Protocol of the Session on November 8, 2018

tragen könnten, wenn es nicht andere gäbe, die von uns als unnötig oder auch falsch befunden werden. Bevor ich auf die Einzelheiten eingehe, will ich aber wegen der teilweisen Aufgeregtheit der Diskussion über die Unabhängigkeit der Justiz einige wenige Worte verlieren.

Auch wenn ich in meiner Rede zur ersten Lesung zu dieser Unabhängigkeitsfrage schon was gesagt hatte, will ich es hier noch mal wiederholen: Unser Grundgesetz postuliert nicht die Unabhängigkeit der Justiz. Unser Grundgesetz schreibt die Unabhängigkeit des Richters vor – und das ist bei Weitem nicht dasselbe. In Artikel 97 Abs. 1 Grundgesetz steht: „Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.“ Dasselbe steht in dem vorhin bereits zitierten Artikel 86 unserer Thüringer Verfassung – genau derselbe Wortlaut: „Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.“ Und daraus folgt, dass Gesetze, auch das Statusgesetz der Richter und Staatsanwälte, solche Regelungen enthalten müssen, die diese Unabhängigkeit nicht beeinträchtigen bzw. – umgekehrt – sie gewährleisten, und daran ist das Richtergesetz auch zu messen. Dabei ist Unabhängigkeit in dem Sinne gemeint, dass der Richter in seiner Entscheidungsfindung nicht beeinträchtigt werden darf und die entsprechenden Ressourcen für seine unabhängige Entscheidungsfindung ohne Beeinflussung zur Verfügung gestellt werden müssen. Neben den grundlegenden Regelungen zur Unabhängigkeit im Deutschen Richtergesetz, wie zum Beispiel der Unversetzbarkeit oder der Richterstellung auf Lebenszeit, gibt es Regelungen, die den Randbereich dieser Unabhängigkeit berühren und über die man natürlich trefflich streiten kann, wie zum Beispiel die Art und Weise der ersten Einstellung oder der Ernennung auf Lebenszeit, insbesondere wer in welchem Gremium auf welcher Grundlage darüber entscheidet. Mit der Unabhängigkeit des Richters in seiner Entscheidungsfindung hat das in diesem Stadium zunächst mal noch nichts zu tun. Auch sonst betrifft zum Beispiel die Frage, wer über eine Beförderung entscheidet, nicht die Unabhängigkeit des Richters, sondern viel eher die Frage, auf welcher Grundlage diese Beförderungsentscheidung getroffen wird. Das ist nämlich der eigentliche Knackpunkt: Das bestehende Richtergesetz enthält solche Regelungen und es hat sich seit vielen Jahren in diesen Regelungen auch bewährt.

Dort, wo es sich – auch nach Auffassung der Betroffenen – bewährt hat, besteht gerade kein Änderungsbedarf, so zum Beispiel beim Präsidialrat als einer der Richtervertretungen. Jede der Gerichtsbarkeiten, angefangen von der personell am größten, der ordentlichen Gerichtsbarkeit, bis hin zur Finanzgerichtsbarkeit, hat bisher einen eigenen Präsidialrat, dessen Vorsitzender der Chefpräsident ist und dessen Mitglieder von der Richterschaft des Gerichtszweigs gewählt sind. Der Präsidialrat ist

unter anderem bei der durch den Justizminister beabsichtigten Beförderung, Versetzung oder auch Entlassung eines Richters zu beteiligen. Bei diesen äußerst wichtigen Entscheidungen kann mit dem Präsidialrat die Fachkenntnis der Richtervertretung aus dieser Fachgerichtsbarkeit eingebracht werden, vor allem auch die Kenntnis des Chefpräsidenten, der im Zweifel den Betroffenen, dessen dienstliche Beurteilung und Besonderheiten selbst kennt und zum Teil auch an den Beurteilungen selbst beteiligt war.

