Und trotzdem droht an den Regelschulen wie auch an den berufsbildenden Schulen ein Fachkräftemangel. Einerseits finden Absolventen und Absolventinnen mit der Fachrichtung Deutsch und Geschichte für das Gymnasium nicht alle einen Job, selbst wenn sie es in Thüringen wollen. Aber trotzdem ist kaum einer dieser potenziellen Gymnasiallehrer bereit, an einer Regelschule zu arbeiten. Das ist auch eins der Probleme und eine der Ehrlichkeiten, die wir mit den Absolventinnen und Absolventen der Hochschulen, aber auch mit den Interessenvertretungen der Lehrerinnen und Lehrer diskutieren müssen. Diese Widersprüche zu benennen, gehört zur bildungspolitischen Wahrheit einfach dazu. Befürchtungen, dass wir die Thüringer Gemeinschaftsschule auf Kosten der Regelschulen befördern wollen, sind grundlos, genauso wie Befürchtungen, das Gymnasium solle abgeschafft werden.
Drittens: Eine Regierungserklärung zum Thüringer Bildungssystem müsste zwangsläufig dann unvollständig bleiben, wenn sie ohne eine Benennung der freien Schulen auskäme. Die freien Schulen umfassen inzwischen einen Anteil von gut 10 Prozent der Schülerinnen und Schüler in Thüringen. Sie nehmen eine unverzichtbare Rolle ein und sind für die Landesregierung ein wichtiger Partner sowohl bei der Gewinnung von Fachkräften, bei der Ausgestaltung der Inklusion, aber auch bei der Begabtenförderung. Aus diesem Grunde haben wir als Koalition am 10. September 2015 das Gesetz über
Schulen in freier Trägerschaft im Thüringer Landtag verabschiedet, und die Entstehung dieses Gesetzes war nicht einfach. Dennoch war und ist es wichtig, dass damit für die Schulträger Planungssicherheit und mehr Transparenz bei der Berechnung der Finanzhilfe geschaffen wird.
Dank eines deutlichen finanziellen Aufwuchses durch die Einführung eines Festbetragsmodells mit jährlichen Steigerungsraten werden sich die Ausgaben des Landes für die freien Schulen in diesem Jahr auf voraussichtlich 163 Millionen Euro bewegen und erhöhen. Damit haben die freien Schulen gute Möglichkeiten, sich bei der Erfüllung des öffentlichen Bildungsauftrags weiterzuentwickeln.
Durch das höhere finanzielle Engagement des Landes haben wir zudem vermieden, dass durch ausufernde Elternbeiträge und eine damit verbundene soziale Segregation der Zugang zu freien Schulen erschwert wird.
Ich habe es bereits gesagt, ich habe mich mit der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Schulen getroffen. Es war spannend zu sehen, welche gemeinsamen Interessen bei der Fachkräftegewinnung beispielsweise bestehen und welche Möglichkeiten der Kooperation bislang ungenutzte Ressource sind. Das betrifft auch den Bereich der Inklusion. Wir haben die freien Schulen eingeladen, das System der Diagnostik im Rahmen der TQB zu verstärken. Wir wollen darüber ins direkte Gespräch eintreten. Bei diesen Gesprächen wird insbesondere die LIGA der Freien Wohlfahrtsverbände, mit der ich mich jüngst getroffen habe, ein wichtiger Ansprechpartner in der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Schulen sein.
Ich will damit auch gleich überleiten zum vierten Punkt, der Inklusion: Sehr geehrte Damen und Herren, Furcht ist kein guter Ratgeber. Doch die Befürchtung an vielen Schulen, mit dem anerkannten Ziel der Inklusion alleingelassen zu werden, kann jeder, der sich an Schulen bewegt, jeder, der mit Schülerinnen und Schülern, mit Eltern oder Lehrern redet, mit Händen greifen. Wir haben deshalb als Landesregierung klar und deutlich gesagt – der Ministerpräsident war der Erste, der das sehr deutlich gemacht hat –: Qualität vor Geschwindigkeit. Aber – ich habe darüber gesprochen, Probleme nicht zu überhöhen – Inklusion ist in Thüringen gelebte Realität, niemand stellt sie ernsthaft infrage, kein Kind darf zurückgelassen werden, das ist gesellschaftlicher Konsens.
