Protocol of the Session on June 1, 2012

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich teile die Einschätzung, man hätte das Ganze ohne Aussprache machen sollen. Aber nun hat es sich so entwickelt, wie es sich entwickelt hat. Ich stimme ausdrücklich meinen Vorrednern, Fraktionsvorsitzenden der FDP, CDU und SPD zu. Nicht, weil man unbedingt noch etwas beifügen muss, bin ich hier vorgegangen, sondern ich möchte noch mal darauf verweisen, ich war Mitglied der

(Abg. Ramelow)

ersten frei gewählten Volkskammer. Wir haben damals - das Wichtigste, was wir beschlossen haben, war aus meiner Sicht die deutsche Einheit. Kollege Ramelow, da haben Sie recht, sonst könnten Sie heute hier nicht sitzen und manch anderer auch.

Nummer zwei: Ich glaube, aus heutiger Sicht haben wir einen großen Fehler gemacht, dass wir damals, wie nach 1945 die NSDAP verboten wurde, man hätte auch die damalige Partei verbieten müssen. Dies haben wir nicht gemacht, weil uns sehr viele, insbesondere West-Juristen aus hohen Stellungen abgeraten haben. Wir haben das nicht gemacht. Wir haben uns dann mehr oder weniger kapriziert auf das Ausführungsorgan Stasi und alles, was damit im Zusammenhang steht. Aus heutiger Sicht, aus meiner Sicht, ein Fehler. Aber man kann die Geschichte nicht zurückdrehen.

Dann sind wir in das Grundgesetz, ich jedenfalls und die damals, die ich mit vertreten habe, mit großer innerer Bewegtheit und mit großer Begeisterung der Bundesrepublik beigetreten. Ich denke, das war für uns ein wichtiger Grund, um überhaupt die Demokratie leben zu können. Ich bin dann auch in den Landtag gewählt worden. Ich musste erkennen, wie sich eben doch viele Dinge nicht so erfüllt haben, wie wir uns das vorgestellt haben. Wir haben Kolleginnen und Kollegen erlebt, die sich trotzdem haben aufstellen lassen, obwohl sie für die Stasi gearbeitet haben. Wir haben eben damals die Instrumentarien gesehen, wie sie heute hier geschildert wurden, um dem entgegenzuwirken, um einem Gesetzgebungsorgan mitzugeben, dass wir uns nicht wünschen, dass solche Leute mitmachen, die gespitzelt haben, wo wir nicht wissen, wie sie damit Familien, wie sie damit Menschen geschadet haben. Wir wissen es nicht.

Ich will nur einfügen in dem Punkt, damit ich es nicht vergesse, ich habe hohen Respekt, Herr Kuschel. Ich musste wegen eines anderen Grundes hier vortreten vor vielen, vielen Jahren. Ich weiß, wie das ist. Es fällt einem nicht leicht, wenn man da etwas sagen muss. Davor habe ich Respekt. Das will ich ausdrücklich sagen. Aber man kann es sich nicht so leicht machen, dass man das Ganze jetzt nur in die Richtung lenkt, hier wird eine Partei bekämpft. Also diese politische Auseinandersetzung findet woanders statt. Kollege Ramelow und Frau Rothe-Beinlich, ich habe damals schon in der Volkskammer und vorher am runden Tisch und noch vorher, bevor es den gab, habe ich mich mit dafür eingesetzt, dass Kontrolle und Auflösung des MfS weit vorangetrieben wurden. Damals waren sie alle noch bewaffnet und alle standen noch Gewehr bei Fuß, wo wir jedenfalls in dem kleinen Stückchen, was ich vor der Volkskammer mit beackern durfte, wie wir da vorgegangen sind. Ich will damit nicht sagen, wer war der Bessere und wer war der Schlechtere, ich will nur sagen, auch ich war seit 1985 Mitglied der - aus Ihrer Sicht - Blockpartei

aus meiner Sicht - CDU und es war immer noch auch nach der Verfassung der DDR die SED die Führungspartei und niemand anderes. Ich will das aber jetzt nicht zum Thema machen.

