Protocol of the Session on November 9, 2018

(Beifall DIE LINKE)

Und zu Ihren – ich nenne es vorgeschobenen – Gründen, angefangen von Persönlichkeitsrechten über Akteneinsichtnahme usw. an die vermeintlich wissenschaftlichen – so haben Sie es, glaube ich, gerade genannt – Institute, was alles dagegen sprechen würde, will ich Ihnen nur sagen: Das Moses Mendelssohn Institut ist nicht irgendein wissenschaftliches Institut, sondern ist eines der anerkanntesten wissenschaftlichen Institute,

(Beifall DIE LINKE)

welches es bundesweit gibt. Das zweite Institut ist das Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin. Das sind die beiden Institute, die diese Überprüfungen in Berlin und in Brandenburg schon vorgenommen haben. Das heißt, Ihre Sorge, dass sie nicht

wissenschaftlich sein könnten, spricht sozusagen der Realität Lüge, weil die Realität sagt ja, dass die beiden es schon gemacht haben und dass im Nachgang entsprechend festgestellt wurde, dass es weitere Todesfälle rechter Gewalt gibt.

Ich will Ihnen noch eins sagen: Sie sagen, dass das Polizei und Justiz machen müssten. Ja, in der Theorie und in der Erstermittlung – ohne Frage – hätten Polizeibeamte, aber auch Justiz entsprechend ermitteln müssen und entsprechend bewerten müssen.

Jetzt noch mal zurück zu dieser einen Geschichte, die ich Ihnen gerade erzählt habe: In den Akten ist alles vorhanden und ich zitiere jetzt aus der Zeugenvernehmung von Michael See, einem der Täter: „Die beiden Personen, auf die wir eintraten, haben sich dabei nicht gerührt. Ich hörte von diesen weder ein Schreien noch ein Jammern, sie lagen eben nur so still da und wir traten auf diese ein, ohne dass diese beiden Getretenen irgendwelche Reaktionen zeigten. Warum ich das tat, kann ich selbst nicht mehr sagen. Auf alle Fälle war ich aber nicht so betrunken, dass ich nicht mehr wusste, was ich mache.“ Und jetzt kommt das Entscheidende, was im Gerichtsverfahren überhaupt keine Rolle gespielt hat, Herr Kellner: „Ich konnte mich konkret erinnern, dass die Personen wie Assies aussahen. Ich meine damit, dass sie einen ungepflegten und dreckigen Eindruck auf mich machten.“ Das ist der pure Sozialdarwinismus,

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

den einer der Täter in seiner Zeugenvernehmung zur Kenntnis gibt und der dort auch schriftlich festgehalten wird – im Gerichtsverfahren nicht beachtet, von der Polizei erfasst, im Gerichtsverfahren hat es keine Rolle gespielt.

Es gibt weitere Mitteilungen zum Täter Michael See, er ist einer von dreien, wie gesagt. In einem Schreiben aus der Justiz wird nämlich dazu, wie er sich entwickelt, festgehalten, dass er auf die Straftat bezogen sich so äußert, dass es sich bei den Geschädigten „lediglich um zwei Slawen“ gehandelt habe, „lediglich um zwei Slawen“. Das ist der pure Rassismus.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Das heißt, ich kann Menschen umbringen, wenn ich sie als etwas vermeintlich Minderwertiges einordne.

Und, Herr Kellner, diese Informationen lagen damals Polizisten vor, die das auch entsprechend niedergelegt haben in den Akten. Die lagen auch der Justiz vor. Die lagen damals der Justiz vor und wurden nicht beachtet, die lagen auch im Jahr 2012 der Justiz vor, als es darum ging, noch mal weitere Todesfälle mit zu überprüfen. Ich weiß gar nicht, ob

(Abg. Kellner)

der Todesfall mit überprüft wurde oder nicht, aber das ist an der Stelle nicht relevant, sondern relevant ist, dass die Informationen eingeordnet werden müssen hinsichtlich ihrer möglichen Tat- und Tätermotivation. Und das ist das, was wir uns mit diesem Antrag erhoffen.

