Protocol of the Session on January 25, 2017

Ich will auch mal ein ganz konkretes Beispiel nennen: Nach dem schrecklichen Anschlag in Berlin, den wir alle gemeinsam verurteilen und wo wir auch den Opfern und Hinterbliebenen die Anteilnahme zum Ausdruck gebracht haben, da waren im öffentlichen Raum genauso schnell Forderungen nach Gesetzesverschärfungen, nach mehr und besserer technischer Ausstattung, nach mehr und weiteren Befugnissen, und das, obwohl die Maßnahmen, die nach Würzburg und Ansbach politisch verabredet worden sind, zu denen ich meine eigene Auffassung habe, beispielsweise das Gesetz zur Verbesserung der Videoüberwachung, das nach Würzburg und Ansbach auf den Weg gebracht worden ist, dieses Gesetz als Reaktion auf die Anschläge im letzten Jahr im Sommer, noch nicht einmal in Kraft getreten sind. Und da rufen Sie nach einem neuen Anschlag erneut nach neueren und weiteren Gesetzen und haben noch nicht einmal die vorherigen Verabredungen in die Tat umgesetzt geschweige denn evaluieren können.

Dann will ich Ihnen einen zweiten Punkt auch noch mal sagen: Wir diskutieren hier in vielen Bereichen über die Kontrolle auch von Maßnahmen der Landesregierung und die Wirksamkeit von eingegangenen Programmen, von Fördermaßnahmen. Im Bereich des Landesprogramms gegen Rechtsextremismus wollen Sie permanent wissen, wie denn eigentlich dieses Programm in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um menschenverachtende Ideologien und Einstellungen wirkt. Sie wollen bei Wirtschaftsförderprogrammen überprüfen, welche Auswirkungen es denn auf kleine und mittelständische Unternehmen hat. Aber wo Sie diese Überprüfung, Evaluierung der Wirksamkeit und der Auswirkungen keinesfalls vornehmen wollen und sich sogar jeder Diskussion entziehen wollen, das ist der Bereich der Sicherheitspolitik. Ich sage Ihnen, das ist verheerend, weil es in diesem Bereich tatsächlich um Grundrechtsschutz geht, und es geht auch um Sicherheit. Denn Sicherheit ist nicht dort, wo Menschen ein besseres Sicherheitsgefühl haben, weil wir Handlungsfähigkeit vortäuschen. Sicherheit ist tatsächlich mehr dort, wo eben die Balance zwischen objektiven und wirksamen Sicherheitsmaß

nahmen einerseits und andererseits ein ausreichender freier Grundrechtsschutz tatsächlich gewährleistet ist.

Ich will Ihnen dieses Zitat von Christopher Lauer aus der TAZ auch einmal verdeutlichen, damit es Ihnen vielleicht auch noch mal klarer wird, wo die große Diskrepanz tatsächlich in Ihrer Politik liegt. Er schreibt am 22. Januar in der TAZ: „Medikamente müssen auf Ungefährlichkeit getestet werden, Autos auf die notwendige Verkehrstauglichkeit und selbst Kinderspielzeug wird Tests unterzogen, um sicherzustellen, dass von ihm keine Gefahr ausgeht. Sicher ist schließlich sicher. [...] Dieses Prinzip aus anerkannten Kriterien, Normen, Prüfverfahren, Richtwerten und Testreihen gilt für fast jeden Bereich des Gemeinwesens, nur nicht, und das ist traurig und bitter, für die öffentliche Sicherheit.“ So weit Zitat Christopher Lauer.

