuert werden. Die Frage, ob zum Beispiel ein Steinewerfer in der Ukraine, im Irak oder Iran, in Venezuela, in der Türkei oder in anderen Teilen der Erde als Randalierer, als Oppositioneller oder Terrorist bezeichnet wird, hängt doch oft auch davon ab, wie das Motiv bewertet wird
oder welches Regime auch mit dem Einsatz von Gewalt bekämpft werden darf. Die Bewertung unterliegt immer dem Kriterium der Opportunität. Herr Voigt, auf Ihren Zwischenruf antwortend möchte ich Ihnen sagen: Das gilt im Übrigen für alle, für Sie genauso wie für mich,
nur mögen die Kriterien unterschiedlich sein. Aber auch wir beide können uns genau dieser Dynamik nicht entziehen. Das merken wir auch bei der heutigen Debatte, allein durch die Thematisierung der beim G20-Gipfel erlebten Gewalt in der politischen Auseinandersetzung und deren durchaus auch ideologischen Instrumentalisierung; auf Peter Altmaier hatte ich vorhin bereits verwiesen. Denn führen Sie sich einmal vor Augen: Anlass des heutigen Sonderplenums sind nicht etwa die 20.000 Gewaltstraftaten und Körperverletzungsdelikte, die sich im letzten Jahr in Thüringen ereignet haben, sondern der G20-Gipfel in Hamburg und seine Folgen.
Ja, in Hamburg waren viele gewalttätige Szenen zu sehen, auf der einen Seite Menschen, die Steine und Flaschen auf Wasserwerfer und Polizisten geworfen haben, die Autos in Brand gesetzt haben, Läden geplündert haben, Molotowcocktails hingegen sind bislang auch durch die Polizei nicht belegt – aber das soll die Aufzählung nicht schmälern –,
auf der anderen Seite auch Polizeibeamte, die neben berechtigten Maßnahmen zum Schutz ihrer eigenen Sicherheit teilweise wahllos und vollkommen unverhältnismäßig friedliche Demonstrationsteilnehmer, Journalisten und Anwohner attackierten.
Meine Damen und Herren, da die wenigsten von uns tatsächlich in Hamburg vor Ort waren, lassen wir doch diejenigen einmal zu Wort kommen, die diese Gewalt vor Ort erlebt haben. Hamburger, Geschäftsinhaber und Gewerbetreibende des Schanzenviertels haben nach dem G20-Wochenende eine gemeinsame Erklärung herausgegeben. Darin heißt es: „Uns fällt es in Anbetracht der Wahllosigkeit der Zerstörung schwer, darin die Artikulation einer politischen Überzeugung zu erkennen, noch viel weniger die Idee einer neuen, besseren Welt. Wir beobachteten das Geschehen leicht verängstigt und skeptisch vor Ort und aus unseren Fenstern in den Straßen unseres Viertels. […] wir haben direkt gesehen, wie Scheiben zerbarsten, Parkautomaten herausgerissen, Bankautomaten zerschlagen, Straßenschilder abgebrochen und das Pflaster aufgerissen wurde. Wir haben aber auch gesehen, wie viele Tage in Folge völlig unverhältnismäßig bei jeder Kleinigkeit der Wasserwerfer zum Einsatz kam. Wie Menschen von uniformierten und behelmten Beamten ohne Grund geschubst oder auch vom Fahrrad geschlagen wurden. Tagelang. Dies darf bei der Berücksichtigung der Ereignisse nicht unter den Teppich gekehrt werden.“
Zur Frage, wer waren eigentlich die Randalierer, äußern sich die Gewerbetreibenden auch und machen es sich dabei eben nicht so einfach, wie Sie gerade auch mit Ihrem Zwischenruf, denn sie schreiben: „Der […] größere Teil“ der Teilnehmer „waren erlebnishungrige Jugendliche sowie Voyeure und Partyvolk, denen wir eher auf dem Schlagermove, beim Fußballspiel oder Bushido-Konzert über den Weg laufen würden als auf einer linksradikalen Demo. Es waren betrunkene junge Männer, die wir auf dem Baugerüst sahen, die mit Flaschen warfen – hierbei von einem geplanten ‚Hinterhalt‘ und Bedrohung für Leib und Leben der Beamten zu sprechen, ist für uns nicht nachvollziehbar. Überwiegend diese Leute waren es auch, die – nachdem die Scheiben eingeschlagen waren – in die Geschäfte einstiegen und beladen mit Diebesgut das Weite suchten.“
Ja, Herr Fiedler, Sie glauben das, was die Polizei sagt. Ich wollte es eigentlich später erst sagen: Sie haben gesagt, polizeiliche Gewalt wäre eine Unterstellung und dass es zu unverhältnismäßiger Gewaltanwendung kam, wäre auch eine Unterstellung. Nur merkwürdigerweise ist tatsächlich die Hambur
ger Polizei schon sehr viel weiter als Sie, denn die Hamburger Polizei ruft über Twitter dazu auf, dass Bürgerinnen und Bürger, Anwohnerinnen und Anwohner der Polizei Fälle von polizeilicher Gewalt melden, weil sie diese eben rechtsstaatlich korrekt aufklären will.