Was mich umtreibt: Ich habe in der damaligen Volkskammer, auch da gab es eine große Auseinandersetzung, es wurde damals heiß diskutiert, wie gehen wir mit Stasi um. Es hat sich damals die Exekutive heftig dagegen gesperrt, dass man eine Aufklärung dort vorantreiben konnte. Ich will das jetzt nicht bis ins Einzelne auseinandernehmen, aber der damalige Innenminister Diestel war dort ein großer Bremsklotz in der ganzen Geschichte. Da ich damals in dieser Kommission war, ist es uns damals gelungen, dass wir über Grenzen hinweg der Volkskammer - das gab es auch viele Jahre hier noch, manchmal gibt es das heute noch - einen Beschluss in der Volkskammer gefasst haben, dass wir diese Aufklärung selber in die Hand nehmen. Wir haben das einfach selber in die Hand genommen. Und um eine gewisse Legitimation zu haben, hatten wir ein Schreiben, den Beschluss der Volkskammer, und ein Schreiben damals des Vizepräsidenten, der hat es unterschrieben, dass wir legitimiert waren, nach außen zu gehen, die sogenannten OibEs, Offiziere im besonderen Einsatz, und andere Dinge zu prüfen, um die Leute aus ihren öffentlichen Funktionen zu entfernen; nichts anderes stand dahinter.

Wir hätten eigentlich erwartet, dass sie so viel Anstand haben und das selber machen. Nein, wir mussten so vorgehen. Da die Zeit der Volkskammer sehr kurz war, sind wir dort nur stückhaft vorangekommen. Aber eins kann ich Ihnen sagen, damals hatte ich auch Mitarbeiter, wir konnten das ja nicht alles alleine machen, wir haben teilweise von früh um 8.00 Uhr bis in die Nacht um 2.00 Uhr gesessen in der Volkskammer. Ich hatte hier in Erfurt den Mitarbeiter Pfarrer Ebert, er ist leider schon verstorben, ein hoch anständiger Mensch, der sich sehr dort mit eingebracht hat und hier mitgewirkt hat. Wir hatten auch Mitarbeiter, die bunt schillernd waren - Matthias Büchner, auch der hat damals mitgewirkt. Wir hatten auch Mitarbeiter damals - also, ich will jetzt mal sagen, es reicht jetzt, diese zwei Mitarbeiter zu benennen. Wir haben aber eins gemacht, wir haben Gespräche geführt mit den Betroffenen, die saßen in unterschiedlichen Funktionen. Der eine war LKA-Chef, der Nächste war das, also damals hieß das anders, VPKA und alles, wo die überall eingebracht wurden. Sie wurden eingebracht, sie wurden ja extra hingeschickt, um das System doppelt zu kontrollieren. Das sollten wir alle nicht vergessen; es war ein Spitzelsystem, was systematisch aufgebaut wurde. Systematisch wurden selbst die eigenen doppelt bespitzelt, selbst die IMs wurden noch einmal doppelt kontrolliert usw. usf. Aber was mich am meisten umgetrieben hat, und da bin ich in voller Übereinstimmung mit dem

heutigen Bundespräsidenten Joachim Gauck. Ich habe damals mit ihm, ich habe ihn erlebt, wir haben sehr eng in der Volkskammer zusammengearbeitet. Wenn es nicht mehr weiterging, haben wir uns verbündet oder er kam zu mir und wir haben dann in die Richtung der Exekutive gewirkt. Deswegen bin ich heute noch einmal hier vorgegangen, weil ich Joachim Gauck damals geschätzt habe und heute noch mehr schätze. Aber das, Frau Kollegin RotheBeinlich, ich hoffe, dass es nicht Ihre gesamte Fraktion ist, die das vertritt, was Sie heute hier vorgetragen haben.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Doch, das ist aber so.)

Ja, wenn es Ihre ganze Fraktion ist, betrübt es mich umso mehr, wenn das so sein sollte, denn ich glaube, Joachim Gauck lebt es uns vor und hat es uns damals vorgelebt, wie man mit solchen Dingen umgehen sollte. Sie sollten sich vielleicht wieder einmal daran erinnern und Sie sollten nicht vergessen, Sie haben in Ihrem Namen auch das BÜNDNIS 90 immer noch drin.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Und das heißt, die Zeiten von Alleinvertretungsansprüchen sind auch vorbei.)

Wie lange Sie das noch beibehalten wollen, ist Ihr Problem. Nach der heutigen Rede kann ich nur sagen, es kommen mir große Zweifel.