Jetzt zeige ich Ihnen am Beispiel – Sie haben kritisiert, ich hätte bei den V-Leuten nicht applaudiert. Herr Minister weiß, dass ich an der Stelle nie applaudiere. Ich denke, in großer Transparenz und Offenheit tragen wir da unsere unterschiedlichen Auffassungen aus. Aber, Herr Fiedler, ich will Ihnen auch eines deutlich sagen: Wenn es um die Überprüfung von Wirksamkeit und Evaluierung geht, dann bleiben wir mal beim Fall Anis Amri und da kommen wir auch gleich auf das Thema „V-Leute“ zurück, aber dann fragen wir doch mal als Erstes, was denn tatsächlich dort gemacht worden ist und ist es denn tatsächlich das Beispiel, was uns dazu bringen sollte, mehr Befugnisse, mehr Eingriffe in Grundrechte zu fordern, ja, eine Überwachung einer Vielzahl von Bürgern, denen überhaupt nichts vorzuwerfen ist. Die Behörden hatten Anis Amri über Monate auf dem Radar. Sie wussten alles, seine Suche nach Waffen, Sprengstoffanleitungen, sie wussten sämtliche Aliasnamen, sämtliche Telefonnummern, sie wussten, an welchen Orten er sich aufhielt – vielleicht nicht lückenlos –, sie haben Chats mit IS-Vertretern mitgelesen und – jetzt kommt das Spannende – sogar V-Leute waren an ihm dran und V-Leute haben ihn nach Berlin gefahren. Mich würde nicht wundern, wenn wir auch noch lesen dürfen, dass V-Leute bei seiner Flucht behilflich waren. Anis Amri war siebenmal im bundesweiten Terrorismusabwehrzentrum Thema und es gab fünf Tage vor dem Anschlag ein 20-seitiges Dossier zu ihm. Dort waren alle Bundesbehörden und Ländernachrichtendienste angebunden und es gab darüber hinaus sogar die Mitteilung aus nordafrikanischen Ländern über die Gefährlichkeit dieses Attentäters. Bevor Sie überhaupt nur einen Gedanken darüber verschwenden sollten, welche neuen Befugnisse, welche neuen Kompetenzen, welche neuen Strukturen, welche neuen Eingriffe in Grundrechte eigentlich dieser Staat notwendig hat, sollten Sie als Erstes darüber nachdenken, warum das alles passieren konnte und was eigentlich in

der Praxis der Sicherheitsbehörden in der Bundesrepublik schiefgelaufen ist, dass das passieren konnte, was ich Ihnen gerade geschildert habe.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube tatsächlich, hier wird sichtbar, dass es Ihnen nicht um eine Lösung von Problemen geht, dass es Ihnen nicht um mehr objektive Sicherheit geht, sondern dass es Ihnen um ein Sicherheitsplakat aus parteipolitischen Interessen geht.

Ich will es auch noch einmal an einem Zitat von Frau Leutheusser-Scharrenberger deutlich machen, die durchaus eine gewichtige Politikerin in diesem Land war und für mich sicherlich auch noch ist. Sie bezeichnete einen Staat, in dem genau dieses Prinzip zum Tragen kommt, was Sie mit Ihrem Antrag heute wieder propagieren, als einen gefräßigen Staat. Sie führt dazu weiter aus, dass dieser gefräßige Staat seit dem 11. September 2001 sukzessive dabei ist, seine Besinnung zu verlieren. Ich kann mich diesem Zitat nur anschließen, weil wir doch, auch wenn wir die Wirksamkeit von sicherheitspolitischen Maßnahmen im konkreten Fall Anis Amri überprüfen, doch auch mal ein Stück weit zurückblicken müssen, was sicherheitspolitisch seit 2001 in diesem Land passiert ist. Wir haben doch nach dem 11. September 2001 gemeinsam hier auch gestanden und haben gemeinsam diskutiert, was nun notwendig ist. SPD und Grüne waren in bundespolitischer Regierungsverantwortung und sie möchten sich wahrscheinlich ungern daran erinnern, aber es ist so, ich rufe es in Erinnerung, die Otto-Pakete oder Schily-Pakete, die Anti-Terror-Pakete 1, 2 und 3 und nachfolgend eine Vielzahl von Gesetzen, die der Bundestag dann noch in Kraft setzte. Aber wir müssen doch gleichzeitig konstatieren, dass eine Vielzahl dieser Gesetze entweder in Gänze oder in Teilen in der Folge durch das Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig gekennzeichnet worden ist, und zwar insgesamt neun an der Zahl, unter anderem das Datenmonster der sogenannten Vorratsdatenspeicherung von 2007, die fast unbeschränkte Datensammelei durch eine Antiterrordatei oder das viel zu weit gehende BKA-Gesetz, um nur mal drei aus dieser Reihe zu benennen. Es gibt die schöne Übersicht im Internet, welche Parteien wie vielen dieser verfassungswidrigen Gesetze zugestimmt haben. Ich möchte das nicht wiederholen, aber es trifft fast alle, die hier sitzen.

