Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine Damen und Herren, „Deutscher Bundestag beschließt Melderechtsreform mit erheblichen Datenschutzmängeln“ - so, meine Damen und Herren, die Überschrift einer Presseerklärung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz vom 9. Juli 2012. Herr Schaar kritisiert, dass die beschlossene Melderechtsreform die im Regierungsentwurf enthaltenen Datenschutzbestimmungen erheblich verschlechtert und sogar hinter den bereits geltenden Bestimmungen zurückbleibt. Novellierungen von Gesetzen sollten aber, so die Meinung der Fraktion DIE LINKE, in Sachen Datenschutz zugunsten der Bevölkerung die Regelungen verbessern und nicht verschlechtern.
Besonders kritisiert der Bundesdatenschutzbeauftragte, dass das im ursprünglichen Gesetzentwurf enthaltene Zustimmungserfordernis in Sachen Datenweitergabe für Adresshandel in eine bloße Widerspruchslösung umgeändert wurde. Damit, meine Damen und Herren, werden Meldeämter grundsätzlich zu Handlangern und Datenreservoirs mehr oder weniger dubioser Adresshändler und Werbefirmen gemacht. Das Grundrecht auf Datenschutz wird damit einer ganz bestimmten Unternehmerlobby geopfert, denn die Widerspruchslösung, bei der die betroffenen Einwohner durch ihr Veto die Weitergabe aktiv verhindern müssen, senkt die Zugriffshürden im Vergleich zum Einwilligungsmodell für die Firmen ganz erheblich. Zu Recht hat Herr Dr. Hasse, der Thüringer Landesbeauftragte für den Datenschutz, in seiner Pressemitteilung vom 6. Juli 2012, also bereits vor dem Bundesdatenschutzbeauftragten, getitelt „Missachtung des Datenschutzes“ und meinte damit ganz konkret die Aktualisierung bereits vorhandener Daten, auch wenn die Bürgerinnen und Bürger einer Datenweitergabe widersprochen hatten.
DIE LINKE vertritt, was den Umgang mit Meldedaten angeht, insbesondere wenn es um Adresshandel geht, eine strikte Zustimmungsregelung. Nur ein strikter Zustimmungsmechanismus setzt das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, was Sie ja gerade auch eingefordert haben, Herr Kollege, wie es auch in Artikel 6 der Thüringer Landesverfassung verankert ist, tatsächlich wirksam um. Das, meine Damen und Herren, hat die LINKEBundestagsfraktion in der Debatte zum Melderecht unmissverständlich deutlich gemacht. Meine Fraktionskollegen im Bundestag hatten in der Sitzung des Innenausschuss auch heftig kritisiert, dass eine
Fülle von Änderungsanträgen in der Sitzung des beschließenden Ausschusses einen Tag vor der abschließenden Beratung im Bundestag eingebracht worden ist, eine Fülle von Änderungen, die im Rahmen dieser Sitzung gar nicht zu überblicken gewesen ist.
Aber auch die Landtagsfraktion der LINKEN hier in Thüringen ist immer für das Zustimmungsmodell im Melderecht eingetreten, und zwar konsequent, meine Damen und Herren, nicht nur in Aktuellen Stunden oder in Pressemitteilungen.
In Drucksache 5/3750 zum Beispiel, einem Änderungsantrag der LINKEN zum Gesetzentwurf der Landesregierung zur Änderung des Thüringer Melderechts, fand sich ein entsprechender Änderungsantrag mit der Zustimmungslösung. Die CDU-Fraktion sprach dort noch davon, dass sich aber die Widerspruchsregelungen bewährt hätten, das war im Dezember letzten Jahres hier im Landtag, aber im November letzten Jahres hatte bereits die schwarzgelbe Bundesregierung im Bundestag ihren Gesetzentwurf mit dem Zustimmungsmodell eingereicht, also sah die CDU/FDP-Bundesregierung zumindest zur gleichen Zeit, während die CDU in Thüringen von der Bewährung der Widerspruchsregelung gesprochen hatte, das Widerspruchsmodell offensichtlich nicht mehr als bewährt an.
Angesichts unseres damaligen Antrags hat es Sie sicherlich nicht verwundert, dass wir nun begleitend zu unserem Antrag auf Auswertung des aktuellen Tätigkeitsberichts des Thüringer Datenschutzbeauftragten einen entsprechenden Entschließungsantrag auf eine Bundesratsinitiative der Landesregierung eingebracht haben, und ich freue mich zu hören, Herr Abgeordneter Gumprecht, dass Sie dem offensichtlich zustimmen wollen, weil anders kann ich Ihre Worte von eben nicht interpretieren.
