Protocol of the Session on February 26, 2015

(Ministerpräsident Ramelow)

und teils offener Ablehnung auf die Schutz suchenden Menschen.

Deshalb müssen wir insbesondere jenen Menschen, die Flüchtlingen skeptisch gegenüberstehen und die ihre eigenen Lebenschancen durch die Neuankömmlinge bedroht sehen, das Phänomen Zuwanderung und vor allem dessen Chancen für unser Land besser erklären.

Ich habe mit vielen Thüringer Wirtschaftsvertretern gesprochen, die kreative Ideen entwickeln, um die Integration von Ausländern zu erleichtern. Natürlich hat die Wirtschaft dabei auch im Hinterkopf, dass sie damit mittelfristig etwas gegen den eigenen Fachkräftemangel unternehmen kann. Aber die Unternehmerinnen und Unternehmer sehen ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung und wollen – das ist in den Gesprächen sehr deutlich geworden – allen Menschen, die zu uns kommen, eine gleiche Chance geben.

Als ich vor drei Wochen bei der mitteldeutschen Handwerksmesse war, wurde mir die neue bundesweite Kampagne des Handwerks vorgestellt, mit der das Handwerk um Auszubildende wirbt. Da heißt es auf dem Plakat: „Es ist nicht wichtig, wo Du herkommst, sondern wo Du hin willst.“ Das ist auch aus der Sicht der Thüringer Landesregierung genau der richtige Ansatz.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Thüringen braucht alle fleißigen Hände und alle schlauen Köpfe, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen. Humanität, Weltoffenheit und eine offene Tür für Menschen, die dieses Land mit ihren Fähigkeiten, ihren Qualifikationen und ihrem Fleiß bereichern wollen, das ist der Dreiklang, dem sich diese Landesregierung verpflichtet hat.

In Suhl hat mich auf der Bürgerversammlung jemand angesprochen und sagte: „Aber die Ausländer in der Erstaufnahmestelle haben doch einen Mitarbeiter angegriffen und mit dem Messer bedroht.“ Nein, tatsächlich hat sich das so nicht zugetragen. Aber so etwas als Gerücht wirkt einfach wie Gift.

Ein anderes dieser Gerüchte war, dass einige Flüchtlinge mit Ebola infiziert seien. Solche Aussagen werden von NPD-Leuten in die Welt gesetzt, aber sie erreichen leider nicht nur NPD-Anhänger, sondern viele Menschen machen sich auf einmal Sorgen, wenn sie so etwas hören. Die Mühe, ein solches Gerücht wieder einzufangen und als das darzustellen was es ist, nämlich üble Verleumdung, diese Mühe ist für uns alle immens.

Die überwiegende Zahl der Suhler lässt sich von diesen Verleumdungen nicht beeinflussen. Viele Suhler zeigen wie im Übrigen auch die Menschen in anderen Landesteilen Thüringens Solidarität mit

den Flüchtlingen. Die Bevölkerung spendet Hilfsgüter und Kleidungsstücke für die Asylbewerber. Die Suhler Zivilgesellschaft bietet Montag für Montag den Anhängern der Sügida mutig die Stirn. Sie zeigt nicht nur Gesicht, sie demonstriert damit gegen Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit. Dafür mein herzlicher Dank an die vielen Suhlerinnen und Suhler. Ihr Handeln ist ein Zeichen der menschlichen Solidarität und der gelebten politischen Kultur in Thüringen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese gelebte Solidarität und politische Kultur hat in unserem Land eine gute Tradition: In Ranis zum Beispiel gibt es zwei Kirchen, eine evangelische und eine katholische. Ich habe die Leute dort gefragt, wie es zu der zweiten Kirche kam und als Antwort wurde mir gesagt, dass sie nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut wurde, als viele Flüchtlinge in den Ort kamen. Damit sollten sich auch die neuen, überwiegend katholischen Bevölkerungsmitglieder heimisch fühlen und ihre Kirche finden.

Auch da gab es anfänglich Skepsis, aber heute spüre ich in Ranis eine besondere Offenheit gegenüber Neubürgern und ich vermute, dass es einen Zusammenhang zwischen dieser ersten Migration, massiven Migrationserfahrung und den heutigen Flüchtlingsherausforderungen gibt. Im Generationengedächtnis ist verhaftet, dass Menschen, die aufgenommen werden, eine Bereicherung darstellen. Jetzt sollen in Ranis Flüchtlinge untergebracht werden und das ganze Vorhaben wird von vielen Menschen in der Bevölkerung sehr positiv begleitet. So würde ich es mir überall in Thüringen wünschen, aber es hängt eben mit Erfahrungen zusammen, die die einen haben und die anderen eben nicht haben. Deshalb wollen wir aus den vermeintlich Fremden Neubürger machen, die zu uns gehören und mit uns gemeinsam zur Zukunft Thüringens gehören.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gemeinsam mit der Aktion „Weimar hilft“ hat die neue Landesregierung sofort ein Hilfsprogramm „Thüringen in Aktion“ gestartet. 85.000 Euro wurden von „Weimar hilft“ bereits gesammelt und „Thüringen in Aktion“ läuft als Spendenaktion noch auf vollen Touren. Das Benefizkonzert der Staatskapelle Weimar für die Flüchtlinge war ein voller Erfolg. Es passiert viel mehr Positives in Thüringen, als wir oft wahrnehmen. Dafür ein dickes Dankeschön!

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ergebnisse der Umfragen zum Thüringen-Monitor zeigen auf den ersten Blick ein positives Bild der politi

(Ministerpräsident Ramelow)

schen Kultur in unserem Land, das durch eine zunehmende Zufriedenheit mit der Demokratie in der Praxis, ein stabiles Institutionsvertrauen und ein hohes Maß an Demokratieunterstützung gekennzeichnet ist. Eine große Mehrheit der Befragten bejaht die Demokratie als Staatsform und so viele wie bisher noch nie seit Beginn der Messung sind zufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie.

Die Zahlen und diese Ergebnisse sind auf den ersten Blick erfreulich, aber ein Blick auf die Straßen und die Schlagzeilen in den Medien legt scheinbar etwas anderes nahe. Wir müssen uns in diesem Zusammenhang auch fragen, haben wir die Sorgen der Menschen nicht ernst genommen? Haben wir die Menschen mit ihren Problemen allein gelassen? Wir müssen mit den Bürgerinnen und Bürgern einen konstruktiven Dialog suchen. Mit den Organisatoren dieser Initiativen (Pegida, Legida, Sügida, Pegada) wollen wir nichts zu tun haben. Sie verdrehen die Tatsachen und wollen den Unmut ausnutzen und die Stimmung gegen Asylbewerber und Flüchtlinge anheizen. Sie schüren Wut und Angst und damit Ausländerfeindlichkeit.

Das Resultat ist Diskriminierung, und ich möchte an dieser Stelle etwas anmerken: Vor ein paar Tagen war der große französische Publizist Alfred Grosser zu Gast in Thüringen. Er sagte – bezogen auf sein Land, Frankreich: Wenn wir in Frankreich den Jugendlichen in den Banlieus nicht die französische Identität zugestehen, sondern sie diskriminieren, dann wenden sie sich dem Islamismus zu. Aber nicht der Islamismus war zuerst da, sondern die Diskriminierung war zuerst da.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit denjenigen, die Ängste artikulieren, suchen wir den Dialog. Mit denen, die Ängste schüren, suchen wir die politische Auseinandersetzung, weil sie das Gegenteil von dem wollen, was wir wollen: ein demokratisches und weltoffenes Thüringen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen die Fragen der Menschen ernst nehmen und uns damit intensiv, aber auch kontrovers auseinandersetzen. Nichts ist schlimmer als Sprachlosigkeit. Dazu gehören auch soziale Ängste und Sorgen vor einem sozialen Abstieg. Immerhin sehen 41 Prozent der Thüringer die Gefahr, dass ein Teil ihres Wohlstands verloren gehen könnte. Ein Teil dieser Unsicherheit lässt sich vielleicht dadurch abbauen, indem wir verdeutlichen, dass ausländische Fachkräfte und Flüchtlinge eine Bereicherung für unser Land sind und auch den Wohlstand der Menschen in unserem Land mehren.

Die Wirtschaft sucht händeringend Fachkräfte und auch ausländische Fachkräfte. Deshalb unterstützen wir die Industrie- und Handelskammern und die

Handwerkskammern, die sich dafür einsetzen, dass Asylbewerber in Ausbildung ihre Ausbildung bei Ablehnung des Asylantrags fortsetzen und abschließen können. Deshalb wollen wir auch Flüchtlinge grundsätzlich möglichst schnell in Arbeit und Ausbildung integrieren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zur politischen Kultur in unserem Land gehört auch, dass wir die Menschen nicht mit Geschichtsfälschern und Tatsachenverdrehern allein lassen dürfen. Die Landesregierung sieht sich in der Verantwortung, dass sich das Land der objektiven Belastungen vor Ort annimmt und auch konkret annehmen wird. Ich nenne das das konsequente Handeln und schnelle Handeln der Zuständigen. Deshalb wird die Landesregierung für den 23. April 2015 zu einem Flüchtlingsgipfel einladen. Teilnehmen sollen Spitzenvertreter aus Politik, Kommunen, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Flüchtlingsorganisationen und der Wirtschaft.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Landesregierung wird ihre Konzepte zur Bewältigung der anstehenden Herausforderungen in der Flüchtlingsunterbringung, -begleitung und -integration vorstellen und mit allen Teilnehmern darüber das Gespräch und den Diskurs suchen.

Der Flüchtlingsgipfel soll sowohl dem Meinungsaustausch als auch der Verständigung auf konkrete Maßnahmen zur besseren Unterbringung, Betreuung und Integration der in Thüringen lebenden Flüchtlinge dienen.

An die Bürgerinnen und Bürger richte ich den Appell, sich eine aktive Aufnahme der Flüchtlinge zuzutrauen und eine Willkommenskultur wie in Weimar, Suhl und in Ranis zu pflegen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Thüringen-Monitor 2014 zeigt, dass das Demokratiebewusstsein der Thüringer Bevölkerung gefestigt, aber Gefährdungen ausgesetzt ist. Die Gutachter verweisen darauf, dass die „Demokratiezufriedenheit“ und die „Demokratieunterstützung“ vor allem auf die gute wirtschaftliche Lage, den Abbau der Arbeitslosigkeit und auf die Zunahme der Beschäftigung zurückzuführen sind. Trotz all dieser positiven Werte gibt es latente Gefährdungen der Demokratie, die beim Wegfall nur eines der positiven Faktoren wieder deutlicher hervortreten können. Die Gutachter sprechen von einer sogenannten Schönwetterdemokratie.

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Demokratie sich immer im Spannungsfeld mit anderen Staatsformen befindet. Denn: Immerhin halten 13 Prozent der Befragten „unter bestimmten Umständen eine Diktatur [für] die bessere Staatsform“.

(Ministerpräsident Ramelow)

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Des Prole- tariats!)

„Schönwetterdemokratie“ heißt aber auch, dass sich die Thüringer mehr Stabilität und Sicherheit wünschen. Die Umfrageergebnisse zum ThüringenMonitor zeigen, dass die Thüringer der Sicherheit eine größere Bedeutung als der Freiheit zubilligen. Zwei Drittel der Befragten entscheiden sich für Sicherheit und ein Drittel für Freiheit. Wir wollen, müssen und werden den Menschen im Freistaat Sicherheit garantieren – innere Sicherheit, soziale Sicherheit und auch eine individuelle Sicherheit.

Von Benjamin Franklin stammt der berühmte Satz: „Wer wesentliche Freiheit aufgeben kann, um eine geringfügige bloß jeweilige Sicherheit zu bewirken, verdient weder Freiheit, noch Sicherheit.“ Die Freiheit garantiert erst die Sicherheit, und wer die Freiheit der Sicherheit opfert, verliert am Ende beides. An diesen Gedanken sollten wir uns in manchen aktuellen Debatten etwas öfter erinnern.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was ich mir wünsche, ist, dass wir gemeinsam die Werte des Grundgesetzes leben – und zwar so, wie sie tatsächlich im Grundgesetz stehen: unantastbare Menschenwürde, Freiheit, Sozialstaat und Rechtsstaat. Dazu gehört auch das Recht auf Glaubensfreiheit, Glaubensvielfalt und Glaubensgewährung.

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Völlig rich- tig!)

Ob der Islam zu Deutschland gehört, ist deshalb eine irrelevante Frage, denn in Thüringen leben rund 7.000 Menschen mit muslimischem Glauben, und für die gilt das Grundgesetz genauso wie für Laizisten, Atheisten, Christen, Jesiden, Juden, Hindus, Buddhisten.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Entscheidend ist nicht, welchen Glauben ein Mensch hat, sondern ob wir alle gemeinsam unsere Verfassung akzeptieren und den Glauben friedlich leben.

(Zwischenruf Abg. Muhsal, AfD: Und wenn sich jemand nicht daran hält, dann muss man das eben durchsetzen!)

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

(Unruhe DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

(Zwischenruf Abg. Muhsal, AfD: Man muss sich an die Rechtsordnung halten!)

Die Freiheit, die Demokratie bietet, und das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung sehe ich nicht als Widerspruch.