Protocol of the Session on May 3, 2012

Dass es keine Handreiche gegen das Wiederaufleben des nationalsozialistischen Gedankenguts gebe - da stellt sich zunächst die Frage: Was brauchen wir da für eine Handreiche? Was soll das sein? Mit staatlichen Mitteln eine Weltanschauung bekämpfen, bevor Sie entstanden ist? Was wäre bei dieser Aufgabe die konkrete Aufgabe von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten? Welche Gesetzesänderungen, welche Aufgaben ergeben sich aus diesem Wunsch? Oder ist das alles bescheidener gedacht, zum Beispiel als Bildungsauftrag à la Verfassungsschutz? Ich glaube, da bin ich mit Ihnen einig, die aktuelle Ausstellung des Verfassungsschutzes ist nicht nur grottenschlecht an den Schulen, sondern der Verfassungsschutz hat auch meines Erachtens nach an Schulen nichts verloren.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Oder geht es um die Bildung in den Schulen, immerhin auch eine öffentliche Institution, als antifaschistische Aufgabe? Artikel 22 Abs. 1 Thüringer Landesverfassung: Erziehung und Bildung hat die Aufgabe, selbstständiges Denken und Handeln, Achtung vor der Würde des Menschen und Toleranz gegenüber der Überzeugung anderer, Anerkennung der Demokratie und Freiheit, den Willen zur sozialen Gerechtigkeit, die Friedfertigkeit und Zusammenlegung der Kultur und Völker zu fördern. Und auch wenn ich es für ein eigentlich nicht schönes Stilmittel halte, einen Satz mit einer Formulierung, die aus einem drögen DDR-Geschichtsbuch zu machen, mit „es ist eine historische Tatsache“, so sind wir uns absolut einig, dass Auschwitz, die Shoah und vor allen Dingen die deutschen Verbrechen, es waren nämlich deutsche Verbrechen und nicht irgendwelche faschistischen Verbrechen einer Ideologie, sondern es waren gerade auch die Deutschen, die mitgemacht haben, das ist einmalig und das wird auch einmalig bleiben, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Und nun noch kurz zum Extremismus, spreche ich von Ihnen, Herr Scherer. Da kann man noch so viel vergleichen, denn Leute, die das Bedürfnis danach haben, scheint es gerade unter Konservativen massig zu geben. Und der Einschub sei mir erlaubt, der Kollege Gentzel hat in seiner Rede vom 20.11.2005 eine ganz gute Formulierung gefunden: „In gewisser Art und Weise“, wenn ich zitieren darf, „verhält sich die CDU wie der berüchtigte Pawlowsche Hund, wo immer über Neonazismus diskutiert wird,

muss sie aufspringen und im gleichen Atemzug über die Bedrohung durch das Schreckensgespenst extreme Linke referieren.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Die Verfassung enthält implizit - Sie haben von Extremismustheorie gesprochen, wir können ja danach noch mal länger darüber diskutieren - längst ihre Forderungen. Grund zur Beschwerde könnte hier lediglich noch die Kluft zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit bieten. Dafür, warum die Verfassungswirklichkeit schlecht ist, interessieren Sie sich aber zumindest in dem Antrag explizit nicht. Hier geht es also um Symbolpolitik. Dann heißt es in der Begründung weiter: Grundgesetz und Landesverfassung böten keine Handhabe gegen die Verherrlichung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Was aber ist mit dem Artikel 39 Abs. 2 der Verfassung des Freistaats, in dem es heißt, z.B. der Artikel „Jeder hat das Recht, seine Religion oder seine Weltanschauung ungestört, allein oder mit anderen, privat oder öffentlich auszuüben. Die Ausübung einer Religion oder Weltanschauung darf die Würde anderer nicht verletzen.“ Wir sind uns doch einig, dass gerade der Nationalsozialismus und der Faschismus als Konzept nun mal die Würde anderer verletzt, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere der Pressefreiheit, die Lehrfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit, das Brief- und Post- und Fernmeldegeheimnis, das Eigentum, das Asylrecht zum Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Mir scheint also, nur eine Sache scheint Sie wirklich zu stören, nämlich, dass der Staat zu lax gegenüber Rechtsextremisten und ihren Vereinigungen ist. Denn bisher entscheidet das Bundesverfassungsgericht darüber, ob ein solcher Missbrauch der Grundrechte vorliegt. Das scheint Ihnen aber an dieser Stelle nicht auszureichen. Entweder soll wer weiß was diese Entscheidung treffen, oder aber die politisch auf das verpflichtet werden, was Sie für politisch geboten halten. Sie machen genau das, was Sie konservativen Hardlinern, und ich finde, völlig zu Recht vorwerfen, nämlich Sie versuchen hier, die Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung mit der Einschränkung derselben von den Verfassungsfeinden zu schützen, wie es bei Ihnen heißt.