An die Damen und Herren der FDP-Fraktion: Wenn wir als LINKE-Fraktion von der Landesregierung die Ablehnung des Meldegesetzentwurfes verlangen, schütten wir keineswegs das Kind mit dem Bade aus, wie Sie es in einer Pressemitteilung befürchtet haben. Wir sind nämlich keineswegs gegen bundeseinheitliche Melderechtsregelungen. Wir sind als LINKE aber strikt gegen solche, wie sie nun beschlossen werden, die die Bürgerinnen und Bürger in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung beschädigen sollen. Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Meldegesetzpanne, jetzt haben wir sie auch hier im Thüringer Landtag, das müssen wir auch, denn es hat ja einen einmaligen Vorgang gegeben. Die Bundesregierung hat die Länder aufgefordert, ein eigentlich von ihrer Regierungsmehrheit nunmehr beschlossenes Gesetz wieder aufzuhalten und zu Fall zu bringen. Das hat es, glaube ich, historisch noch nicht so oft gegeben, wir kommen dieser Aufgabe, denke ich, auch als Thüringerinnen und Thüringer gern nach.
Wie Herr Adams schon sagte, zunächst gab es einen Ursprungsgesetzentwurf, in dem Verbesserungen enthalten waren, aber dann kam eine Ausschussfassung in das Plenum des Deutschen Bundestags und da, wo ursprünglich Verbesserung drauf stand, war keine Verbesserung mehr drin. Ein Fortschritt war versprochen, beim Direktmailing Einschränkungen vornehmen zu dürfen. Sogar in der Koalitionsvereinbarung auf Bundesebene zwischen CDU und FDP fand sich wieder, Werbung durch Direktmailing wirksam und vorbeugend begrenzen zu können, und zwar mit einer Einwilligungs- und nicht nur einer Widerspruchslösung.
Die Sünden befinden sich nun in mehreren Vorschriften. § 44 ist schon zitiert worden: Von der ursprünglich vorgesehen Einwilligungslösung beim Adresshandel zum nur noch eingeschränkten Widerspruchsrecht. Überhaupt kein Widerspruchsrecht mehr gibt es nach dem derzeit verabschiedeten Gesetz bei Berichtigungs- oder Bestätigungsanfragen der Wirtschaft. Das heißt, wer einmal Daten gekauft oder in seinem Besitz hat, kann unbeschränkt weiter nachfragen. Da gibt es überhaupt keine Beschränkungsrechte, weder Einwilligung noch Widerspruch. Das wäre etwas, was auch hinter Thüringer Recht weit zurückfiele.
Ebenfalls schwerwiegend, aber in der Diskussion bisher überhaupt nicht präsent, ist der Wegfall der Zweckbindungsklausel in § 47. Der § 47 regelt, dass Daten, die zum Zweck der Wirtschaftswerbung und des Adresshandels herausgegeben worden sind, auch nur zu diesem Zweck benutzt werden dürfen. Hier ist die Beschränkung wieder herausgestrichen worden, auch eine Ausschusssünde. Das führt dazu, dass diese Adresshändler auch zu anderen gewerblichen Zwecken als des Adresshandels und der Werbung diese Daten nutzen können. Da kann man jetzt sagen, das ist ja nicht so schlimm, weil die Daten, die da weitergegeben werden sollen, das sind ja nur die Stammdaten, relativ beschränkte Daten. Aber es gibt im Zeitalter der Verknüpfung von allen möglichen Dateien keine un
empfindlichen Daten mehr und alles, was man miteinander vermischen und vermengen kann, wird dann ein sensibles Datum.
Es ist ein Schaden für die Demokratie entstanden durch den leeren Plenarsaal, den wir uns alle bei YouTube anschauen konnten und durften. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, schuld war nicht nur das Halbfinalspiel Deutschland - Italien, sondern auch ein instransparenter Lobbyismus. Ich behaupte mal, so wie das gelaufen ist, hätte es vermutlich auch in einem vollen Plenarsaal eine Überraschungsentscheidung des Deutschen Bundestags gegeben. Denn wie wir jetzt in den Medien nachlesen können, sind die vorgenommenen Änderungen nicht etwa, wie der CSU-Berichterstatter damals, als Kritik laut wurde, vorschnell verlauten ließ, von den Meldeämtern angefordert worden. Es haben vielmehr Lobbyisten bei den Fachsprechern der Regierungsfraktionen gezielt vorgesprochen. Das ist natürlich auch nicht verboten, aber dann muss eine Kehrtwendung auch offen benannt und transparent gemacht werden auch gegenüber den Parlamentariern. Jetzt stehen wir vor dem Scherbengericht und der doch sehr außergewöhnlichen Bitte, den mit Regierungsmehrheit beschlossenen Gesetzentwurf doch bitte schön im Bundesrat stolpern zu lassen.
