Protocol of the Session on March 17, 2016

(Beifall AfD)

Übrigens erwarten wir mit Spannung die von der Landesregierung in diesem entsprechenden Strategiepapier auch angekündigte Strategie, um die Fördermittel bzw. den Rückgang der Fördermittel zu kompensieren und möglichst viel aus der EU für Thüringen zurückzuholen.

Wir teilen auch andere Forderungen, beispielsweise die nach einer gewichtigeren Einflussmöglichkeit der nationalen Parlamente, oder etwa diejenigen, dass Dokumente in den Amtssprachen – also auch in Deutsch – vorgelegt werden müssen. Ganz richtig moniert hier die Landesregierung – ich bin Ihnen dankbar dafür, Herr Prof. Hoff – die EU-Praxis, dass Konsultations- und andere Dokumente wie EU-Dossiers und Arbeitspapiere der EU häufig nur auf Englisch vorgelegt werden. Mehr Volkssouveränität und weniger Diskriminierung des Deutschen, das finden wir gut und dafür danken wir für Ihren Einsatz, liebe Landesregierung.

(Beifall AfD)

Es sind so manche Überlegungen in Ihrem Papier zu finden, die durchaus vertretbar sind, die begrü

ßenswert sind und die wir auch unterstützen. Andere Inhalte weisen allerdings eher in eine bedenkliche Richtung, nämlich besonders dort, wo ideologische Steckenpferde der rot-rot-grünen Landesregierung in den Rahmen der EU-Wachstumsstrategie 2020 gestellt und als Umsetzung von EU-Zielen ausgegeben werden. Das stimmt in EU-politischer Perspektive nicht zuletzt deshalb bedenklich, weil sich hier auch zeigt, dass die vielen EU-Vorhaben, -Zielsetzungen, -Programme, -Perspektiven etc. eine starke Affinität zu ideologischen Pilotprojekten und Politikprojekten haben.

Ich möchte auf vier Punkte etwas eingehender zu sprechen kommen.

Da ist einerseits die EU-Sozialpolitik, die EU-Flüchtlings- und Migrationspolitik, die EU-Erweiterungspolitik und die EU-Umwelt-, -Energie- und -Klimapolitik. Im Kontext der EU-Sozialpolitik ist in Ihrem Papier sehr oft die Rede von EU-weiten gemeinsamen sozialen Standards. Die gibt es ja mit den Arbeitnehmerrechten und der EU-Rechtsprechung schon. Sodann ist aber fraglich, ob man solche Standards für den gesamten EU-Binnenmarkt überhaupt braucht. Denn dieser Raum umfasst unterschiedlich starke und nationale Wirtschaftsräume, denen nicht nur verschiedene Wirtschaftstraditionen und Wirtschaftsmentalitäten zugrunde liegen, sondern die auch einen unterschiedlichen Entwicklungsstand in ihrer Sozialpolitik aufweisen. Und innerhalb ihrer nationalen sozialpolitischen Tradition „Europa ist Vielfalt“ akzentuieren die Mitgliedstaaten die Schwerpunkte und Prinzipien ihrer Sozialpolitik verständlicherweise und traditionsbedingt ganz unterschiedlich. Es ist einfach nicht einzusehen, warum das jetzt alles über einen Kamm geschoren werden soll, sehr verehrte Kollegen Abgeordnete.

(Beifall AfD)

Welche fatalen Auswirkungen die EU-Gleichschaltungspolitik hat, zeigt der Blick auf das gescheiterte Euro-Währungsexperiment, das heute auch schon mal thematisiert worden ist, allerdings in einer Art und Weise, die der Realität nicht entspricht. Diese Währung, der Euro, liegt nach wie vor im Wachkoma, eben weil man unterschiedliche nationale Wirtschaftsräume mit unterschiedlichen Wirtschaftsmentalitäten und Wirtschaftsgepflogenheiten zwangsvereinigt hat. Deswegen sagen wir als AfDFraktion: Lassen Sie diese Währung endlich in Frieden sterben.

(Beifall AfD)

Sozialpolitik ist ungeachtet der Angleichungsprozesse infolge der ökonomischen Integration ein außerordentlich stark durch nationale Entwicklungspfade geprägtes Politikfeld. Eine Vereinheitlichung der Standards würde hier eine Menge nicht intendierter Folgen hervorrufen, von denen kaum zu erwarten ist, dass sie die Zustimmung der Menschen

in den einzelnen Ländern erfahren werden. Im Übrigen bin ich mir auch nicht sicher, wenn ich mir mal die logische Konsistenz Ihres Strategiepapiers jetzt vor Augen führe, ich bin mir nicht sicher, ob die Forderung nach einheitlichen Sozialstandards nicht im Widerspruch zu der ebenfalls erhobenen Forderung steht, dass das Subsidiaritätsprinzip in der Sozialpolitik einzuhalten sei.

Zusammengefasst: Die absehbaren Folgen einer Stärkung der sozialpolitischen Dimensionen der EU sind unweigerlich weitere Kompetenzübertragungen an Brüssel, eine Zunahme des EU-Zentralismus sowie weitere politische und gesellschaftliche Uniformisierungstendenzen der europäischen Staaten über die Köpfe der Bürger hinweg. Das lehnen wir als AfD-Fraktion im Thüringer Landtag entschieden ab. Wir brauchen und wir wollen keinen Bevorzugungszentralismus und schon gar keinen EU-Sozialismus.

(Beifall AfD)

Natürlich hat Rot-Rot-Grün auch eine eigene Vorstellung zur EU-Migrations- und Flüchtlingspolitik – oder sollte ich besser sagen: eine eigenartige Vorstellung zur EU- und Flüchtlingspolitik? Und es überrascht uns kaum, zu lesen, dass die Lösung der Flüchtlingskrise „eine gesamteuropäische Aufgabe“ sei, die – weiter – „eines gemeinschaftlichen Ansatzes aller Mitgliedstaaten“ bedürfe. Nun, dieses Mantra kennen wir ja schon länger. Mit dieser Phrase soll gerechtfertigt werden, dass sich Deutschland und Thüringen auf nationaler Ebene einer effektiven Politik zur Bewältigung der Flüchtlingspolitik nach wie vor verweigern.

(Beifall AfD)

Dass es sich hierbei nur um eine Phrase handelt, ist ganz offenkundig, so offenkundig, dass man eigentlich kaum darauf eingehen muss, denn von einem gemeinschaftlichen Ansatz der EU-Staaten in der Flüchtlingspolitik, von dem auch Herr Prof. Hoff sprach, ist weit und breit nichts zu sehen. Das sehen wir hinsichtlich der Schließung der Balkanroute ebenso wie mit Blick auf den richtigen Umgang mit der Türkei in dieser Frage. Was immer eine gemeinsame EU-Flüchtlingspolitik sein kann: Sie wird mit Sicherheit anders aussehen als die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin Angela Merkel oder gar die absurde Thüringer Willkommenspolitik, die es ja leider auch in das Strategiepapier, in das EU-Strategiepapier der Thüringer Landesregierung geschafft hat.

Bemerkenswert ist hier übrigens, mit welchen Zahlen das Strategiepapier aufwartet: Da wird von 476.649 Asylanträgen gesprochen, die 2015 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge registriert worden seien, was im Vergleich zu 2014 einen noch vertretbaren Anstieg von 135 Prozent bedeute. De facto geht es aber um ganz andere Zahlen,

es geht nämlich um mindestens 1,1 Millionen registrierte Migranten, die 2015 allein nach Deutschland kamen. Und daraus folgt ein Anstieg um 500 Prozent und nicht um 135 Prozent. Das sind die Dimensionen! 500 Prozent Anstieg, das sind die Dimensionen, um die es geht. Es ist vollkommen unlauter, diese Zusammenhänge zu verschleiern.

(Beifall AfD)

Immerhin nehmen wir als AfD-Fraktion wohlwollend zur Kenntnis, dass sich die Landesregierung in dem Papier – so wörtlich – zu einem „effektiven Schutz der EU-Außengrenzen“ bekennt. Und wie das geht und wie das gehen kann, das zeigt gerade Österreich und das zeigen die Balkanstaaten. Wir als AfD-Fraktion bleiben dabei, dass auch Deutschland seine Außengrenzen gegen illegale Einreisen selbst sichern muss. Übrigens – und das wurde heute leider nicht deutlich genug von meinen Vorrednern herausgearbeitet – bedeutet solch eine Grenzsicherung eben keine Grenzschließung. Diese Grenzsicherung bedeutet kein Hindernis für den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen innerhalb der EU.

(Beifall AfD)

Interessant ist, was das Papier zur EU-Erweiterung sagt. Da wird einmal festgestellt, dass EU-Erweiterungen in naher Zukunft unrealistisch sind. Ja, das sehen wir auch so. Zugleich aber wird namentlich der Aufnahme der Türkei das Wort geredet, immerhin unter dem Hinweis, dass dort natürlich vor der Aufnahme Verbesserungen im Bereich der Menschenrechte, der Demokratisierung und der Pressefreiheit vorgewiesen werden müssten. Ja, sehr verehrte Landesregierung, da scheint die Türkei in der Gegenwart tatsächlich auf dem besten Weg zu sein, nicht wahr?

(Beifall AfD)

In diesem Zusammenhang spricht die Landesregierung auch davon, dass in den Beitrittsstaaten – in den Beitrittsstaaten! – die Bevölkerung das letzte Wort haben solle. Ja, das ist erst mal sehr großartig, so was zu hören. Aber wenn man sich das dann etwas konkreter durchliest, dann kann man doch ein sehr großes Defizit bei diesen Ausführungen feststellen. Und ich glaube – und das ist nicht nur meine Meinung, sondern auch die Meinung meiner Fraktion –, es geht sogar noch demokratischer, Herr Prof. Hoff. Deswegen spreche ich Sie auch mal ganz explizit als Vertreter der Landesregierung an. Es geht tatsächlich noch demokratischer! Warum fragen wir nicht einmal die Völker in der EU vor der nächsten Beitrittsrunde? Oder tun wir mal etwas ganz Verrücktes: Fragen wir den größten Nettozahler, fragen wir das deutsche Volk, bevor die nächsten Kandidaten aufgenommen werden!

(Beifall AfD)

Ich greife ein letztes Politikfeld heraus, die Umwelt-, Energie- und Klimapolitik. Nun ist auf diesem Sektor die EU bereits in Fahrt gekommen und das bedeutet leider nichts Gutes. Die Landesregierung sieht indes Möglichkeiten, ihre umwelt-, energieund klimapolitische Agenda auf der Ebene der EU zu verankern. Man will eine europäische Energiewende, die natürlich auf eine Energieversorgung ganz ohne fossile und atomare Energiegewinnung abzielt. Das klingt etwa so wie die gemeinsame Lösung in der Flüchtlingskrise, Herr Prof. Hoff, das muss ich Ihnen sagen. Und bange muss einem werden, weil hier die Möglichkeit aufscheint, dass über die EU eine Energiepolitik installiert wird, die am Ende in einen mehr oder minder monopolistischen Energiemarkt einmündet, für dessen Auswirkungen die Bürger in Deutschland schon in der Gegenwart sehr teuer bezahlen müssen. Ich glaube, die EU-Staaten werden sich davor hüten, den energiepolitischen Weg, den energiepolitischen Wendewahnsinn Deutschlands nachzuvollziehen, und sie tun gut daran. Was den europäischen Energiemarkt angeht, ist in dieser Perspektive darauf hinzuweisen – und das ist gerade für uns in Thüringen besonders wichtig –, falls sich wirklich Ihr Projekt auf EU-Ebene verankern lässt und diese Energiewende sich in der Gestalt auch europäisiert, dass die Leitungstrassen eines solchen Marktes vor allem durch das Transitland Deutschland gelegt würden. Was dies nicht zuletzt für unsere Landschaft, für unsere wunderbare, reichhaltige Kultur- und Naturlandschaft bedeutet, das kann sich, glaube ich, jeder ausmalen.

(Beifall AfD)

Treten wir nun einen Schritt zurück und schauen noch mal auf das Strategiepapier im Ganzen. Ja, die Ramelow-Regierung versucht hier die großen Weltthemen zu bedienen. Da verfasst man dann ein Papier, dass zwar keine Seitenzählung aufweist – interessant! –, aber das immerhin auf 57 Seiten mit Deckblatt kommt. Und auch wenn man in Rechnung stellt, dass es eine EU-politische Kompetenz Thüringens und institutionalisierte Kanäle nach Brüssel gibt, so wirkt das Ganze doch irgendwie unangemessen aufgeblasen.

Das EU-politische Handeln des Landtags ist hier über weite Strecken eine Placebo-Politik. In dieser Deutlichkeit hat das zwar noch kein Vorredner angesprochen, aber der eine oder andere Anklang war tatsächlich in den Vorreden auch schon zu vernehmen. Selbst das Strategiepapier der Landesregierung berichtet davon, dass das sogenannte Subsidiaritätsfrühwarnsystem im Grunde leerläuft. Der Landtag hat infolge enger Zeitvorgaben kaum die Möglichkeit, sich mit den teilweise komplexen Rechtsetzungsmaterien aus Brüssel zu befassen, und wenn wirklich einmal Einwände formuliert werden können, dann bleiben sie de facto wirkungslos.