Meine Damen und Herren, ich bin deswegen hier vorgegangen, weil ich seit weit über 20 Jahren in der ersten frei gewählten Volkskammer mich den Dingen stellen musste. Ich kann Ihnen sagen, ich war einer der wenigen zwei handvoll von Leuten, die damals die Akten lesen mussten, konnten, durften. Ich kann Ihnen sagen, was dort alles rausgekommen ist, was da drinstand. Es schaudert mich noch heute, wie viel Menschen zu Tode gekommen sind, wie viel in Psychiatrien verbracht wurden und wie hier mit den Menschen umgegangen wurde. Das ist und bleibt unwürdig. Das sollten wir auch in Zukunft bedenken.

(Beifall CDU, SPD; Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Fiedler. Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Dann schließe ich diesen Tagesordnungspunkt 24.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 14

Politische Bildungsarbeit an Thüringer Schulen konsequent am Beutelsbacher Konsens ausrichten

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 5/4357 dazu: Alternativantrag der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 5/4401

Wünscht die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Begründung? Nein. Wünscht die Fraktion DIE LINKE die Begründung? Auch nicht. Die Landesregierung hat den Sofortbericht angekündigt. Ich bitte Herrn Minister Matschie zum Sofortbericht.

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, das ist jetzt gar nicht so einfach nach der doch auch sehr emotionalen Debatte wieder in die normale Antragsdebatte hier einzusteigen. Aber vielleicht hat die Diskussion um den Bildungs- und Erziehungsauftrag von Schulen schon auch etwas mit unserer Auseinandersetzung zu tun, die wir eben hier geführt haben. Basis für den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schulen in Thüringen ist ganz klar das Grundgesetz und die Verfassung des Freistaats. Dazu gehört die Befähigung zur gesellschaftlichen Mitverantwortung und zur demokratischen Mitgestaltung. Das Fach Sozialkunde leistet dabei einen entscheidenden Beitrag.

(Beifall Abg. Barth, FDP)

Zur Didaktik des Faches gehören Schüler- und Problemorientierung, exemplarisches Lernen, Aktualität, Handlungs- und Wissenschaftsorientierung und auch Kontroversität - eines der drei Grundprinzipien, die im Beutelsbacher Konsens festgehalten worden sind. Die wichtigsten Ziele des Sozialkundeunterrichts in den Thüringer Regelschulen und Gymnasien sind die Fähigkeit zum selbstständigen und gut begründeten politischen Urteil, Sensibilität für die Schlüsselprobleme unserer Gegenwart und Zukunft und selbstständiges Arbeiten und erste Einblicke in wissenschaftliche Arbeitsweisen. Die inhaltlichen Lehrplanvorgaben dazu sind verbindlich. Die Umsetzung durch Schulen und Fachlehrer erfolgt eigenverantwortlich. Deshalb sind aus meiner Sicht weitere Handlungskriterien nicht erforderlich. Der neue Lehrplan für das Fach Sozialkunde ab dem kommenden Schuljahr bezieht sich dann sogar direkt auf den Beutelsbacher Konsens. So weit die schulfachliche Antwort.

Zur Bewertung Ihres Antrags gehört aber auch ein Blick auf das Schulrecht. Wer entscheidet, ob Ausstellungen und Veranstaltungen in Schulen stattfinden dürfen? Das ist im Schulgesetz klar geregelt.

1. Der Schulleiter genehmigt, ob Veranstaltungen von schulfremden Personen, also Vorträge und Bildvorführungen, stattfinden dürfen.

(Abg. Fiedler)

2. Die Schulkonferenz entscheidet, welche Zusammenarbeit mit außerschulischen Einrichtungen und Institutionen stattfindet.

Das heißt, die Schule selbst entscheidet und verantwortet, ob und wie sie Angebote von außerschulischen Partnern annimmt oder nicht. Das ist auch richtig so.

(Beifall CDU, FDP)

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Das bleibt auch so.)

Dieses Recht gilt selbstverständlich auch für das Evangelische Ratsgymnasium Erfurt.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, die Berichterstattung über die Eröffnung der Ausstellung im Ratsgymnasium hat eines gezeigt, nämlich dass Sozialkundeunterricht an den Thüringer Schulen funktioniert. Diese Ausstellung diente der politischen Meinungsbildung und das kam auch in der kontroversen Diskussion zwischen Schülerinnen und Schülern und dem Innenminister zum Ausdruck.

