Protocol of the Session on June 23, 2017

Das erweiterte Gremium ging davon aus, dass das Tatbestandsmerkmal der wissentlichen Zusammenarbeit mit dem MfS/AfNS in der Regel gegeben ist, wenn es sich um ein bewusstes und gewolltes Übermitteln von Informationen an Mitarbeiter des MfS/AfNS gehandelt hat. Ein Teil der Mitglieder des erweiterten Gremiums erblickte einen inhaltlichen Widerspruch zwischen dem von Herrn Wirkner in seiner Stellungnahme geschilderten Sachverhalt und dem Inhalt der IM-Vorlauf-Akte. Die Schilderungen des Herrn Wirkner stimmten in mehreren Punkten nicht mit der Aktenlage überein. Der Widerspruch kann allerdings auch daher rühren, dass die Aktenlage auch nicht den tatsächlichen Sachverhalt widerspiegelt.

(Präsident Carius)

Aus dem ersten Vorlauf der IM-Vorlauf-Akte ergibt sich, dass die Kontaktgespräche mit Herrn Wirkner in seinem Arbeitszimmer im Rathaus Rudolstadt bzw. in Rudolstadt für eine Dauer von 30 bis 60 Minuten geführt wurden. Herr Wirkner zeigte zunächst die Bereitschaft zu einer inoffiziellen Mitarbeit, stellte drei handschriftliche Berichte zur Verfügung, lieferte mündlich weitere Informationen. Somit hatte er in der ersten Phase des IM-Vorlaufs faktisch Informationen an das MfS weitergegeben. Die Aufgabenerfüllung erfolgte jedoch nur zögernd, bis er schließlich versuchte, sich einer Zusammenarbeit vollständig zu entziehen. Der Führungsoffizier folgerte daraus eine negative Einstellung zu einer weiteren Zusammenarbeit. Auch der zweite Anwerbeversuch im Jahre 1977 misslang, weil Herr Wirkner einer inoffiziellen Mitarbeit aus dem Weg ging und zur Unterstützung des MfS nicht bereit war.

Herr Wirkner erklärte, das MfS habe ihn erpresst und permanent psychisch unter Druck gesetzt, woraufhin er im Rahmen des ersten Anwerbeversuchs im Jahr 1975 eine handschriftlich verfasste und mit Klarnamen unterzeichnete Auflistung von vier Personen aus seinem Freundes- und Bekanntenkreis übergeben habe. Mitarbeiter des MfS hätten ihn mindestens zweimal im Wald und einmal in einem Hotel in Bad Blankenburg stundenlang verhört. Er sei von Anfang an gegen eine inoffizielle Zusammenarbeit mit dem MfS gewesen. Die anfängliche Bereitschaft zu einer Zusammenarbeit habe er in dem ersten Kontaktgespräch nur geäußert, um unversehrt aus der Vernehmungssituation zu gelangen. Unter größter Angst vor möglichen Konsequenzen habe er sich nicht getraut, sich sofort zu verweigern. Obgleich das Risiko einer Freiheitsstrafe für den Fall der Dekonspiration bestand, offenbarte sich Herr Wirkner seinem Chef und seinen Kollegen und ließ sich von diesen verleugnen. Die Mitarbeiter des MfS hätten ihn mehrfach an seiner Arbeitsstätte und einmal am frühen Morgen in seinem Privathaus aufgesucht sowie vom Abend an bis spät in die Nacht bei seinen Eltern angerufen und ihnen gedroht. Mit Ausnahme des oben genannten Personenberichts habe er keine weiteren handschriftlichen Berichte an das MfS weitergegeben. Er hätte sich das nicht getraut und er hätte sich geschämt. Stattdessen habe sein Chef die beiden weiteren in der Akte befindlichen Aufstellungen von Arbeitskollegen und Bekannten an die Mitarbeiter des MfS herausgegeben mit den Worten: „Damit wir hier endlich unsere Ruhe vor euch haben!“. Von den Tonmitschnitten, die als Tonbandabschriften in der Akte zu finden sind, habe er nichts gewusst und erst im Jahre 1998 durch Einsichtnahme in seine Akte erfahren. Herr Wirkner schilderte, dass er bei dem zweiten Anwerbeversuch im Jahr 1977 sofort eine Abwehrhaltung eingenommen und sich total verweigert habe. Er habe sich Ausreden einfallen und sich verleugnen lassen, um sich den Treffen mit dem Führungsoffizier zu entziehen.

Die Mitglieder des erweiterten Gremiums stellten fest, dass der Inhalt der IM-Vorlauf-Akte nicht isoliert betrachtet werden darf, sondern die von Herrn Wirkner geschilderten Umstände bei der Bewertung Berücksichtigung finden müssen. Herr Wirkner hat sich zwar positiv hinhaltend gegenüber dem MfS gezeigt, jedoch für die Dauer beider IM-Vorläufe monatelang versucht, einer inoffiziellen Zusammenarbeit aus dem Weg zu gehen. Insofern decken sich die Erläuterungen des Herrn Wirkner mit dem Akteninhalt. Herr Wirkner hat auch glaubhaft dargelegt, dass er unter dem Gefühl der ständigen Angst in einer für ihn bedrohlichen Lage handelte.

Andererseits ergab sich aus der Stellungnahme, dass Herrn Wirkner durchaus bewusst war, dass er es mit dem Staatssicherheitsdienst zu tun hatte. Dennoch hat er bewusst Informationen über Dritte weitergegeben, wenn auch, um sich selbst zu schützen. Die Tatsache, dass mehrere handschriftliche Berichte des Herrn Wirkner vorliegen, spricht für eine besondere Intensität der IM-Vorlauf-Akte.

Die stimmberechtigten Mitglieder des erweiterten Gremiums kamen daher mit 4 Jastimmen und 4 Neinstimmen bei 1 Enthaltung zu dem Ergebnis, dass das Tatbestandsmerkmal „wissentliche Zusammenarbeit mit dem MfS/AfNS“ ebenfalls nicht vorliegt.

Obgleich damit feststand, dass das erweiterte Gremium im Ergebnis seiner vorläufigen Bewertung eine wissentliche inoffizielle Zusammenarbeit des Herrn Wirkner mit dem MfS/AfNS nicht als gegeben ansieht, erörterte es aus Gründen der Vollständigkeit zudem das Tatbestandsmerkmal der Parlamentsunwürdigkeit, wobei ein Mitglied grundsätzlich infrage gestellt hat, ob dieses Merkmal der Parlamentsunwürdigkeit nach einer demokratischen Wahl überhaupt tauglich sei. Das erweiterte Gremium berücksichtigte in der weiteren Diskussion folgende be- und entlastende Umstände: a) die Frage der Nachhaltigkeit der Tätigkeit für das MfS und des Vorliegens eines Schadens für betroffene Bürger, b) die Zeitumstände und der Zeitablauf und c) die demokratische Bewährung und die Wahl bzw. Wiederwahl als Volksvertreter.

Nun zu den einzelnen Punkten: Zur Frage des Vorliegens des ersten Punkts, der Nachhaltigkeit und des Schadens, hatte sich das erweiterte Gremium auf folgende Definitionen verständigt: Bei der Parlamentsunwürdigkeit handelt es sich um einen unbestimmten, also ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriff. Die Parlamentsunwürdigkeit ist in § 1 Abs. 1 Satz 3 des Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetzes in einem Regelbeispiel dahin gehend umschrieben, dass sie in der Regel, also nicht ausschließlich, anzunehmen sei, wenn der Abgeordnete nachhaltig und zum Schaden anderer Bürger für das MfS/AfNS tätig gewesen ist. Das Kriterium „nachhaltig“ liegt vor, wenn der Abgeordnete nach

(Präsident Carius)

haltig für das MfS tätig gewesen ist. Vom Vorliegen eines Schadens ist unter anderem dann auszugehen, wenn durch konspirative Zusammenarbeit mit dem MfS Eingriffe in den Kernbereich des Persönlichkeitsrechts, mithin in die Intim- und Privatsphäre erfolgen. Ein Eingriff in den Kernbereich liegt vor, wenn Daten aus diesem Bereich unbefugt an Dritte weitergegeben werden. Herr Wirkner hat sich darum bemüht, mit dem MfS nicht inoffiziell zusammenarbeiten zu müssen.

Zur Beurteilung der Frage, ob durch die Tätigkeit Herrn Wirkners zulasten anderer Bürger ein Schaden eingetreten sei, hat das erweiterte Gremium differenziert, inwieweit es sich um Aufzeichnungen und Berichte von Herrn Wirkner und inwieweit es sich um Berichte des jeweiligen Führungsoffiziers handelt. Herr Wirkner hat zwar in seiner Einlassung erklärt, dass die Treffberichte der Führungsoffiziere den Inhalt der Gespräche richtig wiedergeben. Inhaltlich stehe nur das in der Akte, was sich tatsächlich so zugetragen habe. Lediglich Ort und Dauer der Gespräche seien falsch. Für das erweiterte Gremium ist jedoch nicht nachvollziehbar, ob eventuell Teile der Inhalte vom Führungsoffizier fehlerhaft wiedergegeben, bewertet, verändert oder sogar frei erfunden wurden. Zudem lässt sich aus der Akte nicht zweifelsfrei ermitteln, ob zwei der Berichte, wie von Herrn Wirkner beschrieben, durch dessen Chef an das MfS weitergegeben worden sind. Mit Blick darauf, dass das erweiterte Gremium in einem rechtsstaatlichen Verfahren zu einer gesicherten Überzeugung kommen muss, müssen Zweifel bezüglich der Authentizität der Berichte des Führungsoffiziers zugunsten des Abgeordneten gewertet werden.

Die von Herrn Wirkner selbst an das MfS übergebene Personenauflistung mit Namen, Anschrift und Wohnort seiner Bekannten enthält keine sensiblen Daten, die zu einem Schaden bei den Betroffenen geführt haben könnten. Diese Informationen hätten von jeder anderen Person, die das Umfeld beobachtet hätte, ebenso herausgefunden werden können.

Die beiden ausführlicheren handschriftlichen Berichte ohne Unterschrift benennen Bekannte und Arbeitskollegen namentlich und geben eine Kurzcharakteristik, insbesondere persönliche Eigenschaften und politische Einstellungen, wieder. Nach Angaben des Herrn Wirkner hat er die Beurteilung gemeinsam mit seinem Chef und zwei seiner Kollegen in einer unverfänglichen Art und Weise entworfen. Ziel war es, die Einschätzung möglichst harmlos zu formulieren, um die Betroffenen vor Schäden und einem Zugriff durch das MfS zu schützen. Ferner sollten die Berichte möglichst wahrheitsgetreu erscheinen, sodass sich gewisse negative Formulierungen nicht vermeiden ließen.

Ein Teil des Gremiums sah in der Weitergabe von Negativeinschätzungen ein gewisses Risiko für die betroffenen Personen. Jedenfalls besteht in solchen Fällen die Möglichkeit eines Schadenseintritts. Wie Herr Wirkner in seiner Stellungnahme mitteilte, ist seines Wissens keinem der Betroffenen ein Schaden entstanden. Insbesondere sein bester Freund, ein Medizinstudent, den er bewusst als charakterlich nicht fest, oft sehr oberflächlich und teilweise eigennützig eingeschätzt hat, durfte weiterstudieren und sein Studium abschließen. Beide sind noch heute miteinander befreundet.

Herr Wirkner hat alle Betroffenen in seinem Betriebsumfeld über die Berichterstellung informiert. Die Übergabe der beiden ausführlichen Berichte an das MfS erfolgte nicht durch Herrn Wirkner selbst, sondern – wie oben bereits beschrieben – durch dessen Chef. Somit hat sich Herr Wirkner bemüht, andere möglichst zu schützen und Schaden von ihnen abzuwenden. Die stimmberechtigten Mitglieder des erweiterten Gremiums verneinten einstimmig das Vorliegen einer nachhaltigen Tätigkeit für das MfS. Gegen das Vorliegen eines Schadens für betroffene Bürger stimmten sieben Mitglieder bei 2 Enthaltungen, sodass vorläufig weder das Kriterium der Nachhaltigkeit noch des Schadens als gegeben angesehen werden können.

Das erweiterte Gremium hat in seiner vorläufigen Bewertung auch die Zeitumstände und den Zeitablauf berücksichtigt. So spielen die Sozialisation in der DDR, die besondere innerdeutsche politische Situation Mitte der 70er-Jahre eine wichtige Rolle für die Einstellung, Prägung und Verhaltensweisen, insbesondere für die Entwicklung des Rechts- und Unrechtsbewusstseins. Diesen Umständen waren aber grundsätzlich alle Bürger, die in der ehemaligen DDR gelebt und gearbeitet haben, in gleicher Weise ausgesetzt. Dennoch hat nach Auskunft der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen nur circa 1 Prozent der DDR-Bevölkerung als inoffizieller Mitarbeiter mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammengearbeitet. Es galt nach den Vorschriften für die Gewinnung und Führung von inoffiziellen Mitarbeitern die Regel der strikten Freiwilligkeit. Demnach konnte man sich der Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung entziehen. Auf die Akquirierung hatten die vom MfS Auserwählten allerdings keinen Einfluss. Das MfS verstand es, IMKandidaten psychisch und physisch unter Druck zu setzen und so gezielt Angst und Gehorsam hervorzurufen.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist es für das Gremium nachvollziehbar, dass Herr Wirkner unter Vorspiegelung anfänglicher Kooperationsbereitschaft und durch Herausgabe möglichst weniger Informationen versuchte, sich dem Zugriff des MfS zu entziehen.

(Präsident Carius)

Für das Kriterium des Zeitablaufs sind die Zeitpunkte der Beendigung der IM-Vorläufe zu berücksichtigen. Der Zeitraum des ersten IM-Vorlaufs, in dem Herr Wirkner Informationen über Dritte an das MfS weitergab, endete nach Anfertigung des Abschlussberichts vom 14.09.1976. Der zweite IMVorlauf, in dessen Verlauf Herr Wirkner jeglicher Zusammenarbeit mit dem MfS aus dem Weg ging, endete mit Beschluss vom 13.01.1978. Der Kontakt zum MfS war damit elf Jahre vor der Auflösung der Staatssicherheit der DDR und etwa 36 Jahre vor der erstmaligen Wahl in den Thüringer Landtag beendet.

Da das Verfahren zur Überprüfung von Abgeordneten kein Strafverfahren ist, spielen die zum Teil erheblich kürzeren strafrechtlichen Verjährungsfristen keine Rolle. Es geht nicht darum, strafrechtlich relevantes Verhalten festzustellen und zu ahnden, es geht vielmehr um die Aufarbeitung von Geschehnissen, die Bedeutung für das in einer parlamentarischen Demokratie unverzichtbare Vertrauensverhältnis zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und ihren Abgeordneten hat.

Von den stimmberechtigten Mitgliedern des erweiterten Gremiums haben sich nach Abwägung aller Aspekte der Kriterien „Zeitumstände“ und „Zeitablauf“ jeweils acht Mitglieder bei je 1 Enthaltung dafür ausgesprochen, dass diese Umstände als entlastend in die Bewertung der Parlamentswürdigkeit Eingang finden.

Des Weiteren wurden die mögliche demokratische Bewährung von Herrn Wirkner und dessen Wahl bzw. Wiederwahl als Volksvertreter betrachtet. Aus seiner Biografie wurden insbesondere seine Lebensdaten nach 1990 berücksichtigt. Herr Wirkner hat sich seit vielen Jahren auf kommunaler Ebene in der demokratischen Gesellschaft engagiert. Seit 1994 ist er Mitglied der CDU-Stadtratsfraktion in seiner Stadt Rudolstadt und seit 2009 Vorsitzender des Stadtrats. Ferner ist Herr Wirkner seit 2014 Mitglied im Kreistag Landkreis Saalfeld-Rudolstadt und sein Engagement zeigt seine Akzeptanz der demokratischen Regeln, unserer Rechtsordnung und seinen Einsatz für unser Staatswesen.

Auf kommunaler Ebene ist er wiederholt gewählt worden und hat sich seit 1998 bereits mehrfach Überprüfungen im Hinblick auf den Kontakt zum MfS/AfNS unterzogen. Im Jahr 2014 hat Herr Wirkner das Direktmandat für den Thüringer Landtag im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt gewonnen. Kritisch merkte ein Teil des Gremiums an, dass Herr Wirkner seinen Vorgang schon eher hätte bekannt machen können, da ihm die Unterlagen des MfS bereits seit 1998 vorgelegen haben. Herr Wirkner gab an, aus seiner Vergangenheit nie ein Geheimnis gemacht zu haben. Bei Eintritt in die CDU-Fraktion hat er das Thema fraktionsintern angesprochen und offen diskutiert. Er strebte eine

Veröffentlichung in Form eines Zeitungsartikels an, zu der es jedoch nie gekommen ist. Er ist daran interessiert, die Öffentlichkeit auf die früheren verwerflichen Zeiten und die Schicksale der Menschen unter dem DDR-Regime aufmerksam zu machen. Dies ist auch der Grund, weshalb er sich als Aufarbeitungsbeauftragter in der CDU-Fraktion engagiert.

Die stimmberechtigten Mitglieder des erweiterten Gremiums haben sich einstimmig dafür ausgesprochen, dass die demokratische Bewährung und die Wahl bzw. Wiederwahl zum Volksvertreter entlastenden Charakter bei der Beurteilung der Parlamentswürdigkeit haben. In der anschließenden Gesamtwürdigung aller Gesichtspunkte sind die stimmberechtigten Mitglieder des erweiterten Gremiums unter Berücksichtigung dessen, dass die Kriterien „inoffizieller Mitarbeiter“ und „wissentliche Zusammenarbeit“ bereits als nicht zutreffend bewertet wurden, in der 2. Sitzung zu folgendem vorläufigen Ergebnis gekommen: Nach jetzigem Kenntnisstand und vorbehaltlich der weiteren Beratungen und Anhörungen verneinen die Mitglieder des erweiterten Gremiums nach § 4 Abgeordnetenüberprüfungsgesetz einstimmig, dass Herr Wirkner wissentlich als inoffizieller Mitarbeiter mit dem MfS zusammengearbeitet hat und deshalb unwürdig ist, dem Landtag anzugehören. Die Einzelfallprüfung soll daher eingestellt werden. In der 3. Sitzung haben die anwesenden stimmberechtigten Mitglieder des erweiterten Gremiums ausnahmslos die in der 2. Sitzung zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen und zur Gesamtwürdigung abgegebenen Voten bestätigt und sich vorbehaltlich der abschließenden Erörterung nach § 5 Abgeordnetenüberprüfungsgesetz erneut dafür ausgesprochen, die Einzelfallprüfung einzustellen.

In der 4. Sitzung haben die stimmberechtigten Mitglieder des erweiterten Gremiums erneut ausnahmslos die in den vorhergehenden Sitzungen zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen und zur Gesamtwürdigung abgegebenen Voten bestätigt und im Ergebnis die Einzelfallprüfung eingestellt. Vielen Dank.

(Beifall CDU, AfD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Bevor ich Herrn Abgeordneten Wirkner das Wort erteile, möchte ich noch ausdrücklich darauf hinweisen, dass im Anschluss an die Bekanntgabe und die Erklärung des Abgeordneten Wirkner gemäß § 5 Abs. 4 der Verfahrensordnung des erweiterten Gremiums auf Verlangen einer Fraktion oder zehn Abgeordneter eine Beratung im Landtag erfolgen kann. Ich bitte Herrn Wirkner um sein Wort.

Herr Präsident, zunächst einmal recht herzlichen Dank dafür, dass Sie den gesamten Vorgang hier

(Präsident Carius)

aufgrund meines Antrags noch einmal vorgetragen haben. Sie wissen, dass ich von Anfang an wollte, dass Transparenz über den Vorgang der 70er-Jahre zu meiner Person herrscht. Deswegen hatte ich auf der Grundlage des Abgeordnetenüberprüfungsgesetzes beantragt, dass das Ergebnis der Überprüfung hier in dieser minutiösen Form vorgetragen wird. Dafür möchte ich mich noch einmal – bei Ihnen ganz besonders – recht herzlich bedanken.

(Beifall CDU, AfD)

Zeugenaussage zum ersten Anwerbeversuch des Ministeriums für Staatssicherheit im Jahr 1975 – und es freut mich heute ganz besonders, hier Zeitzeugen begrüßen zu können, die sich die Mühe gemacht haben, mich heute bei diesem für mich schwierigen Gang zu begleiten – „Im Jahr 1975 wurde Herr Wirkner, nachdem er kurz bei uns eingestellt war, von zwei Herren des Ministeriums für Staatssicherheit aufgesucht mit der Aufforderung, sie aus unseren Diensträumen nach draußen zwecks Klärung eines Sachverhalts zu begleiten. Herr Wirkner kam erst nach drei Stunden zurück und war sichtlich verstört. Auf meine Anfrage hin teilte er mit, dass er soeben im Wald verhört wurde und ihm angetragen wurde, für den Staatssicherheitsdienst zu arbeiten. Ich kann mich an diesen Augenblick noch genau erinnern, als wäre es gestern gewesen. Auch wenn er unter Androhung von Gefängnisstrafe, wie er sagte, über diesen Vorgang nicht berichten dürfte, hat er sich doch dazu entschieden, mir, seinem Chef und allen Kollegen in unserer Abteilung von dem Vorfall zu berichten, damit nicht der Eindruck entsteht, er würde alle bespitzeln. Unser Chef nahm sich seiner an und versuchte, ihn zu beruhigen. Danach kamen wiederum diese Herren mehrmals unangekündigt in unser Büro, um Herrn Wirkner wiederum nach draußen zu begleiten. Seine Abwesenheit dauerte jedes Mal einige Zeit, und als er zurückkam, war er nicht wiederzuerkennen. Der Schrecken seines Erlebnisses war ihm sichtlich anzusehen, und erst nach einiger Zeit erzählte er uns noch am gleichen Tag, was er alles erlebte. Eines Tages kam er wiederum zurück und teilte uns mit, dass er nun mehrmals aufgefordert wurde, eine Kurzeinschätzung seiner Kollegen und selbst seines unmittelbaren Bekanntenkreises abzugeben, und er dies auf keinen Fall wolle. Dies berichtete er öfter und begann, sich speziell von mir verleugnen zu lassen, als die Herren wieder einmal vorstellig wurden. Zu diesem Zweck wurde von ihm und mir selbst der Pförtner am Eingang des Rathauses, der die Herren schon mehrmals einließ und sie auch dadurch kannte, eingewiesen, doch bitte oben im Sekretariat anzurufen, bevor er die Absperrung am Eingang des Rathauses elektrisch öffnete, um den Herren Einlass zu gewähren. Somit hatte Herr Wirkner die Möglichkeit, das Büro rechtzeitig zu verlassen, und konnte so lange in einem anderen Büro warten, bis diese Herren das Haus

verlassen hatten. Ich hatte immer gesagt, dass Herr Wirkner dienstlich unterwegs sei. Dies gelang aber nicht immer, hatte aber öfter geklappt. Wieder einmal zurückgekommen erklärte er, dass der Druck immer höher wird und er unbedingt die geforderten Einschätzungen seiner Kollegen und seines Freundeskreises mitbringen muss. Daraufhin haben wir bei unserem Chef im Kollektiv das Problem gemeinsam besprochen. Wir merkten, dass es ihn sehr berührt hat. Unser Chef riet ihm, doch von uns im Büro und seinen Bekannten eine charakterliche Kurzeinschätzung abzugeben, da diese Leute ohnehin alles über uns wissen. Unser Chef half ihm am darauf liegenden Tag, diese Einschätzung im Wissen aller anzufertigen. Gleiches erfolgte über seine Bekannten, deren Namen ihm angetragen wurden. Ich kann mich noch genau erinnern, wie schwer es ihm damals fiel. Die handschriftlichen Schriftstücke im Entwurf gab er unserem Chef mit der Bitte, mal drüber zu schauen und einzuschätzen, ob sich dies nicht nachteilig auf die betreffenden Personen auswirken kann. Diese gesamten Zettel befanden sich fortan bei unserem Chef. Herr Wirkner sollte einige Zeit später nochmals abgeholt werden. Diesmal war er wirklich nicht da und die Herren waren sehr aufgebracht und betraten das Dienstzimmer unseres Chefs. Da ich im Sekretariat im Vorzimmer des Chefs war, konnte ich eine angeregte Diskussion hören, in der zum Ausdruck kam, dass Herr Wirkner eine Bringepflicht von Unterlagen zugesagt hätte und dieser Aufgabe schon seit längerer Zeit nicht nachkommt. Der Chef rief mich herein in sein Büro und fragte, ob ich wüsste, wo die Unterlagen von Herrn Wirkner seien. Mir war sofort klar, um welche Unterlagen es sich handelte, war ich doch in den gesamten Prozess eingebunden. Daraufhin durchsuchten wir einen Stapel auf dem Schreibtisch unseres Chefs, wo sich die Kurzeinschätzungen im Manuskript schon seit längerer Zeit befanden. Da diese demnach von Herrn Wirkner noch nicht übergeben wurden, übergab unser Chef diese sehr forsch mit dem Wortlaut: Damit hier endlich Ruhe ist. Wir teilten dies Herrn Wirkner zunächst nicht mit, um ihn nicht unnötig zu beunruhigen, war doch sein Vater sehr krank, und er war ohnehin nervlich sehr beansprucht. Eines Tages kam Herr Wirkner ins Büro unseres Chefs und fragte nach den Unterlagen. Ihm wurde nun vom Chef mitgeteilt, dass er diese bei einem der letzten Besuche übergeben hätte, damit sowohl er als auch alle anderen im Büro endlich ihre Ruhe haben. Herr Wirkner war sichtlich erschrocken. Am nächsten Tag erklärte er, dass er bei einem Verhör auf einen speziellen Namen angesprochen wurde, dieser doch auf dem Zettel stand, von dem er genau wusste, dass er ihn nicht abgegeben hatte. Ihm war jetzt klar, in welchem Zusammenhang dies stand, waren doch die Herren vom Ministerium für Staatssicherheit schon im Besitz dieser Kurzeinschätzung. Nachdem scheinbar der Kontakt zwischen

dem Ministerium für Staatssicherheit und Herrn Wirkner abgebrochen war, trug er sich mit dem Gedanken, seine Anstellung bei der Staatlichen Bauaufsicht zu beenden, um künftig nicht mehr in eine solche schreckliche Situation zu kommen. Im Jahr darauf hat uns Herr Wirkner verlassen. Wir haben dies alle sehr bedauert. Noch heute, nach 40 Jahren, denke ich oft an diese Augenblicke.“

Werter Herr Präsident, werter Herr Ministerpräsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten und vor allen Dingen liebe Freunde auf der Tribüne, es ist jetzt genau mit dem heutigen Tag ein halbes Jahr her, da erhielt ich einen Tag vor Heiligabend im Jahr 2016 eine Postzustellung der Landtagsverwaltung des Freistaats Thüringen mit der Ankündigung, dass ich mich aufgrund der eingegangenen Unterlagen der BStU bezüglich eventueller früherer Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit einer Überprüfung zu unterwerfen habe, da das Vertrauensgremium des Landtags aufgrund der zugegangenen Unterlagen durch die BStU den begründeten Verdacht hat, dass ich wissentlich inoffiziell mit dem MfS in den 70er-Jahren zusammengearbeitet habe. Seit 1998 habe ich mich bereits mehrmals – auch auf eigenes Verlangen hin – einer solchen Überprüfung in der Stadt Rudolstadt, wo ich seit 1950 beheimatet bin, unterworfen, weiß ich doch seit 1998, dass das Ministerium für Staatssicherheit bereits 1975 eine IMVorlauf-Akte über mich angelegt hatte, in der zwei Anwerbeversuche durch das MfS in den 70er-Jahren dokumentiert wurden, denen ich mich nachweislich widersetzt habe, und woraus klar erkenntlich sein müsste, dass ich niemals als inoffizieller oder gar offizieller Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet habe. So zumindest dachte ich.

Die erste Überprüfung im Jahr 1998, als ich 1994 zum ersten Mal in den Stadtrat der Stadt Rudolstadt gewählt wurde und dort unterschrieb, dass ich natürlich einer Einsicht in eine eventuelle Akte zustimme – und erst im Jahr 1998 gingen die gesamten Unterlagen der Stadtverwaltung zu –, kam schon damals zu dem eindeutigen Ergebnis, dass ich nie inoffizieller oder offizieller Mitarbeiter des MfS war und meine Akte zeitgeschichtlich einen Abriss über die unsägliche Zeit gerade der 70erJahre in der DDR dokumentierte.

Warum also kam das Vertrauensgremium in seiner 1. Sitzung im Dezember 2016 zu dem begründeten Verdacht, ich hätte seinerzeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammengearbeitet? Ist es zu wenig Kenntnis über diese geschichtliche Etappe der damaligen DDR im Zusammenhang mit der Geheimpolizei, der Staatssicherheit? Oder gab es andere Hintergründe, eventuell politischer Natur, von wem auch immer inszeniert? Diese Fragen taten sich mir auf. Die Beantwortung dieser Frage überlasse ich jedoch Ihnen oder die Geschichte wird ei

nes Tages Aufklärung darüber geben, was die wahren Hintergründe waren. Natürlich stehe ich grundsätzlich auch heute noch zu dem Grundsatz, dass sich alle Abgeordneten, die vor dem Jahr 1970 geboren wurden, einer solchen Überprüfung zu unterziehen haben, aber auch nur dann, wenn eindeutig die Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit aus den Unterlagen hervorgeht. In meinem Fall habe ich mich dennoch der Überprüfung unterzogen, um als Zeitzeuge aufzuklären und eventuelle Fehleinschätzungen zu meiner Person zu berichtigen, ist es doch für Menschen heute schwer, über eine Zeitetappe wie die der 70er-Jahre in der DDR eine realistische Bewertung vorzunehmen, weil diese zu dieser Zeit noch nicht geboren oder viel zu jung waren, um diese Zeit realistisch zu bewerten, zumal eine IM-Vorlauf-Akte grundsätzlich schwierig zu bewerten ist. Sie legt zwar Zeugnis über den Kontakt mit dem MfS ab, einen tatsächlichen Hergang der Vorkommnisse in der Zeit jedoch lässt sie größtenteils offen.

(Beifall DIE LINKE)

Wer weiß schon heute noch, was es bedeutet hat, sich stundenlangen, erpresserischen Verhören, wie es bei mir in einem Waldstück 10 Kilometer entfernt von meinem Heimatort Rudolstadt der Fall war, oder in einem dafür vorbereiteten Vernehmungsraum in einem in der Nähe gelegenen Hotel in Bad Blankenburg – nicht, wie in der Akte niedergeschrieben, im Büro – auszusetzen, in denen man zum Beispiel aufgefordert wurde, über seine Kollegen, deren Namen vorgegeben wurden, Kurzeinschätzungen anzufertigen, und bei den Verhören immer in permanenter Angst leben und bei jedem falschen Wort Sorge haben zu müssen, an diesem Tag nicht mehr nach Hause zu kommen, weil einem im Fall der Verweigerung einer Zusammenarbeit oder Dekonspiration mit Gefängnisstrafe gedroht wurde.

Wer weiß heute noch, was in einem Menschen wie mir mit gerade mal 24 Lebensjahren am Anfang seines Lebens unter solch permanenter Belastung vorgegangen ist, dokumentiert in einer IM-VorlaufAkte, von der ich erst 23 Jahre später – nämlich im Jahr 1998 – erfuhr, als ich mich erstmals einer Überprüfung stellen musste. Ja, es war vor 42 Jahren, da versuchte das MfS, mich mit 24 Lebensjahren für seine Spitzeldienste anzuwerben. Auch auf die Gefahr hin, mit einer Gefängnisstrafe oder anderen Repressalien rechnen zu müssen, konnte ich mich jedoch dieser Zusammenarbeit in taktisch geschickter Weise verwehren.

Ich war also im Jahr 1975 und nochmals 1977 kurzzeitig im Visier der Stasi mit der Zielsetzung, als inoffizieller Mitarbeiter für das MfS arbeiten zu sollen. Ich war also ein sogenannter IM-Vorlaufkandidat geworden. Ein IM-Vorlaufkandidat war eine Person, die mit dem Ziel der Gewinnung zur inoffiziellen Zu

sammenarbeit in einem Vorgang erfasst war und mit der Anbahnungsgespräche beabsichtigt oder geführt worden waren – die aber noch nicht angeworben war. Diese Person wurde in einer Akte als IM-Vorlauf geführt.

Hierzu wurde ein IM-Vorlauf-Vorgang angelegt und zentral erfasst. Im Vorfeld wurden die zu werbenden Personen einer operativen Personenkontrolle unterzogen, so wie es bei mir zwei Jahre im Vorfeld der ersten Anwerbung erfolgte. Dabei wurde gegen meine gesamte Familie ermittelt: Eltern, Bruder. Postzusendungen wurden kontrolliert und unser Telefon wurde einer ständigen Kontrolle unterzogen, wie ich 20 Jahre später erfahren musste. Wenn eine Anwerbung Erfolg versprechend war, setzte die eigentliche Rekrutierungsphase ein und der IM-Vorlauf wurde nach Einverständnis des Kandidaten in einen regulären IM-Vorgang umgewandelt. Anderenfalls wurde der Vorgang abgebrochen – so wie es bei mir der Fall war –, archiviert oder aber in einen sogenannten operativen Vorgang umgewandelt, indem Material zur Druckausübung beigebracht oder andere IM zur Beeinflussung auf den Kandidaten angesetzt wurden, um nochmals spätere Anwerbeversuche zu unternehmen.

Gerade Mitte der 70er-Jahre wurde eine Vielzahl neuer IM rekrutiert, hatte doch die DDR die Akte von Helsinki ratifiziert, was die Herrschenden in der DDR zu noch höherer Wachsamkeit gegenüber dem vermeintlichen Klassenfeind herausforderte. Also waren zusätzliche Spitzel erforderlich. So gab es unter ihnen Freiwillige, die aus Eigennutz, Wichtigtuerei oder aus dem Bedürfnis heraus, über andere Macht auszuüben, dem Ministerium für Staatssicherheit eifrig und ohne moralische Bedenken umfassend Bericht erstatteten. Sie glaubten aufrichtig, einen Staat, den sie für das bessere Deutschland hielten, vor feindlichen Einflüssen schützen zu müssen, und arbeiteten aus diesem Grund mit dem Ministerium für Staatssicherheit aktiv zusammen. Andere waren zuvor selbst Opfer mehr oder weniger schwerer Verfolgung des Regimes geworden und daran zerbrochen oder zur Mitarbeit erpresst worden, so wie ein IM-Vorlauf grundsätzlich das Ziel hatte, jemanden mit erpresserischen Methoden, oft unter Androhung von Gefängnisstrafe – so auch in meinem Fall – zur Zusammenarbeit zu zwingen.

Erst 23 Jahre nach dem ersten Kontaktversuch durch das MfS, nämlich im Jahr 1998, als ich erstmals meine IM-Vorlauf-Akte, deren Existenz ich bis dahin nicht kannte, zu lesen bekam, wurde mir klar, welchen Gefahren ich mich mit 24 Lebensjahren ausgesetzt hatte, als ich einer Zusammenarbeit aus dem Wege ging und mich von Beginn an dekonspiriert habe, was bedeutet, dass alle meine Freunde und damaligen Arbeitskollegen, auch die, um die es in beiden Berichten ging, in meinem Umfeld von Anfang an in diese Vorgänge von mir eingewiesen

worden waren. Wie hätte ich sonst mit all diesen verwerflichen Vorgängen damals umgehen können? Selbst eine mir angedrohte Gefängnisstrafe bei Dekonspiration, so wie aus der Akte ersichtlich, hätte ich in Kauf genommen. Ich habe heute noch an die vielen Kollegen und Freunde zu denken, die mir in dieser schwierigen Zeit, vor über 40 Jahren, beigestanden und die mir von Anfang an vertraut haben. Leider sind einige von ihnen inzwischen verstorben.

Die hinter mir liegende Überprüfung des Vertrauensgremiums des Landtags ist aus meiner Sicht nur folgerichtig – und zwar einstimmig – aufgrund der Aktenlage bzw. meiner IM-Vorlauf-Akte zu dem Beschluss gekommen, dass ich mich trotz massiver erpresserischer Methoden des MfS in den 70erJahren einer Zusammenarbeit verweigert habe und nie inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit wurde oder war. Selbst das MfS kam seinerzeit trotz massiver Versuche zur Entscheidung, nicht weiter zu versuchen, mich einzuwerben, und schrieb im ersten Abschlussbericht 1976 unter anderem: „Der IM-VL war nicht bereit, einen Teil seiner Freizeit für die Erfüllung von Aufgaben für das MfS zur Verfügung zu stellen. Aus diesem Grund wird vorgeschlagen, die IM-VorlaufAkte zu archivieren.“ Am 12.01.1978, nach dem zweiten fehlgeschlagenen Anwerbeversuch 1977, der drei Wochen dauerte, steht im Abschlussbericht: „Nachdem der Kandidat den offiziellen Charakter der Zusammenarbeit voll erkannte, wich er aus, versuchte eine Zusammenarbeit zu umgehen. Dabei zeigte sich deutlich, dass der Kandidat nicht bereit ist, unser Organ inoffiziell zu unterstützen. Aus diesem Grund wird vorgeschlagen, von einer weiteren Aufklärung des IM-Kandidaten Abstand zu nehmen und die Akte zu archivieren.“ In einem endgültigen Beschluss des Ministeriums für Staatssicherheit, Bezirksverwaltung Gera, vom 13.01. heißt es: „Im Prozess der Aufklärung des IM-Vorlaufkandidaten zeigte sich, dass er einer inoffiziellen Zusammenarbeit aus dem Wege geht und nicht bereit ist, unser Organ zu unterstützen.“ Seit dieser Zeit war der Vorgang abgeschlossen und die Akte wurde beim Ministerium für Staatssicherheit archiviert, erfuhr ich im Jahr 1998. Erst 20 Jahre später sollte ich also von ihrer Existenz erfahren.

Wer aber damals glaubte, dass mit der Archivierung der Vorgang abgeschlossen war, musste sich oft eines Besseren belehren lassen. Unwahr ist im Allgemeinen die verbreitete Meinung: Wer seine Mitarbeit verweigerte und sich dekonspirierte, habe keine schwerwiegenden Folgen für sein Leben zu befürchten gehabt und hätte den Kontakt zur Staatssicherheit auf diese Weise sehr zuverlässig abbrechen können. Auch Menschen, die unmissverständlich erklärten, für Spitzeldienste nicht zur Verfügung zu stehen, konnten dennoch ewig erpresserischen Anwerbeversuchen ausgesetzt sein;