Protocol of the Session on July 4, 2019

Ein Wort zum Antrag der CDU: Dieser benennt wichtige Baustellen für die Aufarbeitung der SEDDiktatur. Das ist ganz im Sinne meiner Fraktion, die den Antrag daher unterstützt. Herzlichen Dank.

(Beifall AfD)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält Abgeordnete Astrid Rothe-Beinlich das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Hier läuft noch die Redezeit von Frau Herold.

Es handelt sich hier nicht um einen Antrag, sondern ein Berichtsersuchen zum Bericht der IMAG der

Landesregierung. Ich will noch einmal daran erinnern, in welcher Situation wir uns im Jahr 2014 befunden haben. Da gab es keinerlei solche Berichte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Wenn wir einmal in die anderen sogenannten jüngeren Bundesländer schauen, dann ist dies auch dort mitnichten üblich.

Ich glaube, es war gut und richtig, dass sich die rotrot-grüne Landesregierung auf den Weg gemacht hat und eine interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet hat. Aber ich bin auch ganz bei meiner Kollegin Katinka Mitteldorf, die einmal mehr darum gebeten hat, wenn ein solches Arbeiten fortgesetzt wird, was wir für immanent richtig und wichtig halten, dann auch die Fraktionen intensiv in diese Arbeitsprozesse mit einzubeziehen. Ich will auch noch mal daran erinnern: Als wir den ersten Bericht gelesen haben, waren wir – glaube ich – alle der Meinung: Da ist noch einiges ausbaufähig. Schon im zweiten Bericht haben sich ganz viele Themenschwerpunkte und Inhalte wiedergefunden, die uns umgetrieben haben. Einige sind hier schon genannt worden, nämlich die Problematik der Zwangsausgesiedelten – schon damals waren auch die Heimkinder Thema –, die Problematik der Verfolgung von Christinnen und Christen in der DDR, die Thematik des Staatsdopings in der DDR – auch ein Thema, das uns immer noch und immer wieder beschäftigen wird – und vieles mehr. Im dritten Bericht waren wir dann so weit, zu sagen: Jetzt sind wir an einem Stand angekommen, der sich wirklich sehen lassen kann. Ich habe viele Nachfragen von Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern gehabt, die gefragt haben: Können wir diesen Bericht einmal bekommen, das ist klasse, sowas hätten wir eigentlich in unseren Ländern auch gern. Ähnlich ist es jetzt auch mit dem vierten Bericht – daher tatsächlich ein ganz großes Dankeschön an alle Ministerien, die sich hier beteiligt haben, an unsere Landesregierung

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und dafür, dass es etwas gibt, was es in den 25 Jahren vor Rot-Rot-Grün in Thüringen nicht gegeben hat. Das muss man ganz klar sagen. Wir haben uns unserer Verantwortung an der Stelle gestellt, auch und gerade vonseiten der Landesregierung. Das finde ich sehr gut und das finde ich richtig und wichtig.

Wir befinden uns in einer ganz spannenden Zeit, nicht nur, weil wir im Jahr 30 nach der Friedlichen Revolution sind. Das hat meine Kollegin Birgit Pelke hier ausgeführt und noch einmal daran erinnert, wer diejenigen waren, die auf die Straße gegangen sind, wer die mutigen Menschen waren, die für

(Abg. Herold)

Freiheit, für Pressefreiheit, für Bewegungsfreiheit, für Freiheit für Bürgerrechte auf die Straße gegangen sind. Umso schwerer liegt es mir heute manchmal im Magen, wenn Rechtspopulisten den damaligen Spruch „Wir sind das Volk!“ für ihre perfide Ideologie missbrauchen. Das hat niemand von denen verdient, der oder die 1989 auf die Straße gegangen sind,

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

das will ich ganz deutlich sagen. Wichtig ist diese Zeit jetzt aber auch. – Ich weiß nicht, warum Sie so heftig reagieren. Wenn Sie sich in der CDU angesprochen fühlen, wenn ich über Rechtspopulistinnen rede, ist das wahrscheinlich Ihr Problem.

Aber ich wollte jetzt eigentlich auf ein anderes Thema kommen.

(Unruhe CDU)

Entschuldigung, Herr Grob hat so reagiert, ich habe auf Herrn Grob reagiert. So bin ich, ich interagiere mit Menschen, auch in diesem Plenarsaal.

Worauf ich eingehen wollte, das ist ein Thema, das uns, glaube ich, alle umtreibt, nämlich die Frage der Akten der Staatssicherheit. In Erfurt, in Suhl haben wir erlebt, wie mutige Menschen die ehemaligen Stasi-Zentralen besetzt haben. Eine der Hauptforderungen lautete: Die Akten bleiben hier, die Akten müssen bewahrt werden. Das gibt es übrigens zu nahezu keiner Diktatur: dass wir inzwischen eine Aufarbeitungskultur haben, Akteneinsicht in der Form, wie wir sie haben, dass Anträge nach wie vor gestellt werden und dass diese Akten bewahrt werden. Das ist wichtig, auch für die Zukunft. Aufarbeitung darf und kann niemals ein Verfallsdatum haben, sondern wir müssen dafür sorgen, diese Akten dauerhaft sicher zu lagern.

Ich mache jetzt keinen Hehl daraus, dass wir Grüne uns vielleicht einen anderen Standort gewünscht hätten – weil mit den Vorgaben des Bundesarchivgesetzes, die sicherstellen, dass die Akten dauerhaft bewahrt werden können, weil sie dafür auch bestimmte Bedingungen haben, dass wir uns vielleicht einen anderen Standort gewünscht hätten. Wir haben geglaubt, dass Suhl vielleicht auch ein geeigneter Ort wäre. Aber wenn es jetzt auf Erfurt hinausläuft und trotzdem sichergestellt bleibt, worauf wir immer beharrt haben, in Erfurt, in Gera, in Suhl, an den historischen, an den authentischen Orten, wo die Akten erfasst, wo sie erstellt, wo sie gelagert wurden, Servicestellen zu schaffen, an denen Menschen die Einsicht ihrer Akte beantragen können, wo sie Akteneinsicht nehmen können, dann ist das Ziel und das Vermächtnis derjenigen

gewahrt, die die Stasi-Gebäude damals gestürmt und für die Bewahrung der Akten gesorgt haben. Das, finde ich, ist ganz, ganz zentral.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen die Aufrechterhaltung der ehemaligen Außenstellen durch den Bund, auch die enge Verknüpfung unterschiedlichster Akteure der politischen Bildung an genau diesen historischen Orten und dadurch genau in diesen Orten Zentren der Erinnerungsarbeit und Demokratiebildung dauerhaft installieren. Die bisherigen Dienstleistungen der Außenstellen des Bundesbeauftragten, wie Beratung, Antragstellung und Akteneinsichtnahme, sollen dort auch weiterhin angeboten werden. Ich bin sehr dankbar, dass sich die Landesregierung auch dafür immer stark gemacht hat.

Mit der Entwicklung solcher regionaler Zentren der Erinnerungsarbeit und Demokratiebildung würde das Land auch seiner Verantwortung gerecht, eine dezentrale und differenzierte Aufarbeitungslandschaft zu erhalten und auszubauen. Das finden wir auch immens wichtig. Das Land stellt sich der Verantwortung für die Erinnerungs- und Aufarbeitungsinstitutionen, auch im letzten Berichtszeitraum, und zwar ganz konkret, indem die Unterstützung für die Grenzmuseen, für die Aufarbeitungs- und Erinnerungsinitiativen finanziell deutlich angehoben wurde, indem Hilfestellung für inhaltliche und auch infrastrukturelle Modernisierung verstärkt wurde. Gemäß der Zusage von Minister Holter hat das Land eine Broschüre zu außerschulischen Erinnerungs-, Bildungs- und Gedenkorten zusammengestellt, ganz zentral, weil es uns um die Verknüpfung zwischen der Aufarbeitungs- und der Schullandschaft geht.

Wenn wir uns mal die Zahlen anschauen – die Verknüpfung findet nämlich auch real statt, weil auch die Förderung für Fahrten von Schülerinnen zu Gedenkstätten oder außerschulischen Lernorten in den letzten Jahren kontinuierlich aufgestockt wurde –, dann stellen wir fest, die Zahl der beteiligten Schülerinnen hat sich aus dem Jahr 2015 kommend bis 2018 – nur vier Jahre später – versiebenfacht. Es ist sicherlich noch nicht so, dass alle Schülerinnen und Schüler Thüringens unsere Gedenk- und Bildungs- und Aufarbeitungsstätten besuchen. Aber ich finde, das ist beachtlich. Ich bin darüber sehr froh. Das verdanken wir natürlich auch den Lehrerinnen und Lehrern und den außerschulischen Lernorten, die hier ganz hervorragend zusammenarbeiten. Das ist erfolgreiche Arbeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wissen aber auch, dass ganz vieles einfach Bundesaufgabe ist. Nun gibt es endlich einen Referentenentwurf auf Bundesebene, den man sicherlich heute auch ansprechen muss, wo es auch um die Problematik der Ende 2019 auslaufenden Fristen für die Rehabilitierungsgesetze geht. Ich will es ganz deutlich sagen: Wir haben immer wieder aus Thüringen angeregt, die Fristen grundsätzlich zu streichen. So weit war die CDU gar nicht gegangen. So weit geht man jetzt hoffentlich im Bund. Wir meinen, dass Aufarbeitung niemals einen Schlussstrich und auch kein Schlussdatum bekommen kann und darf, sondern dass Aufarbeitung dauerhaft fortgeführt werden muss. Es braucht die komplette Streichung von Antragsfristen auch aus den Rehabilitierungsgesetzen; das wissen Sie alle, die zum Beispiel die Schreiben von ehemaligen Heimkindern bekommen, die es verpasst haben aus welchen Gründen auch immer, die Anträge zu stellen. Das wissen Sie von all denen, die nach wie vor nicht berücksichtigt sind als Opfergruppen, wie die zersetzten Schülerinnen und Schüler und noch viele mehr, die gar nicht auftauchen, weil sie eben leider bislang durch das Raster gefallen sind. Es ging um die Beweise von Heimaufenthalten aus politischen Gründen wegen der zeitgleichen Inhaftierung der Erziehungsberechtigten. All das sind Dinge, bei denen wir ganz klar sagen: Es braucht nicht nur Beweiserleichterung, sondern eigentlich, meinen wir, hätte es auch eine Beweislastumkehr getan. Das wäre jedenfalls den Betroffenen sehr zugutegekommen.

Ich will aber auch noch drei Punkte ansprechen, die mir ganz besonders am Herzen liegen. Die Landesregierung hatte ja eine Gesprächsreihe auf den Weg gebracht, die sich nennt „Was auf der Seele brennt – SED-Unrecht im Dialog“ – eine sehr bewegende Reihe; alle die dabei waren, können das sicherlich bestätigen. Ich würde mir hier eine Fortsetzung wünschen, egal wie die Wahlen ausgehen. Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Gesprächsreihe, die hier begonnen wurde.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe auch gern das Projekt „DENKOrte in Thüringen“ zur Kenntnis genommen. Hier gibt es ja auch eine Antragstellung bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Ich meine, dass diese das Potenzial hat, gerade auch niedrigschwelligere Zugänge zu bisher noch nicht bekannten oder berücksichtigten Orten gerade im ländlichen Bereich zu schaffen. Ich nenne es mal Orte der historischen Zivilcourage oder Repression wie zum Beispiel das Rüstzeitheim in Braunsdorf oder aber die Sonderschulheime. Über all das ist noch viel zu wenig bekannt. Hier braucht es Beachtung und Würdi

gung in der Thüringer Aufarbeitungs- und Bildungslandschaft und das auch dauerhaft.

Besonders in ein Thema ist im letzten Jahr Bewegung gekommen, das ist das Thema „Christinnen in der DDR“. Ich will dazu durchaus auch kritisch etwas anmerken. 2018 kam die Arbeitsgruppe richtig in Bewegung. Leider ist das Forschungsprojekt der Universität Erfurt zu den Bildungsbiografien von Christinnen in der DDR bisher so nicht zur Umsetzung gekommen, weil offenkundig beim Förderantrag auch in der Kommunikation einiges nicht geklappt hat. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena wird aber ein Forschungsvorhaben zur Diskriminierung von Christinnen in der SED-Diktatur geplant und an der Uni Erfurt finden Kolloquien zur Entwicklung des Christentums seit Ende des Zweiten Weltkriegs statt. Das ist immerhin eine positive Bewegung bei diesem Thema. Bitte weiter so, kann ich da nur sagen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein letzter Punkt, der mir auch noch ganz wichtig ist, ist die Geschichte der Parteien von SED bis Blockparteien in der ehemaligen DDR, denn alle Parteien von SED bis Bauernpartei oder Liberalen waren am System der SED beteiligt als Führung oder Stütze der Führung. Auch die Blockparteien hatten ihre spezifischen Aufgaben in den Organen der ehemaligen DDR, in den Räten der Städte, der Kreise oder der Bezirke. Ich erkenne durchaus an, dass sich die CDU hier auch auf den Weg der Aufarbeitung der eigenen Geschichte begeben hat. Eigentlich sollte das Buch dazu ja mit der Messe veröffentlich werden. Ich habe es leider immer noch nicht finden können, aber schauen wir mal. Andere Parteien der ehemaligen DDR sind da allerdings noch nicht so weit. Das muss man einfach ganz deutlich sagen. Insofern begrüße ich durchaus, dass sich die CDU da aufgemacht hat.

Die letzten Seiten des Berichts der Landesregierung zeigen auch ein Arbeitsprogramm. Sie zeigen aber auch, dass manches erreicht, aber noch einiges zu tun ist. Für mich bleiben dabei zwei besondere Schwerpunkte: Erstens die bessere und würdige Anerkennung und Entschädigung der Opfer und zweitens die historische Forschung und Aufklärung und politisch-demokratische Bildung in möglichst allen Bildungseinrichtungen. Denn die Aufarbeitung der SED-Diktatur in all ihren Aspekten, in all ihren Facetten ist nicht überflüssig. Sie ist auch nicht rückwärtsgewandt. Sie bleibt fester Bestandteil der demokratischen Kultur von heute und von morgen. Das ist auch unsere Verantwortung hier im Landtag. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es liegen jetzt keine Wortmeldungen mehr vor. Kann ich davon ausgehen, dass das Berichtsersuchen erfüllt ist oder erhebt sich Widerspruch? Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist keine Fortberatung des Berichts im Ausschuss beantragt worden. Deswegen schließe ich den Tagesordnungspunkt.

Bevor ich die Plenarsitzung schließe, möchte ich bekannt geben, dass der Untersuchungsausschuss 6/1 sich 10 Minuten nach dem Ende der Plenarsitzung im Raum F 202 trifft und der Ausschuss für Wirtschaft und Wissenschaft morgen, Freitag, früh um 8.30 Uhr ebenfalls im Raum F 202.

Ich beende die Plenarsitzung und wir sehen uns morgen.

Ende: 19.20 Uhr