Thüringer Mindestlohngesetz (ThMLG) Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 5/4464 ERSTE BERATUNG
Wünscht die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Begründung? Ja? Das macht Frau Siegesmund. Bitte schön, Frau Abgeordnete.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN legt Ihnen heute das Thüringer Mindestlohngesetz vor. Wir gehen voran, wir betreten Neuland, weil wir finden, Mindestlohn ist das Mindeste.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich nehme das wohlwollende Summen zur Kenntnis. Anders als in 20 von 27 Mitgliedsländern der Europäischen Union gibt es bislang in der Bundesrepublik keinen allgemein verbindlichen Mindestlohn. Das wissen Sie. Gleichzeitig wissen Sie aber auch, dass der Niedriglohnsektor durch einen rasanten Anstieg der atypischen Beschäftigungsverhältnisse in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Ich muss Ihnen einfach die unrühmliche Grafik zeigen. In der Bundesrepublik ist in den vergangenen Jahren die sogenannte Arbeitsarmut gestiegen. Hierauf sind lauter europäische Länder, Länder der Europäischen Union, und Deutschland steht ganz oben bei der Frage, wo wächst Arbeitsarmut.
Ich will Ihnen gern die Zahlen liefern, die Sie dazu wissen sollten: 1,2 Mio. Menschen in der Bundesrepublik arbeiten unter 5 € Stundenlohn, 2,4 Mio. Menschen in der Bundesrepublik arbeiten unter 7,50 € und noch mal 1,4 Mio. Menschen in der Bundesrepublik arbeiten unter 8,50 €. Das sind in Thüringen 240.000 Menschen unter 8,50 € und noch mal 83.000 unter 5 €. Was wir nicht wollen, ist, dass man in diesem Land arm trotz Arbeit ist.
Deswegen legen wir unser Gesetz vor. Jeder dritte Beschäftigte in Thüringen verdient unter 8,50 €. Das ist ein Skandal. Daran wollen wir etwas ändern.
Wir wollen, dass Schluss ist mit Sonntagsreden, dass Schluss ist damit, dass wir den Niedriglohnbereich auch noch schützen. Deswegen schließen wir uns Initiativen aus Bremen, Hamburg und Hessen an, wo die Länder vorangehen und sagen, in den Bereichen, wo wir unmittelbar Verantwortung haben, sorgen wir dafür, dass mit dieser skandalösen Niedriglohnpolitik aufgehört wird.
Wer unseren Gesetzentwurf sorgfältig gelesen hat, hat gesehen, dass natürlich die Handlungsmöglichkeiten des Landes begrenzt sind, aber das Land kann Folgendes tun und das ist wichtig. Bei jedem Bereich, wo der öffentliche Auftraggeber Vergabe anstößt, wo wir also Beschäftigte von öffentlichen Mitteln finanziert losschicken, kann das Land sehr wohl darauf achten, dass gut bezahlt wird, und zwar mindestens mit 8,50 €.
Solange - und das ist unsere feste Überzeugung es auf Bundesebene kein echtes Mindestlohngesetz geben wird - und dass Schwarz-Gelb sich in dieser Legislatur dem vermutlich nicht mehr hingeben wird, ist uns, glaube ich, hier allen klar -, so lange müssen wir als Land auch da in Vorbildwirkung treten. Ich gehe davon aus, dass Sie sich nicht nur Rhetorik hingeben, sondern auch zeigen, dass Sie das wirklich wollen.
Unser Gesetzentwurf schlägt deswegen Folgendes vor: Wir wollen, dass das Land künftig bei jeder Form der Vergabe mindestens 8,50 € zahlt. Mindestens 8,50 € heißt, dass es eine unabhängige Mindestlohnkommission geben soll, die sich aus den Tarifpartnern, Arbeitgeberverbänden und einem Wissenschaftler zusammensetzt. Fünf Köpfe, die darüber entscheiden, wie geht Mindestlohn bei Vergabe in Thüringen - Punkt 1.
Punkt 2: All jene, die im Auftrag von Kommunen und Land unterwegs sind, sollen vernünftig verdienen. Das wollen wir. Das betrifft den Busfahrer oder die Busfahrerin, die morgens Schulkinder in die Schulen bringt. Das betrifft den Postservice, der im Auftrag der Kommunen unterwegs ist und Briefe austeilt. Und es betrifft die Gebäudereiniger, die in Schulen unterwegs sind und gute Arbeit machen, aber keinen guten Lohn dafür bekommen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, unser Mindestlohngesetz betritt Neuland, das ist uns durchaus bewusst. Das erste Mal wird in einem Flächenland im Osten, in den neuen Ländern darüber diskutiert, einen Mindestlohn einzurichten. Das Land hat die Möglichkeit, sich zu dem zu bekennen. Das Land hat - erinnern Sie sich an die Mündliche Anfrage von uns im vergangenen Plenum - gesagt, dass keine deutlichen Steigerungen finanziell auf das Land zukommen würden. Es gibt also überhaupt keinen Grund, sich hier zu verweigern. Deswegen bitte ich jetzt auch um eine ernsthafte Debatte unseres Gesetzes. Es tut not. Mit Armut trotz Arbeit muss es in diesem Land vorbei sein und auch mit Sonntagsreden, davon gab es genug.