Das ist die Situation, wie sie bis jetzt ist. Weshalb es nun notwendig sein soll, diese gerichtsspezifischen Präsidialräte aufzulösen und daraus einen fachgerichtsübergreifenden Präsidialrat zu kreieren, das erschließt sich nicht nur mir nicht. Alle angehörten Chefpräsidenten haben sich dagegen ausgesprochen, aber nicht nur die, sondern auch die Berufsverbände. Die Formulierungen reichen von dem milden „wenn es denn überhaupt einen gemeinsamen Präsidialrat geben soll“, über die Äußerung „wird äußerst kritisch gesehen“, bis hin zu „ist abzulehnen“. Und auch in der gemeinsamen Stellungnahme der Thüringer Richterverbände und Richtervertretungen heißt es, dass eine Notwendigkeit der Abkehr von der derzeitigen Struktur der gerichtsbezogenen Präsidialräte nicht gesehen wird. Der Hauptrichterrat der Verwaltungsgerichtsbarkeit führt dazu aus: „Der beabsichtigte gemeinsame Präsidialrat zerstört ein grundsätzlich funktionierendes und bewährtes System fachlich gebotener Beteiligung der sachnäheren Kolleginnen und Kollegen der jeweiligen Fachgerichtsbarkeit.“

Die jetzt mit dem Änderungsantrag vorgesehene Aufstockung um ein weiteres Mitglied der betroffenen Fachgerichtsbarkeit macht die Sache nicht besser. Wo der Effizienzgewinn liegen soll, wenn zum Beispiel anstatt eines Vorsitzenden und zwei gewählter Richter im Präsidialrat der Sozialgerichtsbarkeit jetzt ein Vorsitzender und zehn gewählte Richter, davon fünf aus der Sozialgerichtsbarkeit, entscheiden, das soll mir erst einmal jemand erklären. Die Masse macht es jedenfalls nicht.

Ein anderer Punkt – ich gehe mal weg vom Präsidialrat zum Richterwahlausschuss: Seine Zuständigkeit ist bisher die Einbeziehung bei der Lebenszeiternennung eines Richters. Jetzt ist er vorgesehen auch bei streitigen Beförderungen in der zweiten Stufe nach dem Präsidialrat. Seine Zusammensetzung bisher: acht Landtagsabgeordnete, zwei ständige Vertreter der Richterschaft plus ein Richter aus der betroffenen Gerichtsbarkeit plus deren Präsident sind zwölf Mitglieder. Jetzt: keine acht Landtagsabgeordneten, sondern zehn Landtagsabgeordnete, wieder die zwei Richter als ständige Mitglieder, drei Richter aus der betroffenen Gerichtsbarkeit, also 15 Mitglieder. Es ist schon für mich nicht nachvollziehbar, weshalb das Gremium von zwölf auf 15 Mitglieder aufgebläht werden soll. Am

Verhältnis der Abgeordneten zu den Richtern ändert sich nämlich nichts.

Darüber hinaus schließen wir uns den Stellungnahmen an, die das Ausschließen der Präsidenten insbesondere bei der Lebenszeiternennung für falsch halten. Eine beratende Stellungnahme reicht hier nicht aus. Für mich sieht es so ein bisschen nach Ideologie aus, gerade denjenigen von der Mitentscheidung auszuschließen, der am meisten zur Person des Richters sagen kann, nur weil er offenbar Präsident eines Gerichts ist.

Das waren jetzt mal zwei Beispiele. Neben diesen will ich auszugsweise noch auf weitere Kritikpunkte der Richtervertretungen eingehen, die sich mit dem Satz zusammenfassen lassen, der in einer der Stellungnahmen steht: „Die verkündete grundlegende Revision des Richtergesetzes ist nicht erkennbar.“ Ich kann die Richtervertretungen verstehen, wenn sie monieren, dass zum Beispiel keine gesetzlichen Formulierungen von Beurteilungsmaßstäben oder des Beurteilungsverfahrens vorgesehen ist, sondern das Ministerium ohne nähere Bestimmung zur Regelung durch eine Rechtsverordnung ermächtigt wird. Der Richterbund hat dazu gesagt: „Die Regelung über die dienstliche Beurteilung in § 7 ist an Allgemeinplätzen kaum zu überbieten.“ Auch halten wir eine Beurteilung alle fünf Jahre für ausreichend, zumal es ja immer noch Anlassbeurteilungen gibt und die bei Beamten vorgesehenen Beförderungen, die auch für kürzere Beurteilungszeiträume sprechen, bei den Richtern zumindest, was A 14 und A 15 betrifft, in der Besoldung R 1 sowieso schon automatisch eingeschlossen sind. Dagegen meine ich, bei der Proberichterbeurteilung ist die erste Beurteilung nach 18 Monaten viel zu lang; es muss eine kürzere Zeit sein, um noch hinreichend Gelegenheit zu Veränderungen zu geben. Problematisch ist auch die Regelung in § 7 Abs. 5 letzter Absatz, nach der unter Umständen das Ministerium Richterbeurteilungen überbeurteilen kann. Das halten wir für nicht richtig.

