Danke schön. Herr Bergner, Sie haben vorhin, als ich die Frage stellen wollte, davon gesprochen, sowohl Frau Rothe-Beinlich in ihrem Bericht als auch ich hätten die Arbeit von Hilfs- und Wohlfahrtsorganisationen diskreditiert. Ich möchte Sie fragen: Würden Sie uns zugestehen, dass wir nicht die Arbeit von beispielsweise AWO, Charitas, ASP, etc., auch nicht des privaten Gymnasiums diskreditiert haben, sondern lediglich darauf abgehoben haben, was diese Organisationen mit dem Sinn und Zweck unserer Delegationsreise und der Debatte zu unserem Antrag, nämlich der zwangsweisen Rückführung von Minderheitenangehörigen, zu tun haben? Wir haben klar benannt, dass das für diese Reise wenig zweckmäßig war, weil sich diese Organisationen und auch diese private Schule gar nicht um zwangsweise zurückgeführte Menschen kümmern.
Frau Kollegin Berninger, ich danke Ihnen für diese Klarstellung. Ich will es auch gern zur Kenntnis nehmen und akzeptieren. Sie werden mir zugestehen, dass es einfach bei mir anders angekommen ist. Aber ich finde es vernünftig, wenn man sich darüber in einem guten Ton verständigen kann. Ich danke Ihnen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, Frau Kanis hat ja motiviert dazu, auch in die anderen Länder zu schauen, aus denen es ebenfalls Delegationsreisen ins Kosovo gegeben hat, und dem komme ich selbstverständ
lich sehr gern nach. Es gab nämlich eine Delegationsreise einer niedersächsischen Delegation vom 22. bis 26. April 2012 ins Kosovo.
Diese hatte fast das gleiche Besuchsprogramm wie wir. Ich darf hier Frau Dr. Silke Lesemann, SPDLandtagsabgeordnete, zitieren. Zum einen sagte sie in der „Hannoverschen Allgemeinen“ vom 2. Mai 2012, ich zitiere: „Wer mit offenen Augen und Ohren an dieser Reise teilgenommen hat, kann eigentlich keine Roma dorthin abschieben.“ Und weiter: „Vertreter der Kommunen haben uns eindringlich gewarnt: Bitte schicken Sie keine Menschen mehr zurück.“
In der Landtagsdebatte im Niedersächsischen Landtag am 9. Mai sagte Frau Dr. Lesemann, ich zitiere: „Die staatlichen Hilfsprogramme greifen in der Praxis nicht.“ Und weiter: „Nach dem Ablauf von sechs Monaten stehen die Familien vor dem Nichts.“ Frau Dr. Lesemann bezieht sich hier auf eine Problematik, die nicht zuletzt in dieser Debatte eine Rolle gespielt hat, und zwar auf das Engagement einer Organisation, nämlich von URA 2 URA 2, die Brücke ist tatsächlich die einzige Organisation, die sich auch an zwangsweise abgeschobene Menschen richtet, allerdings nur aus den vier Bundesländern, und dazu gehört auch Niedersachsen. Deswegen finde ich das wichtig, an dieser Stelle darauf zu verweisen, nämlich auf die vier Bundesländer Niedersachsen, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen, die für URA 2 auch Gelder geben. Niedersachsen erwägt jetzt nach dieser Reise den Ausstieg aus der Zusammenarbeit mit URA 2. Warum? Eine sehr spannende Frage. Ich will diese sehr gern beantworten.
Eine der eindrücklichsten Erfahrungen nämlich, die wir auf dieser Reise gemacht haben, war das Zusammentreffen mit mehr als zehn Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlichster Hilfsorganisationen, die im Kosovo tätig sind, das war in Prizren, für die AWO, für den ASB beispielsweise, für das Kolpingwerk usw., die uns verdeutlicht haben, warum sie keine Angebote an Menschen machen, die abgeschoben werden. Sie tun dies nicht, weil sie diesen Menschen nicht helfen wollen, nicht, weil sie deren Leid und deren Elend und deren furchtbare Situation, in die sie zurückgeschoben werden, nicht sehen, sondern weil sie nicht der Grund dafür sein wollen, dass man abschieben kann.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt, den man sich vor Augen führen muss, meine sehr geehrten Damen und Herren. Ich habe übrigens vorhin im einführenden Bericht aus dem Innenausschuss vermisst,
dass darauf hingewiesen wurde, dass wir umgehend nach der Reise bereits im Innenausschuss einen Änderungsantrag zu unserem Ursprungsantrag eingebracht haben, der im Übrigen schon aus dem November stammt. Dieser, das wurde vorhin auch schon gefragt, richtete sich in der Tat zunächst auf einen Wintererlass. Nachdem wir aus dem Kosovo zurückkamen, war für uns jedenfalls klar, dass es um einen generellen Abschiebestopp gehen muss. Genau dahin gehend war unser Antrag auch geändert worden.
