Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Bestrafung einvernehmlicher homosexueller Handlungen unter Erwachsenen als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention eingestuft, ebenso die Festlegung unterschiedlicher strafrechtlicher Schutzaltersgrenzen – für heterosexuelle Kontakte waren es 16 Jahre und 18 Jahre für homosexuelle Handlungen. Inhalt des Antrags ist es, den im Bundeskabinett verabschiedeten Gesetzentwurf zur Rehabilitierung Homosexueller zu unterstützen, das entstandene Unrecht durch den Landtag zu bedauern und die Aufforderung, die Rehabilitierung – das ist eben vom Vorredner auch schon gesagt worden – und Entschädigung mit Blick auf das teils hohe Alter der Betroffenen zügig und unbürokratisch zu regeln.
Inhalt des Gesetzes: Einvernehmliche homosexuelle Handlungen unterlagen in der Bundesrepublik Deutschland bis 1994 und in der Deutschen Demokratischen Republik bis 1989 sowie zuvor auch in der Nachkriegszeit in deren späteren Staatsgebieten einer in verschiedenen Zeitabschnitten unterschiedlich stark ausgeprägten weitergehenden Strafbarkeit. Ich hatte eben schon darauf hingewiesen, dass es auch unterschiedliche Altersgrenzen gab. Ein strafrechtliches Verbot einvernehmlicher homosexueller Handlungen ist nach heutigem Verständnis in besonderem Maße grundrechtswidrig. Die Urteile werden deshalb pauschal aufgehoben und für die Entschädigungszahlungen sind rund 30 Millionen Euro Bundesmittel zu erwarten. Dieser Betrag sind Schätzungen einer Gesamtsumme für die vorgesehene Individualentschädigung, wobei von einer Anzahl von rund 5.000 Betroffenen und einer Laufzeit von fünf Jahren ausgegangen wird. Das klingt immer alles sehr formal und auch unmenschlich.
Die Frage der Entschädigung ist eben schon angesprochen worden vom Kollegen Worm von der CDU, 3.000 Euro je aufgehobenes Urteil und 1.500 Euro je angefangenes Jahr erlittener Freiheitsentziehung. Der Anspruch – und das ist ganz besonders wichtig –, die Entschädigungen werden nicht auf Sozialleistungen angerechnet.
Ich bin froh und dankbar, dass es uns gelungen ist, mit diesem Antrag die Initiativen auf Bundesebene zu begleiten und zu unterstützen. Ich glaube, es war verdammt an der Zeit, dass wir uns in dieser Frage ganz deutlich positionieren. Kollegin Stange hat, denke ich, dazu auch schon ganz viele Dinge ausgeführt. Und ich glaube und wünsche, dass wir uns hier in diesem Hause auf diesen Antrag auch verständigen können, den Antrag der Fraktionen Die Linke, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen.
Lassen Sie mich einfach nur – weil es mir auch ein Anliegen ist – einen Punkt aus diesem Antrag zitieren. Das ist der Punkt 2: „Der Landtag drückt sein Bedauern darüber aus, dass die Betroffenen auch heute noch mit dem Stigma leben müssen, vorbestraft gewesen zu sein und bittet sie für das erlittene Unrecht und die sich daraus vielfach ergebenden negativen Folgen für die Biografie und den Lebensalltag um Entschuldigung.“
Die Entschuldigung ist ein Teil, eine notwendige Entschuldigung an dieser Stelle, und alles das, was daraus resultiert, kann dazu beitragen, erlittenes Unrecht gutzumachen. In dem Falle bitte ich Sie alle um Unterstützung des vorliegenden Antrags. Herzlichen Dank.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste, sehr geehrter Herr Präsident, die Kriminalisierung und Stigmatisierung Homosexueller verstößt nach heutiger Sichtweise klar gegen das freiheitliche Menschenbild des Grundgesetzes. Dass dieser Abschnitt der deutschen Strafrechtsgeschichte durch die Fortentwicklung der gesellschaftlichen Anschauung überwunden wurde, stellt einen großen Fortschritt dar. Dieser hat im Gesetz durch die Aufhebung der einschlägigen Strafvorschriften seinen Niederschlag gefunden. Mit dieser Erklärung von Prof. Bausback für die Bayrische Staatsregierung in der Sitzung des Bundesrats am 10. Juli 2015 könnte man die politische Dimension dieses
Antrags als ausreichend beschrieben und abgeschlossen ansehen. Die Erklärung von Herrn Bausback hat jedoch einen weiteren juristischen Teil, der hier nicht verschwiegen werden darf. Die bayrische Staatsregierung lehnte die vorgeschlagenen gesetzgeberischen Maßnahmen, die mit dem jetzt vorgelegten Entwurf der Bundesregierung beschlossen werden sollen, ab und das machen wir uns im Übrigen auch vollumfänglich zu eigen.