(Zwischenruf Abg. König, DIE LINKE: Au- ßer?)

Nein, darum geht es mir nicht. Mir geht es nicht darum, dass man damals möglicherweise einen Fehler gemacht hat oder in dem Verlangen, etwas für die Sicherheit tun zu wollen und noch öffentlich zu demonstrieren, dass man etwas für die Sicherheit tut, dass man damals sehr weitgehende Regelungen geschaffen hat. Es gab damals eine politi

sche Diskussion, da hat man sich anders positioniert und eine Entscheidung getroffen. Die wurde aber korrigiert. Wenn man diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und die tatsächlichen Grundlagen, die das Bundesverfassungsgericht genau zu dieser Balance von Sicherheit und Freiheit gelegt hat, dann in den nachfolgenden Debatten nicht zur Kenntnis nimmt, dann ist das, Herr Fiedler, um in Ihrem Bild zu bleiben – was ich im Übrigen in Richtung Innenminister für unverschämt halte –, nicht mehr Fahrlässigkeit, was man für die Anti-Terror-Pakete 1 bis 3 vielleicht noch sagen könnte, sondern dann ist das heute Vorsatz, weil diese Urteile zu genau diesen Regelungen, die Sie heute verlangen, auf dem Tisch liegen. Ich sage es noch einmal: Wenn wir wirksam über eine Sicherheitspolitik diskutieren wollen, dann müssen wir zwei Sachen gemeinsam diskutieren und bejahen. Das Erste ist die Wirksamkeit, und zwar tatsächlich in Richtung öffentliche Sicherheit, und das Zweite ist natürlich die Grundgesetzkonformität, nicht, weil wir eine formale Konformität mit Regeln des Grundgesetzes brauchen, sondern weil die Grundrechte das Wertefundament einer demokratischen und freiheitlichen Gesellschaft sind. Wenn wir die Axt an diesen Grundrechten anlegen, legen wir die Axt an den Grundlagen der freien und demokratischen Gesellschaft an.

Herr Fiedler und meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, ich möchte auf einige konkrete Regelungen Ihres Antrags eingehen. Sie verlangen ein Sofortprogramm zur Stärkung der Polizei. Ich kann es Ihnen nicht ersparen und ich will es noch einmal wiederholen, weil Sie hier wieder Zahlen in den Antrag geschrieben haben, wie viel mehr Anwärter wir brauchen, ich komme gleich darauf zurück. Sie können natürlich auch immer sagen, dass Sie deutlich machen, dass auch frühere Landesregierungen Verantwortung tragen. Aber ein Stück weit mehr Demut, tatsächlich Demut, Herr Fiedler, wäre schon angebracht.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Niemals!)