Ein zweiter Hauptkritikpunkt der Richtervertretung ist die Ausgestaltung der Mitbestimmung. Auch wenn wir den Selbstverwaltungswunsch, wie er ja vielleicht von den Linken mitgetragen wird – wenn ich das so vorhin mit einem halben Ohr richtig gehört habe –, nicht mittragen, ist doch festzustellen, dass zu Recht beklagt wird, dass die Mitbestimmungsregelungen hinter denen des Thüringer Personalvertretungsgesetzes zurückbleiben. Für die Mitbestimmung in § 41 Abs. 2 ist weiterhin kein Einigungsstellenverfahren vorgesehen und § 36 enthält durch die neue Einrichtung eines Landesrichter- und Staatsanwaltsrates eine unnötige Aufblähung durch ein weiteres Gremium, das bisher nicht nötig war und dessen Notwendigkeit durch die Richter- und Staatsanwaltsvertretungen auch nicht gesehen wird. Der bisherige gemeinsame Ausschuss ist damit nicht vergleichbar. Insbesondere

ist das bisher keine dritte Stufenvertretung, die nicht für notwendig gehalten wird.

Noch kurz zum Änderungsantrag: Der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen hat an all diesen Umständen, die ich eben vorgetragen habe, nichts geändert. Ich zitiere aus dem Schreiben des Vereins der Thüringer Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen e. V. vom 25. Oktober 2018 – also gerade mal zwei/drei Wochen her –: „Dieser Änderungsantrag trägt den Interessen der Thüringer Richterinnen und Richter (und ebenso der Staats- anwältinnen und Staatsanwälte) in keiner Weise Rechnung und wird von uns grundsätzlich und mit aller Entschiedenheit abgelehnt. Dies kann ich auch im Namen der anderen Verbände mitteilen.“ Dem ist aus meiner Sicht nichts mehr hinzuzufügen. Ein Versuch der Mitglieder der CDU im Justizausschuss, den Änderungsantrag zum Anlass einer erneuten Anhörung zu machen, wurde mit der Mehrheit abgeblockt.

Was bleibt noch zu sagen? Wirkliche Innovationen enthält der Gesetzentwurf keine. Man hätte zum Beispiel an Regelungen denken können, die einen zeitweisen Wechsel in die Anwaltschaft oder Wirtschaft ermöglichen würden, oder die Möglichkeit, über den vorgesehen Ruhestandstermin hinaus noch zu verlängern oder für ältere Kollegen Teilzeitmodelle vorzusehen. Das waren alles Vorschläge, die im Raum standen. Nichts davon ist geschehen. Was bleibt als Fazit? Alles in allem ein Gesetzentwurf, den wir ablehnen.

(Beifall CDU)

Als nächster Redner erhält Abgeordneter Dr. Hartung von der SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, bereits in der letzten Legislatur haben wir versucht, die Rechtsstellung von Richtern und Staatsanwälten zu verbessern. Das ist uns damals aus unterschiedlichen Gründen nicht gelungen und Rot-RotGrün hat diese Baustelle geerbt, hat sich aber auch nicht leichtgetan, da mit einem Schnellschuss irgendwelche Gesetze zu erlassen, wir haben ziemlich lange gebraucht. Dieses Gesetz ist explizit sehr lange diskutiert worden. Ich glaube aber, da ist die Geduld durchaus wichtig, denn es geht um Qualität und nicht um irgendeinen Schnellschuss. Meine Kollegin, Frau Martin-Gehl, hat ja schon sehr viel dazu gesagt und ich danke ihr ausdrücklich dafür, dass sie auch die Punkte benannt hat, bei denen wir bis zur Beschlussfassung noch im Dissens waren und es in Teilen auch noch sind. Ich möchte es trotzdem noch mal ganz kurz erklären.

Ja, wir würden gerne beim Beurteilungswesen ein breiteres Gremium involvieren, nicht deswegen, weil wir das Ganze in die Länge ziehen wollen oder so, sondern weil wir glauben, je mehr Menschen eine Person beurteilen, umso objektiver ist letztlich die Beurteilung, auch wenn wir selber wissen, es gibt keine absolut objektive Beurteilung, die von Menschen ausgesprochen wird. Deswegen: Je mehr dabei sind, umso besser oder eben auch realistischer ist es für den Beurteilten.

Das zweite Thema ist die Frage der Mitbestimmung bei personellen Angelegenheiten, die dazu mitverantwortliche Einigungsstelle. Da hätten wir uns deutlich mehr Mitsprache der Richterinnen und Richter gewünscht. Auch darauf konnten wir uns nicht einigen. Und so bleibt festzustellen, dass es durchaus Punkte gibt, die im Gesetz jetzt noch nicht geregelt sind.