Wenn Sie sich so entscheiden, dem Antrag nicht zuzustimmen, dann kann ich an der Stelle nur sagen: Herr Kellner, ich glaube, eine ehrliche Übernahme dessen, was im NSU-Bundesuntersuchungsausschuss festgehalten wurde als Empfehlungen, aber auch dessen, was im ersten Untersuchungsausschuss festgehalten wurde, würde an der Stelle definitiv dazu führen, dass Sie die Hand für diesen Antrag heben und nicht nur Sie alleine, sondern Ihre ganze Fraktion.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kellner möchte auch erneut antworten. Bitte, Sie haben das Wort.

Also nur ganz kurz, wenn ich mich auch unbeliebt mache – gleich halb sechs. Nein, Frau KönigPreuss, ich will das nicht so stehen lassen, ich habe den wissenschaftlichen Expertisen nicht abgesprochen, dass sie nicht das Fachwissen haben oder Ähnliches. Ich habe gesagt, ich begrüße es, wenn Wissenschaftler da mitarbeiten, habe ich gesagt. Nichts anderes! Und was Sie alles jetzt ausgeführt haben – finde ich nicht in Ihrem Antrag, welches Forschungsinstitut das ist. Das kann ja sein, dass das LKA das beauftragt hat. Ich weiß aber nicht, was für ein Forschungsinstitut das ist, also wer das ist. Also, es steht hier alles nicht drin. Ich weiß nicht – und ich bleibe dabei, es gibt keine Aussage, auch jetzt wieder nicht –, welche Rechte, welche Kompetenzen dieses Forschungsinstitut oder dieses Institut haben soll und solange, wie das nicht klar ist, kann ich diesem Antrag so nicht zustimmen. Das ist jetzt keine Ausrede oder eine Schutzbehauptung, dass ich etwas vorschiebe.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Dann recherchieren Sie es doch!)

Es ist nicht nachvollziehbar, weil es in Ihrem Antrag nicht steht und darauf möchte ich nur noch mal hinweisen. Mehr ist es nicht. Vom Grundsatz her bin ich ganz Ihrer Meinung, dass man natürlich, wenn man die Hinweise hat, dann auch nachgehen muss. Aber aus Ihrem Antrag geht das leider so nicht hervor, gerade dieser Punkt, der für mich ganz wichtig ist –

(Zwischenruf Abg. König-Preuss, DIE LINKE: Berlin und Brandenburg! Dann lesen Sie den Antrag, Herr Kellner, das steht hier drin!)

wie das Institut arbeiten soll, welche Kompetenz es hat. Vielen Dank.

Ich sehe jetzt keine weiteren Wortmeldungen aus den Reihen der Abgeordneten und gebe Herrn Staatssekretär von Ammon das Wort. Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Landesregierung sieht sich ja schon auf Grundlage des Koalitionsvertrags verpflichtet, gegen jede Erscheinungsform von Neonazismus, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Islamfeindlichkeit und Homophobie konsequent vorzugehen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Antrag der Fraktionen Die Linke, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen kann hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Er soll Licht ins Dunkel bringen, warum die im Antrag mit ihren Initialien genannten Personen sterben mussten.

Was war Motiv dieser Verbrechen? Kann ein rechter Hintergrund dieser Taten wirklich ausgeschlossen werden? Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, das sind Fragen, denen wir uns stellen müssen. Diesen Fragen müssen wir nachgehen. Die Antworten sind wichtig, nicht nur für die Angehörigen, sondern auch für die Gesellschaft und den Freistaat Thüringen.

(Beifall DIE LINKE)

Wir sind auch nicht die ersten, die derartige Sachverhalte aufklären wollen. Wie hier bereits ausgeführt, haben auch die Länder Brandenburg und Berlin bereits ähnliche wissenschaftliche Projekte in Auftrag gegeben und abgeschlossen. Und weil Herr Abgeordneter Kellner auch direkt gefragt hat, ob die Landesregierung dort Friktionen mit der richterlichen Unabhängigkeit sieht: Nein, nach Auffassung der Landesregierung steht die Unabhängigkeit der Justiz – und ich hoffe, ich habe das heute deutlich gemacht, wie sehr ich diese verteidige – einer wissenschaftlichen Aufarbeitung rechtskräftig abgeschlossener Verfahren nicht entgegen. Im Gegenteil, ich denke, es ist ein Merkmal eines lebendigen Rechtsstaats, wenn sich Wissenschaft und Justiz austauschen. Und weil auch danach gefragt wurde: Das Gesetz sieht das auch ausdrücklich vor. Es gibt in der Strafprozessordnung eine entsprechende Regelung: § 476, und dort ist genau geregelt, unter welchen Voraussetzungen Auskünfte und Ak

(Abg. König-Preuss)

teneinsicht für Forschungszwecke gewährt werden können.