Diese Argumente lauten im Wesentlichen, dass durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Aufhebung der von den Gerichten der Bundesrepublik Deutschland ausgesprochenen Strafurteile bestehen. Und diese Bedenken bestehen vor allem deshalb, weil die Aufhebung hier durch den Gesetzgeber und nicht durch die dritte Gewalt, durch die Judikative, erfolgen soll. Warum ist das so? Warum verstehen wir das nicht? – Das fragen sich natürlich diejenigen, die die Umsetzung hehrer politischer Ziele für das Wichtigste halten. Nun – meine Damen und Herren – ganz einfach, weil wir in einem Rechtsstaat leben.
Das Bundesverfassungsgericht selbst hat in einer seiner früheren Entscheidungen festgestellt, dass Urteile nicht nur wegen eines Wandels der Rechtsauffassung wieder beseitigt werden können. Ausnahmen von dieser Regel können nur gerechtfertigt sein, wenn besonders zwingende und schwerwiegende, den Erwägungen der Rechtssicherheit übergeordnete Gründe dazu Anlass geben. Diese Ausnahme hat das Bundesverfassungsgericht auch schon definiert, zum Beispiel für Systemumbrüche hat es das für gegeben erachtet, etwa für strafrechtliche Entscheidungen von Gerichten in der sowjetischen Besatzungszone oder der DDR und auch für bestimmte NS-Strafurteile und zwar auf Antrag – nicht kraft Gesetz.
Ausnahmsweise – das sage ich jetzt noch einmal, damit Sie ungefähr ein Gefühl für die Schwere der erforderlichen Argumente bekommen – ging es also bei diesen Fällen um NS-Unrecht und DDR-Unrecht, nicht um BRD-Rechtsetzung. Nun hatte bereits in der vergangenen Wahlperiode der Rechtsausschuss des Bundestags Anträge der Linken und Grünen auf Rehabilitierung und Entschädigung von Lesben und Schwulen bzw. wegen homosexueller Handlungen Verurteilter in einer Anhörung durch mehrere Sachverständige beurteilen lassen und – oh Wunder – es überwogen klar die verfassungsrechtlichen Bedenken und deshalb kam es auch zu keiner Mehrheit für eine Aufhebung der betroffenen Urteile.
Unter anderem sahen die Sachverständigen die faktische Gleichsetzung von Urteilen der DDR- und NS-Unrechtsjustiz mit Urteilen rechtsstaatlicher ordentlicher Gerichte unter Geltung des Grundgesetzes als höchst schädlich an – übrigens mit sehr gutem Grund.
Dem ist schwer zu widersprechen, zumal das Bundesverfassungsgericht es selbst war, was in seiner Entscheidung vom 10. Mai 1957 die damals geltenden Strafvorschriften gegen die männliche Homosexualität als verfassungskonform angesehen hat.
Auch der Bundesrat hatte sich bereits mit diesem Thema befasst, das Land Berlin brachte im April 2015 einen Antrag beim Bundesrat ein, die Bauherren des berühmtesten und längsten Flughafenprojektes der Welt verstiegen sich dabei in Bezug auf das Bundesverfassungsgericht von 1957 zu der Äußerung, das Gericht habe seinerzeit in rechtswidriger Weise versagt und in nicht hinnehmbarer Kontinuität nationalsozialistischer Begründungen für die Strafbarkeit der Homosexualität argumentiert.
In der Sitzung des Bundesrats behauptete dann der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen, die damalige Rechtsanwendung – also 1957 – habe in einem offensichtlichen und unerträglichen Widerspruch zu elementaren Geboten der Gerechtigkeit und zu völkerrechtlich geschützten Menschenrechten gestanden, der geradezu evident und schwerwiegend sei, auch wenn man das in früheren Generationen anders gesehen habe.
Die Justizministerin aus Niedersachsen gab zum Besten, das Bundesverfassungsgericht habe 1957 nicht am Maßstab der Menschenwürde geprüft. Was sagen wir denn dazu? All diese Besserwisser aus der heutigen Zeit haben zwei Dinge gemeinsam: Erstens, sie weichen selbst in ihrer politischen Praxis nicht einen Millimeter vom derzeit herrschenden Zeitgeist ab. Denn dazu fehlt ihnen der Mut oder die intellektuelle Fähigkeit. Zweitens befähigt sie aber ihr mangelndes Schamgefühl, die Richter des Bundesverfassungsgerichts von 1957, weil sie die damalige Moral und die geltenden Sitten berücksichtigten, in eine Linie mit den Rechtsbeugern der Nazi-Zeit und der DDR zu stellen.
Das – meine Damen und Herren – ist eine ziemlich große Schande, aber nicht für die Richter von 1957. Sie sollten sich gut überlegen, ob Sie sich in diese Schande einreihen wollen.
Die Richter von 1957, Herr Adams – sage ich Ihnen jetzt einmal als juristischem Laien –, die sind damals bei der Begründung ihres Urteils sorgfältig und rechtsstaatlich einwandfrei vorgegangen. Wer dieses Urteil liest und ich empfehle das jedem, der sich mit dem Thema befasst,
und für das Thema interessiert, der merkt schnell, dass das Gericht damals ausführlich die damals geltenden politischen, moralischen und sittlichen Grundlagen erörterte, auch und gerade die nationalsozialistischen Veränderungen der Tatbestände sowie deren Nichtbeanstandung durch die Besatzungsmächte, durch die Väter des Grundgesetzes und den Strafrechtsreformgesetzgeber von 1953 werden in dem Urteil ausführlich dargestellt.
Dem Ganzen liegt also auch eine gesetzgeberische Entscheidung zugrunde, Frau Rothe-Beinlich, stellen Sie sich mal vor. Zusätzlich wurden damals sieben Sachverständige zu medizinischen, psychologischen, soziologischen, jugendfürsorglichen und kriminologischen Fragen gehört. Das Bundesverfassungsgericht behandelte sehr wohl auch die Frage der Menschenwürde, als es nämlich die Frage aufwarf, ob Vorgänge, die sich in Kommunikation mit anderen vollziehen, aus Artikel 2 Abs. 1 und Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz – also Menschenwürde – sowie des letzten unantastbaren Bereichs menschlicher Freiheit dem Zugriff des Gesetzgebers entzogen sein könnten. Nur kam man damals eben aufgrund der geltenden Werte und Sitten zu einem anderen Ergebnis als heute, aber daran, meine Damen und Herren, ist nichts rechtswidrig, daran ist nichts verfassungswidrig und da verstößt auch nichts gegen die Menschenwürde.
Die Urteilsschelte durch Ihre politischen Streitgenossen und durch Sie selbst ist also so falsch wie durchsichtig. Wenn hier jemand gegen die Verfassung verstößt, meine Damen und Herren, dann sind das Sie und die Antragsteller im Bund, die nun rechtskräftig gesprochenes Recht der Bundesrepublik Deutschland ohne triftigen Grund aufheben wollen, denn Kraft Verfassung gilt bei uns nach wie vor das Gewaltenteilungsprinzip, nach dem allein die dritte Gewalt dazu berufen ist, eine Durchbrechung der Rechtskraft von Strafurteilen zu bewirken.
Die Voraussetzungen dafür sind jedoch zu Recht sehr streng. Es müsste also ein neuer entsprechender Wiederaufnahmegrund in die Strafprozessord
nung aufgenommen werden für alle Fälle, die nach gerade geltender Sitte und Moral nicht mehr zu einer Verurteilung führen würden. Oder meine Damen und Herren, Sie erklären mal, worin für Sie der Grund liegt, warum Sie das ausschließlich bei männlichen Homosexuellen machen wollen und bei niemanden anderen wie zum Beispiel bei denjenigen, die verurteilt worden sind, weil sie wegen der Verteilung unzüchtiger Schriften verurteilt worden sind oder wegen Ehebruchs. Das sind nämlich alles Straftaten, bei denen damals aufgrund der herrschenden Moral eine Strafandrohung ausgesprochen worden ist. Alle diese Straftaten haben den Menschen, der dafür verurteilt worden ist, damals diffamiert und insofern dieselbe Wirkung. Aber Sie ziehen da ganz seltsame Grenzen, um sozusagen eine wahltechnisch interessante Klientelgruppe für sich zu erschließen. Das steckt nämlich hinter Ihrem Antrag, nichts anderes.
dann werden Sie das Recht in einer Art und Weise zurechtbiegen, dass es keinen Rechtsfrieden mehr schaffen kann, denn dann wird Recht immer nur so lange gelten, bis sich der Zeitgeist wandelt und sich eine Lobbygruppe der vermeintlich zu Unrecht Verurteilten von gestern annimmt und erfolgreich ihre gesetzliche Rehabilitierung fordert. Maßstab wäre dann eben nicht mehr das gesetzte und höchst richterliche ausgelegte Recht, sondern der aktuell geltende Zeitgeist. Sie sollten damit sehr vorsichtig sein, meine Damen und Herren, denn der Zeitgeist, der kann sich auch in eine Richtung ändern, die Ihnen nicht willkommen ist und spätestens dann werden Sie es sehr zu schätzen wissen,
(Zwischenruf Abg. König-Preuss, DIE LINKE: Das hätten Sie im Dritten Reich auch ge- macht, oder, Herr Möller?)
(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wollen Sie mir jetzt dro- hen? Nehmen Sie den Finger runter!)
und der Maßstab für Ihr Verhalten bleibt und nicht nachträglich durch einen neuen Zeitgeist abgeändert wird.
Es bleibt also festzuhalten, niemand verlangt heute mehr, dass Homosexualität zu bestrafen ist, soweit nicht der Schutz von Minderjährigen oder sonstigen Schutzbedürftigen Vorrang genießt. Eine Aufhe
bung von Strafurteilen per Gesetz, also ein Eingriff in die Gewaltenteilung, wie Sie ihn vorhaben und wie ihn der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorsieht unter Justizminister Heiko Maas – da wundert mich allerdings nichts mehr, muss ich sagen –
(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Das hat übrigens nichts mit Homosexualität zu tun!)