Das hat zwar alles auch mit Verantwortlichkeit zu tun, aber was kann das Parlament an dieser Stelle wirklich an Schwerpunkten oder Sanktionen womöglich zur persönlichen Verantwortlichkeit in konkreten Fällen setzen? - nur gegenüber dem Regierungschef bzw. der Regierungschefin. Bleibt letztlich die Frage - es gibt doch für Beamte in Thüringen im Fall der Verfehlung das Disziplinarrecht. Minister sind auch staatliche Bedienstete. Antwort ist wie früher beim Sender Jerewan: Im Prinzip ja,
aber es gibt ja noch den Artikel 72 der Thüringer Verfassung, der da lautet: „Die Mitglieder der Landesregierung stehen in einem besonderen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis zum Land.“, somit in gewisser Weise doch wieder geschützt.
Um dieser eher politischen Prägung dieses besonderen Amtsverhältnisses auch in Fragen des Umgangs mit Verantwortlichkeiten und Pflichtverletzungen gerecht zu werden, gibt es im deutschen Parlamentsrecht die Ministeranklage als spezielles Verfahren vor dem Verfassungsgericht. Die Thüringer Verfassung enthält dieses Verfahren zurzeit noch nicht, aber in anderen Ländern wie Bayern, BadenWürttemberg, Rheinland-Pfalz oder dem Saarland. Die beiden Gesetzentwürfe der Fraktion DIE LINKE zur Einführung der Ministeranklage in Thüringen haben das wichtige grundsätzliche Ziel, die Verantwortung der Regierung bzw. der Regierungsmitglieder gegenüber dem Parlament und auch gegenüber der Öffentlichkeit zu stärken.
Meine Damen und Herren, kritische politische Beobachter und Fachleute sind sich einig, dass es bei solchen Verfahren der Aufarbeitung von Verantwortung auch auf Vorfeldwirkung ankommt. Die öffentlichen Debatten über die Antragstellung im Parlament kann schon ein solches demokratisches Korrektiv sein, noch mehr schon die Tatsache, dass es eine solche Norm in der Verfassung gäbe, kann eine gewisse „Stoppschildwirkung“ haben. Dass eine solche Ministeranklage zur Aufarbeitung von Verstößen, Fehlverhalten von Thüringer Regierungsmitgliedern inhaltlich sinnvoll ist, zeigen, meine Damen und Herren, jene Beispielfälle aus den vergangenen 20 Jahren. Danke.
Ich eröffne dann jetzt die gemeinsame Aussprache und rufe auf Herrn Abgeordneten Barth für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Ministeranklage stammt historisch aus einer Zeit, als die Regierung nicht dem Parlament, sondern dem Monarchen unterstellt und damit auch rechenschaftspflichtig war.
Dafür brauchen wir sie heute, glaube ich, nicht. Das Grundgesetz und auch die Thüringer Verfassung klären das Verhältnis zwischen Regierung und Parlament klar und eindeutig, und zwar zugunsten des Parlaments. Artikel 48 der Thüringer Verfassung sagt ganz klar, der Landtag ist das oberste Organ der demokratischen Willensbildung. Es stimmt, was Kollege Blechschmidt vorgetragen hat. Es gibt acht Bundesländer in Deutschland, in denen die Ministeranklage in den Verfassungen steht. Allerdings muss man der Vollständigkeit halber dazusagen, dass die dort überall mit dem Erstbeschluss der Verfassung in Fortschreibung auch historischer Kontexte aufgenommen worden ist. Es gibt keinen einzigen Fall bisher, in dem die Ministeranklage nachträglich in eine Verfassung im Wege der Verfassungsänderung aufgenommen worden ist.
Natürlich, wir können anfangen, da spricht zunächst mal nichts dagegen. Ich will hier ja nur erst mal darlegen, wie die Sachlage ist. Zu einem Verfahren ist es tatsächlich noch nie gekommen. Dass allein ein Antrag allerdings auch schon sehr öffentlichkeitswirksam sein kann, das hat der damalige Justizminister aus Rheinland-Pfalz, Herr Bamberger von der SPD, im vergangenen Jahr zu spüren bekommen, als es nämlich um einen entsprechenden Antrag mal gegangen ist. Pikanterweise hatte das einen gewissen Bezug zu Thüringen. Es wurde damals auch 20 Jahre Aufbauhelfer Thüringen gefeiert von unserem SPD-Justizminister. Sein Kollege aus Rheinland-Pfalz, eben besagter Herr Bamberger, hatte Ärger, weil er einen ehemaligen Thüringer Aufbauhelfer bei einer Postenbesetzung übergangen hatte. Das war sozusagen eine unerfreuliche Geschichte sicherlich, aber es war sehr öffentlichkeitswirksam und für den betroffenen Minister auf jeden Fall nicht angenehm. Das heißt also, wirkungslos ist das Instrument auf jeden Fall mal nicht. Das kann man, glaube ich, auch festhalten.
