Protocol of the Session on September 30, 2016

Danke schön. Als Nächste hat Abgeordnete Lehmann für die SPD-Fraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, Kinder- und Jugendpolitik ist ein zentrales Thema für die SPD und für die rotrot-grüne Koalition. Deswegen findet sich dieser Themenbereich auch sehr exponiert im Koalitionsvertrag wieder. Wir haben eine ganze Reihe von Maßnahmen dort verankert und festgeschrieben, die die Situation von Kindern und Jugendlichen verbessern sollen. Das knüpft an vielen Stellen an das an, was die SPD in der vergangenen Legislatur angefangen hat.

Ich würde gern auf einige Punkte eingehen. Wir wollen die Etablierung einer eigenständigen Ju

(Abg. Rothe-Beinlich)

gendpolitik. Wir wollen die Stärkung von Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen. Die örtliche Jugendförderung soll weiterentwickelt werden. Wir wollen die Verankerung der Schulsozialarbeit. Das sind die Bereiche, die den originären Teil der Jugendhilfe und der Jugendarbeit berühren.

Darüber hinaus wissen wir aber, dass auch andere Bereiche für Kinder und Jugendliche wichtig sind. Deswegen haben wir gesagt, dass wir auch im Bereich des Arbeitsmarkts mehr für Kinder und Jugendliche machen wollen. Wir wollen zum Beispiel die Maßnahmen zur Begleitung beim Übergang von Schule zum Beruf verbessern, das Azubiticket ist ein Bereich. Wir wollen eine gute Hochschulpolitik machen, eine Stärkung des ÖPNV und Maßnahmen zum Beispiel zur Verringerung von Armut. Auch davon profitieren Kinder und Jugendliche immer besonders.

Ganz grundsätzlich ist es so, dass, wenn wir uns die Debatten zur Kinder- und Jugendpolitik der vergangenen Jahre, der ersten 20 Jahre hier im Freistaat ansehen, dann ist es so, dass wir da häufig über rückläufige Zahlen der unter 27-Jährigen gesprochen haben. Das war immer auch verbunden mit einer Debatte um Kürzungen, und zwar sowohl hier im Land als auch in vielen Kommunen. Das hat auch dazu geführt, dass wir heute, wenn wir uns die Strukturen der Jugendhilfe ansehen, einen Aufbau von Strukturen verpasst haben und es nach wie vor eine deutliche Diskrepanz zu vielen westdeutschen Flächenländern gibt, die man an der Stelle jetzt mit uns vergleichen könnte. Jetzt ist es inzwischen aber so, dass die Zahlen der unter 27-Jährigen teilweise sogar leicht steigen, aber zumindest konstant sind, die Zahlen der 10- bis 18Jährigen in den vergangenen sechs Jahren wieder deutlich steigen. Das ist das eine und das andere, wie gesagt, dass wir sowieso noch Nachholbedarf haben, was den Ausbau von Strukturen der Kinderund Jugendhilfe angeht. Das alles sind für uns Argumente gewesen zu sagen: Wir brauchen hier wieder mehr Investitionen und mehr politische Aktivität.

Nun lässt der Titel dieser Großen Anfrage vermuten, dass es um ganz viele Fragestellungen ging, die Kinder und Jugendliche betreffen. De facto ist es so, dass ein Großteil der Fragen, um die es in der Großen Anfrage geht, Kita und Schule betreffen. Das ist auch grundsätzlich richtig. Wenn wir Jugendpolitik als Querschnittsthema begreifen, dann darf es eben nicht nur um Jugendhilfe und Jugendarbeit gehen. Es ist aber so, dass, wenn wir über Kinder und Jugendliche sprechen, wir viel häufiger über Fragen von Schulpolitik und Kita-Politik sprechen als über alle anderen Bereiche, die für junge Menschen in diesem Land auch wichtig sind. Das fand ich etwas schade, als ich diese Große Anfrage gelesen habe.

