Auch die Befunde zum Einfluss und Stellenwert von Gedenkstättenbesuchen sind keineswegs neu und werden von der Landeszentrale für politische Bildung hier in Thüringen auch bestätigt. Als Ergebnis dieser Analyse der Landeszentrale wurde das Besuchsprogramm in der Gedenkstätte Buchenwald z.B. auf mehrtätige Projekte umgestellt und damit wird die Verbindung von historischem und aktuell politischem Lernen ermöglichst. Solches Projektlernen sollte in den Thüringern Schulen verstärkt praktiziert werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, um auch ein paar Sätze zu dem Punkt II zu sagen. Brauchen wir ein Konzept mit Maßnahmen zur Verbesserung der zeitgeschichtlichen Kenntnisse unserer Jugendlichen? Meine Antwort ist, wir haben dafür Konzepte und das Wichtigste sind dabei unsere neuen Lehrpläne, die ich eingangs erwähnt habe, die jetzt
mit dem kommenden Schuljahr eingeführt werden. Sie haben in Geschichte und Sozialkunde ein fundiertes Kerncurriculum und klar strukturierte didaktische Prinzipien. Die Ziele und Inhalte des Kompetenzerwerbs sind umfassend beschrieben.
Wichtig ist aus meiner Sicht, dass vom schulischen Unterricht aus Brücken gebaut werden zum öffentlichen Diskurs über Geschichte und Politik. Und wir müssen auch Möglichkeiten schaffen, dass Geschichtskenntnisse werteorientiert vermittelt werden. Dazu braucht es auch gesellschaftliche Partner, mit denen man so etwas durchführen kann. Dass außerschulische Lernorte wie Gedenkstätten sinnvoll und nachhaltig einbezogen werden müssen, hatte ich eben schon erwähnt. Aber wichtig ist auch in den neuen Lehrplänen, dass der Vergleich von Diktatur- und Demokratieerfahrungen eben auch nicht gescheut wird und nicht verwischt wird, sondern den Schülern klar vermittelt wird.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden die umfangreiche Publikation des Forschungsverbundes SED-Staat noch weiter auswerten und daraus werden auch Schlussfolgerungen für den Geschichts- und Politikunterricht gezogen und wir werden diese Erkenntnisse natürlich auch in die Fort- und Weiterbildung der Fachlehrer einbringen und diese Studien mit ihnen diskutieren.
Zum Schluss dann noch die erfreuliche Nachricht dieser Studie: Im Ranking der fünf beteiligten Länder liegt Thüringen auf dem 1. Platz und das zeigt, dass unsere Arbeit dann doch nicht so schlecht ist. Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Minister Matschie für den Sofortbericht. Ich eröffne jetzt die Aussprache und das Wort hat Frau Abgeordnete Astrid Rothe-Beinlich für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, vielen herzlichen Dank zunächst für den Sofortbericht an Herrn Minister Matschie. Er hat ja schon einige Punkte benannt und hat auch mit der quasi Erfolgsmeldung zur Studie geschlossen, nämlich das Thüringens Schülerinnen und Schüler offenkundig wenigstens etwas mehr als andere Schülerinnen und Schüler zu dieser Problematik wissen. Die TLZ hatte es so formuliert in ihrer Überschrift: In Geschichte gut informiert. Thüringer Schüler schneiden besser ab. In anderen Zeitungen las ich das durchaus anders. Ich will nur zwei weitere Überschriften benennen, die tatsächlich zu denken geben müssen, nämlich zum einen
„Durcheinander im Kopf“. Eine Untersuchung der FU Berlin attestiert Jugendlichen lückenhaftes Geschichtswissen oder aber auch im Freien Wort „Schüler wissen zu wenig Zeitgeschichte“. Insofern muss uns das durchaus zu denken geben, da stimme ich zu und wir nehmen die Ergebnisse der Studie durchaus ernst.