Ich eröffne nun die Aussprache und rufe als Ersten auf für die CDU-Fraktion den Abgeordneten Dr. Voigt.
Werte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, der öffentliche Dienst in Thüringen soll Mindestlohn zahlen, so lautet der Antrag der GRÜNEN. Jetzt hat Frau Siegesmund eben schon gesprochen. Sie hat aber, ich glaube, vor einer Woche war es, auch ein Interview zu dem Thema gegeben zusammen mit dem Wirtschaftsminister und da heißt es genau zu dem Thema, da haben Sie quasi Ihren Antrag mit einem Motto versehen, das lautet: Opposition muss auch ein bisschen Spaß machen. Na, da bin ich froh, dass Sie heute ein bisschen Spaß haben wollen. Ich kann aber eins sagen: Das Thema ist viel zu ernst, als dass wir hier einfach Schaufensterpolitik machen.
Ich will Ihnen zwei Sachen vorweg sagen. Das Erste: Ich will mal Ihre Strategie auseinandernehmen. Sie nehmen Themen, die sowohl die Bundesregierung als auch die Landesregierung schon lange angegangen haben, Sie nehmen diese Themen, die quasi schon entscheidungsreif daliegen,
und tun so, als ob Sie hier etwas initiieren würden und behaupten dann noch voranzugehen. Ich kann Ihnen nur eins sagen: Sie gehen mit Ihrem Antrag nicht voran, sondern Sie hinken hinterher und das muss hier auch mal öffentlich gesagt werden.
Wenn Sie die Zahlen schon interpretieren, Frau Siegesmund, dann schauen Sie sich doch bitte mal die Entwicklung des Niedriglohnsektors an, wie der sich zeitlich entwickelt hat, ab wann die Ich-AGs in Deutschland eingeführt worden sind, was das am Ende zur Entwicklung dieses Niedriglohnsektors beigetragen hat und wer dafür verantwortlich gewesen ist. Das sind nämlich Sie gewesen, da können Sie sich auch nicht herausreden.
Wie steht es um die Entlohnung im öffentlichen Dienst? Es gibt eine Tarifgemeinschaft der deutschen Länder. Sie hat eine gesetzliche Vorgabe, die aus mindestens zwei Bereichen besteht. Der erste Bereich ist Einheitlichkeit der Arbeitsbedingungen und zweitens, dass die Entgelte im öffentlichen Dienst in ganz Deutschland geregelt werden. Thüringen ist Mitglied in dieser Tarifgemeinschaft und ist damit rechtlich und gesetzlich verpflichtet. Das bedeutet auch, dass in Thüringen in der nied
rigsten Entgeltgruppe in den von den Tarifpartnern gefundenen Löhnen bereits mehr gezahlt wird als das, was Sie in Ihrem Antrag fordern. Das heißt, Ihre Forderung läuft komplett ins Leere und wird in Thüringen schon längst erfüllt. Deswegen kann ich Ihnen nur sagen, es ist ein Schaufensterantrag, den Sie hier stellen.
Was die Vergabe von Aufträgen angeht, gilt im Freistaat Thüringen seit dem 1. Mai 2011 ein Vergabegesetz. Es hebt genau darauf ab, dass nur solche Unternehmen zum Zuge kommen, die eine Erklärung zur Tariftreue und Entgeltgleichheit abgeben. Das bedeutet, auch hier hat die Koalition schon vorgelegt und auch hier hinken Sie als GRÜNE hinterher.
(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aber für wie viele gilt denn das? Das haben Sie doch dort hineingeschrieben.)