Ich frage mich allerdings, wäre es nicht die konsequenteste Lösung, die gewerbliche Nutzung von Meldedaten ganz grundsätzlich zu unterbinden? Ich nehme da jetzt eine radikale Position ein, das gestatte ich mir hier mal,
nämlich nicht nur die der Einwilligungs- oder der Widerspruchslösung. Denn Kern von jedem Datenschutz ist, das man versucht, Daten erst gar nicht in irgendwelche unbefugten Hände gelangen zu lassen, also die Erforderlichkeit von Datenerhebung und Datenverarbeitung. Da haben wir hier natürlich eine Zwangsmeldung gegenüber dem Einwohnermeldeamt. Dann gibt es eine Zweckbindung. Die Zweckbindung, dass das Datum nur für das verwendet wird, für das es eigentlich eingesammelt worden ist. Deswegen frage ich mich und frage ich Sie, warum muss denn der Staat überhaupt mit Meldedaten zu gewerblichen Zwecken handeln dürfen, auch wenn die Bürger zugestimmt haben? Mir fällt ehrlich gesagt kein richtig vernünftiger Grund ein. Ich meine vielmehr, ein Staat, der zwangsweise erhobene Daten seiner Bürger zu gewerblichen Zwecken an Adresshändler verkauft, geht mit der Privatsphäre der Bürger sozusagen auf Kaffeefahrt. Da fragt man sich, warum die Einwohnermeldeämter nicht gleich selbst Rheumadecken verkaufen. Deswegen freuen auch wir uns, wenn dieses Gesetz so nicht Gesetz wird.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Aktuelle Stunde der GRÜNEN zeigt, dass sie ein Problem richtig erkannt haben, aber meines Erachtens zu den falschen Schlussfolgerungen kommen.
Es kann nicht Sinn der Sache sein, ein bundesweites Melderecht zu blockieren. Es muss das Ziel sein, die vorliegende Beschlussempfehlung aus dem Innenausschuss des Bundestags zu qualifizieren, und zwar zu qualifizieren im Sinne des ursprünglichen Regierungsentwurfs.
Abgesehen davon, dass die Föderalismusreform ein einheitliches Melderecht beinhaltet, würde es kein Mensch verstehen, wenn wir nun plötzlich an einem Flickenteppich festhalten würden. Warum soll es in Hessen ein anderes Melderecht geben als in Thüringen oder in Sachsen-Anhalt als in Sachsen usw. usf.?
Meine Damen und Herren, es ist unredlich so zu tun, als sei das bisherige Thüringer Meldegesetz das Gelbe vom Ei.
Bereits jetzt findet eine schwunghafte Abfrage von Meldedaten statt und die Möglichkeiten zum Widerspruch sind aus unserer Sicht nicht nur viel zu unübersichtlich und zu kompliziert, sondern vor allem viel zu eingeschränkt. Das wissen Sie, meine Damen und Herren.
Insofern wundere ich mich bei aller Wertschätzung auch über die Aussage des Thüringer Datenschutzbeauftragten, mit dieser Regelung leben zu können. Nachteile nenne ich aus Gründen der Redezeit in der Aktuellen Stunde erst in der Debatte zu unserem Antrag. Aber die Praktikabilität geltenden Rechts ist schon zu hinterfragen. Wer weiß beispielsweise, dass einmal im Jahr öffentlich über die Möglichkeit informiert werden muss, wie in welchen Fällen Widerspruch eingelegt werden kann und wer hat das im Zweifelsfall tatsächlich gelesen? Es kann folgerichtig nicht darum gehen, alten unzureichenden Regeln hinterherzuweinen, sondern es muss gelten, das neue bundesweite Gesetz von
Zur Redlichkeit, meine Damen und Herren, gehört auch, dass im Bundestag alle Beteiligten die Brisanz der Änderungen aus dem Innenausschuss offensichtlich nicht erkannt haben. Es ist bereits hier das Video angesprochen worden. Wer etwas anderes behauptet, kann es sich ansehen: 57 Sekunden Debatte. Das heißt also, auch all jene, die jetzt große Töne spucken, haben die Chance und die Möglichkeit verpasst, gegen diese Regelung zu streiten, die auch nach unserer Auffassung nicht tragbar ist.