Es ist schon zynisch, wenn sich der Berichterstatter hier hinstellt und sagt, es wurde in drei AusschussSitzungen über diese Reise und die Anträge beraten, wenn dort mit keinem Satz eine Auswertung oder Beratung überhaupt stattgefunden hat.
Ja, ich stehe dazu, ich habe diese Reise von Anfang an sehr kritisch gesehen, weil ich der Meinung war, man könnte auch in den zahlreichen und fundierten Berichten der Hilfsorganisationen nachlesen, wie es um die Situation von abgeschobenen Menschen, gerade wenn sie Minderheitengruppen angehören, im Kosovo bestellt ist. Da gibt es die Berichte von UNICEF, da gibt es vielfältige Berichte beispielsweise auch von der OSZE, es gibt sie vom UNHCR. Sie alle sagen, es darf keine Abschiebungen ins Kosovo geben, weil dort gerade die Minderheitenangehörigen noch einmal mehr als alle anderen vor Armut, vor fehlender Teilhabe und vor null Chancen auf dem Arbeitsmarkt stehen. Hinzu kommen Unsicherheit und Diskriminierung. Aber eine Mehrheit hat sich entschieden, diese Reise zu machen, und natürlich haben, glaube ich, alle auf dieser Reise sehr viel gelernt.
Ich will aber auch noch mal daran erinnern, dass wir bei der Reiseplanung vorgeschlagen hatten, auch in den Norden des Kosovo zu reisen. Das ist nicht möglich gewesen aufgrund der Sicherheitslage. Die interessante Konnotation, die man hier noch anmerken muss, ist auch, dass derzeit Menschen in den Norden des Kosovo abgeschoben werden. Auf unsere Frage, warum wir dann nicht in den Norden des Kosovo reisen können, hieß es, das sei etwas anderes, was die Sicherheitslage von Gästen anbelangt oder von Menschen, die ursprünglich von da kommen. Wie man das beurteilt, dazu mag sich jede und jeder selbst eine Meinung bilden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben zur Kenntnis genommen, dass die Koalition nun einen Alternativantrag formuliert hat. Was ich nicht verstehe, ist, dass von der Koalition niemand bereit war, im Innenausschuss die Reise auszuwerten
und den Antrag vorzustellen. Herr Bergner, sich hier vorn hinzustellen und meinen Reisebericht zu kritisieren und diesem auch noch zu unterstellen,
er würde die Arbeit von Hilfsorganisationen diskreditieren, das spottet schon jeder Beschreibung. Ich hätte mich übrigens gefreut...
Von Ihnen gibt es nicht mal einen. Das wäre vielleicht auch mal eine Maßnahme gewesen, wenn auch andere Reiseberichte über diese Reise verfasst hätten oder
wenn man sich im Ausschuss gemeinsam ausgetauscht hätte, gemeinsam die Eindrücke verarbeitet und reflektiert hätte und gemeinsam hätte Revue passieren lassen, was wir dort erlebt haben.
Wir haben von den Regierungsstellen immer wieder erfahren, dass die Republik Kosovo nach dem Abschluss der Rückübernahmeabkommen 2008 ein ganz großes Ziel hat, nämlich der Visa-Liberalisierung ein Stück näher zu kommen. Das ist völlig nachvollziehbar. Es ist eine ganz schwierige Situation, in der sich die Republik Kosovo befindet. Es wurde aber auch immer wieder sehr schnell deutlich - das haben uns auch die NGOs immer wieder bestätigt -, dass der politische Wille, die zurückgeführten Menschen zu integrieren, durchaus da ist, aber über Lippenbekenntnisse leider nicht hinauskommt.