Ob ein Ministerpräsident klug beraten ist, das überhaupt so weit kommen zu lassen, das ist mal eine ganz andere Frage. Das darf man durchaus bezweifeln. Aber wenn ich uns alle an die doch bemerkenswerte Diskussion auch heute Morgen erinnern darf, dann glaube ich, gerade auch mit Blick
auf das kraftvolle Schweigen unserer Ministerpräsidentin mal zu rekurrieren, was wir heute früh hier ja auch alle erleben durften. In der Koalition braucht es möglicherweise gar keine Opposition, um so ein Mittel, wenn es das denn gäbe, zum Einsatz zu bringen.
Also die Frage steht, hat so eine Ministeranklage einen tatsächlichen Wert oder eher einen symbolischen. Ich glaube, da kann man in Anbetracht des Befundes der Lage auch in den anderen Bundesländern sagen, es ist wohl eher ein symbolischer Wert. Normalerweise würde ich sagen, Symbole haben sicherlich ihre Berechtigung, aber Symbolpolitik muss man jetzt nicht unbedingt machen.
Jetzt kommt natürlich das „aber“. Der Ruf nach § 34 ist hier schon gelegentlich laut geworden. Vielleicht für die hier auf der Tribüne und auch die Interessierten, die das hier im Internet verfolgen, das mal gesagt: Es geht dabei um die Möglichkeit des Parlaments, Minister zur Parlamentsdebatte herbeizurufen. Jetzt will ich wirklich mal schauen und mal zeigen, was hier auch los ist. Das, was hier an Besetzung auf der Regierungsbank im Moment zu bewundern bzw. eben nicht zu bewundern ist, hat jetzt nichts mit dem Tagesordnungspunkt zu tun. Es ist nicht so, dass die aus Angst - weil sie sich persönlich vielleicht angegriffen fühlen würden oder könnten - jetzt nicht hier sind. Das ist der Normalfall, den wir hier auch jetzt im Moment konstatieren müssen.
Da sitzen regelmäßig eins, zwei, drei Staatssekretäre, die nach unserer Verfassung nicht Mitglied der Landesregierung sind. Auch das muss man mal festhalten, meine sehr verehrten Damen und Herren. Und ich frage jetzt einfach mal ganz naiv, symbolisch vielleicht auch in den Raum, wie wäre es denn, wenn wir alle mal rausgehen wenn hier ein Minister das Wort ergreift?
Auch rein zwischenmenschlich mal zu sagen: Wie ist denn eigentlich auch die Frage der gegenseitigen Achtung vonseiten unserer Landesregierung, wie hier der Umgang miteinander ist? Ich bin in der 1. Legislaturperiode Mitarbeiter in einem Ministerium gewesen in einem Ministerbüro. Ich habe damals Termine für einen Minister gemacht und ich kann Ihnen sagen, in der Zeit, als diese Frage frei gewähltes Parlament, auch Verhältnis von Parlament zur Regierung auch in der Öffentlichkeit noch ganz anders wahrgenommen wurde, wenn ich auf den Gedanken gekommen wäre, meinem damaligen Minister regelmäßig zur Plenarsitzung irgendwelche anderen Termine in den Kalender zu schreiben, hätte der mich gefragt, ob ich noch alle Latten am Zaun habe.
Das war ein heiliger Termin. Wenn Plenum war, war Plenum und dann waren die hier. Das gab es überhaupt nicht anders und das ist auch richtig so. Ich finde es wirklich - mir fehlen fast die Worte, wie Sie merken - an Missachtung dem Parlament gegenüber kaum zu übertreffen, was hier regelmäßig vonseiten der Landesregierung an Abwesenheit an den Tag gelegt wird.
