Protocol of the Session on May 30, 2012

Deswegen, Kollege Untermann, wenn Sie hier mit Tante-Emma-Läden anfangen und mit Feuerwehrund Schützenvereinen usw., dann nehmen Sie doch mal zur Kenntnis, dass es auch Dörfer gibt, in denen genau diese Struktur da ist - zum Beispiel bei Artern, im Landkreis Greiz - und die Menschen trotzdem wegziehen und dass es in Hildburghausen, in Sonneberg, in diesen Landkreisen keine Tante-Emma-Lädchen gibt und die Leute sind nicht weg. Was ist denn das für eine Analyse, wenn ich sage, wir brauchen Tante-Emma-Läden, dann bleiben die Leute und die Feuerwehr, und die Schützenvereine retten das dann.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist doch völlig klar, dass das genau nicht funktioniert. Herr Barth, dass Sie - ich habe ja vorhin gesagt, vielleicht haben Sie es nicht gewollt, dass das Absicht ist

(Unruhe FDP)

die Löhne mit keiner Silbe erwähnen, dass die Menschen schlecht bezahlt werden im ländlichen Raum und deswegen wegziehen, das ist natürlich für eine Partei, die Mindestlöhne ablehnt, völlig normal.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass Sie natürlich auch die Kritik, die wir damals an der Landesregierung hatten - Stichwort Trendatlas nicht geteilt haben, als wir gesagt haben, das ist ein Skandal, wenn diese Landesregierung eine Studie in Auftrag gibt, die dann zum Ergebnis hat, dass im Landwirtschafts- und im Ernährungsbereich kein innovatives Potenzial vorhanden ist und damit eine gesamte Region hier in Thüringen plattgemacht wird.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da hätte ich die Unterstützung der FDP mal sehen wollen. Also, meine Damen und Herren, es bleibt dabei, gute Fragen gestellt, aber wie immer passt die Politik der FDP nicht dazu.

Letzte Bemerkung: Was ich natürlich unbedingt unterstreichen will, ist das, was Frau Tasch gesagt hat bezüglich Infrastruktur. Grundzentren, kleine Städte fördern, das muss die neue Förderpolitik sein. Wir haben eine tolle Dorfentwicklung hinter uns. Die Dörfer haben sich gut entwickelt. Was wir falsch gemacht haben in Thüringen, ist, die kleinen Städte nicht zu entwickeln. Wir werden nicht in jedem kleinen Ort eine Feuerwehr haben können oder einen

Schützenverein oder einen Arzt oder einen Kindergarten oder eine Schule, aber wir brauchen diese kleinen Städte als Mittelzentren, die müssen entwickelt werden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Insofern ist Infrastruktur das A und O, das ist richtig, und dazu gehört der ÖPNV. Da freue ich mich, dass bis jetzt alle Rednerinnen und Redner darauf hingewiesen haben, dass der öffentliche Nahverkehr einer der Schlüsselbereiche im ländlichen Raum ist. Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. Für die Fraktion DIE LINKE spricht Herr Abgeordneter Matthias Bärwolff.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, zunächst das Wort zu Frau Tasch. Ich gebe Ihnen ausdrücklich recht, dass Jena ein neues Stadion bekommt, ist in der Tat ein Skandal, noch dazu in der 4. Liga, das kann ja nicht sein. Ich glaube, RotWeiß Erfurt hätte dieses Geld auch gebraucht, würde die Stadt Erfurt ein bisschen finanziell entlasten.

Aber gut, zurück zur Aktuellen Stunde, zum Thema „Zukunft der Dörfer“: Millionen wurden in den letzten 20 Jahren in die Dörfer gepumpt, sie sind schön anzuschauen. Aber junge Leute verlassen immer noch fluchtartig das Land, insbesondere auch die Kleinstädte und den ländlichen Raum. Wieso eigentlich? Zum einen, weil Studium und Ausbildung in anderen Orten immer sehr attraktiv sind und junge Leute die große weite Welt sehen wollen. Zum anderen ist der ländliche Raum aber aufgrund geringerer Erwerbsmöglichkeiten mitunter sehr unattraktiv.