Es wäre schön, wenn es auch bei der AfD so wäre. Die vorhergehende Landesregierung hat insbesondere durch Christoph Matschie die Inklusion im Bil
dungswesen deutlich vorangetrieben. Es ist ihm und der von ihm vertretenen Politik zu verdanken, dass Thüringen inzwischen bei der Inklusion bundesweit einen guten Platz belegt. Wir haben viel erreicht, eine Inklusionsquote von 37,9 Prozent. Es gibt zahlreiche gelungene Beispiele, auf denen wir aufbauen können. Und viele haben zu diesem Erfolg beigetragen: Es sind die Lehrerinnen und Lehrer, die sonderpädagogischen Fachkräfte, die Erzieherinnen und Erzieher, Eltern, Schülerinnen und Schüler. Sie sind es, die Inklusion leben und umsetzen.
Aber wir haben uns in den vergangenen Monaten auch die Argumente und Kritik zur bisherigen Inklusion in Thüringen angehört, wir haben die Rückmeldungen zu dem Referentenentwurf des Schulgesetzes gelesen und wir haben sie vor allem verstanden. Und wir haben verstanden, dass wir gebeten wurden, genau den Grundsatz „Qualität durch geringere Geschwindigkeit“ umzusetzen. Wir werden die Inklusion unter Einbeziehung aller am Prozess beteiligten Partner qualitativ fortführen, aber mit Augenmaß, mit Qualität vor Quantität, und weitere Schritte nicht mit der Brechstange umsetzen.
Wir haben weiterhin verstanden, dass es einen gesellschaftlichen Bedarf für Förderzentren gibt. Das muss ernst genommen werden. Wir wollen auch weiterhin die Förderzentren mit den Schwerpunkten Lernen, Sprache, emotionale und soziale Entwicklung mittelfristig zu regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren im Interesse der Qualität des gemeinsamen Unterrichts weiterentwickeln. Aber Einschulungen sollen so lange an Förderzentren möglich sein, wie es ausreichenden Bedarf seitens der Eltern gibt. Mit den Eltern wollen und werden wir nach der individuell besten Lösung für jedes Kind suchen, sie hierbei beraten und in jedem Fall die Elternentscheidung respektieren. Damit stärken wir ganz bewusst die Elternrechte und wir werden dies auch im Schulgesetz tun.
Wir wollen den Entwicklungsplan Inklusion mit regional konkretisierten Stufenplänen nach dem Prinzip „no one size fits all“ mit regional unterschiedlichen Entwicklungsgeschwindigkeiten versehen und mit den Verantwortlichen vor Ort aushandeln. Wir wollen nicht unterfordern, aber auch nicht überfordern, denn Inklusion kann – ich wiederhole mich – nicht mit der Brechstange durchgesetzt werden.
Fünftens: Die Gespräche der Kommission mit den angehörten Institutionen haben deutlich gemacht, dass jede Veränderung im Thüringer Bildungssystem – große oder kleine – auf dem Boden von manifester Verunsicherung, die es auch bei Eltern, bei Lehrern gibt, und bei Überlastungssymptomen, die von Lehrerinnen und Lehrern kommuniziert werden, stattfindet und dass wir diese berücksichtigen müs
Sehr geehrte Damen und Herren, Lehrerinnen und Lehrer haben mir in den vergangenen Wochen vermittelt, dass veränderte Ansprüche von Kindern und Eltern, aber auch verändertes Erziehungsverständnis als eine Belastung wahrgenommen werden. Teilweise erleben die Kolleginnen und Kollegen auch tätliche Angriffe im Schulalltag. Frau Hammer – Lehrerin aus Jena –, die heute hier ist, hat mir von einem selbst erlebten Übergriff berichtet. Frau Hammer verfügt offensichtlich über die anerkennenswerte Fähigkeit, den Vorfall selbst gut zu verarbeiten. Aber was sie weiterhin thematisiert, ist ihr Unverständnis über das Verhalten der Eltern, die wenig Verständnis für die Perspektive der Lehrerin hatten, sondern das Verhalten ihres Kindes relativierten.
Tätliche Angriffe auf unsere Lehrkräfte, unsere Beschäftigten in den Bildungseinrichtungen sind nicht hinnehmbar.
Es wird auch zu den zwischen Bildungsministerium, Gewerkschaften und Personalräten zu führenden Gesprächen gehören, darauf in geeigneter Weise zu reagieren. Ich sage bewusst „in geeigneter Weise zu reagieren“, weil eine Verschärfung des Strafrechts, wie sie von einzelnen gefordert wird, eine symbolisch nachvollziehbare Handlung ist, die im Alltag aber nur wenig Wirkung zeigt.
Ich weiß, dass wir hier Kontroversen haben, und ich weiß, dass der Beifall zu dieser Aussage deshalb auch etwas spärlicher ausfällt. Das Bild des Lehrers in der Gesellschaft ist heute ein anderes als noch vor einigen Jahren. Lehrerinnen und Lehrer hatten früher ein hohes Ansehen, galten als Respektpersonen. Heute sehen sich Lehrerinnen und Lehrer Vorurteilen ausgesetzt. Dass sie gegenüber anderen Berufsgruppen zu viel Freizeit und Urlaub haben, ist nur eine der wenigen, kleineren Vorwürfe. Das Berufsbild des Lehrers hat an Attraktivität eingebüßt, das berichten uns diejenigen, die auch auf Lehramt studieren. Die Lehrkraft ist heute zusätzlich Psychologe und Sozialarbeiter, sie ist für Sicherheit und Ordnung in der Klasse verantwortlich, sie ist Vermittler sozialer Kompetenzen. Sie soll auch dann noch erziehen, wenn manche Elternhäuser resignieren. Dabei steht sie unter der Aufsicht des Bildungsministeriums, ihrem Arbeitsgeber, und sie hat auch ein Privatleben und familiäre Verpflichtungen. Schule kann nicht die Funktion eines gesellschaftlichen Reparaturbetriebs wahrnehmen und parallel Experimentierfeld einer Kette von Modellversuchen sein. Das sagen mir Lehrerinnen und
Der Freistaat Thüringen als Arbeitgeber hat die Pflicht, die Einflüsse im Blick zu haben, denen die Lehrkräfte im Arbeitsumfeld ausgesetzt sind. Auch über manches subjektive Empfinden müssen wir uns da Gedanken machen. Es ist ja kein Geheimnis, dass die gestiegene physische und psychische Belastung innerhalb der Lehrerinnen- und Lehrerschaft häufiger als früher zu krankheitsbedingten Frühpensionierungen und leider auch zu Burn-outProblemen führt.
Ich habe große Hochachtung für die tagtägliche Arbeit unserer Lehrkräfte. Sie haben unsere feste Unterstützung. Wir stehen in der Pflicht, der Lehrerschaft den Rücken zu stärken und massive Anstrengungen zu unternehmen, damit die Attraktivität des Lehrerinnen- und Lehrerberufs wieder steigt.
Wir müssen bessere Rahmenbedingungen für gute Arbeit an unseren Schulen schaffen. Deshalb werden wir die Arbeitsbedingungen, vor allem die Möglichkeiten zur Entlastung von Lehrerinnen und Lehrern, zum Thema machen. Gemeinsam werden wir mit den Gewerkschaften zu Beginn des neuen Schuljahres an der Überprüfung und der Überarbeitung des bereits bestehenden Personalentwicklungskonzepts Schule mitwirken.
Ich habe sowohl die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft als auch den Thüringer Lehrerverband gebeten, uns Vorschläge zu unterbreiten, um Lehrkräfte zu entlasten. Inzwischen haben beide Gewerkschaften entsprechende Vorschläge unterbreitet. Dafür von dieser Stelle aus ganz herzlichen Dank an Kollegen Busch vom tlv und Kollegin Vitzthum von der GEW. Diese von den Gewerkschaften unterbreiteten Vorschläge zur Entlastung der Lehrerinnen und Lehrer werden wir nun gemeinsam diskutieren.
Das Ziel von Gabi Ohler und mir besteht darin, bereits zu Beginn des kommenden Schuljahres konkrete Maßnahmen der Bürokratieentlastung vorzulegen, die mit den Bildungsgewerkschaften konsentiert sind. Einige dieser Vorschläge laufen darauf hinaus, bestehende Maßnahmen nicht einfach abzuschaffen, sondern den Schulen bei der Umsetzung der Maßnahmen Entscheidungsspielräume zu geben und zu sagen: Wie wollt ihr das umsetzen bei den konkreten Bedingungen vor Ort, zum Beispiel hinsichtlich des Rhythmus der Gespräche und Bemerkungen zur Lernentwicklung? Aus den von mir besuchten Schulen und den Rückmeldungen der Gewerkschaften wurde einhellig der Wunsch vorgetragen, den Dokumentationsbogen abzuschaffen und Bewertungstabellen statt Textformen vorzuse
Aber auch über die Besondere Leistungsfeststellung müssen wir diskutieren. Hier werden zwei Positionen vorgetragen. Die eine sagt grundsätzlich: Jede Schülerin und jeder Schüler soll nach Absolvierung der 10. Klasse über einen Regelschulabschluss verfügen, so wie es in vielen anderen Bundesländern auch der Fall ist.
Andere sagen, das Verhältnis von BLF-Ergebnis und Jahresnoten muss man kritisch betrachten, da die BLF einen zu hohen Stellenwert einnimmt. Befürworter der BLF, beispielsweise am Osterlandgymnasium in Gera, das ich am Montag besucht habe, argumentieren durch die dortige Oberstufenleiterin, dass diese Prüfungserfahrung gerade für künftige Abiturientinnen und Abiturienten eine wichtige Erfahrung ist.
Hier zu einer Verständigung zu kommen, bei Stabilität der Qualität unserer Bildungsabschlüsse, sollte bis spätestens zu den Winterferien 2018 möglich sein.
Sehr geehrte Damen und Herren, alle von mir genannten Herausforderungen, Probleme, Widersprüche ändern jedoch nichts daran, dass Thüringen ein starkes Bildungsland ist. Dazu trägt auch das leistungsstarke und differenzierte System der Begabtenförderung bei. Begabung ist mehr als Intelligenz. Sie bezieht sich auf vielfältige Talente im technischen, künstlerischen und sportlichen Bereich. Individuelle Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen und zu fördern, ist unser Ziel. Die Thüringer Landesregierung sieht Begabung als Chance und als Herausforderung. Mit Talent kommt man weit, mit gezielter Förderung kommt man weiter.
Ich möchte gern kurz aus einer letzte Woche verschickten E-Mail einer Lehrerin an zwei Schüler zitieren: Mir fehlen die Worte und doch muss ich welche finden, um euch zu gratulieren. Mannschaft im Doppelpack für Thüringen, das gab es noch nie, never ever! Was seid ihr stark, lasst euch umarmen, feiern! – Als sie das schrieb, hatte Frau Dr. Purgahn, die ich bereits vorgestellt habe, erfahren, dass sich zwei ihrer Schüler für die internatio
Das deutsche Olympiateam hat vier Plätze, zwei davon stellt Thüringen. Frau Dr. Purgahn ist seit Mitte der 2000er-Jahre am Spezialschulteil des Erfurter Albert-Schweitzer-Gymnasiums tätig. Als sie zum ersten Mal Abiturienten zum Studium nach Cambridge verabschiedete, meldete sich die University of Cambridge nach einem Jahr per Brief und teilte mit: Schicken Sie uns gern mehr von diesen gut ausgebildeten jungen Menschen.
Oder blicken wir nach Erlangen, denn das ist der zweite große Erfolg in dieser Woche: Drei Schüler aus Thüringen gewannen den ersten Preis beim diesjährigen Bundeswettbewerb „Jugend forscht“. Auch hier sage ich von diesem Pult aus: Herzlichen Glückwunsch!
Wir haben mit Frau Dr. Purgahn engagierte Kolleginnen und Kollegen, die an den Schulen dafür Sorge tragen, dass wir genau diese Begabungsförderung entwickeln können. Wir haben ein hervorragendes System der Begabungsförderung. Hier können wir auch auf die Arbeit von Vorgängerregierungen aufbauen.
Mir ist es deshalb wichtig, weil, ich habe es Ihnen gesagt, ich in dieser Regierungserklärung auch darauf hinweisen werde, was bei früheren Regierungsentscheidungen richtig gemacht worden ist, weil uns eine reine Schwarz-Weiß-Betrachtung in der Analyse der Bildungspolitik und der Benennung der Herausforderungen nicht weiterhilft.