Ich will allerdings auch sagen, dass es mir ähnlich geht, wie es Herr Minister Matschie eben dargestellt hat, dass Geschichtsbewusstsein mitnichten eine Summe von Faktenwissen ist. Gerade angesichts der sehr denkwürdigen Befunde oder auch erschreckenden Befunde, die diese Studie zutage gebracht hat, müssen wir uns vielmehr fragen, wie wir den Schülerinnen und Schülern Geschichte quasi so schmackhaft machen, dass sie Lust haben, sich damit auseinanderzusetzen, dass sie sich intensiv in die Auseinandersetzung hineinbegeben und dass sie Lust haben, auf Spurensuche zu gehen, denn darum geht es. Eigentlich haben wir dafür sehr gute Möglichkeiten und Angebote. Nur mitunter kommen sie an den Schulen nicht an.
Ich will da ein aktuelles Beispiel benennen: Die Stiftung Ettersberg macht seit vielen Jahren einen Wettbewerb für Seminarfacharbeiten unter dem Thema „Diktaturerfahrung und demokratische Umbrüche in Deutschland und Europa“. In diesem Jahr hat eine Schülerinnengruppe hier aus Erfurt vom Ratsgymnasium gewonnen mit der Arbeit „Das Grüne Band - vom Todesstreifen zur Lebenslinie“. Diese Schülerinnen hatten eine Umfrage unter Menschen in Erfurt zunächst auf dem Erfurter Anger gemacht zur Frage, wer das Grüne Band kennt. Sie haben viele, viele Menschen befragt und so gut wie niemand konnte irgendeine Antwort dazu geben, was das Grüne Band sein soll, was dies bedeuten soll. Dann haben sie gedacht, vielleicht liegt es daran, dass wir die falschen Menschen getroffen haben oder auf dem Anger das Geschichtsbewusstsein besonders schlecht ausgeprägt ist. Sie haben dann eine Onlineumfrage gestartet, an der sich mehr als 200 Menschen beteiligt haben und da haben sie sehr, sehr viele Antworten bekommen, insbesondere aber die Antwort, dass sich Schule noch sehr viel stärker damit beschäftigen sollte, Schülerinnen und Schüler an dieses Thema heranzuführen und auch viele haben gesagt, bei der Schule liegt die Aufgabe. Ich finde es durchaus richtig, dass Schule dabei eine sehr wichtige Aufgabe hat. Das müssen wir natürlich auch bei der Lehrerinnenund Lehrerausbildung berücksichtigen. Ich sehe allerdings auch - und ich neige ja nun nicht zum überschwänglichen Lob, wenn ich über das Ministerium spreche, wenn ich mir die neuen Lehrpläne für die Regelschule genauso wie für das Gymnasium anschaue -, dass sehr viel Wert darauf gelegt wird, umfassende Kompetenzen zu vermitteln gerade in diesem Bereich. Allerdings - das wissen wir alle kann die Schule es nicht ersetzen, wenn das El
ternhaus nicht auch dazu beiträgt, wenn das Umfeld nicht auch dazu beiträgt bei Kindern und Jugendlichen, dass sie Lust darauf bekommen, sich damit auseinanderzusetzen, woher wir kommen, warum wir so sind, wie wir sind und warum wir vielleicht auch in bestimmten Bereichen eine besondere historische Verantwortung haben und diese auch wahrnehmen wollen und müssen. Es muss sich also in der Tat die Frage gestellt werden, was falsch läuft, wenn nur etwas mehr als ein Drittel der Befragten die DDR überhaupt noch als Diktatur bezeichnet und lediglich 60 Prozent der Schülerinnen das wiedervereinigte Deutschland für eine Demokratie halten. Es gibt also offenkundig große Probleme, Diktaturen von Demokratien zu unterscheiden und da müssen wir uns tatsächlich Gedanken machen, wie wir andere Lernformen finden, die dies auch plastisch erlebbar machen.