Ich will ehrlich sagen, das ist kein Kavaliersdelikt. Wir sind die Volksvertretung und diese Missachtung der Volksvertretung - und das sage ich dann auch wirklich bewusst mit dem Pathos - ist gleichzeitig eine Missachtung des Volkes, welches wir hier vertreten. Das muss sich diese Landesregierung wirklich endlich auch mal sagen lassen.
Wir haben das schon mehrfach angesprochen. Dass ich hier keine Einzelmeinung vertrete, das zeigt ja auch, ich bin ja der gewesen, der in den letzten Plenarsitzungen diesen Antrag nach § 34 auch gelegentlich mal gestellt hat, dass es dafür eine Mehrheit gibt. Das heißt, dass auch die Regierungsfraktionen diese Anträge inzwischen mit unterstützen, zeigt ja, dass das wirklich auch von der Mehrheit dieses Hauses einhellig so gesehen wird, dass wir uns diese Missachtung, die die Landesregierung hier an den Tag legt, nicht länger gefallen lassen dürfen. Deshalb bin ich wirklich inzwischen fast so weit und geneigt dieser Landesregierung gegenüber zu sagen - als Symbol, um zu zeigen, wer hier Koch und wer hier Kellner ist -, es wäre möglicherweise tatsächlich richtig, auch ein solches Mittel in die Verfassung zu schreiben, um hier ein Signal zu setzen. Ich denke - und das ist ja notwendig -, diese beiden Entwürfe Verfassung und auch den Gesetzentwurf in den Ausschüssen zu beraten, dass wir das dann auch dort der Regierung so deutlich machen sollten, dass so ein Antrag auch ein Zeichen dafür ist, wie schlecht das Verhältnis aus unserer Sicht zwischen Landtag, zwischen Parlament und Regierung in unserem Land inzwischen geworden ist. Es würde mich freuen, wenn - egal wie es ausgeht - wenigstens auf diesem Weg dieses Signal bei dieser Landesregierung endlich mal ankäme. Vielen Dank.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ministeranklage - man könnte ja jetzt einen sehr
Kommen wir mal zum Ernst der Angelegenheit zurück. Auf den ersten Blick ist das ja ein durchaus sympathisches Anliegen, dem Parlament ein Instrument an die Hand zu geben, die Ablösung von Ministern zu betreiben, die vorsätzlich gegen Gesetze oder gar die Verfassung verstoßen haben. Was soll eigentlich dagegen sprechen? Die Antwort ist, das ist doch eigentlich ein sehr veraltetes Mittel. Herr Barth, wenn Sie sagten, man müsste hier ein bisschen drohen, auch wenn das ein Mittel ist, was nie angewendet wird; ich denke, das ist auch ein falsches Mittel, wenn man sagt, man will Minister nur entlassen können, wenn sie vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen Verfassung und Gesetze verstoßen. Wir haben inzwischen andere Maßstäbe an Politik und an das, was Minister tun sollten und was nicht.
Ihr Antrag, würde ich sagen, ist ein etwas veraltetes Instrument. Das Verfassungsgericht soll auf einen Zweidrittelantrag des Parlaments in solchen Fällen stellvertretend für die Ministerpräsidentin/den Ministerpräsidenten einem solchen Minister quasi die Entlassungsurkunde aushändigen dürfen, wenn das Verfassungsgericht denn nach eigener Prüfung feststellt, dass der erhobene Vorwurf berechtigt ist.