Egal an welcher Stelle man den Antrag genauer betrachtet und zupackt, rinnt einem der Sinngehalt Ihres Antrags und seiner Begründung wie Sand durch die Finger. Das Grundgesetz und die Verfassung biete auch keine Handhabe gegen das Entstehen und die Betätigung von Parteien und Organisationen mit nationalsozialistischen, antisemitischen Programmen und Zielen. Dem ist nicht so, Artikel 21: „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen,

die freiheitliche demokratische Grundordnung... zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik... gefährden, sind verfassungswidrig.“

Sie sehen, wir leben in einer rundherum wehrhaften Demokratie, wie wahrscheinlich meine Kollegen von der CDU betonen würden. Sie weiter aufzurüsten, und sei es im Kampf gegen Neonazis, erscheint mir problematisch. Viel wichtiger erscheint mir, statt die Demokratie aufzurüsten, Demokratie auch tatsächlich zu leben und Konzepte zu diskutieren, wie Demokratie im Alltag gelebt werden kann, wie Verfassungswirklichkeit umgesetzt werden kann.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Ja, Parteien.)

Und hier kommen wir zum eigentlichen Kern, zur Frage, warum Sie solche Anträge stellen und sie so begründen. Es ist die alte Art des Etatismus, der natürlich auch für ein MSPD-Land in der Geschichte inne lag. Sogar schon Ferdinand Lassalle, aber auch der Pieck und andere Reste der KPD in den 20er-Jahren, nachdem man sozusagen kritische Geister aus der KPD rausgeschmissen hat, und genau dieser Etatismus führt zu einem Antifaschismus, der kein gelebter Antifaschismus ist, sondern ein oktroyierter Antifaschismus à la DDR.

(Beifall SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, darauf baut auch das Gerede darüber, dass viele Verfassungsnormen des Grundgesetzes als Lehren und Schlussfolgerungen des Faschismus angesehen werden können. Auch wenn Sie offensichtlich selbst so unsicher mit dieser Behauptung sind, dass Sie schreiben „angesehen werden könnten“, woher sollte die selbstverständliche moralische, politische und juristische Verpflichtung für eine Wiederholbarkeit solcher Verbrechen in dieser Form der Herrschaft sorgen, von denen Sie sprechen. Woher soll das denn kommen? Anders als in Italien oder Frankreich gab es zum Beispiel in Deutschland in der Zeit vor 1945 überhaupt gar keine breite Widerstandsbewegung. Eine Zusammenarbeit zum Beispiel zwischen Sozialdemokraten, Kommunisten, bürgerlichem Widerstand nach 1945 war dadurch nicht möglich, die wiederum eine Grundlage für eine gemeinsame, von einem rein antifaschistischen Konsens getragene Verfassung hätte bilden können.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Manuskript verwechselt?)

Ich habe das Manuskript nicht verwechselt, ich komme gleich noch dazu. Seien Sie einfach mal ruhig an der Stelle und lesen Sie sich danach die Rede noch einmal durch.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Bei Ihnen bin ich einfach nur sprachlos.)

Das ist bei Weitem nicht Herr Voigt, sondern lesen Sie es sich vielleicht noch mal durch und denken noch mal darüber nach.

Nur zur Erinnerung: Der Nationalsozialismus wurde nämlich von außen niedergerungen. Bis zum Schluss stand die Bevölkerung auf der Seite des Nationalsozialismus. Es ist deswegen eine unerträgliche, um mal Ihren Sprachgebrauch von Ihrem Antrag zu verwenden - in Ihrem Antrag steht,

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Ein Gesetz, Herr Kollege.)