(Beifall Abg. Gentzel, SPD)

Was passiert denn eigentlich mit schrumpfenden Dörfern? Wollen wir die Dörfer einfach zumachen, ganze Dörfer einfach umsiedeln? Der demographische Wandel, also das Altern der Bevölkerung und die Schrumpfung der Bevölkerung stellen vor allen Dingen den ländlichen Raum vor große Probleme. DIE LINKE stellt deshalb die Frage, wie die öffentliche Daseinsvorsorge unter den Bedingungen des demographischen Wandels genau im ländlichen Raum gewährleistet werden kann. Hier müssen wir in Thüringen gänzlich neue Wege gehen. Im Rahmen eines sozialökologischen Umbaus brauchen wir dezentrale Verwaltungen vor Ort, die Bürgerzentren vor Ort sind. Wir brauchen kleinräumige Daseinvorsorge und ökologisch nachhaltige Wirtschaft. Das bedeutet, dass wir Wertschöpfung aus der Fläche betreiben können, wie es mit den Möglichkeiten der erneuerbaren Energien der Fall ist.

(Abg. Dr. Augsten)

Hier muss es eben auch darum gehen, die Eigentumsfrage wieder zu stellen und die Bevölkerung an der Wertschöpfung aus der Fläche direkt zu beteiligen.

(Beifall DIE LINKE)

Eine nachhaltige Wirtschaft muss sich vom Wachstumsgedanken lösen und Formen der solidarischen Ökonomie entwickeln. Der Markt kann nicht alles regeln, er soll nicht alles regeln und er wird eben auch nicht alles regeln. Das bedeutet zum Beispiel ganz konkret, dass sich die Bevölkerung von zwei, drei Dörfern zusammenschließt und gemeinsam beispielsweise eine Windkraftanlage betreibt, den lokal produzierten Strom nutzt und sich die möglichen Gewinne teilt. So können auch neue Einkommensmöglichkeiten generiert werden, die es bislang nicht gibt.

(Beifall DIE LINKE)

Ein wichtiger Bereich aus Sicht der LINKEN ist auch die Frage der Daseinsvorsorge. Der Fall Schlecker hat gezeigt, dass die Bedingungen auf dem Lande für den Klein- und Einzelhandel sehr begrenzt sind. Hier Anlaufpunkte zu schaffen, trägt zur Lebensqualität bei und stärkt den ländlichen Raum. Warum kann es denn nicht kleine Vereine geben, die gemeinsam einen Konsum betreiben?

(Beifall Abg. Kuschel)

Ja, Konsum gibt es noch. Wie wäre es denn, wenn es in den Gemeinden eine Art Sozialzentrum gäbe, einen Anlaufpunkt für medizinische und pflegerische Dienstleistungen? Bisher zum Beispiel haben pflegebedürftige ältere Personen verschiedene Pflegedienste, die mobil von Haus zu Haus unterwegs sind. Da kommen im Laufe eines Tages unterschiedliche Pflegedienste in die Dörfer, die Mitarbeitenden haben meist Zeitdruck und die Pflegebedürftigen brauchen eigentlich eine andere Art von Pflege. Wäre es nicht sinnvoller, wenn Menschen aus der Region in solchen Dörfern als stationäre Pfleger arbeiten und dann die Pflegebedürftigen in ihrem Dorf betreuen? Wenn dazu noch eine Gemeindeschwester vor Ort wäre, die einfache medizinische Dienstleistungen erbringen könnte, so könnte man wahrscheinlich auch die Hausärzte entlasten. Hier gibt es also viele Möglichkeiten, die Lebensqualität zu stärken und den ländlichen Raum attraktiver zu machen. Im Zuge des sozialökologischen Wandels wird sich auch das Verhältnis von Stadt und Land ändern. Die Wechselwirkungen werden intensiver und sie müssen es auch werden. Die Versorgung mit Lebensmitteln aus dem Umland wird in absehbarer Zeit eine größere Rolle spielen ebenso wie die Versorgung mit Energie. Nicht zuletzt ist der Nahverkehr hier ein wichtiger Schlüssel. Wenn Sie heute im ländlichen Raum mit dem ÖPNV unterwegs sein wollen, müssen Sie erstens früh aufstehen und dürfen im Sommer beispielswei