Ihr Stellenabbaukonzept, was Sie bis heute im Prinzip weiter verfolgen, würde für den Bereich des Innenministeriums beinhalten – und ich zähle es Ihnen gerne noch einmal auf –, dass wir das Innenministerium komplett abschaffen, dass wir das Landesamt für Statistik komplett abschaffen, das von Ihnen geliebte Amt für Verfassungsschutz komplett abschaffen, das Landesverwaltungsamt abschaffen, die Landesfeuerwehrund Katastrophenschutzschule abschaffen. Und wenn wir all diese Beamten – nur in der Theorie – stellenbezogen abgeschafft haben, müssten Sie bei der Polizei immer noch 100 Stellen reduzieren. Das ist das Stellenabbaukonzept, was Sie für den Bereich des Innenministeriums auf den Weg gebracht haben. Deswegen finde ich es auch einfach unverschämt, dass Sie damit praktisch keine Grundlage finden, mit uns

gemeinsam zu diskutieren, wie wir Polizeistrukturreform, Organisations- und Dienstpostenplan, Stellenplan so gemeinsam entwickeln können. Denn damit passt nichts zusammen, Herr Fiedler, was Sie hier im Innenministerium unterlassen haben.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Aber wir müssen die Diskussion führen, wie wir Struktur, Stellenplan und Organisationsund Dienstpostenplan gemeinsam so entwickeln können, dass wir entsprechend den Aufgaben und Erfordernissen polizeilicher Arbeit eine nachhaltige Personalentwicklung einleiten. Da bin ich doch auch gerne beim Innenminister, wenn dafür 200 Anwärter pro Jahr notwendig sind im Zeitraum 2017, 2018, 2019 – ich weiß es nicht –, dann werden wir die entsprechenden Entscheidungen treffen. Aber wir brauchen diese gleichmäßige Entwicklung aller Bereiche. Was uns nichts nützt, und das sage ich ganz deutlich, sind politisch motivierte Zahlenüberbietungswettbewerbe, die keine Nachhaltigkeit versprechen, denn wir müssen doch auch in der Öffentlichkeit deutlich sagen, wenn 200 zusätzliche Polizeianwärter kommen, wo die in der Struktur mit welchen Aufgaben wie eingesetzt werden, dass sie tatsächlich zu einer effektiven, auch Leistungssteigerung bei der Polizei führen und – das ist natürlich unabdingbar – auch das belastbare Gefühl in der Öffentlichkeit hervorrufen, dass was für Sicherheit getan wird.

Wie wenig analytisch Ihr Antrag ist, wird auch beim Punkt 2 deutlich. Wir reden die ganze Zeit über islamistisch motivierten Terrorismus am Beispiel des 19. Dezember in Berlin. Und jetzt kommen Sie hier und führen etwas zusammen, was überhaupt nicht zusammenpasst, sondern da geht es Ihnen um politische Schlagwörter, da geht es Ihnen um politische Plakate und da wird schon deutlich, dass Sie überhaupt nicht gewillt sind, sich einer tatsächlichen analytischen Betrachtung der Gefahrensituation zuzuwenden. Sie formulieren hier, die technische Ausstattung bei der Polizei muss verbessert werden, um der gestiegenen Gefährdungslage durch islamistische aber auch linke und rechte Extremisten auf Augenhöhe begegnen zu können. Ich habe zu allen drei Bereichen eine persönliche Auffassung, die können wir diskutieren. Da akzeptiere ich auch, dass es unterschiedliche Sichtweisen gibt. Aber überhaupt nicht akzeptabel und verhandelbar ist, dass es im Prinzip unter einem Stichwort subsumiert wird und damit gleichgesetzt wird, weil im Prinzip das eine mit dem anderen überhaupt nichts zu tun hat. Das mag für Sie tatsächlich wirklich elementar belastbar sein, dass Widerstandshandlungen bei Demonstrationen durch sich selbst als links verortete Jugendliche oder junge Menschen eine Gefährdung auch natürlich für die individuelle Sicherheit, für die individuelle Unversehrtheit von Polizeibeamten mit sich führen und damit eine