Und Sie stellen sich hier in Thüringen hin und sagen aus politischer Überzeugung, so etwas hat es in Hamburg nicht gegeben, darüber dürfen wir nicht reden, das gefährdet den Rechtsstaat. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wenn Sie den Rechtsstaat wirklich verteidigen wollen, dann tragen Sie mit dazu bei, dass auch derartige Delikte aufgeklärt werden, wie es eben in einem Rechtsstaat auch notwendig ist.
Aber ich will auch noch mal auf Medienberichte eingehen, denn die haben Sie nämlich einfach in Ihrem Redebeitrag missachtet. Der Norddeutsche Rundfunk setzte sich in seiner Sendung „Panorama“ tatsächlich auch mit der Frage nach Verantwortlichkeiten für die Ausschreitungen auseinander und befragt natürlich auch Anwohner in Hamburg und befragt unter anderem auch einen chilenischen Restaurantbesitzer, der dort zu Wort kommt und schildert, dass man es sich zu einfach mache, wenn man vom „Schwarzen Block“ redet, da die Akteure sehr heterogen seien. Zwar wären am Anfang radikal militante Linke zugegen gewesen, die von Voyeuren und Gaffern flankiert worden sind, hinzugekommen wäre aber ein neues Klientel, das waren eher 15- bis 20-Jährige, die einen ganz anderen Habitus hatten. Natürlich hatten auch viele von denen schwarze North-Face-Jacken wie jeder hier im Viertel. Die aufzusetzen, sich ein Tuch vor den Mund zu setzen, macht einen noch nicht zum Mitglied einer politischen Gruppierung. Dann sei es losgegangen mit Ladenplünderungen und viel Alkoholkonsum.
Und weiter führte er aus, dass er Situationen beobachtet habe, in denen Leute aus dem autonomen Spektrum eingeschritten sind und zum Beispiel mit Anwohnern Gewalttaten wie eine Attacke auf einen O2-Shop unterbunden haben.
In der „taz“ äußerte er auch: Nachdem schwarz gekleidete Vermummte die Polizei vom Schulterblatt vertrieben hätten, hätten ganz andere Personengruppen das Heft des Handelns in die Hand genommen. „Dann kamen die ganzen Gaffer, die eh schon zu Tausenden im Viertel waren. Und dann, in diesem Windschatten, kamen die Kids. Dann ging es los mit den Plünderungen, der Randale.“
nen auch ein Zitat des Hamburger Justizsenators mit auf den Weg geben. Der erklärte, dass unter den Inhaftierten der Anteil der militanten Autonomen gering sei und – dann weiter – ein größerer Teil junge Menschen seien, die nicht integriert sind, Jugendliche ohne festen Wohnsitz, auch Menschen mit bürgerlichem Hintergrund. Laut Steffen – Justizsenator – gibt es auch eine dritte Gruppe Menschen mit hohem Bildungsniveau, bürgerlichem Hintergrund und festen Arbeitsverhältnissen, es handele sich um Menschen im Alter von Anfang bis Mitte 20, die keine klare Grenze zwischen Demonstranten, Demonstration und Gewalttätigkeit zögen.