se nicht allzu lange im Biergarten sitzen, denn 18.30 Uhr fährt meistens schon der letzte Bus, wenn er überhaupt noch fährt. Mit einem gut ausgebauten ÖPNV ermöglicht man allerdings Jung und Alt zu möglichst geringen Kosten mobil zu sein. Wenn der Bus um 17.30 Uhr das letzte Mal vom Dorf wegfährt, kann man sich einen solchen Nahverkehr eigentlich auch sparen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Angesichts der Diskussion um die Pendlerpauschale und die alle Jahre wiederkehrenden Themen Benzinpreiserhöhung und Pkw-Maut wäre es angezeigt, massiv in kollektive Verkehrssysteme zu investieren. Die steigenden Energiepreise machen bekanntlich auch vor Thüringer Tankstellen nicht halt. Eine Zukunft haben die Dörfer aus Sicht der LINKEN nur, wenn es gelingt, soziale, ökologische und vernünftige Projekte in Gang zu setzen. Ein landesweiter fahrscheinfreier ÖPNV könnte ein solches Projekt sein.

(Beifall DIE LINKE)

DIE LINKE will Lebensqualität sowohl in den Städten als auch auf dem Land. Der demographische Wandel, aber auch der Klimawandel zwingen uns, das Verhältnis von Stadt und Land neu zu denken. Nur wenn wir lebensfähige Städte und Dörfer haben, kann sich Thüringen weiterentwickeln.

(Beifall DIE LINKE)

Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Mühlbauer das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren auf der Zuschauertribüne, werte Kollegen, lassen Sie mich, bevor ich anfange, ein paar Sätze zu meinen Vorrednern sagen. Herr Bärwolff, Ihre Worte hörte ich wohl, allein mir fehlt der Glaube der Finanzierbarkeit. Also das war ein schöner sozialromantischer Traum eines Lebens,

(Beifall DIE LINKE)

den ich gerne mit Ihnen mitträumen möchte, nur die Realität sitzt links neben mir und dieser Realität müssen wir uns alle stellen, das sind nun mal finanzielle Fragen.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Was, der Herr Voß macht unsere Dörfer leer?)

Wir müssen, das sind wir den Menschen schuldig dieser Satz an Sie, Herr Ramelow -, Lösungen diskutieren und entwickeln, die umsetzbar sind und Ergebnisse liefern und nicht in Träumen schwelgen.

(Abg. Bärwolff)

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Wer keine Kraft hat zu träumen, der findet gar keine Lösungen mehr.)

Dieser kurze Satz an Sie. Lassen Sie mich Frau Lieberknecht zitieren und versuchen, das Problem etwas abzuschichten. Erstens, die Studie - ich habe sie Ihnen im Original mitgebracht - heißt nicht „Wir wollen unsere Dörfer schleifen“, sondern sie heißt „Die Zukunft der Dörfer“ und die Zukunft der Dörfer ist eine wesentliche Frage, die wir zu diskutieren haben, und die ist leider auch im Freistaat Thüringen nicht pauschal zu beantworten, weil wir kleinteilige Strukturen haben, die historisch gewachsen sind. Da ist einfach, Herr Augsten hat es ja auch intuitiv erkannt, der Raum Hildburghausen nicht mit dem Raum Greiz zu vergleichen, weil einfach die Historie der Entwicklung dieser Bereiche ganz andere baulich-kulturelle Rahmenbedingungen hat. Deswegen sind die Probleme in Greiz und Umgebung andere als die im Raum Hildburghausen. Diese kleinteilige Struktur, die uns übrigens sehr prägt und, Frau Tasch, die uns, glaube ich, auch allen wichtig ist - ich denke an unsere Residenzen, die uns sehr viel Kulturraum bringen -, ist eines der Dinge, die wir gemeinsam mit dem Minister im LEPJahr weiterentwickeln und weiter unterstützen. Diese Strukturen sind geprägt durch die Kleinteiligkeit der Dorfanlagen.