Ein Beispiel wurde eben genannt, die Direktwahl der Schülersprecherinnen und Schülersprecher. Wir hatten gerade erst letzte Woche den Thüringer Landesschülertag, dort haben sich unheimlich engagierte Schülerinnen und Schüler getroffen. Wer die Arbeit dieser Schülerinnen und Schüler an diesem Tag erlebt hat mit ganz modernen Methoden, mit Arbeitsgruppen, der muss nicht bange sein, dass wir eine junge Generation haben, die tatsächlich Lust hat sich auseinanderzusetzen und die sich sowohl mit Geschichte als auch mit der heutigen Zeit tatsächlich kritisch auseinandersetzt. Es bleibt aber festzuhalten - und das hat Frau Hitzing eingangs schon gesagt -, dass das Faktenwissen über die NS-Vergangenheit am größten ist und deutlich weniger sowohl über die alte Bundesrepublik als auch über die DDR bei den Schülerinnen und Schülern bekannt ist und schließlich sogar über das wiedervereinigte Deutschland. Professor Dr. Klaus Schroeder, der Leiter der Studie, hat dabei von einer Geringschätzung historischen Wissens gesprochen und stellt durchaus zu Recht fest, ohne Kenntnisse keine Kompetenzen. Auch er verweist - allerdings nur sehr einseitig - auf die Schulen. Das bedauere ich ein Stück, denn um noch einmal zurückzukommen zu den Schülerinnen und Schülern, die die Arbeit über das Grüne Band geschrieben haben, die haben ihre Motivation beim Besuch einer Gedenkstätte gewonnen, und zwar keinem verordneten Besuch, so will ich es auch sagen, denn die Erfahrung haben viele von uns, glaube ich, noch gemacht, dass es tatsächlich routinemäßige Besuche von Gedenkstätten gegeben hat, sondern bei einem Besuch, den sie sich selbst organisiert haben und wo sie gemerkt haben, das ist ein Thema, das berührt uns, da wollen wir mehr wissen. Ich denke, da sollten wir unsere Gedenkstätten auch nutzen und sie tatsächlich zu Bildungsstätten, und zwar allesamt zu Bildungsstätten machen und sie dazu befähigen.
Thüringen, wie gesagt, steht im Vergleich mit anderen teilnehmenden Bundesländern durchaus gut da. Das Ministerium hat vorhin ausgeführt, dass es ein wenig auch daran liegt, dass sich mit den Themen Demokratie und Diktatur auch fächerübergreifend beschäftigt wird. Das hat Minister Matschie vorhin ausgeführt und dass man sich auch eher auf Kompetenzorientierung orientiert und nicht nur auf reine Faktenvermittlung. Ich glaube, das ist durchaus der richtige Weg. Wir meinen jedenfalls, dass verstärkt auf werteorientierte Vermittlung von Kenntnissen zu setzen ist - auch das war eben schon Thema -, dass wir noch sehr viel stärker den öffentlichen Diskurs suchen müssen, dass Gedenkstättenbesuche wichtig sind, aber gut vor- und nachzubereiten und sinnvoll in den Unterricht zu integrieren sind und dass man natürlich auch qualitativ hochwertige Unterrichtsmaterialen nutzen sollte. Auch das haben wir bei einem anderen Thema schon mal diskutiert. All das ist allerdings in gewisser Weise für uns auch eine Selbstverständlichkeit, davon gehen wir aus, das wünschen wir uns grundsätzlich für Schule. Ich meine auch, dass diese Thematik durchaus zur Diskussion im Thüringer Landtag geeignet ist, allerdings müssen Studien natürlich vom Ministerium, aber auch von Lehrerinnen und Lehrern nicht routinemäßig, aber doch regelmäßig zur Kenntnis genommen werden. Ich habe das Gefühl, das wird auch getan. Deswegen glauben wir auch nicht, dass es ein neues Konzept und auch keinen neuen Maßnahmeplan braucht. Daher werden wir den Punkt II ablehnen. Wir wollen vielmehr gemeinsam dafür streiten, dass die Möglichkeiten, sich Geschichte bewusst zu machen in unseren Museen, in Bibliotheken, bei vielen Kulturinitiativen und in den Gedenkstätten, auch und gerade trotz der schlechten Finanzsituation erhalten und ausgebaut werden müssen. Dafür braucht es dann aber auch ein deutliches Engagement beim Landeshaushalt. Außerdem brauchen wir natürlich Unterrichtsangebote, die an den Interessen der Schülerinnen und Schüler anknüpfen, die authentisch sind. Da kann man beispielsweise sehr gut immer wieder mit Zeitzeugen arbeiten, die motivieren, sich weiter mit den Themen zu beschäftigen, und all das braucht auch die richtige Ausbildung - gestatten Sie mir den Ausdruck - nicht zum Fachidioten des Lehrenden, sondern zu einem motivierenden Lernbegleiter. Vielen herzlichen Dank.
Danke, Frau Abgeordnete Rothe-Beinlich. Das Wort hat jetzt Herr Abgeordneter Volker Emde für die CDU-Fraktion.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mir gerade beim Vorgehen überlegt, was sagst du denn da eigentlich noch, weil der Minister hat sehr umfassend geschildert, worum es hier ging.
Er hat auch sehr umfassend dargelegt, was Schule tut. Frau Rothe-Beinlich ist auch noch mal darauf eingegangen, hat auch dargelegt, dass es eben nicht nur eine Frage der Schule ist, sondern auch sicherlich eine wichtige Aufgabe, dass aber eben auch andere Bereiche in unserer Gesellschaft - von den Familien, über die Medien über viele, viele Institutionen - die Aufgabe haben, in Zeitgeschichte und Demokratie zu vermitteln. Das kann ich nur unterstreichen und insofern ist es richtig, dass die FDP diesen Antrag hier vorgetragen hat, weil es schon ein Thema ist. Man kann natürlich so eine aktuelle Studie auch mal zum Anlass parlamentarischer Debatten nehmen, das teile ich durchaus, aber ich bin auch der Auffassung, dass es weit über das Ziel hinausschießt, jetzt wieder von einem neuen zentralen Konzept zu reden und das einzufordern und zu meinen, dann wird damit alles besser, sondern ich denke, es ist wichtig, immer wieder den Finger auf die Wunde zu legen und mit denen im Gespräch zu sein, die die Möglichkeit haben, zu vermitteln. Der Minister hat das dargelegt, was seitens des Kultusministeriums getan wird für die Landesregierung, und ich denke schon - ich bin ja selber auch Geschichtslehrer -, dass in den Fachschaften, in den Fortbildungen, die man dann schulintern, die man regional und die natürlich auch das ThILLM organisiert, diese Dinge immer wieder eine Rolle spielen und dass die Themen dort nach vorn gebracht werden und dass man sich auch damit beschäftigen kann, wie kann ich es noch besser tun. Darin liegen sicherlich Schlüsselerlebnisse. Ich habe mir so überlegt, wenn das Interesse offensichtlich am Nationalsozialismus das größere ist, weil man hier auch die meisten Kenntnisse hat, dann liegt es eben vielleicht daran, da ist irgendetwas passiert, das ist ja auch abartig gewesen, wenn man so will, und das regt besonderes Interesse hervor und man beschäftigt sich damit. Vielleicht sind die Dinge in unserer Bundesrepublik Deutschland und die Alltagspolitik und das Alltagsgeschehen nicht so interessant, obwohl man das jeden Tag in den Nachrichten natürlich nachverfolgen kann, aber man nimmt es nicht so wahr und hat nicht so das Wissen. Also das ist schon eine Frage dessen - Frau Rothe-Beinlich hat das ja auch schon gesagt -, wie man die Dinge aufbereitet, wie man sie rüberbringt. Insofern muss daran weiter gearbeitet werden.
KA-Nachrichten. Da muss ich sagen, vielleicht ist das auch ein Weg, wie man weiterkommen kann. Wir haben neulich mal auf Initiative der LINKEN über das Thema „Anträge in einfacher Sprache“ gesprochen. Das geht irgendwo auch in dieselbe Richtung, dass die Dinge eben auch verständlich sind. Wenn Sie heutzutage die Nachrichten hören und sind nicht genau im Stoff, dann rauscht das so schnell an Ihnen vorbei, dass sie das gar nicht richtig aufnehmen können. Ich denke auch, unser öffentlicher Rundfunk sollte noch mal darüber nachdenken, wie man die Dinge vielleicht besser vermitteln kann und so vermitteln kann, dass sie auch hängenbleiben und dass sie verständlich sind. Da liegen Reserven. Einige von uns sind ja in Aufsichtsgremien beim öffentlichen Rundfunk, vielleicht kann man das dort auch mal zum Thema machen. Ich denke aber, wir müssen nicht ganz verzweifeln.