Ich will an dieser Stelle auch noch mal ganz klar sagen, Demokratie lebt von unterschiedlichen Haltungen und Positionen. Demokratie hält es aus, solche Konflikte auszutragen. Die Reaktion der Schülerinnen und Schüler und der Gäste des Gymnasiums hat doch nur eines gezeigt, dass diese demokratische Kultur intakt ist. Dass diese öffentliche Auseinandersetzung stattfindet mit unterschiedlichen Positionen und dass man dort auch miteinander diskutiert.

(Beifall CDU)

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, die Forderung nach einem verbindlichen Kriterienkatalog für Angebote der Öffentlichkeitsarbeit, wie sie im Antrag gestellt worden ist, verwundert mich deshalb etwas. Meinen Sie wirklich im Ernst, dass die Schulleitungen oder Pädagoginnen und Pädagogen im Jahr 23 nach dem Mauerfall tatsächlich, ich zitiere mal aus dem Antrag, „klare Handlungsorientierungen“ für ihre Arbeit benötigen?

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Offenbar glauben die das.)

Reichen die gesetzlichen Grundlagen, reicht das fachliche Können, reichen die beruflichen Erfahrungen nicht aus? Sind solche Kriterien von oben nicht das Gegenteil von eigenverantwortlicher Schule, für die wir doch streiten und die wir alle gemeinsam wollen?

(Beifall SPD, FDP)

Muss man nicht vielmehr davon ausgehen, dass die anerkannten Leitlinien des Beutelsbacher Konsens längst zum Alltagsgeschäft der Schulen gehören. Dieser Konsens ist Mitte der 70er-Jahre formu

liert worden. Der wird übrigens auch heute wieder in einigen Punkten kritisch diskutiert. Die Schülerorientierung, die im Beutelsbacher Konsens angelegt worden war, zielte darauf ab, dass der Einzelne lernt, seine eigenen Interessen in der Gesellschaft durchzusetzen. Das wird heute z.B. auch wieder kritischer reflektiert, indem man sagt,

(Beifall SPD)

es geht eben nicht nur darum, die Eigeninteressen durchzusetzen, sondern gesellschaftliche Gesamtinteressen im Blick zu haben bei dem Kampf auch um die eigenen Interessen. Das heißt, auch der Beutelsbacher Konsens entwickelt sich in der Debatte weiter und unsere Pädagogen nehmen an dieser Auseinandersetzung auch teil. Ich glaube, dass die Grundlagen, die wir dafür rechtlich gelegt haben, in der fachlichen Befähigung von Lehrerinnen und Lehrern ausreichen und sich hier nicht ein Ministerium von oben einmischen muss.

Es ist sinnvoll und auch in der Praxis weit verbreitet, dass die Schulen Angebote externer Bildungsträger und öffentlicher Einrichtungen wahrnehmen. § 56 des Schulgesetzes gibt dafür einen Rahmen vor. Das gilt auch für den Alternativantrag der Fraktion DIE LINKE, mit dem die Landesregierung aufgefordert wird, Öffentlichkeitsarbeit von Verfassungsschutz und Bundeswehr an Thüringer Schulen nicht mehr zuzulassen. Ich sage ganz klar und deutlich: Das lehne ich ab.

(Beifall FDP)

Denn das Schulgesetz legt ebenfalls fest, dass der Schulleiter über Informationsbesuche nicht zur Schule gehörender Personen im Unterricht entscheidet und nicht das Ministerium. Verfassungsschutz und Bundeswehr stehen auf dem Boden unserer demokratischen Grundordnung und sie haben auch einen Informationsauftrag.

(Beifall CDU)

Auch wenn wir heute kritisch über den Verfassungsschutz in Thüringen diskutieren, ist es immer noch so, dass dieser Verfassungsschutz auf dem Boden der Grundordnung steht, dass er einen Informationsauftrag hat, und wenn Schulen und Lehrer der Meinung sind, wir wollen uns Vertreter dieses Verfassungsschutzes in die Schule holen und wollen uns mit ihnen auseinandersetzen, dann haben sie ganz ausdrücklich dazu das Recht. Ich werde den Schulen in dieses Recht als Minister nicht hineinreden.

(Beifall FDP)

Indoktrination von oben nach unten, das findet heute in den Klassenzimmern nicht mehr statt. Das gehörte sicher zur Schule in der DDR. Heute gehören kritisches Nachfragen, Widerspruch und Meinungsvielfalt dagegen zum Schulalltag. Auch das - und das muss man denjenigen sagen, die auch an un

(Minister Matschie)