Ich finde, Frau Ministerin, das ist zu wenig. Und ich will das gern an zwei, drei Beispielen erläutern, bevor ich im Rahmen dieser Aussprache zur Bildungspolitik des Landes noch zu einem anderen Thema sprechen möchte. Sie sprachen davon, ganz zum Schluss, dass Sie das Versprechen des Koalitionsvertrags – dort haben Sie sich im Übrigen auf ein Kindergartenjahr festgelegt – dann endlich zum Ende der Wahlperiode umsetzen wollen, dass Kindergärten beitragsfrei sein sollen. Es bleibt offen, welches Jahr. Fachlich haben Sie sich festgelegt. Jetzt führen Sie die Diskussion neu. Ich will gern die Aussage von jetzt eben noch einmal mit der Diskussion von heute Morgen verknüpfen, weil beides Ihre Themen sind. Ich will noch einmal an eins erinnern: Sie haben in den letzten Wochen und Monaten immer wieder gesagt, wenn es Kritik um die Ausschreibung der Dokumentationsstelle gegeben hat: Warum? Sie verstehen die Kritik gar nicht, schließlich stand die Dokumentationsstelle doch im Koalitionsvertrag und daraufhin konnte sich doch jeder bewerben. Jetzt muss man mal ein Stück innehalten und muss überlegen: Wenn man diesen Worten tatsächlich Glauben schenken sollte und es reicht, dass man im Koalitionsvertrag ein Versprechen liest und deshalb einen Anspruch darauf hat, dann kann ich nur alle Eltern in Thüringen auffordern – weil im Koalitionsvertrag auch steht, Kindergarten ist gebührenfrei –, dann zahlt ab morgen keine Gebühren mehr, denn Rot-Rot-Grün hat es im Koalitionsvertrag versprochen.
Dass das natürlich nicht geht, ist klar. Es umschreibt nur die Schizophrenie dieser Aussage, die dahintersteht, und dass Sie selbst noch daran glauben, macht es noch viel schwieriger. Das zeigt das eigentlich. Das andere ist das noch viel Entscheidendere und ich hätte auch nicht gedacht, dass ich mich im Plenum dieses Landtags hier hinstelle und ausdrücklich den Kultusminister Christoph Matschie so verteidigen möchte. Aber in der Form, wenn Sie sagen,
dass der Kultusminister Matschie einen verwahrlosten Maschinenraum hinterlassen hat, den Sie in den letzten zwei Jahren erst aufräumen mussten, dann will ich ganz klar sagen: Das geht auch gegen
Schauen Sie, was Sie jeden Tag an Thüringer Schulen hinterlassen, bevor Sie sich anmaßen, auch nur ein Wort zu Ihren Vorgängern zu verlieren.
Wir haben in diesen letzten Wochen und Monaten ausführlich in diesem Land darüber diskutiert – nicht nur die Politiker, auch die Elternschaft, die Lehrer, die Schülervertreter –, allesamt haben darüber diskutiert und darüber gesprochen und gefragt, meine sehr verehrten Damen und Herren, was passiert in dieser Schule.
Nein, ich möchte jetzt keine Zwischenfragen beantworten, ich habe doch gerade erst angefangen zu sprechen. Da kann man doch gar keine Fragen haben.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass wir in den letzten Wochen und Monaten so intensiv über bildungspolitische Fragen sprechen mussten, hat auch ausgelöst, dass wir dieses Sonderplenum am ersten Schultag beantragt haben. Aber entscheidend ist doch – und das ist der Punkt, über den man sprechen muss –: All das, was gewesen ist, Horte – Sie haben es ja selbst angesprochen –, die Frage der zukünftigen Schullandschaft, das Ausbluten des ländlichen Raums, die Gebührenerhöhung bei den Spezialschulen, die
Unsicherheit an den Spezialgymnasien – was passiert da in der Zukunft –, die Frage um Beförderungen, um Lehrereinstellungen, um Unterrichtsausfall, um die Stimmung an den Schulen und die Stimmung in der Landesschülervertretung und all das, was da läuft: Beratungsresistenz, Gesprächsunbereitschaft – manche Leute warten seit zwei Jahren auf einen Termin bei Ihnen …
All das fasst sich zusammen und steigert sich jetzt noch mit den Nachrichten, die wir seit gestern Nachmittag hören und lesen konnten und die sich heute auch um die Berichterstattung, die „FOCUS Online“ begonnen hat, verstärkt haben, nämlich über die Frage, welche Kompetenz und welche Richtlinienchancen Sie eigentlich noch in Ihrem eigenen Haus haben, das zu bestimmen, was läuft, und wie stark Sie eigentlich noch an der Spitze des Hauses sind, das durchzusetzen, was Sie eigentlich für fachlich richtig halten.
Deswegen ergeben sich aus der Geschichte, die gestern Abend aufgetaucht ist, eine Menge Fragen an Sie, aber auch an Kollegen aus dem Kabinett, über die wir sprechen müssen. Deswegen gibt es Fragen an das Bildungsministerium, aber eben auch Fragen an das Justizministerium, aber eben auch Fragen an die Staatskanzlei.
(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Welche Fragen denn, Mike Mohring? Formulieren Sie die einmal!)
Meine Damen und Herren, ich glaube, ich will das vorwegschieben: Es ist nicht weiter begründungsbedürftig und hat auch unser vollstes Verständnis, dass Vater und Mutter sich für das Wohl ihrer Kinder auch im Rahmen der Schullaufbahn einsetzen.
(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist wohl auch ganz normal! So sollte es sein!)
Das ist das Wichtigste, was es gibt, und dieses Verständnis wohnt unserem Handeln inne. Aber das Entscheidende ist, dass es bei den Fragen, um die es geht, nicht um den Vater geht, sondern um den Justizminister. Und deswegen muss man das genau trennen und genau darüber auch sprechen und fragen, um was es hier geht,
(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Und der darf sich nicht für das Recht seines Kind einsetzen? Es geht um das Kind!)
Deswegen müssen wir fragen, wenn Rechtsvorschriften unterlaufen werden, obwohl das zuständige Bildungsministerium die für zwingend umset
zungspflichtig hält, und dann aber klar ist – und darauf will ich zu sprechen kommen –, dass wir in Thüringen in besonderer Weise wissen, warum wir im Schulgesetz in § 7 Abs. 6 die Versetzung nach Klasse 11 so geregelt haben, dass in Thüringen zwingend eine besondere Leistungsfeststellung notwendig ist. Ich muss die Vorgeschichte nicht ausführen, aber wir haben doch hier intensiv fachlich diskutiert und uns im Ergebnis einer wichtigen emotionalen und auch innenpolitisch und sicherheitspolitisch bedeutenden Fragestellung mit großen Mehrheiten darauf verständigt, diese besondere Leistungsfeststellung zwingend einzuführen, weil sie für die Schullaufbahn der Kinder wichtig ist, weil sie Sicherheit gibt, weil sie Garantie gibt, egal wie später die Schullaufbahn am Gymnasium ausgeht, damit der Abschluss eben auch Bildungschancen nach der Schullaufbahn ermöglicht. Das ist Thüringer Bildungspolitik.
Und das Gesetz, das wir in großer Mehrheit verabschiedet haben, sieht an zwei Stellen von dieser zwingenden Vorschrift Ausnahmen vor. Eine Ausnahme befindet sich im Gesetz selbst, nämlich die, dass, wenn ein Schüler schon einen Regelschulabschluss hat, auf die besondere Leistungsfeststellung verzichtet werden kann – logisch, er hat den Abschluss, der notwendig ist und der mit dem Regelschulabschluss auch dokumentiert ist. Die zweite Ausnahme findet sich in der zugehörigen Durchführungsbestimmung zur Thüringer Oberstufe am Gymnasium, an der Gemeinschaftsschule, Gesamtschule, am beruflichen Gymnasium und Kolleg. Entscheidend ist – das ist genau die bildungspolitische Frage, um die es hier geht –, dass man fragen muss,
wenn an diesem Morgen heute bei dieser wichtigen Frage, wie das Kultusministerium mit der Auslegung der eigenen Rechtsvorschriften umgeht, der zuständige Justizminister der Öffentlichkeit, der Presse einen Brief übergibt, wo er genau aus diesen Vorschriften des Schulgesetzes, der Schulordnung und der Durchführungsbestimmung zitiert, das sehr ausführlich tut und an einer entscheidenden Stelle mit eckiger Klammer und drei Punkten die entscheidende Vorschrift, nämlich die in der Durchführungsbestimmung, die regelt, wie man mit der Ausnahme umgeht, weglässt. Und ich muss sagen: Wer als Justizminister bewusst das Zitieren einer entscheidenden Vorschrift weglässt und damit die Öffentlichkeit hinter die Fichte führt, um einen anderen Eindruck zu erwecken,
dann muss man wirklich fragen, ob das noch angemessen und würdig für das Amt ist, das dieser Minister für diese Regierung zu vertreten hat.
Meine Damen und Herren, was steht in dieser schulpolitischen Durchführungsbestimmung, in dieser Vorschrift, die seit vielen Jahren gilt? Was hat der Minister weggelassen? Ich will das zitieren. Er hat unter anderem einen entscheidenden Satz weggelassen – ich will nur einen von vielen weggelassenen Sätzen zitieren: „Bei einem ganzjährigen Auslandsaufenthalt von Schülern eines Gymnasiums in der Klassenstufe 10 und der Entscheidung der Klassenkonferenz, dass dem Schüler das Vorrücken in die Klassenstufe 11 genehmigt werden kann, wird dem Schüler nicht eine dem Realschulabschluss gleichwertige Schulbildung bescheinigt.“ Das ist das Entscheidende: In der Konkretisierung zum Schulgesetz, in der Konkretisierung zur Schulordnung, in der Konkretisierung zu den einleitenden Worten in der Durchführungsbestimmung findet sich im konkreten Fall beim Auslandsaufenthalt in Klasse 10 als zwingende Voraussetzung der ohne weitere Ausnahmeregelung festgeschriebene Normensatz des ganzjährigen Auslandsaufenthalts.
(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Und was ist mit den zwei, drei Sätzen davor?)
Herr Minister, Sie zitieren unvollständig. Wer unvollständig zitiert, hat was zu verbergen und deswegen muss darüber gesprochen werden.
Meine Damen und Herren, deswegen muss man auch ganz klar sagen, entscheidend ist doch Folgendes: Wir alle, die wir hier gewählt sind und die Verantwortung übertragen bekommen, wir tragen Verantwortung für die öffentlichen Ämter und Mandate, die wir bekleiden. So schön wie es ist und so oft, wie man einen Buchtitel dazu auch zitieren kann, eines geht nicht: Wer bin ich und wenn ja, wie viele? Wer ein öffentliches Amt bekleidet, haftet auch für die Aufgabe in dem öffentlichen Amt und muss sich auch zurechnen lassen, was er in dem öffentlichen Amt tut. Entscheidend ist es noch viel mehr, wenn das Kultusministerium anschließend, weil der Kollege sich sozusagen reinhängt, Entscheidungen, die die Fachleute im Haus anders getroffen haben, neu bewertet, nur weil ein Kollege aus dem Kabinett heraus eine andere Rechtsauffassung vertritt.
Herr Kollege Mohring, es gibt den weiteren Wunsch nach einer Zwischenfrage von der Frau Abgeordneten Rothe-Beinlich.
Deshalb, meine Damen und Herren, frage ich mich und wir fragen Sie: Welcher Papa Schulze, welcher Papa Müller, welcher Papa Meier wäre auf die Idee gekommen und hätte die Möglichkeit gehabt, auf dem kleinen Dienstweg die Dinge zu regeln, die ihm privat wichtig sind, die ihm nur möglich waren, weil er jetzt im Amt ist und dadurch die besonderen Möglichkeiten hat?
(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jedes Elternteil hätte sich ans Ministerium gewandt! Jedes!)