Ich habe mir mal die Mühe gemacht und die Wahlbeteiligung gegoogelt. Wenn man sich die Wahlbeteiligung zur Bundestagswahl anschaut, dann ist die sicherlich in den letzten 20 Jahren ein Stück weit zurückgegangen. Scheinbar auch mit der Vielzahl von Medien und insbesondere neuer Medien geht das ein Stück weit zurück, vielleicht korreliert das miteinander. Aber Fakt ist auch, in dieser Studie wird beklagt, dass ein Viertel der Leute gar keine richtige Ahnung hat von Demokratie und Zeitgeschichte. Es ist etwas mehr als ein Viertel der Menschen, die nicht zur Wahl gehen. Vielleicht sind das genau die. Ich weiß es nicht, aber es sind eben immerhin 70 Prozent der Menschen, die sich an den Wahlen beteiligen, an den Bundestagswahlen. Wenn man mal in die Schweiz schaut oder in die USA, dann sind es 50 und nicht einmal 50 Prozent der Menschen, die an den Wahlen teilnehmen und die Schweiz ist vielleicht doch ein Volk, das sehr stark in Demokratie verwurzelt ist. Ich will damit sagen, wir müssen jetzt auch nicht alles in Schutt und Asche reden. Ich denke, die Intention des Antrags ging in die richtige Richtung. Ich finde, wir müssen an unseren Stellen, dort, wo wir tätig sind, daran arbeiten, dass das Wissen über Zeitgeschichte, Politik und Demokratie ein Gutes ist.
Vielen herzlichen Dank, Herr Abgeordneter Emde. Als Nächste hat Abgeordnete Katharina König für die Fraktion DIE LINKE das Wort.
würde Ihnen in einem Punkt ausdrücklich widersprechen. Ich kenne sehr viele Menschen, die ein sehr hohes politisches Bewusstsein haben und auch sehr aktuell informiert sind und auch historische Kenntnisse ausreichend, vielleicht sogar mehr als manche hier im Hause, haben und die genau aus diesen Gründen nicht wählen gehen. Das heißt, ich würde es absprechen, dass es eine so einfache Logik gibt zwischen denen, die nicht wählen gehen und denen, die keine Kenntnisse haben. Vielleicht ist es auch manchmal andersherum. Ansonsten, Frau Rothe-Beinlich, Herr Emde, aber insbesondere auch Herr Minister Matschie haben schon viele klare Worte zu dieser Studie gesagt,
denen wir uns weitestgehend anschließen können. Einige kleine Sachen möchte ich trotzdem noch zu der Studie erwähnen, die ich persönlich und auch im Namen meiner Fraktion zumindest als kritisch einschätze und kritisch hier darlegen möchte.
Zuerst: Die Studie vergisst in ihrer Erfassung der Geschichtskenntnisse von Jugendlichen, von Schülern eines, nämlich, dass die Behauptung der Schüler, dass ihr Wissen insbesondere aus dem Geschichtsunterricht stammen würde, eine reine Selbsteinschätzung ist. Normalerweise würde ich von einer wissenschaftlichen Studie erwarten, und die Geschichtsdidaktik ist da zumindest auch schon weiter, dass sie da differenzierter herangeht, dass sie Unterrichts- und Lehrpläne, aber ebenso auch die Projekte, die zum Beispiel in Schule stattfinden, mit in die Studie einbezieht und sozusagen die Selbsteinschätzung der Schüler überprüft. Darüber hinaus geht die Geschichtsdidaktik - das ist auch schon mehrfach hier vor mir erwähnt worden - von einer sehr hohen Bedeutung der außerschulischen Faktoren aus, inwieweit diese auf das Geschichtsbewusstsein und die Geschichtsreflexion von Jugendlichen Einfluss nehmen. Das zu unterlassen und das nicht in dieser Studie zu hinterfragen, halte ich zumindest für sehr fragwürdig. Ich finde es ehrlich gesagt auch sehr schade, wenn wir eine solche Studie in Auftrag geben, dann nur mit der Selbsteinschätzung von Schülerinnen und Schülern zu arbeiten. Die Studie hat unter anderem Fragen gestellt, wie - ich möchte sie wenigstens mal für diejenigen, die sie nicht gelesen haben, hier erwähnen -, wofür der Begriff „Deutscher Herbst“ steht. Daraufhin haben, ich glaube, 46,1 Prozent der Schüler und Schülerinnen geantwortet, das kennzeichnet die Wochen des Herbstes 1989 kurz vor der Wende. Da kann man sagen, das ist falsch - das haben jedenfalls die Experten der Studie so festgestellt. Ich sage, warum ist das falsch? „Deutscher Herbst“ kann natürlich auch den Herbst 1989 kennzeichnen, auch wenn damit das in den 70er-Jahren stattgefundene Vorgehen des Staates gegen den Terrorismus gemeint ist. Aber letztendlich drückt es nur einen Zeitbegriff aus. Ich glaube, dass insbesonde
re das Vorgehen des Staates Ende der 70er-Jahre in der Schule überhaupt nicht vermittelt wird, dass es in großen Teilen gar nicht Teil des Lehrplanes ist. Solche Fragen dann zu stellen, ist natürlich in der Auswertung, meine ich, kritisch dann zu betrachten, da der Teil des Lehrplans selten so weit geht in Bezug auf den Deutschen Herbst.