Dennoch ist dieses Gesetz ein Fortschritt gegenüber dem, was jetzt besteht. Es ist eine positive Weiterentwicklung. Ich werbe ausdrücklich dafür zuzustimmen, nicht deswegen, weil es das Nonplusultra ist, sondern deswegen, weil es das ist, was wir im Moment umsetzen können. Alle weiteren Dinge, die wir uns noch wünschen würden, kommen eben zu einem späteren Zeitpunkt. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächstem Redner erteile ich Abgeordneten Möller von der AfD-Fraktion das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste, ich will nicht noch mal alle Kritikpunkte am vorliegenden Gesetzentwurf im Detail durchgehen. Wir werden diesen Gesetzentwurf natürlich auch ablehnen. Die Gründe dafür sind, denke ich mal, spätestens mit der Anhörung bekannt geworden, wo die Fachverbände, die Vertreter der Richter und der Staatsanwälte, diesen Gesetzentwurf in einer Art und Weise auseinandergenommen haben, wie er selbst für rot-rotgrüne Gesetzesvorhaben relativ einzigartig ist – da kommt vielleicht noch das Transparenzregister heran, aber ansonsten hat kaum ein Gesetzentwurf so viel Kritik eingefahren.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Echt, ja?)

Vielleicht noch mal inhaltlich zwei Punkte, warum wir den Gesetzentwurf ablehnen: einmal natürlich die Entmachtung der Fachexpertise, die Ihr Gesetzentwurf vorsieht,

(Abg. Scherer)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was für ein Quatsch! Das stimmt doch gar nicht! Das Gegenteil ist der Fall!)

im Speziellen die Herausnahme der Chefpräsidenten aus dem Richterwahlausschuss und auch die Einführung des Präsidialrats als Entmachtungsinstrument für Chefpräsidenten. Da sehen Sie wieder mal, wo Ihre Prämissen liegen, sie liegen eben nicht bei der Stärkung von Expertise, von Effizienz. Sowas kann natürlich nur auf Kritik stoßen. Am Ende ist es so, gerade bei den wichtigen Fragen über die Lebenszeiternennung eines Richters ist es natürlich sinnvoll, wenn derjenige, der am ehesten zu dem jeweiligen Kandidaten sprechfähig ist, dann auch diesem Gremium angehört. Das haben Sie explizit herausgenommen.

Ein weiteres Beispiel, wie Sie arbeiten und wo auch wieder schön der Spruch von Otto von Bismarck „Politik ist die Kunst des Möglichen“ passt – den Sie nämlich verletzt haben –, das ist die Zuständigkeit des Richterwahlausschusses. Dieser ist nach der Regelung dieses Gesetzentwurfs eben nicht nur für die Einstellung von Richtern, für die Ernennung auf Lebenszeit zuständig, sondern soll nun auch für Beförderung zuständig sein, obwohl das die Thüringer Verfassung nicht vorsieht. Da frage ich mich: Wo liegt denn die erforderliche Verfassungsänderung? Darauf sind Sie explizit hingewiesen worden im Rahmen der Anhörung, und zwar von einem fachlich sehr spezialisierten Vertreter, der sich also in der Sphäre recht gut auskennt, nämlich dem Vertreter des Oberverwaltungsgerichts, Herrn Hinkel. Aber Ihr Gesetzentwurf hat diese Anregung nicht aufgenommen, das findet sich nirgendwo wieder. Ich denke mal, das klärt sich dann wahrscheinlich in den Instanzen. Daran sehen Sie – hier sind Sie eben über das Maß, über die Politik des Möglichen hinausgegangen –, Sie haben etwas Unmögliches geregelt und das führt natürlich auch zu dem entsprechenden Verdruss.

Insgesamt kann man sagen, Ihr Gesetzentwurf – ich glaube, das Stichwort kam im Rahmen der Anhörung auch aus der Richterschaft – ist die Gebietsreform für die Richterschaft. Ähnlich wie die Gebietsreform wird es auch entsprechende Auswirkungen haben, und die sehen so aus: Die rot-rotgrüne Regierungskoalition hat – das ist jetzt sicherlich nicht verwunderlich für einen Vertreter einer Oppositionsfraktion – wenige Gaben. Aber eine Gabe haben Sie, nämlich wenn Sie einen Gesetzentwurf machen, sich die Betroffenen von diesem Gesetzentwurf zum Gegner zu machen. Genau das ist Ihnen hier aufs Vortrefflichste mit den Richtern und Staatsanwälten gelungen. Insofern können wir diesem Gesetzentwurf natürlich nicht zustimmen. Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Als nächstem Redner erteile ich Abgeordneten Gentele das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Abgeordnete, werte Besucher, auf Seite 86 des Koalitionsvertrags haben die Regierungsparteien ausdrücklich die Prüfung von neuen Regelungen der Selbstverwaltung der Judikative zur Stärkung der Unabhängigkeit der Gerichte und Staatsanwaltschaften vereinbart. Zudem war von Minister Lauinger mehrfach ein gänzlich reformierter Entwurf eines Thüringer Richter- und Staatsanwaltschaftsgesetzes angekündigt worden.

Das nunmehr zur Abstimmung gestellte Gesetzeswerk stellt demgegenüber ein weit hinter diesem vollmundigen Versprechen des Koalitionsvertrags zurückbleibendes Armutszeugnis und eine komplette Enttäuschung im Hinblick auf eine echte Stärkung der Selbstverwaltungs- und Mitwirkungsrechte der Justiz dar. Dieser Gesetzentwurf ist nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa eine respektive Regelung und vor einer modernen Justizverfassung im 21. Jahrhundert Lichtjahre entfernt. Dieser Entwurf ist vielmehr von dem Gedanken durchzogen, die dritte Staatsgewalt als bloßes Anhängsel der Exekutive zu begreifen. Man hätte einen solchen Entwurf nicht einmal von der konservativen Oppositionsfraktion erwartet.

Im Folgenden möchte ich nur einige wenige, aber zentrale Eckpunkte herausgreifen, bei welchen dies besonders zutage tritt und dementsprechend auch berechtigterweise massive Kritik und Einwände seitens der Richterverbände erhoben worden sind. Das ist zum einen die mögliche Vorsteuerung sämtlicher Personalentscheidungen durch die Justizverwaltung im Beurteilungswesen. Hier können im Einzelfall Fakten geschaffen werden, um den unbequemen Richter von Beförderungsämtern fernzuhalten und einen gefügigeren Kandidaten zu belohnen. Inwieweit hat dies noch mit richterlicher Unabhängigkeit zu tun, meine Damen und Herren? Seitens des TRB ist hier zum Beispiel eine Regelung durch die Beteiligung eines Beurteilungsrats und Beurteilungsausschusses vorgeschlagen worden, welche sämtlichen demokratischen Erfordernissen Rechnung trägt. Man müsste eine solche Regelung einfach nur übernehmen wollen.

Das ist im Weiteren die Mitbestimmungsregelung des Entwurfs, welche nicht einmal, wie die Richterverbände ebenfalls unisono zu Recht kritisieren, die beamtenrechtliche Standards erreicht. Eine Reformregierung, die programmatisch doch gerade solche Teilhabe stets auf ihre Fahne schreibt, sollte sich dafür schämen, der Judikative in weiten, entscheidenden Teilen echte, zum gesetzlichen Standard zählende Mitbestimmung vorzuenthalten.

(Abg. Möller)

Ich möchte hier wegen der Einzelheiten und der Änderungsvorschläge auf die von allen Verbänden eingebrachten Änderungsvorschläge wegen der Kürze der Zeit lediglich nur Bezug nehmen. Soweit Minister Lauinger stets von einer Selbstentmachtung wegen der Aufgabe des sogenannten ministerialen Stichentscheids spricht, ist dies doch nur vorgeschoben. Nach § 63 Abs. 3 des Entwurfs kann der für Justiz zuständige Minister dem Präsidialrat im Divergenzfall nämlich erneut einen Bewerber vorschlagen oder die Stelle neu ausschreiben. Dies bleibt doch faktisch nicht hinter dem vorgeblich abgeschafften Stichentscheid zurück. Warum kann man sich nie, wie ebenfalls verbandsseitig vorgeschlagen, an die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 20.09.2016 für die Bundesrichterwahl anlehnen? Nämlich: „Der Minister hat sich daher bei seiner Entscheidung den Ausgang der Wahl [durch den Richterwahlausschuss] grundsätzlich zu eigen zu machen, es sei denn, die formellen Ernennungsvoraussetzungen sind nicht gegeben, die verfahrensrechtlichen Vorgaben sind nicht eingehalten oder das Ergebnis erscheint nach Abwägung aller Umstände und insbesondere vor dem Hintergrund der Wertungen des Art. 33 Abs. 2 GG nicht mehr nachvollziehbar.“