Vorhin wurde hier erwähnt, es gäbe in jeder Kommune Integrationsbüros. Das stimmt schlichtweg nicht. Uns hat beispielsweise das Roma-AshkaliDokumentation-Center sehr detailliert nachgewiesen, dass es in nur vier Kommunen von 33 überhaupt Büros gibt, dass aber dort auch meistens die Integrationsstrategien überhaupt nicht bekannt sind, geschweige denn tatsächlich die Hilfe vor Ort bei den Menschen ankommt, die sie brauchen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte noch auf ein paar Punkte mehr eingehen. Ganz zentral ist aus unserer Sicht von Anfang an die Situation der Kinder der RAE gewesen. UNICEF hat es belegt und wenige Wochen, nachdem wir von unserer Reise zurückgekehrt waren, ist auch der Bericht von UNICEF herausgekommen, in dem die Situation von abgeschobenen Kindern näher beleuchtet wurde. UNICEF hatte uns die Zahlen im Gespräch auch selbst schon dargelegt. Wenn wir da erfahren mussten, dass 50 Prozent der abge
schobenen Kinder traumatisiert oder in ihrer psychischen Gesundheit beeinträchtigt sind, dass 30 Prozent der Kinder und ihre Eltern unter posttraumatischem Stress-Syndrom leiden und von der medizinischen Versorgung faktisch abgeschnitten sind, weil diese, wie man es immer so schön nennt, „Outof-pocket-Zahlungen“ leisten müssen - man muss nämlich dazubezahlen, wer nicht dazubezahlt, der bekommt dann zufällig gerade keine Medikamente, da sind sie gerade alle oder nicht verfügbar, oder es ist kein Arzt ansprechbar. Wir meinen, angesichts dessen kann man nicht sehenden Auges Menschen, vor allem aber keine Kinder, ins Kosovo abschieben. Davon sind wir jedenfalls überzeugt,
weil wir meinen, dass es unhaltbare Zustände sind. Sie haben völlig recht, Frau Kanis und Frau Holbe, die Lebenssituation im Kosovo ist mit der von uns hier nicht zu vergleichen. Aber stellen Sie sich daher einmal mehr die Situation - ich weiß nicht, wie viele Kinder es sind von den etwa 150 Menschen, die hier leben, genaue Zahlen liegen uns leider nicht vor und die in der Gefahr leben, abgeschoben zu werden - vor, diese Kinder sind hier gut integriert, sie leben hier und es wird ihnen die Heimat genommen, es wird ihnen die vertraute Umgebung genommen, es wird ihnen alles genommen, was sie hier haben. Sie kommen zurück und - UNICEF belegt es - 75 Prozent der Kinder besuchen dort keine Schule mehr, weil selbst die größte Mühe, die wir gesehen haben in dieser staatlichen Schule - das hat mich auch schwer beeindruckt -, nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass es faktisch weder Lehrpläne noch Lehrbücher, noch tatsächliche Unterstützung gerade für die Kinder von Minderheitenangehörigen vor Ort gibt. Hinzu kommt, dass sie oftmals die Sprachen im Kosovo gar nicht sprechen.
Meine Damen und Herren, das ist eine ganz bittere, eine ganz schwierige, eine ganz traurige, eine bedrückende Situation und da können wir helfen. Da können wir nämlich ganz einfach helfen, indem wir sagen, diese 150 Menschen bekommen selbstverständlich die Sicherheit, hier in Thüringen zu bleiben,
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will ganz kurz noch ein paar Zahlen nennen. Wenn es beim staatlichen Energiekonzern im Kosovo 8.760 Angestellte gibt und darunter nur drei Mitglieder der Roma sind, dann muss das zu denken geben. Dann kann man sagen, ja die Ausbildung ist natürlich ein Grund, wenn wir wissen, dass ein Großteil der Minderheitenangehörigen nicht einmal die Grundschule abschließt, das sind sechs Jahre,
geschweige denn einen höheren Abschluss haben, dann ist das natürlich eine Situation, die ganz schwierig und unhaltbar ist, aber dass es keine qualifizierten Erwachsenen geben soll, die auch in einem staatlichen Energiekonzern beispielsweise eine Tätigkeit finden sollten, das glaube ich nicht und das belegt meines Erachtens strukturelle Ausgrenzung. Das ist Ausdruck von Diskriminierung, die die Minderheitenangehörigen erfahren.
Sie, die Minderheitenangehörigen, haben nämlich keine Chance auf dem Arbeitsmarkt; ihre Arbeitslosigkeit liegt bei 96 bis 99 Prozent.
Nur zwei weitere Zahlen: Bei der kosovarischen Bahn gibt es 348 Angestellte, darunter kein einziger Minderheitenangehöriger, rund um den Flughafen 644 und auch davon kein einziger Minderheitenangehöriger.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es sind die Kinder, die ganz besonders leiden. Aber auch den Erwachsenen geht es sehr schlecht. Es geht aber ganz zentral um nicht mehr und nicht weniger als um unsere eigene Verantwortung. Wir können leider nicht die Welt retten. Jeder hat ja vielleicht diesen Impuls zu sagen, ich will die Welt gern retten, ich will sie besser machen, aber wir können den 150 Menschen, die von Abschiebung aus Thüringen bedroht sind, eine Perspektive bieten. Ich hoffe, wir können noch sehr viel mehr erreichen, indem wir tatsächlich, Herr Bergner, mal eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung für alle Menschen, nicht nur für Roma, Ashkali und Ägypter, erreichen, die seit vielen Jahren hier leben. Aber hier ganz konkret kann sich jeder und jede Einzelne entscheiden.
Damit es auch jede und jeder Einzelne hier im Thüringer Landtag ganz bewusst tut, beantragen wir eine namentliche Abstimmung zu dem von uns geänderten eingebrachten Antrag. Vielen herzlichen Dank.
Es gibt eine Redemeldung vom Abgeordneten Fiedler für die CDU-Fraktion. 3 Minuten Redezeit sind für die CDU-Fraktion noch.