Ein zweiter großer Kritikpunkt: Den Empfehlungen der Studie - ich weiß nicht, wer von den Kolleginnen und Kollegen bis zum Ende gelesen hat - fehlt meiner Meinung nach ein Großteil Grundlagen. Vorhin hatte ich schon erwähnt, dass Lehrpläne, Unterricht, aber auch Projekte und Ähnliches mehr nicht mit in den Blick genommen wurden und damit die eigentlich dargelegten Gründe für Wissensdefizite der Schüler und Schülerinnen nicht erklärt werden. Es wird sozusagen ausgehend von deren Selbsteinschätzung die Konsequenz, die Logik gezogen. Dann trotzdem Forderungen abzuleiten, hat zumindest in einem gewissen Sinne eine Form von Schlagzeilenhascherei und hat eine Form von Presse und Experten. Forscher dieser Studie bedienen sich gegenseitig in einer gewissen Panikmacherei davon, dass die Schüler und Schülerinnen in Deutschland immer dümmer, immer unwissender würden, immer weniger historisches Wissen sozusagen zur Verfügung hätten. Dem könnten wir uns zumindest nicht ganz anschließen. Letztendlich ist es doch so, Studien solcher Art werden alle paar Jahre immer wieder erhoben. Kurz danach gibt es einen großen Aufschrei, kurz danach gibt es Empörung, weil angeblich weniger Wissen vorhanden wäre. Dann verflacht es meistens, bis die nächste Studie erscheint. Das historische Erinnern von uns selber an bereits solch stattgefundene Studien und auch daran, dass die Ergebnisse vor 20 Jahren, vor 30 Jahren, aber auch vor über 100 Jahren nicht viel anders waren, sollten wir zumindest im Kopf behalten.
Zuletzt die Wertevermittlung, die ja in den Ergebnissen der Studie, in den Forderungen der Studie aufgemacht wird und für die Schule neu gewünscht wird, möchte ich in einem gewissen Sinn zurückweisen, und zwar deswegen: Ich glaube, wir müssten uns darüber verständigen, was Werte sind und welche Werte wir meinen. Für uns zumindest beginnt die Wertevermittlung in der Schule dort, wo die Kinder, die Schüler lernen, dass das Selberdenken, das freie Wort, die freien Wahlen, aber auch die Selbstbestimmung letztendlich die Werte sind, um die es geht. Das demgegenüber stehende Reden von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hilft meines Erachtens nicht, die Welt zu begreifen,
hilft meines Erachtens nicht zu begreifen, dass die Demokratie als solche möglicherweise gefährdet ist, und hilft auch nicht zu erkennen, wann die De
mokratie gefährdet ist oder eben auch, wann sie infrage gestellt wird, wann sie ausgehöhlt wird. Demokratie als solche ist immer gefährdet, weil sie keine Selbstverständlichkeit ist. Ich glaube, wenn, ist es Aufgabe und Ziel nicht nur von Schule, sondern auch von Eltern, von Freunden, von außerschulischen Organisationen, genau da anzusetzen.
Das ist mit den in Punkt II von der FDP aufgemachten Forderungen nicht zu erreichen, deswegen lehnen wir den ab und hoffen ansonsten, dass Minister Matschie das, was er bereits schon angekündigt hat, dass es in der Schule wieder stärker um Projekte und Ähnliches mehr geht, umgesetzt wird, und fordern aber uns alle auf, sich mit einzusetzen, dass ein solches Wissen Schülern und Schülerinnen vermittelt wird. Danke schön.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Hitzing, ich bin auch dankbar, dass wir das auf die Tagesordnung gesetzt haben, und zwar ganz ehrlich, zum einen - leicht witzig formuliert - weil Sie jetzt schon mehrfach Anträge gebracht haben, die auch Geschichtsfreaks herausfordern, hier auch in die „Bütt“ mit reinzugehen und die Freaklichkeit in Sachen Geschichte hier in die Debatte mit einzubringen, zum anderen weil es schon wichtig ist, denke ich, bei dieser Frage systematisch auch noch mal zu reden. Allerdings hat der Minister Matschie doch, wie ich finde, sehr gut ausgeführt und auch sehr differenziert ausgeführt, wo vielleicht auch die eine oder andere Stellschraube bei der Studie liegt, die man noch mal hinterfragen müsste, gleichzeitig aber auch, glaube ich, außerordentlich gut dargestellt, warum wir kein Gesamtkonzept brauchen, wie bei Ihnen in Punkt II gefordert, sondern tatsächlich mit den Institutionen, die da sind, die auch in dem Bereich bereits arbeiten, auch arbeiten wollen.
Ich habe ein paar Thesen gemacht zu der Studie zu Punkten, die mich doch auch ein bisschen geärgert haben. Da ich jetzt hier aber keine minutenlange Abhandlung über irgendwelche Grundsatzfragen machen will, biete ich Ihnen gern an, dass ich diese Thesen dann nachher an meine Tür hefte. Sie können die sich gern noch mal anschauen.
Die Zahlen können Sie sich dann irgendwann noch einmal anschauen. Ich würde gern trotzdem noch ein paar Dinge grundsätzlicher Natur sagen. Wer historische Bildung als Menschenrechtsbildung be
greift, der muss wissen, dass reine Wissensakkumulation und Faktenaneinanderreihung nicht der entscheidende Punkt ist. Ich will das an einem Beispiel deutlich machen: Den 17. Juni als Datum zu kennen, ist wichtig und richtig, es würde mich auch sehr freuen, wenn alle Menschen dieses Datum auch kennen würden. Allerdings sind solche Daten kein Selbstzweck und solche Gedenktage sind auch kein Selbstzweck. Für mich ist es viel wichtiger, dass junge Menschen den Chauvinismus der DDR verstehen, dass sie den Arbeitschauvinismus der DDR verstehen, dass sie verstehen, aus welchen Gründen eigentlich Arbeiterinnen und Arbeiter am 17. Juni aufgestanden sind und sich gegen die Bedingungen gewehrt haben. Es ist mir viel wichtiger, damit auch den Mythos „DDR als den Arbeiterinnenund Arbeiterstaat“ zu zerbrechen. Das scheint mir doch viel wichtiger zu sein. Und hier liefert die Studie leider keine Erkenntnisse, weil es hier nämlich nur um das Datum 17. Juni an sich geht. Gleichzeitig glaube ich auch nicht, dass Geschichtsunterricht auch nur irgendwie eine Werbetour sein sollte für die FDGO oder für die alte Bundesrepublik. Denn auch hier, glaube ich, gibt es durchaus kritikwürdige Fakten, die nun einmal im Geschichtsunterricht selbst, in den 70er- und 80erJahren der alten Bundesrepublik aufgekommen, zu folgendem Punkt geführt haben, nämlich dass wir durchaus in der Geschichtswissenschaft eine gewisse Wertneutralität haben. Statt eine Werbetour für irgendein Konzept zu machen, sich tatsächlich auseinanderzusetzen, Systeme zu verstehen und aus dem Verständnis von Systemen auch zu kritisieren. Auch dazu leistet die Studie leider kaum an der Stelle einen Beitrag.
Diktatur und Demokratie als Konzepte zu kennen ist wichtig. Für mich ist wichtiger zu erkennen, welche Mechanismen dahinter stehen. Systeme verstehen und auf dieser Grundlage kritisieren, das ist für mich ein guter Geschichtsunterricht. Da ist die Frage der Werteorientierung im Sinne der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht unbedingt immer angebracht, sondern tatsächlich eine Wertneutralität, eine Kontroversität, auch im Geschichtsunterricht. Das produziert Leidenschaft und das schafft im Übrigen die guten Demokratinnen und Demokraten für unsere Gesellschaft. Vielen Dank.