Diese Konstruktion, die - darauf haben Sie hingewiesen, Herr Blechschmidt - in einigen Landesverfassungen auch so existiert, stammt aus einer frühen Phase des Parlamentarismus. Sie hat ein Parlament im Blick, das sich auf diese Weise gegen selbstherrliche Minister zur Wehr setzen können soll, wenn diese sich über Recht und Gesetz oder sogar die Verfassung hinwegsetzen. Das Verfahren der beantragten Ministeranklage ist aber aus unserer Sicht eine aus heutiger Sicht zu schwerfällige Prozedur. Wir nehmen uns jetzt mal einen aktuellen Beispielfall - und weil man nicht so unfair sein soll, blicken wir mal über Thüringen hinaus und blicken in den Bund, auf die Bundesebene - und nehmen den Fall des „fliegenden Teppichs“, auch wenn es auf der Bundesebene keine Ministeranklage gibt. Der Deutsche Bundestag könnte nun analog Ihres Vorschlags, wenn es dort so etwas gäbe, mit einer Mehrheit, die ohne die Regierungskoalition nicht zustande kommen könnte, beim Bundesverfassungsgericht die Feststellung beantragen, dass der Minister „N.“ vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen die Zollgesetze unseres Landes verstoßen hat und deshalb zu entlassen wäre. Oder Herr „N.“ könnte, wenn er die an ihm geäußerte Kritik höchstrichterlich klären lassen will, selbst dem Verfassungsgericht diese Frage stellen. Brauchen wir aber in so einem Fall „fliegender Teppich“ oder anderen ein Gerichtsverfahren? Wir meinen, das brauchen wir nicht, denn Politiker werden heute nicht mehr in der
Wochenschau im Kino von einem kleinen Publikum betrachtet und dann von einigen gut Informierten bei Gericht angezählt, sondern überall und jederzeit und in Echtzeit von jedermann und von jeder Bürgerin und von jedem Bürger bewertet. Da - wenn wir uns überlegen, weshalb Ministerinnen und Minister ihren Hut schon nehmen mussten - haben Ministerinnen und Minister schon weit unterhalb der Schwelle von Gesetzes- oder gar Verfassungsverstößen einen schweren Stand, wenn sie einmal angezählt worden sind. Man braucht also, um beim Beispiel zu bleiben, „keinen Teppich fliegen zu lassen“, bevor man aus dem Amt fliegt. Das erklärt auch, warum meines Wissens ein solches Verfahren in den Ländern, in denen es so etwas gibt, noch nie erfolgreich betrieben wurde, weil es nämlich nicht betrieben werden brauchte.
Wir meinen, dass in Zeiten einer aufgeklärten demokratischen Öffentlichkeit und einer funktionierenden freien Presse die Befürchtung unbegründet ist, dass Ministerinnen und Minister trotz vorsätzlicher Gesetzes- und Verfassungsverstöße im Amt bleiben könnten. Es reicht doch heute schon weitaus weniger - ein erschwindelter Doktortitel, eine streitige Dienstwagenverwendung oder sogar schon die Ankündigung, für die Oppositionsführung in einem Land selbst viel zu bedeutend zu sein -, um der Ministerwürde unwürdig zu werden. Wir sehen daher schlicht keine Notwendigkeit für Ihren Verfassungsänderungsvorstoß. Neuere Verfassungen, die in der Zeit einer funktionierenden Demokratie erlassen oder verändert worden sind, kennen die Ministeranklage nicht. Auch in Thüringen werden wir auch wenn die Regierungsbank heute etwas leer war, aber eine Ministerin haben wir wieder, schön ohne Ministeranklage auskommen. Wenn wir hier im Parlament in großer Mehrheit, die wäre ja für Ihre Anklage erforderlich, Minister für Fehlbesetzungen halten, werden diese ihre Bank auch so zu räumen haben. Demokratische, statt gerichtliche Kontrolle funktioniert. Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Marx. Das Wort hat jetzt Herr Abgeordneter Meyer für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, meine Vorrednerinnen und Vorredner haben die wesentlichen Aspekte genannt, die mir auch zu den beiden vorliegenden Anträgen der LINKEN aufgefallen sind. Das Problem, das bislang nur aus der Frühzeit der bundesdeutschen Verfassungswirklichkeit stammte, der Tatsache, dass es bislang kein erfolgreiches Ver
fahren gab - ich habe das letzte in 2011 gefunden, da hat die Opposition von CDU und FDP in Rheinland-Pfalz versucht, einen Justizminister auf diese Art und Weise zu ärgern, ohne Erfolg -, das ist alles gesagt worden.
Ich will eine Bemerkung machen, die mir komisch aufgestoßen ist bei Ihrer Begründung. Wenn ich das mal zitieren darf aus der Begründung der Drucksache 5/4533 mit Ihrer Erlaubnis. Im zweiten Satz heißt es: „Die Ministeranklage ist ein Gerichtsverfahren, das der Klärung von politischen Verantwortlichkeiten dient...“ Das, finde ich eigentlich, sollten Gerichtsverfahren nicht.
Sie sollten strafrechtliche Verantwortlichkeiten oder zivilrechtliche Verantwortlichkeiten klären, aber gerade keine politischen Prozesse sein. So ist es auch nicht gemeint, aber so haben Sie es leider hingeschrieben.