(Beifall AfD)

Die im absolutistischen Duktus verfassten Schreiben aus Brüssel lassen auch sehr schön erkennen, welche Bedeutung man dort in Brüssel den Entschlüssen der deutschen Landtage oder den Entschlüssen und Beschlüssen des Deutschen Bundesrats beimisst.

Sehr verehrte Landesregierung, Sie können es noch so sehr versuchen in Phrasen zu kaschieren: Wir hier in Thüringen und wir in den anderen Landesparlamenten, wir bleiben Zaungäste Brüssels und das bedauern wir als AfD-Fraktion sehr.

(Beifall AfD)

Im Ganzen haben wir also ein endloses Wünschdir-was-Pamphlet vor uns, in dem sich die Landesregierung in staatsmännischer Manier über Dinge auslässt, die sie letztlich nicht beeinflussen kann. Ich glaube, dieses Papier geht an der Realität in Thüringen auch vorbei. Die Menschen in Thüringen wollen kein EU-politisches Getöse, sondern sie wollen von der Landesregierung eine Regierungsarbeit zum Wohle der Thüringer, und das ist die entscheidende Fragestellung und Aufgabe dieser Landesregierung.

(Beifall AfD)

So hätte es beispielsweise die anvisierte Gebietsund Kommunalreform verdient, dass sie besser vorbereitet würde. Und während im EU-Papier der Regierung am Ende seitenlang vom Dialog mit den Bürgern die Rede ist, hätten sich die Thüringer, die meisten Thüringer gewünscht, vernünftig in jenes Reformvorhaben eingebunden zu werden.

(Beifall AfD)

Man hat immer so den Anschein, wenn es um die eigene Arbeit geht, dann will man von der Meinung der Bürger nichts wissen, geschweige denn – und das war auch das Begehr der AfD-Fraktion im Hohen Hause – von einer Volksabstimmung. Das ist nicht redlich, Herr Prof. Hoff, und das merken die Menschen in Thüringen auch.

(Beifall AfD)

Ich ende mit einem Goethe-Zitat, wir sind hier in Thüringen, da darf man Goethe sicherlich einmal zitieren. In einem Gedicht, das mit Politik nichts zu tun hat – Gott sei Dank –, schrieb er: „Willst du dich am Ganzen erquicken, so musst du das Ganze im Kleinsten erblicken.“

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall AfD)

Das Wort hat Abgeordneter Kubitzki, Fraktion Die Linke.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zunächst auch von meiner Seite, Frau Walsmann, alles Gute zum Geburtstag und dass wir weiter gemeinsam hier in diesem Haus für den europäischen Gedanken kämpfen und streiten.

Frau Walsmann, Sie hatten es gesagt: Die europapolitische Strategie der jetzigen Landesregierung baut auf schon Vorhandenem auf. Es ist eine gute Tradition in diesem Haus, dass sich der Thüringer Landtag mit europapolitischen Strategien der jeweiligen Landesregierung befasst und diese berät. Ich erinnere auch an die letzte Legislatur, wo wir als Linke die damalige europapolitische Strategie der Landesregierung mitgetragen und mit umgesetzt haben.

Das Neue bei der jetzt eingebrachten europapolitischen Strategie ist – und das finde ich gut –, dass die Landesregierung bemüht ist, aus dieser europapolitischen Strategie einer Landesregierung eine europapolitische Strategie für den Freistaat Thüringen zu entwickeln.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Das ist ein neuer Schritt, den ich gut finde. Uns muss es dabei gelingen, wirklich die Menschen, die Thüringerinnen und Thüringer einzubeziehen. Tagtäglich erleben wir – Herr Hey hat es gesagt – auch in unseren Kommunen, wenn wir Entscheidungen in den Kreistagen, in den Gemeinderäten treffen, dann haben wir es oft mit europäischen Entscheidungen zu tun, die wir umsetzen müssen und verwirklichen müssen. Ich hoffe auch, dass wir das in einer sachlichen Diskussion in diesem Haus und in unserem Ausschuss und den anderen Ausschüssen fortsetzen.

Frau Walsmann, ich habe keine Angst, dass wir bei der Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips irgendwelche Rückschritte erleiden werden. Da bin ich überzeugt, das lassen wir als Haus nicht zu und das will auch die Landesregierung nicht. Ich bin auch überzeugt, dass wir weiter eine sachliche Diskussion im Landtag zur Europapolitik und in den Ausschüssen zur Europapolitik führen werden.