Zwei Punkte sehe ich auch in Ihrem Verständnis ist das sehr unhöflich, Herr Adams, wenn ich ausrede - als mangelhaft an. Der erste Punkt ist, Sie versuchen hier wieder erneut, bürokratische Kontrollstrukturen einzuführen. Was bedeutet das denn am Ende? Jede kleine Kommune, jeder Landkreis und das Land müssen Überprüfungswettbewerbe beginnen, bevor sie überhaupt Aufträge auslösen können. Das halte ich für eine ungemeine Schwierigkeit und das können Sie auch im Sinne des Bürokratieabbaus, den Sie in manchen Anträgen ja selber nach vorne schieben, meiner Meinung nach nicht sachgerecht erklären. Der zweite Punkt - und das ist quasi der Praxistest -, auf den wir es bewehren sollen: Sie wollen, dass die öffentliche Hand nur an Unternehmen vergibt, die mindestens 8,50 € zahlen. Gleichzeitig haben Sie betont, dass Sie auch auf die Tarifautonomie der Tarifpartner abheben. Wir haben einen branchenspezifischen Mindestlohn in Deutschland, bundeseinheitlich, bundesweit in der Abfallwirtschaft von 8,33 €. Nach Ihrer Logik würde das letztlich bedeuten, dass sich jetzt Tarifpartner zwar gefunden und branchenspezifischen Mindestlohn vereinbart haben, jetzt soll am Ende der Müll in den Kommunen nicht mehr abgefahren werden, weil Ihr Gesetz das letztlich verhindert. Ich glaube, das führt öffentliche Gesetzgebung vollkommen ad absurdum.
Wenn wir uns das jetzt mal in der Gesamtschau betrachten, können wir festhalten, dass im öffentlichen Bereich diese Thematik für Thüringen geklärt ist. Gleichzeitig - und dafür ist diese Koalition angetreten, ist die Union angetreten - brauchen wir eine bundeseinheitliche Regelung, die aber verhindert,
dass es einen Flickenteppich unterschiedlicher Mindestlöhne gibt. Deswegen gibt es in der Landesregierung eine Arbeitsgruppe „Gute Arbeit, faire Löhne“, es gibt durch die Bundesregierung eine Vorlage, auf die ich gleich noch mal eingehen werde, und es gibt eine Faktenlage, der auch Sie sich nicht entziehen können. In 20 von 27 Staaten der Europäischen Union existieren gesetzliche Rahmenbedingungen zu Mindestlöhnen, korrekt. Aber dann schauen Sie sich doch bitte mal die Spezifika des Ganzen an. In fünf EU-Staaten - in Belgien, Frankreich, Irland, Luxemburg und Niederlanden - gibt es weltweit die höchsten Mindestlöhne von 7,65 € bis 10,16 €. Ansonsten liegt der Mindestlohn in der Europäischen Union zwischen 4,28 € Griechenland bis 0,71 € in Bulgarien. Wenn Sie sich über die Wirkung von Mindestlöhnen auseinandersetzen wollen, dann muss man eben auch diese Spezifika, die in den einzelnen Ländern da sind, sich genau anschauen. Denn die Mindestlohnstruktur außerhalb Deutschlands ist doch sehr heterogen. In einigen Ländern existieren sogar ermäßigte Sätze für gewisse Arbeitnehmergruppen, zum Beispiel für Jugendliche. In anderen Ländern werden wieder Lohnsubventionen an Unternehmer gezahlt, die Mindestlohnbezieher einstellen. Insofern haben wir eine sehr heterogene Gruppe. Es gibt genügend wissenschaftliche Studien, die mindestens einen Sinnzusammenhang belegen, der lautet, dass Mindestlöhne, die höher liegen als der branchenspezifische Durchschnittslohn, in gewisser Weise als Einstellungshemmnis dienen für die Gruppen, die eh einen schwierigen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Wenn Sie es mir nicht glauben, schauen Sie in die statistischen Analysen der OECD und schauen sich mal den Zusammenhang an zwischen denjenigen, die Mindestlohn relativ hoch haben - zum Beispiel Frankreich - und dem Anteil der Jugendarbeitslosigkeit, der in diesen Ländern existiert. Das bedeutet, dass überall da, wo quasi nicht durch Produktivität und durch Wertschöpfung Lohnfindung stattfindet, wo quasi gesetzlich normiert der Mindestlohn höher ist als der branchenspezifische Durchschnittslohn, haben wir eine Bremse für Frauen, für Jugendliche und für Langzeitarbeitslose. Das kann doch bitte schön nicht der politische Wille sein, dass wir Leute hier aktiv vom Arbeitsmarkt ausschließen.
Überall in den Ländern, in denen der Mindestlohn unterhalb des branchenspezifischen Durchschnittslohns liegt, haben wir eine sogenannte Lohnuntergrenze, die in gewisser Weise dämpfend und abfedernd dafür wirkt, dass niemand darunter entlohnt wird. Das bedeutet in gewisser Weise, wir haben eine Abfangwirkung, die nicht arbeitshemmend ist, und wir haben auf der anderen Seite eine Bremse. Deswegen setzen wir uns als Union für eine solche allgemein verbindliche Lohnuntergrenze ein, weil
wir nämlich genau wollen, dass gute Arbeit auch fair bezahlt wird, aber dass am Ende nicht solche Gruppen wie Jugendliche, Frauen und Langzeitarbeitslose vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden.