Die Autoren des Thüringen-Monitors wenden aber an dieser Stelle auch ein – das darf man nicht unter den Tisch fallen lassen –: 17 Prozent halten im nationalen Interesse unter Umständen eine Diktatur für die bessere Staatsform, 18 Prozent wollen zur sozialistischen Ordnung zurück. Beides ist erschreckend. Bei Ihnen gibt es wahrscheinlich welche, die wollen das Letztere, die sozialistische Ordnung, gern haben.
(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Die fordern, dass die Kommunistische Plattform nicht mehr beobachtet werden soll!)
Ja, das fordern genau die, die da dabei sind. Aber es zeigt, das ist nur eine Minderheit auf beiden Seiten. Aber man darf es nicht wegwischen, wenn man analysiert, was die Wissenschaftler gemessen haben. Das ist schon so.
Aber diese Anteile – das ist jetzt auch eine Botschaft, auch eine frohe Botschaft für uns mit Blick auf Ihre Partei und auf die anderen auch – wachsen nicht. Angesichts der Turbulenzen des letzten Jahres strahlen diese Werte in einem – glaube ich – helleren Licht, wenn man mal auf die Aufgeregtheit, die Angst, die Sorge, die die Menschen aus dem Herbst 2015 mitgenommen haben, auch auf die Sorge und die Erwartung an die Politik, dass sich jedenfalls der Kontrollverlust des Herbstes 2015 aus der Flüchtlingskrise nicht wiederholen darf, schaut. Das sagen auch alle, von der Bundeskanzlerin bis zum Ministerpräsidenten. Dann ist es doch beruhigend zu wissen, dass für extreme Einstellungen in diesem Land definitiv kein Raum bleibt und auch kein Potenzial ist, aus dem dieses erwachsen kann. Die Menschen wollen gut aufgenommen sein, aber sie erwarten vom Staat eben auch, dass er die Ordnung im Griff hat und dass er weiß, was er tut. Darauf kommt es an und der Thüringen-Monitor bestätigt das wirklich deutlich.
Wir sollten zur Kenntnis nehmen – das zeigen viele Befunde, auch der Thüringen-Monitor, auch die Wahlen in diesem Jahr –: Die Bürger wollen wieder wählen gehen. Ich halte deshalb auch nichts davon, von einer Krise der parlamentarischen Demokratie zu sprechen, nur weil die, die wählen gehen, vielleicht nicht die Richtigen wählen von denen, die es erwarten und die gern gewählt werden wollen. Sondern es ist die Aufgabe aller Demokraten, das Recht der politischen Parteien, dafür zu werben, dass die Leute Lust auf Demokratie haben, dass sie Lust haben, wählen zu gehen, und dass man ihnen ein besseres Konzept macht, ein besseres Angebot macht, als nur populistisch von den Seiten heraus laut irgendwas zu rufen. Das ist anstrengender. Aber sich zu kümmern, die Leute mitzunehmen, den Leuten ein Angebot der Beteiligung zu machen, auch das ist ein Befund des ThüringenMonitors. Ich sehe jedenfalls eine Stärkung der parlamentarischen Demokratie und auch eine Bestätigung – ja – der Parteiendemokratie. Aber auch ein ordentliches Angebot zu machen, das ist die Aufgabe aller Parteien, und nicht zuerst erschreckt zu rufen: Ja, es gehen mehr Wähler, aber sie haben die Falschen gewählt. Das darf nicht die richtige Schlussfolgerung sein. Gut, dass die Leute wählen gehen, gut so.
Deshalb, meine Damen und Herren, will ich zum dritten Punkt aus meiner Analyse kommen, der Entfremdung zwischen Bürgern und politischen Verantwortungsträgern. Es muss an dieser Stelle einfach erwähnt werden, weil der Thüringen-Monitor darauf Rücksicht nimmt und das bewertet. Deswegen muss man auch Wasser in den Wein gießen über
die guten Zahlen und die spannenden Zahlen des Thüringen-Monitors, aber man darf diese Entfremdung, die sich da entwickelt und wissenschaftlich festgestellt wird, nicht beiseite wischen. Der Thüringen-Monitor 2016 weist darauf hin, wo es Schwachstellen gibt und wo die Demokratie angreifbar ist.