Sie haben – und das will ich dann abschließend zu dieser Aufzählung noch hinzufügen – bereits die Leuchtenburg-Stiftung erwähnt. Die „Ostthüringer Zeitung“ zitierte in diesem Zusammenhang einen Ausbilder der Thüringer Bereitschaftspolizei, der in Hamburg beteiligt war, mit den Worten: „Die Leute, die dort randalierten, zerstörten, Autos anbrannten, waren aus meiner Sicht nicht wegen dieser Sache in Hamburg dabei, sondern nur wegen der Gewalt.“
Und, Herr Fiedler, das alles kann man natürlich negieren, muss man auch, wenn man die Ereignisse von Hamburg politisch instrumentalisieren will. Wenn man sie aber aufklären und aufarbeiten will, muss man sich die Mühe machen, die sehr differenzierten Beobachtungen und Erfahrungen zur Kenntnis, aber vor allem auch ernst zu nehmen. Das heißt im Übrigen aber auch für die Linke, dass wir es uns auch zu einfach machen würden, wenn wir sagen, gewalttätige Auseinandersetzungen in Hamburg wären per se unpolitisch gewesen. Denn diese waren zumindest in Teilen durchaus politisch untersetzt, beispielsweise im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen nach der Auflösung der Welcome-to-Hell-Versammlung.
Wer Gewalt verhindern, ausschließen, minimieren will und in diesem Sinne konzeptionell agieren möchte, muss Motive im politischen Raum ergründen, ohne dabei zu relativieren. Da gibt es gewaltfixierte Menschen und es gibt Menschen, die ihr Macho- und Mackertum pflegen, es gibt Menschen, die das gefährliche Treiben als Event verstehen, die sich am autoritären Rausch der Gewalt, an der Ekstase erfreuen, es gibt Betrunkene, Schaulustige, Sympathisanten, es gibt Menschen, die die Zerstörung als Akt der persönlichen Befreiung erleben, es gibt jene, die gewalttätig aus Wut gegen die Polizei vorgehen, weil sie vorher in ihrer Wahrnehmung auch Unrecht erlebt haben, obwohl sie vielleicht nicht gewaltsuchend nach Hamburg gekommen sind. Es gibt jene, die ohne jeden Anlass bereit sind, die Polizei stellvertretend für den Staat gezielt zu attackieren. Es gibt auch diejenigen, die nur darauf warten, dass das polizeiliche Gegenüber ihnen einen Anlass zur Gewaltausübung verschafft. Es gibt auch solche, die es als politisches Ziel begreifen, einen Maximalschaden anzurichten, um Stand
orte für künftige Gipfel unattraktiv zu machen, und es gibt jene, die Handeln mit der Überzeugung begründen, dass man mit Transparenten und Demonstrationen nicht gegen das G20-System ankommt, mit Gewalt aber für Aufmerksamkeit sorge.
Es gibt noch viele andere Seiten, die wir mit berücksichtigen müssen. Dazu möchte ich auf den französischen Philosophen Alain Brossat verweisen, der anlässlich der 2005er-Krawalle im Großraum Paris über die gewöhnlich Ausgeschlossenen der Gesellschaft von einem namenlosen, politisch nicht repräsentierten Teil der Bevölkerung, der sich plötzlich ins Zentrum der Aufmerksamkeit durch gewaltsame Eruptionen schiebt und danach wieder unsichtbar wird, schreibt. Auch Michel Foucault sprach schon von der unsichtbaren Rückseite der Geschichte, die erst durch einen Akt der Gewalt für alle sichtbar wurde. Nicht selten ist hier auch eine gefühlte Ohnmacht ursächlich.