Straftat darstellen, die abzulehnen ist. Aber das Ganze ist doch nicht gleichzusetzen mit einem islamistisch motivierten Terroranschlag.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Dasselbe trifft auch bei Anschlägen oder bei Übergriffen im Zusammenhang mit Fußballspielen von Hooligans zu, die es als Teil ihrer Erlebniskultur verstehen, Polizeibeamte anzugreifen. Das ist doch auch nicht dasselbe, das kann man doch für sich qualitativ bewerten und entsprechend beurteilen und in der öffentlichen Debatte bewerten und überlegen, wie kann man damit auch präventiv, aber möglicherweise auch repressiv umgehen. Wenn Sie dann aber auch noch in dieser Aufzählung die rechtsextrem motivierte Gewalt einsetzen, wo wir im letzten Jahr über 900 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte haben, wo wir in der Bundesrepublik über 170 offiziell diesem Deliktbereich zuzuordnende Tötungsverbrechen haben, dann wird tatsächlich offenbar, dass es Ihnen hier um politische Plakate geht,

(Beifall DIE LINKE)

aber nicht um eine wirkliche Betrachtung von Gefährdung, die für diese Demokratie, für einzelne Rechtsstaatsprinzipien oder für individuelle Schutzgüter ausgeht. Deswegen, aber eben auch wegen der anderen Punkte werden wir Ihren Antrag ablehnen.

Ich will noch mal auf zwei oder drei Punkte eingehen, weil Sie das konkret benannt haben. Sie fordern eine stärkere Aufenthaltsüberwachung für Gefährder. Nun ist es so, wir haben, glaube ich, 542 Gefährder in der Bundesrepublik, etwa 60 Prozent sind Deutsche, 62 Gefährder sind ausweisbar, fast 90 Prozent haben demnach einen gefestigten Aufenthaltsstatus. Was macht denn diese elektronische Aufenthaltsüberwachung von Gefährdern? Sie gibt uns, wenn der Gefährder mitspielt und seine Fußfessel jeden Tag elektronisch auflädt, die Möglichkeit zu wissen, wo er sich aufhält. Wir wissen nicht, was er tut, und wir können im Zweifelsfall auch nicht verhindern, was er tut. Wenn Sie aber hier diese Aufenthaltsüberwachung für Gefährder fordern, dann müssten Sie noch sagen: Wer ist denn für Sie ein Gefährder? Wie kann man sich rechtlich dagegen wehren? Wird man darüber spätestens mit der sogenannten Fußfessel in Kenntnis gesetzt? Es gibt noch nicht mal diese klaren Kriterien. Wir reden in der öffentlichen Debatte über eine politische Kategorie des Gefährders und wir reden über Kategorien, die in den einzelnen Landesbehörden praktisch, natürlich auch in wechselseitiger Kommunikation geschaffen werden, aber die nicht rechtsstaatlich belastbar sind. Wenn wir tatsächlich eine Diskussion in diese Richtung führen wollen, müssen wir als Erstes die Frage dieser Kategorisierung aufgreifen. Ist diese Kategorisierung über

haupt mit rechtsstaatlichen Prinzipien belastbar? Oder wollen Sie praktisch Gefährdung allein aufgrund des Verdachts zur Grundlage machen, die zur Aufenthaltsüberwachung führt? Nach den Kriterien, die beispielsweise beim BKA abrufbar sind – ich habe sie jetzt nicht hier vorn liegen –, würde es zum Beispiel ausreichen, wenn man Mitglied einer Führungsebene einer extremistischen Organisation ist. Meine Damen und Herren, wir haben durchaus unterschiedliche Auffassungen zum Verfassungsschutzbericht, aber schauen Sie mal in den Verfassungsschutzbericht des Bundes hinein – es wäre eine abenteuerliche Umsetzung dessen, was dort steht. Deswegen ist dieser Schluss auch ein falscher. Wenn, müssten Sie die Diskussion an einer anderen Stelle führen. Das war jetzt so ein Stück weit die grundrechtliche oder rechtsstaatliche Betrachtung.

