Protocol of the Session on June 1, 2017

(Beifall CDU)

Es ist also auch nicht redlich, Frau Hennig-Wellsow, wenn die

(Unruhe DIE LINKE)

eine oder andere Entscheidung jetzt nur auf die Vergangenheit verlagert wird. Die öffentliche Demontage gewinnt in dem Moment an Dynamik, wo es der Bildungsministerin gesundheitlich schlecht geht. Da übernimmt im Januar nicht die im Kabinett zuständige Ministerin die Vertretung.

(Zwischenruf Abg. Hennig-Wellsow, DIE LIN- KE: Sollen wir jetzt aufhören, Bildungspolitik zu machen?)

Was schreien Sie denn so rum? Wer schreit, ist im Unrecht, das kennen Sie doch!

(Beifall CDU)

Da übernimmt im Januar nicht die im Kabinett zuständige Ministerin oder die Bildungsstaatssekretärin die Vertretung, sondern der Chef der Staatskanzlei höchst persönlich. Das ist Zentralismus. Im Februar werden intensiv Namen für einen neuen Bildungsminister ins Spiel gebracht, einer davon sogar in einer Kommission des Ministerpräsidenten geparkt. Im März verlässt der Büroleiter und engste Vertraute der Ministerin fluchtartig seinen Sessel. All das nicht genug: Im April folgt der nächste Affront gegen die erkrankte Ministerin. Da wird das Bildungsministerium einmal durchgeschüttelt und umorganisiert. Für die betroffene Ministerin müssen diese Spiele unerträglich sein, sonst hätte sie sich nicht veranlasst gefühlt, mehrfach per Facebook und Mail ihre Rückkehr zu betonen. So setzt man einen Menschen nicht unter Druck,

(Minister Prof. Dr. Hoff)

(Beifall CDU)

selbst wenn er gesund wäre. Das alles spitzt sich zu in der Formulierung von Positionspapieren, die im Titel nicht einmal mehr einen Bezug auf die aktuelle Ministerin nehmen. Und heute erleben wir auf der Bühne des Landtags die Premiere einer Regierungserklärung ohne zuständige Ministerin. Damit manifestiert die Staatskanzlei das offensichtliche Misstrauen gegenüber der erkrankten Kabinettskollegin. Wir bleiben dabei: So geht man mit einer erkrankten Kollegin nicht um, das ist unkollegial.

(Beifall CDU)

(Zwischenruf Abg. Wolf, DIE LINKE: Sie ge- hen aber damit um!)

Sehr geehrter Herr Minister Prof. Hoff, dass Sie heute diese Regierungserklärung gehalten haben, bringt mich dennoch zu der Feststellung, dass Ihre Rede durchaus eine neue Qualität hatte, eine anzuerkennende Qualität, nämlich dass Sie endlich einlösen, was wir in unzähligen Reden hier in diesem Haus seit Jahren fordern, nämlich die Beschreibung der Realität. Bei den Konzepten hapert es zwar, aber wir geben Ihnen gern die hundert Tage, Sie müssen uns dann bloß sagen, wann diese HundertTage-Frist beginnt.

(Beifall CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Tat, das Thüringer Schulsystem steht unter Druck. Dieser Druck nimmt für alle Beteiligten täglich spürbar zu und wir erleben ihn sozusagen jetzt in unserem Rücken oder vor uns.

Ja, der Zeitpunkt dieser Regierungserklärung kann nicht unglücklicher gewählt werden, aber sei es drum. Zu Beginn des Schuljahrs schrieben die Bildungsgewerkschaften der Politik eines ins Stammbuch: Noch nie – so wurde damals gesagt – hat ein neues Schuljahr in Thüringen mit so viel Unruhe, mit so viel Verunsicherung und erst kürzlich aufgerissenen Baustellen im Schulbereich begonnen wie in der Zeit der Regierung Ramelow.

Wie sieht es am Ende des Schuljahrs 2016/2017 aus? Es fehlen mehr Lehrer für die Absicherung des regulären Unterrichts.

(Zwischenruf Abg. Hennig-Wellsow, DIE LIN- KE: Haben Sie dazu einen Vorschlag?)

Tausende Schüler werden zum Ende des Schuljahrs wieder in einzelnen Fächern keine Noten erhalten, auch in bewerbungsrelevanten Fächern. Viele der Schulleiterposten sind nach wie vor unbesetzt. Beförderungen sind noch immer die Seltenheit. Klassenfahrten finden nicht oder in nur sehr dezimiertem Maße statt. Der Personalbedarf an den Grundschulhorten hat sich von zwei auf 180 Personen in diesem Schuljahr erhöht. Das ist Ihre Bilanz für das Schuljahr 2016/2017.

(Beifall CDU)

Die Regierung Ramelow ist angetreten, um nicht alles anders, aber vieles besser zu machen. Für den Schulbereich muss man auch am Ende dieses dritten Schuljahres von Rot-Rot-Grün feststellen: Nichts ist besser geworden, im Gegenteil. Wir haben heute zur Kenntnis nehmen können, dass die Vorschläge der CDU mehr und mehr Eingang in das Regierungshandeln finden. Das freut uns. Ich werde gleich auf unsere Forderungen und Positionen eingehen, die wir in vielen Anträgen bereits hier in das Plenum eingebracht haben. Leider geben uns die Mitglieder der Koalitionsfraktionen da seltener recht, wenn wir hier Vorschläge einbringen, aber schön, Herr Minister, von Ihnen das jedenfalls zu hören.

Deshalb sehen wir auch, dass das Parlament der Ort für die Entwicklung von Konzepten ist, von Konzepten für unser Schulsystem. Wir sind Parlamentarier und diskutieren deshalb auch in den Gremien des Parlaments und nicht in Kommissionen, die vorgefasste Entscheidungen durch ein pseudooffenes Verfahren legitimieren soll. Deswegen habe ich Ihnen damals auf Anfrage – nicht auf Einladung, sondern auf Anfrage – gesagt, dass wir an dieser Kommission nicht teilnehmen, sondern hier am Ort mit Ihnen gemeinsam unsere Positionen diskutieren wollen.

Schulfrieden in NRW – ich habe noch nie etwas davon gehört, dass es so etwas gab, das kennen wir nicht einmal.

(Zwischenruf Prof. Dr. Hoff, Minister für Kul- tur, Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei: Das ist so!)

Aber wenn wir einen Schulfrieden mit Blick auf das inklusive Schulgesetz machen wollen, Herr Minister, sind wir jederzeit sofort bei Ihnen.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schulfrieden heißt nicht Stillstand!)

Im Übrigen warten wir noch immer auf die Einladung zu dem Inklusionsgespräch, was Frau Staatssekretärin Ohler mir vor ein paar Wochen, vielleicht sind es sogar schon Monate, angekündigt hat. Da ist noch nichts passiert. Das wäre wirklich ein Schulfrieden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, unser Thüringer Schulsystem steht noch gut da. Gleichwohl verspielt die Bildungspolitik der Regierung Ramelow fahrlässig diesen Spitzenplatz. Erste Bildungsuntersuchungen vom Herbst letzten Jahres sollten uns zu denken geben. Es ist zu beobachten, dass das funktionierende und auf Schülererfolg und Schülerleistungen basierende Thüringer Schulsystem vielen Politikern von den Linken, der SPD und den Grünen in ihrem Inklusionswahn egal ist. Die

Grünen haben erst diese Woche wieder deutlich gemacht, dass sie keinen Plan davon haben, wie Unterrichtsqualität gestärkt wird. Auch bei wissenschaftlichen Methoden fehlt Ihnen, sehr geehrte Kollegen von den Grünen, das Fachwissen. 250 Fälle für drei Bundesländer sind durchaus repräsentativ,

(Zwischenruf Abg. Wolf, DIE LINKE: 250 bei 60.000!)

denn jeder Statistiker und ordentliche Hochschulabsolvent weiß, dass die Zahl der Interviews allein noch gar nichts über die Repräsentativität aussagt, sondern die Art der Zufallsauswahl, der Stichprobenauswahl. Meinen Sie wirklich, die Grünen würden bei den Umfragen immer über 5 Prozent kommen, wenn diese nicht durch die Zufallsauswahl gesteuert wären?

Nicht mit Gruppenarbeit, Kuschelpädagogik oder bedingungsloser Inklusion werden Bildungsvergleiche gewonnen, sondern mit engagierten, begeisterungsfähigen und Begeisterung hervorrufenden Pädagogen; Pädagogen, die Schüler zum Lernen für das Leben begeistern können und die alltägliche Relevanz des Lernstoffs aufzeigen. Ziel muss stets der systematische und strukturierte Aufbau spezifischer fachlicher und überfachlicher Kompetenzen sein. Dies kann nur gelingen, wenn wir den Kolleginnen und Kollegen in den Schulen entsprechende Bedingungen zur Verfügung stellen und die Lerngruppen eine Differenzierung und Durchlässigkeit erlauben, eine Differenzierung und Durchlässigkeit innerhalb des Unterrichts und innerhalb aller Schularten, insbesondere auch der Förderschulen.

Ich glaube, eine Folge des Generationswechsels – 25 Prozent aller Lehrer gehen in den nächsten fünf Jahren in den Ruhestand – wird noch völlig unterschätzt, nämlich der massive Verlust von Kolleginnen und Kollegen mit einer hervorragenden Berufsausbildung, mit einer jahrzehntelangen Berufserfahrung. Wenn diese Kolleginnen und Kollegen, die noch in unseren Schulen unterrichten, weg sind, die bisweilen die unerschütterliche Basis unseres Schulsystems bilden, dann wird es sehr schwer. Hierauf müssen wir uns vorbereiten und deshalb ein herzlicher Dank gerade an die älteren Kolleginnen und Kollegen in unserem Thüringer Schulsystem.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Politik der vergangenen Jahre hinterlässt aber leider gerade an dieser sich um unser Schulsystem verdient gemachten Generation ihre Spuren. Die Fokussierung der Schulpolitik auf Gemeinschaftsschulen, Kompetenzgespräche, die Aussetzung des Sitzenbleibens in bestimmten Klassen und insbesondere die Beschleunigung des gemeinsamen Unterrichts waren und sind ein Fehler. Die CDU

Fraktion hat dutzendfach hier im Plenum, in der Öffentlichkeit ihre abweichenden Positionen zu dieser Politik in der vergangenen Wahlperiode zum Ausdruck gebracht. Nur hat sich damals unser Koalitionspartner im Sinne des Ressortprinzips, was mittlerweile in dieser Landesregierung außer Kraft gesetzt ist, jede Einmischung in die Schwerpunktsetzung verboten. Leider ist eben keine Ruhe in das System eingetreten. Sie verunsichern weiter mit dem Ausbau der geschlossenen Ganztagsschule, der angedrohten Schließung von 80 Prozent aller Förderschulen oder der Einführung von Mindestgrößen für Klassen und Schulen und damit verbunden den massiven Eingriff in das bestehende Thüringer Schulnetz.

In diesem Sinne hätten wir uns heute von Ihnen, Herr Minister, ein klares Bekenntnis nicht für eine Unterrichtsgarantie – eine Unterrichtsgarantie muss eigentlich für jede Landesregierung selbstverständlich sein, sie ist sozusagen der Artikel 1 der Schulpolitik –, sondern für einen Schulfrieden gewünscht, der klar akzeptiert, wo die elementaren Herausforderungen liegen, nämlich in der Sicherung einer hohen Unterrichtsqualität in allen Schularten und der Gestaltung des Generationswechsels.

Meine Damen und Herren, die „Stimmung [ist] in den Lehrerzimmern auf einem Tiefpunkt!“, das schrieb der Thüringer Philologenverband zu Recht gestern in seiner Pressemeldung. Diese schlechte Stimmung macht sich aktuell in vielen Bereichen bemerkbar. Und Rot-Rot-Grün bleibt sich treu: Es wird das angesprochen, was genehm ist, und passend gemacht, was nicht passend ist. Diese Taktik wird Ihnen die CDU-Landtagsfraktion nicht durchgehen lassen und sicherlich auch nicht die Praktiker in unseren Schulen.

Leider ist es aus zeitlichen Gründen nicht möglich, auf alle Bereiche Ihrer Rede einzugehen, auch die Kindergärten klammere ich leider erst mal aus, weil wir da im Laufe der Debatte noch mal dazu kommen und ich dem Herrn Wolf dann sehr intensiv noch mal die Position darlegen werde.

(Zwischenruf Abg. Huster, DIE LINKE: Ein paar Vorschläge würden schon reichen!)

Wir haben leider nicht so viel Redezeit wie die Regierung, das muss sich ja irgendwann wieder ändern. Aber wie gesagt, wir klammern das ein.

(Heiterkeit DIE LINKE)

Das wird sich sicherlich auch bald ändern, so wie Sie sich benehmen.

Ich möchte, meine Damen und Herren, auf vier Bereiche zu sprechen kommen, die uns die Betroffenen ebenfalls mitgeteilt haben. Für uns ist es auch nicht nötig, dass wir erst eine öffentliche Aufforderung brauchen, wie das im Falle der Landesschülervertretung vor einigen Wochen oder der Landes

elternvertretung vor wenigen Tagen geschehen ist, um mit denen zu reden, sondern das machen wir auch von uns aus regelmäßig sehr gern. Aber uns erreichen täglich Hilferufe aus den Schulen. Es herrscht akuter Lehrermangel, wochenlang fällt Unterricht aus, sodass Schülern aus 500 Klassen auf den Halbjahreszeugnissen Noten nicht erteilt werden konnten. Das entspricht fehlenden Zeugnisnoten bei nahezu 10.000 Schülern, und dabei sind die berufsbildenden Schulen noch nicht einmal eingerechnet. Diese Landesregierung und dieses Bildungsministerium tragen dafür die Verantwortung, dass unseren Schülerinnen und Schülern diese Noten fehlen. Das muss für die Landesregierung ein Alarmsignal sein. Wir haben gehört, vernommen, dass es das wohl auch ist. Doch stattdessen scheint vieles so zu bleiben, wie es ist, nämlich ohne Konsequenzen, wie der Faktencheck für den Bereich Lehrermangel zeigt.

Faktencheck 1 – bezogen auf die von der Landesregierung viel gepriesenen Einstellungen von 900 Lehrern im Jahr 2018 und 650 Lehrern im Jahr 2019 –: Oberflächlich betrachtet sind Neueinstellungen ein gutes Instrument, um dem Lehrermangel an den Schulen zu begegnen. Schaut man jedoch hinter die Kulissen, fällt auf, dass sich 450 Lehrer – also die Hälfte –, die im Jahr 2018 angeblich neu eingestellt werden sollen, bereits im System befinden, denn ihre Stellen sollen lediglich im Rahmen der 900 Neueinstellungen entfristet werden.

(Zwischenruf Prof. Dr. Hoff, Minister für Kul- tur, Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei: Sonst wären sie verloren gegangen!)

150 DaZ-Lehrer, 350 befristete – 450 sind schon da. Das heißt, es kommt im Rahmen dieser 450 Neueinstellungen eben kein einziger Lehrer neu ins System. Aber die Augenwischerei, Herr Minister, geht noch weiter. Von den 450 verbliebenen Einstellungen gehen 30 oder über 30 an die Schulämter, also auch nicht an die Schulen. Und der Clou und die Frechheit ist: Circa 170 Stellen davon wandern in den Bereich der Horte. Am Ende bleiben 250 Lehrer für 2018 zur Einstellung übrig. Das ist Ihre große Zahl 900. So kann man mit den Menschen nicht umgehen.

(Beifall CDU)

Wir bleiben dabei: Das ist ein Skandal, wenn 800 Kollegen jährlich in den Ruhestand gehen und Sie stellen 250 nächstes Jahr ein.