Lassen Sie mich heute auch polemisch wirken. Ein Dorf hat eine Kirche, hat eine Geschichte, hat einen Friedhof. Der Gedanke an sich, Dörfer zu schleifen mit ihrer ganzen Geschichte, ist für mich Geschichtsverleugnung und kann nicht das Ergebnis guter Politik sein. Aber Ergebnis guter Politik muss sein, dass wir die Probleme, die wir haben, erkennen und auf die Probleme reagieren. Da haben wir - das kam heute bei unseren Vorrednern ein bisschen zu wenig heraus - schon gute Arbeit vorgeleistet, gute Arbeit im LEP, gute Arbeit im Rahmen des demographischen Wandels und deren Agenturen, und wir haben erste Ansätze.

Es hat mich verwundert, Frau Tasch, von Ihnen zu hören, es ist übrigens einer der Lösungsansätze der Studie, ich darf hier zitieren - Sie erlauben, Frau Präsidentin: „Man muss darüber nachdenken, Standards zu reduzieren.“ Ja, das steht in dieser Studie. Ja, das ist auch ein Ansatz Ihrer Fraktion. Ja, darüber müssen wir nachdenken, was wir uns dauerhaft im ländlichen Raum - Wasser, Abwasser, infrastrukturell - leisten können. Aber das ist einer der Lösungspunkte.

Ein weiterer Lösungspunkt ist natürlich - und das ist bei allen Fraktionen herauszuhören -, wir brauchen zukunftsfähige Verwaltungsstrukturen.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Wer soll denn die schaffen?)

Ob das die Lösung ist, dass jedes Dorf auch mit 20 Einwohnern seinen Bürgermeister halten kann, Herr Untermann, das stelle ich hier sehr stark infrage. Wir diskutieren seit Jahren eine tragfähige Funktions- und Gebietsreform, die es genauso ermöglicht, wie Sie es geschildert haben, dass sich diese Dörfer gemeinsam mit ihrem bürgerlichen Engagement weiterentwickeln können. So, wie Sie es dargestellt haben, Frau Tasch, nur der Begriff heißt, lasst es uns hier angehen, lasst uns zukunftsfähige Strukturen schaffen, sie den Menschen geben, damit sie dies mit Leben erfüllen.

(Zwischenruf Abg. Untermann, FDP: Aber freiwillig!)

Auch dieses steht in der Studie drin, nur durch bürgerschaftliches Engagement, das uns die Kollegin Tasch vorlebt, lassen sich ländliche Räume attraktiv gestalten, weil das die Attraktivität des ländlichen Raums ist, die nachbarschaftlichen Beziehungen, die persönlichen Beziehungen, die Mitgliedschaft in Vereinen, Verbänden, dieses Sonntagssich-bei-Kirchenkaffee-Treffen. Das sind die Qualitäten, aber das müssen Menschen leben und da sind wir in der Verpflichtung, diesen Menschen Strukturen zu geben.

Einen Satz noch, ich habe auf die Uhr geschaut, Frau Präsidentin. Es ist beim Kollegen Augsten angeklungen, die Wirtschaftskraft im ländlichen Raum ist entscheidend. Lassen Sie mich heute noch mal kurz sagen, 1,8 Mio. unserer Thüringer leben im ländlichen Raum. Die Ernährungswirtschaft, die Landwirtschaft und dazu gute Löhne werden eine der Schlüssellösungen sein, dies zu lösen.

(Beifall SPD)