Will man sich also ernsthaft dem Thema stellen, so müsste man sich ebenfalls fragen, was junge Menschen aus Spanien, Italien oder Frankreich im Juli 2017 motiviert, nach Hamburg zu fahren, um dort anlässlich des G20-Gipfels einen Laden zu plündern oder Steine auf die Polizei zu werfen. Die Gründe können auch sozialpolitischer Natur sein, können in der Entwertung sozialer und politischer Rechte oder in einer sozialen Ungleichheit liegen, am Abgehängtsein von gesellschaftlicher Entwicklung. Das ist alles, meine Damen und Herren, das will ich deutlich sagen, keine Rechtfertigung für solche Ausbrüche, aber wenn wir wollen, dass sich so etwas nicht wiederholt, dann bedarf es neben der strafrechtlichen Verfolgung auch genau dieser Suche nach Antworten auf diese Fragen. Und, meine Damen und Herren, ich will es auch ganz deutlich sagen, das versteht sich von selbst, dass weder Sie noch ich während einer Parlamentsrede geeignete Antworten liefern können.
Aber wir können versuchen, ernsthafte Ansätze zu suchen. Dabei bedarf es, auch einer anderen Frage nachzugehen, die beispielsweise Michael Herl, Kolumnist der Frankfurter Rundschau formulierte, er schrieb: „Die Hamburger Vorfälle waren schlimm. Doch nun sind nicht Ausflüchte gefragt, sondern Analysen. Die wichtigste wäre: Wie konnte es zu solch einer Eskalation kommen?“ Herl weiter: „Wie viel Schuld trägt die Taktik der Polizei […]?“ Wer sich mit erfahrenen Polizisten unterhält, die solche Veranstaltungen und Versammlungen in Hamburg seit Jahren begleiten, wird zu Recht die Klage hören, Herr Innenminister, dass hier Polizeibeamte zum Teil sinnlos verheizt wurden. Er wird auch Kritik an der Hamburger Polizeiführung hören, wonach spätestens mit der gewaltsamen Auflösung des gerichtlich erlaubten Protestcamps als auch mit der gewaltsamen Auflösung der bis dahin friedlichen
Demonstrationen am Donnerstag die folgenden Gewaltexzesse mindestens begünstigt, wenn nicht sogar erheblich befördert wurden. Unterhält man sich mit Demonstranten, Beobachtern und Journalisten, die vor Ort waren, wird dieser Eindruck bestätigt. Auch das kann keine Rechtfertigung sein, aber es ist für die Ursachenforschung essenziell. Wenn nun – und teilweise haben wir das von Herrn Fiedler ja gehört – nach dem G20-Gipfel von einzelnen Politikern gefordert wird, man dürfe das Wort „Polizeigewalt“ gar nicht erst in den Mund nehmen und in Hamburg sei alles korrekt gelaufen, dann ist das schon auch vor dem Hintergrund – Bezug nehmend auf die Verteidigung des Rechtsstaates durch Sie, Herr Fiedler – höchst problematisch. Ich will an dieser Stelle eine Erklärung von Amnesty International zitieren, die führten am 30. Juli aus: „In einem demokratischen Rechtsstaat muss Kritik an staatlichem Handeln nicht nur möglich sein, sondern sie ist sogar erwünscht und notwendig. Polizei und Politik als dessen Vertreter sollten daher Kritik nicht pauschal abwehren, sondern sich konstruktiv damit auseinandersetzen und die nötigen Konsequenzen daraus ziehen.“
Das heißt eben auch, wenn diese Kritik am staatlichen Agieren in Hamburg durch Medien öffentlich geäußert wird, durch anerkannte Medien transportiert wird, dann haben wir in der Politik die Verantwortung, auch diese Diskussion zu führen und nicht einfach die Augen zu verschließen und zu sagen, so etwas hätte es nie gegeben, weil Polizeibeamte sich natürlich permanent an Recht und Gesetz halten. Und dazu gehört dann natürlich auch, offen und transparent Vorwürfen nachzugehen, und wenn die Grundlage, die rechtliche Grundlage dafür besteht, auch Straftaten zu verfolgen. Ich kann den Beitrag im „SPIEGEL“, der gestern Abend erschienen ist, über den Einsatz der Mehrzweckpistole, den Einsatz von Pepperball-Geschossen über eine große Entfernung auf eine Menschenmenge durch Thüringer Polizeibeamte nicht abschließend bewerten, aber was ich nicht tue, ist, ihn einfach abzutun und zu sagen: Es interessiert uns nicht. Da hätte es keine Fehler gegeben, weil Thüringer Polizeibeamte keine Fehler begehen. Was ich möchte, ist, den Menschen in diesem Land zu sagen, dass wir auch diesen Fragestellungen, die damit verbunden sind, nachgehen, aufklären und auch eine Antwort geben, was rechtens und was nicht rechtens war, weil nur genau unter einer solchen kritischen Auseinandersetzung auch Vertrauen in staatliche Institutionen wachsen kann und eben nicht erschüttert wird.
stellungen auffällt, dann will ich es auch konkret machen und beispielsweise mal den „Tagesspiegel“ zitieren, der sich eben genau mit der Frage polizeilicher Gewalt in Hamburg beschäftigt hat und dann zu dem Schluss kommt: „[Man] muss schon sehr schlecht informiert oder sehr wenig an der Wahrheit interessiert sein, um. […] Allein die Zahl der Polizeiangriffe auf Journalisten ist so groß, dass man nicht von Einzelfällen sprechen kann. Frank Schneider, Chefreporter der ‚Bild‘, hat beobachtet, wie Beamte gezielt Pressevertreter attackierten. Einem wurde gedroht: ‚Hau ab oder ins Krankenhaus!‘ […] Ein Berliner Fotograf, der einem Beamten seine Presseakkreditierung zeigte, bekam zur Antwort: ‚Ist mir scheißegal.‘ Dann trat der Polizist zu. Andere Fotografen wurden mit vorgehaltener Schusswaffe bedroht. Sanitäter, die Verletzte versorgen wollten, übrigens auch.“ Die „taz“ fasste eine Vielzahl von Beispielen zusammen und auch „Panorama“, ich hatte es gesagt, berichtete von den Fällen der Polizeigewalt, etwa von einem Mann, der mit erhobenen Händen im Hauseingang zusammengeschlagen und getreten wurde und der das kommentierte mit den Worten: „Die sind über mich hergefallen wie die Tiere.“
Ich bin davon überzeugt, dass die harte Linie schon im Vorfeld des G20-Gipfels diese Stimmung aufgeheizt hat. Das sagen auch viele aus der Hafenstadt. Ich will noch mal Piña Otey zitieren, der in der „Frankfurter Rundschau“ sagte: „Im Viertel hat seit Wochen Ausnahmezustand geherrscht. Leute wurden auf dem Weg zur Arbeit angehalten, an die Wand gedrückt. […] Es habe ein Klima der Ohnmacht und Hilflosigkeit geherrscht. Ohne diese Vorgeschichte, sagt er, könne man auch die Geschehnisse am Gipfelwochenende nicht verstehen. ‚Bei einem Gipfel, wo es so viele verschiedene Formen des Protests gibt, funktioniert eine Null-ToleranzStrategie nicht. Die Polizei hat bewusst mit an der Eskalationsschraube gedreht.‘ Dass die Wut sich nun ‚wahllos, blind und stumpf auf diese Art und Weise artikulierte, bedauern wir sehr.‘“
Dass die Situation in Hamburg so eskalierte, hängt eben dann nicht nur mit einem Anteil Gewaltsuchender zusammen, sondern einer völlig unverhältnismäßigen Polizeistrategie. Bei der Welcome-toHell-Versammlung am Donnerstag mit 12.000 Menschen reichten einige Vermummte aus, um die ansonsten große, friedliche Demonstration zu zerschlagen. Der Fachanwalt Udo Vetter äußerte dazu: „Wenn das rechtens wäre, müsste man jeden Samstag in jedem deutschen Fußballstadion das Spiel absagen und das Stadion räumen. Wenn die Polizei bei jeder Demo sagen würde, da laufen ein paar Vermummte mit, deshalb dürfen die restlichen 12.000 Leute auch nicht mehr demonstrieren – dann wäre die Konsequenz, dass es in Deutschland künftig keine Demos mehr gibt.“ Nun kann man das alles kritisieren, was ich Ihnen hier vortra
ge, und als unerträglich charakterisieren, aber man kann natürlich auch mal den Blick in den eigenen Verantwortungsbereich richten, Herr Fiedler,
denn die Thüringer Polizei handhabt genau in solchen Fällen eine andere Strategie. Da will ich tatsächlich mal den 15. Juni in Themar ansprechen, als es dort auch zu Straftaten Einzelner gekommen ist. Dort twitterte dann die Thüringer Polizei auf Nachfragen besorgter Öffentlichkeit, was denn mit der Versammlung geschehe, weil dort massiv Straftaten von Einzelnen, wie das Zeigen des Hitlergrußes, zutage tragen – Zitat Thüringer Polizei –: „Wir werden Straftaten verfolgen, aber nicht aufgrund einzelner Straftaten einzelner Personen die Versammlungen auflösen. Eine solche Auflösung ist an eine streng abgestufte Vorgehensweise nach dem Versammlungsgesetz gebunden. Dabei müssen wir insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren, unter Beachtung des hohen Gutes der Versammlungsfreiheit (Grundrecht).“ So weit die Thüringer Polizei am 15. Juli in diesem Jahr zu Themar.