Deswegen würde ich mich trotz allem schwerpunktmäßig auf diese Fragen der Kinder- und Jugendpolitik konzentrieren wollen. Wichtig ist für mich jetzt die Frage: Welcher Handlungsbedarf ergibt sich eigentlich, wenn ich mir die Beantwortung dieser Großen Anfrage ansehe, für die Kinder- und Jugendhilfe in Thüringen?

Wir beschäftigen uns nicht zum ersten Mal mit dieser Frage. Deswegen sind die Ergebnisse dieser Großen Anfrage zugegebenermaßen auch nicht wirklich überraschend. Wir haben auf viele der Fragen, die dort aufgeworfen werden, auch schon Antworten, weil man sagen muss, dass wir seit sieben Jahren zumindest eine konsequente Jugendpolitik hier in Thüringen machen. Das war auch in der vergangenen Legislatur nicht immer ganz spannungsfrei. Das ist kein ganz leichtes Erbe, das man da von der CDU-Regierung übernommen hat, gerade mit den starken Kürzungen in der Kinder- und Jugendhilfe Anfang der 2000er-Jahre. In der vergangenen Legislatur gab es nämlich massive Kürzungen in verschiedenen Bereichen, es gab keine Verbesserung der Beteiligungen, es gab kein Bemühen darum, Mitbestimmung stärker zu ermöglichen. Deswegen wäre es eigentlich, wenn man sich den Vergleichszeitraum ansieht, viel spannender, zu schauen, wie es eigentlich im Jahr 2000 oder 2005 war, und nicht im Jahr 2009 anzufangen – dann würde man nämlich sehen, dass wir hier tatsächlich schon von Verbesserungen sprechen –, sondern tatsächlich noch mal den umfassenderen Blick zu haben.

Ich würde trotzdem exemplarisch mal auf einige Bereiche eingehen, in denen wir schon was machen bzw. in dieser Legislatur noch Sachen angegangen werden. Der Rahmen, der sich für uns feststellt, ist, erst mal zu sagen, wir wollen eine eigenständige Jugendpolitik etablieren. Wir wollen Jugendpolitik als Querschnittsaufgabe begreifen und sagen, wir müssen in allen Bereichen, in denen wir arbeiten, auch darüber nachdenken, ob hier Belange und Interessen von Kindern und Jugendlichen berührt sind. Wir haben einen Auftakt zu diesem Thema gemacht – Anfang September mit einer großen Veranstaltung hier im Thüringer Landtag mit über 150 Teilnehmerinnen, mit Akteurinnen und Akteuren aus der Jugendhilfe, aber auch mit ganz vielen jungen Menschen, die sich ehrenamtlich in der Jugendarbeit engagieren. Das ist der Auftakt. Jetzt kann man darüber reden, ob – Herr Bühl spricht das immer ganz gern an – die Jugendverbände das Landesprogramm Jugendpolitik erarbeiten sollen. Ich bin auch großer Fan von Jugendverbänden, ich bin in vielen Jugendverbänden Mitglied und auch ehrenamtlich dort noch aktiv, aber Kinder und Jugendliche sind auch an mehr Orten aktiv als nur im Jugendverband. Da müssen wir schon einen umfassenderen Blick haben. Ich habe da Vertrauen,

dass das Ministerium auch die Instanz ist, die da den Rahmen stellen kann.