Anders, meine Damen und Herren, ist auch nicht erklärbar, dass erst anderthalb Wochen nach der Beratung das Thema hochkocht. Das Gute daran ist aus meiner Sicht die weitere Erkenntnis, dass mündige Bürgerinnen und Bürger zunehmend ihr Recht einfordern, beteiligt zu werden. Ich gestehe freimütig, dass die Änderungen aus dem Innenausschuss des Bundestags auch in unserer Fraktion nicht auf Zustimmung stoßen. Jetzt aber die Blockade des Bundesgesetzes zu fordern, geht allerdings völlig an der Sache vorbei und zementiert längst überholtes Landesrecht.
Vielmehr, meine Damen und Herren, geht es darum, das Thema nicht parteipolitisch zu missbrauchen, sondern im Bundesrat gemeinsam für die notwendigen Änderungen zu sorgen. Der ursprüngliche Regierungsentwurf ist da bereits weiter gewesen als das, was den Bundestagsinnenausschuss verlassen hat. Diese Webfehler, meine Damen und Herren, im Bundesrat wieder herauszubekommen, ist eine Frage des guten Willens. Deshalb hat meine Fraktion einen Antrag eingebracht, der die Landesregierung auffordert, sich im Bundesrat für ein bundeseinheitliches Melderecht einzusetzen unter der Voraussetzung, dass Datenschutzbelange gestärkt werden und die Betroffenen einen Rechtsanspruch darauf erhalten, ihre Daten sperren zu lassen.
Wir sagen ganz klar: Es geht um Einwilligung statt um Widerspruch. Dann, meine Damen und Herren, wenn diese Debatte sachlich und im Detail geführt wird, trennt sich die Spreu vom Weizen und wir werden sehen, wer das Thema für Radau missbrauchen will und wer etwas in der Sache erreichen will. Wir freuen uns auf eine sachliche Debatte im Tagesordnungspunkt 24. Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen.
Danke schön, Herr Abgeordneter. Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Möchte die Regierung sprechen? Ja, bitte schön, Herr Innenminister.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Bürgerinnen- und Bürgerrechte schützen - Meldegesetz im Bundesrat blockieren“ nehme ich für die Landesregierung wie folgt Stellung:
Nach der im Jahr 2006 beschlossenen Föderalismusreform fällt das Meldewesen in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Bereits im Rahmen der ersten Befassung des Bundesrats zu dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf zur Fortentwicklung des Meldewesens im Oktober 2011 haben die Länder die Bundesregierung im Hinblick auf das weitere Gesetzgebungsverfahren unter anderem um Prüfung gebeten, wie verhindert werden kann, dass die Meldedaten von den anfragenden Personen oder Stellen entgegen deren Angaben für Zwecke der Werbung oder des Adresshandels verwendet werden. Unter Berücksichtigung dieser Stellungnahme des Bundesrats sah der daraufhin in den Bundestag eingebrachte Gesetzentwurf der Bundesregierung in § 44 Abs. 3 Nr. 2 des Bundesmeldegesetzes die einfache Melderegisterauskunft zum Zwecke der Werbung und des Adresshandels nur im Falle der Einwilligung des Betroffenen vor. Bedauerlicherweise hat der Bundestag diesen sogenannten Einwilligungsvorbehalt nicht beibehalten, sondern aufgrund eines Änderungsantrags im Bundestagsinnenausschuss lediglich ein Widerspruchsrecht der Betroffenen gegen die Datenübermittlung installiert, das zudem nicht greifen soll, wenn die Daten nach § 44 Abs. 4 Bundesmeldegesetz ausschließlich zur Bestätigung oder Berichtigung bereits vorhandener Daten verwendet werden. Insbesondere diese vom Gesetzentwurf der Bundesregierung abweichende Regelung stößt nun zu Recht auf breiten Widerstand. Die Landesregierung hält in diesem Punkt eine Korrektur des Bundesmeldegesetzes mit Blick auf den Datenschutz für dringend notwendig und wird sich im Rahmen der bevorstehenden Bundesratsbefassung dafür einsetzen.
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, Sie können gewiss sein, dass die Landesregierung das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bei der Bundesratsbefassung im Blick haben wird. Der Schutz der persönlichen Daten genießt hohe Priorität und muss gewährleistet bleiben. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.