Als Zweites will ich Ihren Blickpunkt auf die zweite Ebene notwendiger Betrachtungen richten: Die Frage der Wirksamkeit. Beim Anschlag im letzten Jahr bei der Ermordung des Pfarrers in Frankreich war der Täter einer, der mit einer Fußfessel aufenthaltsüberwacht worden ist. Da wird wohl deutlich, wenn wir über die Wirksamkeit von Sicherheitsmaßnahmen reden, müssen wir tatsächlich mehr über Mehr reden als über das, was Sie hier plakativ in den Raum stellen.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Über weite- re Dinge kann man keine Fragen stellen…!)

Wenn wir in diesem Antrag weitere, schon durch das Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig geurteilte Maßnahmen wiederfinden, dann wird es halt abenteuerlich. Wir können doch nicht immer weiter fordern in der Frage der Onlineuntersuchung, der Quellen-TKÜ ohne konkreten rechtsstaatlich belastbaren Anlass durch den Verfassungsschutz. Das Bundesverfassungsgericht war doch eindeutig: Eine Quellentelekommunikationsüberwachung, die das System korrumpiert und damit geeignet ist, Entwürfe elektronischer Natur, zu Papier gebrachte Gedanken, Skizzen zu überwachen und zum Gegenstand der staatlichen Beobachtung zu machen, ist grundrechtswidrig.

(Beifall DIE LINKE)

Sie werden gegenwärtig zu keiner anderen Auffassung kommen, weil es eben technisch nicht anders funktioniert. Dann können wir ja gemeinsam die Frage beantworten: Will man das oder will man das nicht? Will man dieses Stück Freiheit des Menschen vor dem staatlichen Zugriff erhalten oder aufgeben? Da sind wir tatsächlich bei der Grundfrage: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Dasselbe trifft auf die Videoüberwachung zu, die Sie hier wieder fordern. Im Beschluss der Klausur Ihrer Landtagsfraktion haben Sie ja sogar die Gesichtserkennung bei der Videoüberwachung gefordert. Sie müssten in diesem Zusammenhang doch mal meh

rere Diskussionsstränge zur Kenntnis nehmen: In Großbritannien haben wir eine fast flächendeckende Videoüberwachung des öffentlichen Raums. Und die Briten stellen jetzt fest nach jahrelangen Ergebnissen, die sie ermitteln konnten, dass sie Gewaltstraftaten im öffentlichen Raum eben nicht minimiert haben, dass sie die Menschen durch Videoüberwachung eben nicht vor solchen Straftaten schützen. Ganz im Gegenteil haben sie aber auf der anderen Seite handlungsverändernde Prozesse bei den Menschen, und zwar erstens, dass Menschen, denen ihre Freiheit und die Unbeobachtetheit noch wichtig ist, videoüberwachte Bereiche meiden oder versuchen zu meiden, und zweitens, dass Menschen, die im öffentlichen Raum auch aufeinander achtgeben, im Wissen, dass es einen großen Bruder gibt, der alle beobachtet, genau dieses Aufeinander-Achtgeben in der Gesellschaft lassen und weniger aufmerksam sind, weil sie glauben, dass der Staat hier guckt und mit beobachtet und da mit eingreifen kann. Und das ist ein weiterer Trugschluss: Die Videoüberwachung ist eben kein Mittel, um Straftaten zu verhindern, sie ist für den Fall des Begehens einer Straftat ein Strafverfolgungsmittel und das heißt nichts anderes, als dass wir es hier mit Vorschlägen zu tun haben für eine riesige Vorratsdatenspeicherung von Menschen, die sich im öffentlichen Raum bewegen, und das vor dem Hintergrund – jetzt sage ich – gerade auch der Wirksamkeit dieser Maßnahme bei der Verhinderung von terroristischen Straftaten ist ein Wahnsinn. Wir wissen aus Berlin, dass Anis Amri und andere Terroristen auch in der Vergangenheit gerade die Videobeobachtung für ihre politischen Zwecke als Motiv noch gebraucht und auch missbraucht haben und durch diese Videoüberwachung eben nicht dazu beigetragen wurde, dass mehr Sicherheit geschaffen wird.

Meine Damen und Herren, abschließend: Ich habe an einigen Stellen, denke ich, deutlich gemacht, wo die Position der Linken ist. Wir sind nicht in dem Bereich, dass wir über Placebos diskutieren sollten. Wir brauchen in der Tat eine moderne und eine handlungsfähige Polizei. Dazu gehört die technische Ausstattung bei der Polizei. Das sind aber nicht nur Waffen und Schutzausrüstung, das sind beispielsweise auch Kommunikationsmittel. Wir mussten aus dem Bericht der Expertenkommission entnehmen, dass Thüringen hier sehr weit zurückliegt, was die Arbeit von Polizeibeamten erleichtert, beispielsweise auch die digitale Übersendung von Daten bei der Straftataufklärung oder bei der Aufnahme von Zeugenaussagen vor Ort, weil eine zeitliche Entlastung von Polizeibeamten auch zu einer Effektivierung von polizeilicher Arbeit führt und vielen Belastungen, die vorgetragen worden sind, damit begegnet werden kann.

Ich will aber auch sagen, dass neben diesen ganzen technischen Bereichen die Frage der Motivati

on von Polizeibeamten eine besondere Rolle spielt. Da müssen wir uns Gedanken machen, welche Maßnahmen wir gemeinsam weiterentwickeln müssen, um genau diese Motivation durch verbesserte Arbeitsbedingungen zu steigern, nicht um der Motivation wegen, weil wir dann vielleicht mehr Sicherheit haben oder zumindest nicht nur allein deshalb, sondern weil das Innenministerium als Dienstherr eine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Beamten hat. Ich denke, wir müssen eben in dem Fall darüber reden, ob das Zulagensystem, das wir da angesprochen haben, der Bereich der Erschwerniszulage, korrigiert werden muss. Wir müssen darüber reden, ob die Anerkennung von Arbeitszeiten bei der Bereitschaftspolizei anders geregelt werden muss.

(Beifall DIE LINKE)

Wir müssen auch darüber reden, dass die Beurteilungs- und Beförderungspraxis korrigiert werden muss. Und wir müssen auch Klarheit für die Beamten schaffen – ich habe es angesprochen –, was die Perspektiventwicklung anbetrifft. Wenn Stellenplan, Struktur- und Organisations- und Dienstpostenplan im Einklang stehen, dann entstehen auch keine falschen Erwartungshaltungen und mit falschen Erwartungshaltungen entstehen auch keine Enttäuschungen. Das ist ein gemeinsamer Prozess, den wir gemeinsam mit den Berufsverbänden gehen müssen.

Ich sage aber auch eines deutlich in Bezug auf mehr Sicherheit: Neben diesen ganzen Sicherheitsbelangen, sicherheitspolitischen Maßnahmen, die wir auf ihre Wirksamkeit und ihre Grundrechtskompatibilität prüfen müssen, dürfen wir einen anderen Bereich nicht vergessen: Zur Sicherheit gehört in erster Linie eine Präventivverantwortung, wozu die politischen Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Prävention heißt in erster Linie nicht nur Schutz vor Terroranschlägen, heißt nicht nur Schutz vor Kriminalität, Sicherheit bedeutet auch für die Menschen, die hier leben, Chancengleichheit herzustellen. Das heißt eben auch, sich als Politik den Fragen der Armut, sozialer Ausgrenzung zuzuwenden. Das heißt eben auch, den Fragen, die mit Perspektivangst verbunden sind, wie befristete Arbeitsverhältnisse oder Leiharbeit, zu überwinden. Und das heißt eben auch, wenn man schon von einem starken Staat reden möchte, diesen starken Staat auch im Sinne von seiner sozialen Verantwortung und seiner demokratischen Verantwortung sichtbar zu machen. Das heißt, wir brauchen gute Bildung, Teilhabe und soziale Sicherheit, damit Menschen in der Bundesrepublik eine Zukunftsperspektive haben. Ich will ihnen das ganz deutlich sagen: Wenn wir über Sicherheit reden, macht es doch überhaupt keinen Sinn, die Diskussion so zu führen, dass wir Menschen aus dieser Gesellschaft herausdrängen, weil sie Flüchtlinge sind, weil sie Muslime sind, sondern das Ziel unseres Bemühens