In Brandenburg wurde ja das Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien der Universität Potsdam beauftragt, die Akten und Fälle zusammenfassend zu untersuchen und in Berlin erging der Auftrag an die Technische Universität. Die Untersuchung in Brandenburg ist zu einem sehr differenzierten Ergebnis gekommen. 33 untersuchte Fälle wurden in fünf Kategorien eingeteilt, neun Fälle waren politisch motiviert und als solche in polizeilichen Statistiken auch erfasst worden. Acht Fälle waren jedoch nach dem Untersuchungsergebnis ebenfalls politisch motiviert, als solche aber in der polizeilichen Statistik nicht erfasst worden. In weiteren vier Fällen konnte auch das Moses Mendelssohn Zentrum kein politisches Motiv für die Tat oder eine rechtsextrem rassistische Einstellung des Täters erkennen. In sechs Fällen konnte ein mindestens zum Teil rechtsextrem oder rassistisch eingestellter Täter, ohne dass dies aber Motiv für die Tat war, bestimmt werden. In fünf Fällen war eine etwaige politische Motivation nicht oder nicht mehr aufzuklären. Ein weiterer Fall konnte im Rahmen des Forschungsprojekts keiner der vorgenannten Kategorien zugeordnet werden. Die zugrunde liegende Straftat wurde als Körperverletzung abgeurteilt und als politisches Delikt erfasst. Der später eingetretene Tod des Opfers ist durch ärztliches Gutachten als Spätfolge dieser Tat festgestellt worden. Es stellte sich also im Ergebnis heraus, dass in acht von 33 untersuchten Fällen der rechtsextremistische bzw. rassistische Hintergrund der Tat im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen nicht gesehen oder entdeckt wurde.

Die Zahlen in der Polizeistatistik waren nach oben zu korrigieren. Ob dies auch im Freistaat Thüringen der Fall sein wird, ist offen. Und das betone ich. In jedem Fall aber sollen die Akten wissenschaftlich ausgewertet und die Erfahrungen aus Berlin und Brandenburg mit einbezogen werden.

(Beifall DIE LINKE)

Die Thüringer Landesregierung wird deswegen alles ihr Mögliche tun, damit Opfer rechter Gewalt als solche auch bezeichnet werden können. Wir müssen wissen, was in Thüringen wirklich passiert ist. Das sind wir den Opfern, das sind wir den Angehö

rigen, das sind wir aber auch der Gesellschaft schuldig. Vielen Dank.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir kommen damit zur Abstimmung. Ausschussüberweisung wurde nicht beantragt, deswegen stimmen wir direkt über den Antrag der Fraktionen Die Linke, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen in der Drucksache 6/6361 ab. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Das sind die Stimmen der Koalitionsfraktionen. Wer stimmt gegen diesen Antrag? Das sind die Stimmen der CDU-Fraktion und der AfD-Fraktion. Wer enthält sich der Stimme? Der fraktionslose Abgeordnete Krumpe. Der Antrag ist damit mit Mehrheit beschlossen.

(Beifall DIE LINKE)

Ich schließe diesen Tagesordnungspunkt.

Bevor ich das Plenum schließe, noch ein besonderer Hinweis: Wir würden hier alle sehr alt und still herumsitzen, wenn uns nicht unser Tontechniker hier mir gegenüber – Herr Fanselau – auch heute hier wieder Saft und Gehör verliehen hätte. Herr Fanselau ist heute 60 geworden und feiert hier seinen Geburtstag.

(Beifall im Hause)

Deswegen der herzliche Glückwunsch des ganzen Hauses. Sie hören es: So viel herzlichen Beifall kriegen wir hier selten. Wir bedanken uns ganz herzlich, dass Sie uns auch heute hier so gut begleitet haben.

Ich kann dann dieses Plenum mit dem Hinweis schließen, dass die nächsten Plenarsitzungen am 12., 13. und 14. Dezember 2018 stattfinden.

Ende: 17.34 Uhr