Ein wichtiger Punkt in der eigenständigen Jugendpolitik ist die Frage: Wie stärken wir eigentlich Mitbestimmung und Partizipation? Weil es eben auch darum geht, dass wir nicht nur über Kinder und Jugendliche sprechen, sondern mit Kindern und Jugendlichen. Sie sind Experten der Situation, in der sie sich selbst befinden. Wir müssen sie ernst nehmen und auf Augenhöhe mit ihnen diskutieren. Die Vereinbarungen, die wir treffen, müssen auch verbindlich sein.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Es gibt eine ganze Reihe von Maßnahmen auf kommunaler Ebene und auch auf Landesebene. Wir diskutieren hier immer viel über Jugendparlamente, die Jugendforen der LAPs, die jetzt etabliert werden, wir haben im Rahmen des Landesjugendförderplans Kinder und Jugendliche zum allerersten Mal an so einem Fortschreibungsprozess beteiligt. Aber das passiert bislang zu wenig systematisch und an vielen Stellen eher zufällig. Genau das darf nicht sein, sondern es ist wichtig, dass möglichst alle Kinder und Jugendlichen die Möglichkeit haben zu erfahren, dass sie Einfluss haben auf ihre Umwelt und dass sie ihre Lebenssituation selbst gestalten können.

Es gibt da aber nicht den einen richtigen Weg, sondern ganz viele, und der hängt auch davon ab, welche Voraussetzungen vor Ort vorliegen, denn in der Regel ist nämlich die Kommune der Ort, an dem sich Kinder und Jugendliche beteiligen können. Er ist aber auch abhängig von den Voraussetzungen, die das Kind hat. Deswegen haben wir gesagt, wir wollen eine Landesstrategie Mitbestimmung erarbeiten. Diese soll bündeln, welche Maßnahmen es gibt, welche Maßnahmen unter welchen Voraussetzungen gut funktionieren, sodass die Kinder und Jugendlichen auch selbst entscheiden können, wie und bei welchen Themen sie eigentlich beteiligt werden wollen, und da ein entsprechender Rahmen vor Ort verankert wird.

Ein anderer wichtiger Punkt ist für uns die örtliche Jugendförderung, also die sogenannte Jugendpauschale. Hier wollen wir zum einen eine rechtliche Verankerung, um den Kommunen Rechtssicherheit zu geben, dass das Geld tatsächlich kommt und sie wissen, dass die Instrumente und die Angebote, die sie für Kinder und Jugendliche machen, auch in den nächsten Jahren vorgehalten werden können. Wir wollen aber auch eine Weiterentwicklung mit dem Ziel, dass die Angebote in Zukunft verstärkt der Personengruppe der 10- bis 18-Jährigen zum Beispiel zur Verfügung gestellt werden, weil das die Gruppe ist, die am wenigsten bislang von anderen Angeboten profitiert.

Darüber hinaus müssen wir auch über die Frage der Entlohnung sprechen. Wenn wir nämlich wollen, dass hier das Fachkräftegebot eingehalten wird, und das ist in der Kinder- und Jugendhilfe rechtlich verbrieft, müssen wir die Beschäftigten dort auch entsprechend bezahlen. Auch das muss sich in der örtlichen Jugendförderung niederschlagen. Weil das wichtig ist, haben wir gesagt, wir brauchen vor allem eine bessere Ausstattung. Wir haben mit diesem Haushaltsjahr die erste Erhöhung auf 12 Millionen vorgenommen, aber es ist auch ein Ziel zu sagen, mit dem nächsten Doppelhaushalt wollen wir diese Anhebung auf 15 Millionen und mit diesen 15 Millionen auch eine entsprechende rechtliche Verankerung.

Wir haben den Jugendförderplan fortgeschrieben, Herr Bühl hat es schon gesagt. Auch dort haben wir Verbesserungen für die Jugendverbände erzielt, weil wir gesagt haben, wir wollen eine bessere Ausstattung, die insbesondere kleine Jugendverbände stärkt, weil das die Voraussetzung dafür ist, dass wir eine Vielfalt von Angeboten vorhalten können. Natürlich ist es unsere Aufgabe, zum einen diesen Mehrbedarf, der sich aus dieser Fortschreibung ergibt, im nächsten Doppelhaushalt festzuschreiben. Ja, das ist wichtig. Die Ausfinanzierung des Jugendförderplans ist, glaube ich, unstrittig. Aber es wird auch eine Aufgabe sein, im nächsten Haushaltsjahr schon den Mehrbedarf, der dort dargestellt ist, abzubilden.