muss doch sein, Menschen in diese Gesellschaft hineinzuholen. Das heißt eben auch, darüber zu diskutieren, wie man religiösen Hasspredigern,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

rassistischen Hetzern gleichermaßen den Nährboden entzieht – die Übergänge sind ohnehin fließend –, auch mit dem Ausbau von Präventionsund Deradikalisierungsangeboten. Da brauchen wir Muslime, da brauchen wir muslimische Gemeinden auch als Partner und nicht als Gegner in dieser Präventionsarbeit,

(Beifall DIE LINKE)

weil genau das der Weg ist, Menschen in diese Gesellschaft hineinzuführen und eben nicht hinaus. Die Angstmaschinerie, die wir auch in Gang setzen, führt dazu – und da empfehle ich eine vor einiger Zeit veröffentlichte Studie der Friedrich-Schiller-Universität Jena zur Radikalisierung von Muslimen, weil sie sich ausgestoßen fühlen, weil sie sich kriminalisiert fühlen, weil sie sich nicht aufgenommen fühlen –, dass man sich zurückzieht.

Herr Kollege Dittes, wagen Sie mal bitte einen Blick auf die Uhr.

Meine Damen und Herren, Herr Höhn, mir ist das rote Blinken in letzter Sekunde nicht entgangen. Ich will mit einem Satz des Ex-Ministerpräsidenten von Norwegen Jens Stoltenberg enden, der nach dem Anschlag von Anders Breivik mit 77 Todesopfern sagte: „Wir dürfen unsere Werte, die am 22. Juli angegriffen wurden, nie aufgeben: Humanität, Vielfalt, Solidarität und eine offene Gemeinschaft. Sie sind unsere stärkste Waffe und unsere stärkste Verteidigung gegen Gewalt und Terror. […] Unsere Antwort auf den Terror lautet: Mehr Offenheit, mehr Demokratie, aber nicht Naivität.“ Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Als Nächster hat Abgeordneter Adams, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr verehrte Gäste hier im Thüringer Landtag! Der Abgeordnete der AfD, Höcke, hat zum Tagesordnungspunkt der inneren Sicherheit eine Rede gehalten. Ich möchte auf die

(Abg. Dittes)

se Rede mit wenigen Sätzen aus der Pressemitteilung der Gewerkschaft der Polizei in Thüringen vom 23.01. antworten. Die Pressemitteilung ist überschrieben mit den drei Worten „Scham? Wut? Mut!“. Und die Beamten der Thüringer Polizei, die sich hier in der Gewerkschaft der Polizei, in der GdP, organisiert haben, fahren fort: „Wie die AfD jetzt noch ein politisch und gesellschaftlich ertragbares Niveau erreichen will, ist uns völlig schleierhaft. Glockenklar ist aber, mit diesem Landesvorsitzenden kann das auf keinen Fall funktionieren.“ Und etwas weiter führen die Beamten aus: „Wir schämen uns dafür, dass es ein demokratisch gewählter Abgeordneter des Thüringer Landtages ist, der ungestraft solche Reden hält.“ Ich habe dem nichts hinzuzufügen und möchte mich bei der GdP – hier speziell – und bei allen Polizeibeamten bedanken.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)