Und ich sage Ihnen in aller Ehrlichkeit und das können Sie jetzt kritisieren: Ich hätte mir in Hamburg in diesem Zusammenhang mehr Thüringer Polizei gewünscht als das, was tatsächlich vor Ort gewesen ist, nämlich auch beim Herangehen an die Einsatzplanung.
Ich will es noch mal in aller Deutlichkeit sagen: Wenn wie nach Hamburg von Politikern die Parole vorgegeben wird, es habe keine Polizeigewalt gegeben, und die eigenen Beobachtungen von Bürgern diesem diametral entgegenstehen, dann schwindet das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei und es schwinden auch die Legitimationsbedingungen für das Gewaltmonopol. Das können vor allem auch die nicht wollen, die den Dank an die Polizei, den wir hier alle fraktionsübergreifend ausgesprochen haben, tatsächlich ernst meinen. Es braucht unstrittig eine Fehlerkultur innerhalb der Polizei und eine transparente Verfolgung von Straftaten, die durch Polizeibeamte begangen worden sind.
Wir müssen uns auch hier die Frage stellen, warum im Umfeld von Protesten Gewalt entsteht. Wir müssen uns auch die Frage stellen, warum von Polizisten Gewalt ausgeht. Darauf gibt es auch nicht die einfache, einzige Antwort. Es beschäftigen sich auch Wissenschaftler mit dieser Frage, unter anderem Norbert Pütter, Professor an der Hochschule in Lausitz, der sieben Kriterien dafür in seiner wissenschaftlichen Forschung gekennzeichnet hat. Ich will
Ihnen nicht alle vortragen, aber ich will auf einen Punkt hinweisen. Er führt aus, ein Punkt, der Gewalt befördert, entsteht „aus den polizeilichen Arbeitsbedingungen, die durch Überlastung, Stress und Frust gekennzeichnet sind.“ Ich glaube, genau diesen einen Punkt der Ursachenforschung können wir in Hamburg auch als belegt anerkennen, denn die nachzuvollziehenden Zustände und Einsatzbelastungen in Hamburg zehren an den Nerven, bringen Polizisten an ihre körperlichen, psychischen Grenzen. Sie müssen diese Grenzen dennoch überschreiten und erneut in Einsatzlagen fahren. Da kann ich durchaus verstehen, es zumindest erklärbar machen, dass Fehler entstehen und Aggressionen auch das polizeiliche Gegenüber treffen. Auch das gehört zur Aufklärung und Analyse dazu.
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch etwas auf den CDU-Antrag eingehen. Erstaunlich ist, meine Damen und Herren, dass die CDU eine Forderung der AfD übernimmt und von der Landesregierung eine Auflistung von Abgeordneten und Thüringer Bürgern verlangt, die in Hamburg an Demonstrationen und Versammlungen teilgenommen haben. Ich habe mir nur kurz vorgestellt, wie es wäre, wenn wir von der Landesregierung als Koalitionsfraktion eine Auflistung von Abgeordneten, kommunalen Mandatsträgern verlangen, die an Protesten gegen die Gebietsreform teilgenommen haben. Der Aufstand in der CDU wäre grenzenlos und er wäre auch berechtigt, Herr Mohring.