Ich will Ihnen dazu noch einmal wenige Zahlen präsentieren. Nur 11 Prozent vertrauen den politischen Parteien. 58 Prozent tun es nicht, 32 Prozent nur teilweise. 77 Prozent sagen, die Parteien seien nicht an den Ansichten der Bürger, sondern nur an deren Stimmen interessiert. 70 Prozent sagen, die Anliegen der Menschen werden nicht mehr wirksam vertreten, und knapp ein Fünftel sieht Repräsentationsbeziehungen zwischen Bürgern und politischen Eliten gestört. Viele fordern ausdrücklich mehr direkte Demokratie und mehr Bürgerbeteiligung an den Prozessen, die für sie auch wichtig sind. Natürlich sehe ich daran noch einmal das bestätigt, was wir gestern eingefordert haben und Sie auch so halb zugegeben haben, dass es richtig wäre, wenn Ihre Leute sie lassen würden. Zu dem wichtigsten Themenfeld in diesem Land in diesem Jahrzehnt, zu der Gebietsreform, die Menschen nicht zu beteiligen, würde genau diese Entfremdung verstärken – wir müssen sie kleiner machen. Deshalb, lieber Ministerpräsident, wenn Sie das ernst meinen, was Sie 2011 gesagt haben, und am Ende zu dem Weg kommen und hier im Landtag Gebietsreformgesetze, die die Einschnitte normieren, vorlegen, dann erinnere ich Sie auch an Ihre Zusage von heute Morgen, dann lassen Sie darüber das Volk abstimmen und entscheiden Sie es nicht mit Ihrer knappen Mehrheit. Dann leisten Sie einen großen Beitrag, diese Diskrepanz wieder kleiner zu machen, anstatt größer werden zu lassen.
Nur mal so zur rechnerischen Mehrheit – falls es in Ihrer Koalition nicht reicht, dass die kleineren Partner mitmachen: Mit uns zusammen hätten Sie für diese Volksabstimmung in diesem Landtag eine Mehrheit.
Daran soll es nicht liegen. Wenn die anderen grämlich sind: Eine Mehrheit für Volksabstimmungen zur Gebietsreform gibt es in diesem Landtag. Trauen Sie sich nur, sich an das zu erinnern, was Sie vor fünf Jahren laut gesagt haben. Mehrheiten dafür gibt es hier in diesem Haus.
Tja, Genossen, hilft ja nichts. Wir haben zu diesem Debattenvorschlag, wie man den Wunsch der Bürger nach mehr Beteiligung, nach mehr Demokratie, nach mehr Entscheidungsmacht auch zwischen
den Wahlen beantworten kann, einen Diskussionsvorschlag gemacht. Wir haben eine Verfassungsänderung vorgelegt, wir haben einen Ausgestaltungsvorschlag vorgelegt, den wir ausdrücklich weiter diskutieren wollen und der nicht abschließend ist, den wir auf Symposien mit Fachleuten, mit Verfassungsrechtlern besprechen wollen, nämlich die Idee: Kann man fakultative Referenden in die Verfassung einbauen und dadurch den Bürgerinnen und Bürgern eine Möglichkeit an die Hand geben, sich auch zwischen den Wahlen zu beteiligen? Ich will gern noch mal sagen, was wir bei dieser Frage vorgeschlagen haben: dass der Landtag natürlich Gesetze in diesem Haus beschließt, er das erste Wort behalten soll, aber wenn sich eine Initiative aus dem Volk entwickelt und meint, diese Gesetze noch einmal abschießend zu beurteilen, dass dann 50.000 Menschen diesen Prozess beginnen können. Zur Erklärung will ich es noch einmal deutlich sagen: Das ist dann ein Volksentscheid, der nach den Regelungen unserer Verfassung zur Zustimmung nach den gegenwärtigen Bevölkerungsstatistiken immerhin 460.000 zustimmende Stimmen bräuchte, um so ein Gesetz des Landtags anzuhalten oder ein Alternativgesetz zu beschließen. Man sollte über dieses Angebot von fakultativen Referenden als Beitrag, um populistischen Parolen das Wasser abzugraben, ernsthaft reden. Ich sage ausdrücklich: Wer das ernst meint und in die Debatte eintritt, der darf eben nicht sofort kommen und sagen, jetzt krempeln wir die ganze Verfassung dieses Landes um, weil wir gerade in der Mehrheit sind. Dafür gibt es eben keine politischen Mehrheiten. Aber Mittel zu finden, die besser sind als Populismus, Mittel zu finden, die die Erwartung der Bürger erfüllen, sich mehr zu beteiligen, Mittel zu finden, die mehr sind, als nur alle fünf Jahre die Leute zur Wahl zu schicken, Mittel zu finden, die die Leute wieder begeistern lassen, an Demokratie teilzunehmen, das sollte uns zuallererst anstrengen und das sollten wir in einem offenen Aushandlungsprozess auch gern diskutieren, ausdrücklich offen und von mir aus auch über einen längeren Zeitraum. Aber wenn wir fertig werden würden, dieses Instrument einzuführen, bevor Sie Ihre Gebietsreform auf den Weg gebracht haben – daraus mache ich keinen Hehl –, würde das die Möglichkeit erleichtern, das Volk über das abstimmen zu lassen, was Sie da vorlegen. Dann sehen wir doch – ja oder nein, hopp oder top –, ob Sie nur aus der Minderheit heraus das Land meinen umkrempeln zu wollen oder ob Sie dafür wirklich die Legitimation haben. Ich würde das gern durch das Volk bewiesen wissen und nicht durch Ihre Reden hier in diesem Landtag.
Ich will das gern noch mal aufgreifen, was ich gestern gesagt habe, und noch mal zitieren, was auf der Internetseite des Thüringer Innenministeriums steht. Ich glaube jedenfalls, dass das, was
Sie an Beteiligungsprozessen anbieten, das Gegenteil von dem ist, was man als Befund aus dem Thüringen-Monitor heraus mitnehmen muss. Dort heißt es nämlich auf der Website: „Es ist absolut legitim, eigene Interessen zu haben, diese offen zu artikulieren und sie in die Debatte einzubringen. Das ist Demokratie. Aber der Verhandlungsspielraum ist aus den oben genannten Gründen eben auch begrenzt.“ Meine lieben Leute, Sie können doch nicht einerseits die Bürgerinnen und Bürger auffordern, sie sollen sich beteiligen, sollen bessere Vorschläge machen, und dann sagen Sie aber gleichzeitig, der Verhandlungsspielraum ist eben begrenzt. Entweder offene Angebote und Alternativvorschläge oder begrenzter Verhandlungsspielraum – für eines müssen Sie sich schon entscheiden; beides geht jedenfalls in dieser Frage nicht zusammen.
Dass Sie die Interessen von 44.000 Bürgerinnen und Bürgern, die sich für ein Volksbegehren zum Vorschaltgesetz ausgesprochen haben, mit einer Klage beantworten wollen, müssen Sie mit sich selbst ausmachen. Glaubwürdig ist das nicht. Ich habe das gestern gesagt, aber ich will das auch noch mal an dieser Frage festhalten. Wenn man nach Lösungsmodellen sucht, wie man die Entfremdung kleiner machen kann, dann ist das auch ein Punkt, den man an dieser Stelle nicht wegdiskutieren kann. Die Weigerung, im Parlament über Alternativen zu reden, das haben wir ja nun mehrmals vorgetragen. Sie hören aber auch nicht auf, dauernd von den Haushaltsanträgen zu reden. Das haben Sie sich irgendwo aufgeschrieben. Wahrscheinlich hat Herr Hoff Ihnen einen neuen Stichwortzettel mitgegeben.
Aber ich will Sie noch mal daran erinnern, lieber Dirk Adams, euch von Rot-Rot-Grün, an die Haushaltsdebatte 2015, der erste Haushalt, nachdem ihr ins Amt gekommen seid. Da haben wir 150 Änderungsanträge zu dem Haushalt gestellt. Sage und schreibe 150-mal haben Sie in diesem Haus mit Nein gestimmt. Sie sind doch gar nicht ernsthaft an Alternativvorschlägen interessiert. Sie haben sie mit Ihrer Mehrheit weggewischt, die Sie vermeintlich haben.
Sie sind nicht an einer ehrlichen Debatte interessiert. Hören Sie auf mit diesen demagogischen Zwischenrufen und Äußerungen, die Sie dauernd an den Tag legen.
Ich will das gern noch mal sagen: Wie haben Sie denn auf 9.000 Unterschriften aus dem Holzland reagiert, als es darum ging, dass sich Bürgerinnen und Bürger aus Bürgerinitiativen an diesen Landtag wegen der Errichtung von Windrädern in ihrem kulturellen Raum gewendet haben?
9.000 Menschen – die Unterschriften haben Sie doch überhaupt nicht interessiert! Sie haben nicht mal mit den Menschen gesprochen, Sie haben das Verfahren mit Mehrheit abgebogen und abgebrochen. Das empört die Leute und das verstärkt die Diskrepanzen. Hören Sie den Leuten zu und machen Sie ein Angebot!
(Zwischenruf Abg. Müller, DIE LINKE: Das stimmt doch gar nicht! Es gab eine Anhö- rung! Sie lügen gerade!)
Oder ich erinnere an die Ignoranz, mit der Sie Sammelpetitionen beim Thüringer Erziehungsgeld sozusagen weggewischt haben.
Auch dort haben sich Tausende Frauen gemeldet und eine Sammelpetition auf den Weg gebracht. Auch da haben Sie das Verfahren mit Ihrer Mehrheit abgekürzt und die Frauen nicht gehört, die Debatte nicht neu bewertet, neu justiert.
Das meine ich. Wenn es darum geht, muss man manchmal mehr im Handeln machen. Auch wenn er je nach Publikum schön redet, dann müssen Sie in Ihrem Handeln – Rot-Rot-Grün – beweisen, dass Sie das mit Ihrer Mehrheit ausfüllen, das, was er jeden Tag ankündigt und sagt, sonst bleibt eine große Lücke, sonst rennt er durch das Land, verspricht jedem alles, heute konservativ, morgen Arbeiterführer, morgen Sozialist, übermorgen bürgerlich. Das passt hier alles nicht zusammen, es sei denn, Sie füllen es mit Ihrem Handeln hier im Landtag aus. Aber Sie lassen ihn doch allein im Regen stehen. Er hält zwar schöne Reden, aber mit Substanz und Inhalt lassen Sie ihn hängen. Das ist die Wahrheit Ihrer Regierungspolitik.