Ein anderer wichtiger Punkt, und das ist jetzt einer, wo man gar nicht mehr optimal bei der Kinder- und Jugendhilfe ist – Herr Präsident, ich unterbreche ungern, aber es ist relativ unruhig heute.

Ich glaube, es werden alle wieder ruhiger und Sie können fortfahren.

Ein anderer wichtiger Punkt ist die Situation am Arbeitsmarkt. Jetzt ist es erfreulich, dass, wenn wir uns die Arbeitsmarktsituation in Thüringen ansehen, die Jugendarbeitslosigkeit unter dem Thüringer Durchschnitt liegt, nämlich unter 6,4 Prozent. Aber es ist nach wie vor problematisch, dass wir einen relativ hohen Sockel von jungen Menschen haben, die nicht vermittelt werden können, die mehrfache Vermittlungshemmnisse haben, die zum Teil eine intensivere Betreuung brauchen. Das zeigt sich exemplarisch zum Beispiel am Anteil derer, die keinen Schulabschluss haben und arbeitslos sind. Der ist zwischen den Jahren 2009 und 2014 relativ stark angestiegen. Das hat auch mit dem Sinken der absoluten Zahlen zu tun. Aber es macht natürlich unseren Handlungsbedarf deutlich, weil wir sagen, die wirtschaftliche Stärke, die wir inzwischen in Thüringen erreicht haben, muss sich auch nieder

schlagen, davon müssen auch junge Menschen in diesem Land profitieren. Deswegen haben wir gesagt, wir wollen einen Ausbau von Jugendberufsagenturen, die zum Beispiel ermöglichen, dass junge Menschen vor Ort Angebote aus einer Hand bekommen, die ihnen den Übergang von der Schule zur Ausbildung und zum Beruf ermöglichen.

Jetzt wissen wir, wenn wir uns die Wanderungsbewegung ansehen – auch das wird in der Großen Anfrage abgefragt –, es gibt eine relativ starke Wanderungsbewegung auch von jungen Menschen. Es ist so, dass das bei 18-Jährigen in der Regel von den Wanderungsbewegungen der Eltern abhängt. Darauf haben wir nicht unmittelbar Einfluss. Wir haben aber auch Abwanderung von jungen Menschen, die mit der Schule fertig sind und zum Beispiel für die Ausbildung oder nach der Ausbildung für den Beruf Thüringen verlassen. Das hat unter anderem mit der Arbeits- und Entlohnungssituation in Thüringen zu tun. Da ist es nicht so, dass wir den Stand in Westdeutschland schon deutlich erreicht haben. Wir haben Verbesserungen in der Entlohnung in den vergangenen sieben Jahren erzielt, aber auch da ist die SPD das federführende Ressort gewesen. Wenn wir uns den aktuellen IABBericht ansehen, sehen wir, dass es nach wie vor Lohnunterschiede zwischen Thüringen und Westdeutschland von ungefähr 700 Euro gibt. Wir wissen auch, dass diese Unterschiede für die jungen Menschen noch stärker sind, also Berufseinsteigerinnen werden in der Regel schlechter bezahlt als Menschen, die schon länger in einem Beruf arbeiten. Das heißt, auch hier gibt es einen größeren Handlungsbedarf. Da haben wir nicht ganz allein Einfluss, weil das auch Aufgabe der Tarifparteien ist, genau das zu erkämpfen, aber es ist natürlich auch eine Frage, inwieweit wir das unterstützen wollen.

Ein anderer wichtiger Punkt ist die Frage von Kinder- und Jugendarmut. Ein Fünftel aller jungen Menschen in Thüringen wächst in Armut auf. Die Zahl der bis 25-Jährigen in Bedarfsgemeinschaften im SGB II ist zwar rückläufig, aber sie ist nach wie vor zu hoch. Auch hier haben wir aber eine ganze Reihe von Maßnahmen, die schon viele Jahre erfolgreich laufen, zum Beispiel TIZIAN, ThINKA, deren Ziel es ist, genau diese Nachteile, die sich durch die Armut ergeben, auszugleichen und eine bessere soziale Integration zu ermöglichen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ansonsten gilt auch hier: Kinderarmut ist immer auch Elternarmut. Also auch hier ist die Frage: Wie schaffen wir es eigentlich, eine bessere Entlohnung, eine stärkere Tarifbindung, mehr betriebliche Mitbestimmung und gewerkschaftliche Organisation zu ermöglichen? Wie schaffe ich eine stärkere Regulierung prekärer Beschäftigungsverhältnisse?

Das sind aber, wenn wir ehrlich sind, nicht alles Fragen, die wir hier in diesem Haus beantworten können. Da ist teilweise schlicht und ergreifend der Bund in Verantwortung und muss da agieren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt ist es gut, dass wir viele dieser Fragen hier heute noch einmal im Plenum beraten konnten. Es ist die Gelegenheit gewesen, noch mal zu zeigen, dass zum einen die SPD in der vergangenen Legislatur und auch Rot-Rot-Grün in dieser Legislatur in dem Bereich viel macht. Deswegen sehe ich aus meiner Perspektive auch keinen weiteren Bedarf, diese Anfrage im Ausschuss zu beraten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. Als Nächste hat Frau Abgeordnete Muhsal für die AfD-Fraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Abgeordnete, in ihrer Großen Anfrage fragt die CDU vor allem statistische Daten ab. Ein Teil der Großen Anfrage widmet sich der sogenannten frühkindlichen Bildung. Deswegen möchte ich dazu gern etwas sagen. Der Ausdruck „frühkindliche Bildung“ ist ein Kampfbegriff all derjenigen, die Familie als gesellschaftsgründende Institution schwächen oder gar zerstören wollen. Der Begriff „frühkindliche Bildung“ ist ein Kampfbegriff all derjenigen, die möglichst tief in die Familien hineinregieren wollen, um ihre familien- und menschenfeindlichen Ideologien durchsetzen zu können.

(Zwischenruf Abg. Jung, DIE LINKE: Das ist ja wohl nicht wahr!)

Und der Begriff „frühkindliche Bildung“ ist ein Kampfbegriff für all diejenigen, die Mütter und Väter nicht primär als Menschen in ihrer Vielfalt, sondern als winziges Rädchen im Getriebe einer Arbeitsmaschinerie sehen – einer Maschinerie, die sich längst von den Bedürfnissen der Menschen gelöst hat.

(Beifall AfD)

Von diesem Begriff der frühkindlichen Bildung ganz scharf zu trennen sind die Eltern, die sich dazu entscheiden, ihre Kinder in einer Kinderkrippe betreuen zu lassen. Eltern entscheiden in der Regel das, was sie für das Beste für ihr Kind halten, und das ist nicht nur ihr Recht, sondern jedem Elternteil ein natürliches Bedürfnis. Genau deswegen aber sollte ein Staat ein System entwickeln, das es Eltern gleichermaßen möglich macht, ihre Kinder in einer Krippe betreuen zu lassen, ihre Kinder von einer

(Abg. Lehmann)

Tagesmutter betreuen zu lassen, von einem Aupair, von Großeltern, anderen Bezugspersonen oder einfach von den Eltern selbst. Ein solches System haben wir aber leider nicht. Stattdessen befinden sich die Eltern in einem Strudel widerstreitender Interessen. Grundlegend ist das Interesse von Eltern, ihren eigenen Lebensunterhalt und den ihrer Familie für den Moment zu bestreiten. Das ist in Zeiten eines familienunfreundlichen Steuersystems und eines familienunfreundlichen Rentensystems wahrlich kein Zuckerschlecken. Im Gegenteil führt die gravierende Benachteiligung von Eltern im Steuer- und Rentensystem häufig dazu, dass Eltern sich viel früher für eine Fremdbetreuung entscheiden, als sie es tun würden, wenn sie ihren Lebensunterhalt von einem Gehalt bestreiten könnten.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So ein Quatsch!)

Zu dem Interesse der Eltern, ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten zu können, kommt auch das Interesse, sich für die Zukunft abzusichern, hinzu, nicht zuletzt, weil man ja nun auch Kinder hat, für die man Verantwortung trägt.

Weiterhin können Eltern das Interesse haben, früh weiterzuarbeiten, weil sie ihrer Arbeit einfach gern nachgehen oder weil sie sich keine Karrierechancen verbauen wollen. Eltern haben ein Interesse zu arbeiten, weil sie zu Recht stolz sind, sich den eigenen Lebensunterhalt verdienen zu können, oder auch weil sie Angst vor dem geringen gesellschaftlichen Status haben, den man in unserer Gesellschaft unweigerlich bekommt, wenn man um der Betreuung der Kinder willen zu Hause bleibt.

Liebe Kollegen, ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit für die Rednerin und etwas weniger Unruhe.

(Zwischenruf Abg. Kubitzki, DIE LINKE: Da kann man nicht aufpassen!)

Im Widerspruch zu diesen Interessen stehen andere Interessen, die Eltern in Bezug auf ihr Kind haben: das Interesse der Eltern, für ihr Kind da zu sein, eine enge Bindung aufzubauen, oder das Interesse, das Leben und Aufwachsen des Kindes möglichst selbst mitzuerleben.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wie können Sie Eltern un- terstellen, dass sie kein Interesse an ihren Kindern haben, nur weil sie diese in eine Kita geben?)

Im Strudel der widersprüchlichen Interessen befinden sich natürlich auch die elementaren und unabweislichen Bedürfnisse des Kindes, denn ein klei

nes Kind merkt nicht und versteht nicht, dass Mama und Papa auch noch andere Verpflichtungen haben. Für ein kleines Kind sind Mutter und Vater als primäre Bezugspersonen elementare Bestandteile seines Lebens.

(Beifall AfD)

Auch dieser Tatsache versuchen Eltern gerecht zu werden. Gerade an dieser Stelle greift der Kampfbegriff der frühkindlichen Bildung ein. Dieser Kampfbegriff soll Eltern sagen: Du bist gar nicht so wichtig für dein Kind, wie du denkst. Der Begriff „frühkindliche Bildung“ suggeriert fälschlicherweise, dass Kinder im jungen Alter scheinbar abstrakt lernen würden, als ob die Institution und der Bildungsbegriff an sich und nicht etwa die Bindung an eine Person Kinder lernen ließe. Der Kampfbegriff der frühkindlichen Bildung nimmt im besten Fall Eltern das schlechte Gewissen, wenn sie sich aus finanzieller Not für die Betreuung in der Krippe entscheiden mussten. Im schlimmsten Fall suggeriert er den Eltern, dass sie unzureichend sind oder ihrem Kind Chancen vorenthalten würden, wenn es nicht in eine Krippe geht.

Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass sich auch die CDU nicht nur in der hier vorliegenden Großen Anfrage, sondern auch in ihrer sonstigen Politik den Begriff der frühkindlichen Bildung zu eigen macht. Denn auch wenn die CDU sich nicht im gleichen Maße wie Linke und Grüne die Verstaatlichung der Kindheit zum Ziel setzt, so muss man doch konstatieren, dass sich in der CDU eine erschreckende Fantasielosigkeit breitgemacht hat, was die Fähigkeit angeht, die widerstreitenden Interessen von Eltern und Familien durch Politik in Einklang zu bringen. Statt eigene Politikansätze zu entwickeln, vertreten Sie den gleichen frühkindlichen Bildungsquark wie Linke und Grüne und bieten keine Alternative.