Auch die Altersruhestandsregelung berücksichtigt nicht ansatzweise vorausschauend die gerade in den neuen Ländern gegebenen problematischen Altersstrukturen. Um rechtzeitig der absehbaren Flutwelle von Pensionierungen zu begegnen, sollte im Interesse der Gewinnung qualifizierten Nachwuchses und der Herstellung einer gemischten Altersstruktur eine flexible Altersruhestandsregelung insbesondere nicht dadurch praktisch unterlaufen werden, dass unangemessen hohe Abschläge die Inanspruchnahme einer früheren Pensionierung unzumutbar erschweren oder ausschließen.

Es ist zusammengefasst einfach nur ein Trauerspiel, dass hier diese Koalition, insbesondere ein als ehemaliger Richter mit den bisherigen Unzulänglichkeiten vertrauter Justizminister einen solchen Entwurf vorlegt, der nicht unerheblich in Teilen von preußischem Justizbeamtentum geprägt ist, weil er Gerichte und Staatsanwaltschaften als bloße Vollzugsbehörden der exekutiven Ministerverwaltung ansieht. Dieser Gesetzentwurf hätte ganz zu Recht nicht einmal die Hürden für potenzielle EU-Beitrittskandidaten überwunden, was im Übrigen auch der Europäische Rat wiederholt im Hinblick auf die bundesrepublikanischen Justizverfassungsregelungen kritisiert hat.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bisschen hoch gesprochen!)

Für die geplante Thüringer Regelung kann ich mich

Herr Gentele, kommen Sie bitte zum Schluss.

der Kritik im ganz besonderen Maße anschließen. Ich sehe meine Rolle als Abgeordneter nicht darin, mich für einen die richterliche Unabhängigkeit in keiner Weise stärkenden Gesetzentwurf herzugeben. Ich stimme gegen dieses Gesetz.

Die nächste Rednerin ist Abgeordnete Rothe-Beinlich von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir reden über das Richterund Staatsanwältegesetz. Der Vorvorredner sprach davon, dass daran gearbeitet worden wäre. Das Passiv war da schon die richtige Zeitform, die gewählt wurde, denn ich muss leider konstatieren, dass eben drei Redner zwar mit viel Verve vorgetragen haben, warum sie sich gegen dieses Gesetz wenden und was sie alles hätten besser machen wollen. Ich muss aber konstatieren, dass es nicht einen, und zwar nicht einen einzigen, Änderungsantrag oder Vorschlag von Ihnen gegeben hat,

(Beifall DIE LINKE)

und zwar weder von der CDU in der gesamten Debatte, auch nicht nach der Anhörung, auch nicht mit Blick auf die Änderungen nach der Debatte im Anschluss. Es gibt von Ihnen von der CDU keinen einzigen Antrag aus dem Ausschuss, geschweige denn von der AfD, wo ich es ja kaum erwarte. Und auch Herr Gentele hat es nicht für nötig befunden, das wäre ja sein gutes Recht als Abgeordneter, der sich für ein Thema interessiert, beispielsweise an der öffentlichen Anhörung oder aber auch an einer Sitzung des Ausschusses teilzunehmen, in der die Auswertung stattgefunden hat. Ich weiß nicht, wer Ihnen das aufgeschrieben hat, Herr Gentele, man kann natürlich einmal so einen Auftritt hier hinlegen, aber mit Sachlichkeit hat das wenig zu tun.

Das ärgert mich schon, weil wir durchaus unterschiedliche Meinungen haben können. Das ist immer das gute Recht, das gehört übrigens auch zu einer lebendigen parlamentarischen Debatte, dass sich nicht immer alle einig in allen Fragen sind. Aber wenn man hier schon meint, lieber Herr Scherer, derart ein Gesetz zerreißen zu können, ohne auch nur einen einzigen konstruktiven Vorschlag oder Änderungsantrag gebracht zu haben, dann ähnelt das schon Krokodilstränen. Sie haben es nicht gewollt, das haben wir ja auch übrigens die letzten 24 Jahre erlebt; seit 1994 wurde das Gesetz nicht geändert, sie wollten es nie ändern. Mein Kollege Hartung hat auch daran erinnert, dass die CDU in der letzten Legislatur verhindert hat, dass

(Abg. Gentele)

an dem Gesetz was geändert wurde, und das hatte natürlich auch Gründe.