das halte ich für eine Fehldeutung, da steht, und damit müssen Sie sich auch auseinandersetzen, Herr Ramelow, es ist eine Fehldeutung, wenn Sie schreiben, es wäre der Faschismus gewesen, der die schwersten Verbrechen gegen die Menschheit verübt hätte. Es waren Deutsche, die jubelnd in den Krieg zogen, die am Straßenrand standen, die ihrem Naziführer die Hand entgegenstreckten. So wenig das Sammeln geschichtlicher Fakten ein Verständnis des Nationalsozialismus ermöglicht, so sehr liefern die Fakten wie etwa Goldhagen, auf den Sie sich immer wieder berufen angeblich, und Götz Aly einen Beleg für die massenhafte Beteiligung ganz gewöhnlicher Deutscher. So viel zu der Frage Verfassung und Verfassungswirklichkeit. Es gibt also keinen antifaschistischen Grundkonsens. Und den gibt es auch nicht, wenn wir ihn in ein Grundgesetz an der Stelle reinpacken.

Der damalige KPD-Vorsitzende Max Reimann hat das zum Beispiel sehr gut formuliert. Aber er hat es deshalb formuliert, weil er vor der Gefahr warnte, dass man jetzt die Bundesrepublik zu einer Kolonie des Nationalsozialismus machen wollte und dagegen sozusagen die glorreiche Sowjetunion stellte. Der hat nämlich eigentlich nur die Dimitroff’sche Faschismustheorie erkannt und nicht erkannt, dass es darum geht, dass man Gedankengut thematisieren muss.

Sie haben genau das formuliert, woraus eigentlich eine Ablehnung Ihres Antrags entspringen müsste. Sie haben den Thüringen-Monitor benannt mit Gedankengut, sie haben den Thüringen-Monitor mit rassistischem Gedankengut genannt und nicht mit einer geschlossenen Ideologie. Das Problem unserer heutigen Gesellschaft ist an dieser Stelle, dass wir einfach viel zu viel diskriminierendes rassistisches Gedankengut haben. Das lässt sich nicht durch Verfassungsänderungen entledigen, sondern nur über gelebte Demokratie. Und das ist eben auch die Mär von der eigentlich guten Verfassung und der schlechten Verfassungswirklichkeit in unserem Land. In der Antragsbegründung findet sich ein ständiges Hin-und-Her-Lavieren. Einerseits soll die Ablehnung des Nationalsozialismus und des Faschismus schon immer in der Verfassung dringestanden haben; andererseits reicht das nicht, er soll explizit gemacht werden. Dieses Spiel nützt nie

mandem, keinem von uns und auch nicht Ihnen. Ein einfacher argumentativer Zirkel am Anfang der Begründung wirft übrigens auch die Frage auf, was genau diese Verfassungsänderung bringen soll. Denn die große Autorität, die Verfassung besitzen mag bei uns, ist eben in der Größenordnung, wie Sie das beschrieben haben, in der Bevölkerung leider nicht vorhanden. Mir scheint, in Ihnen schlummert die Sehnsucht, dass die Polizei zum Beispiel, statt die Versammlungsfreiheit von Nazis zu schützen, lieber ein Arm der Gegendemonstranten sein soll. Das wünsche ich mir auch manchmal in emotionalen Momenten. Aber Sie machen hier ja eben keinen Antrag zur Veränderung der Verfassungswirklichkeit und der Stärkung der Zivilgesellschaft, sondern reine staatsorganisatorische Fragen werfen Sie auf. Der Souverän, auf den sich DIE LINKE zur Lösung ihrer Probleme beruft, ist aus logischen Gründen auch Teil des Problems. Der klassische Liberalismus zum Beispiel wusste darum, Freiheit ist nicht die Freiheit zu etwas, und sei es die Freiheit zum Antifaschismus, sie ist die Freiheit des Individuums vor staatlichem Zugriff. Insofern auch parlamentarische Demokratie die Vorstellung einer wehrhaften Demokratie ausbildet, trägt sie im Kampf gegen ihre Feinde selbst Male des Totalitarismus, wie Hannah Arendt völlig treffend kritisierte.

Das Problem ist nicht die mangelnde Wehrhaftigkeit eines Staates, meine sehr geehrten Damen und Herren, gegen seine Feinde, auch nicht die Wehrhaftigkeit gegen seine Feinde von rechts. Das Problem ist, dass ein Staat mit reinen Gesetzen und Verfassungen diese Macht des Individuums und individuelle Gedanken nicht brechen kann. Und das ist die Herausforderung von gelebter Demokratie. Redefreiheit, Versammlungsfreiheit sind Reste eines Liberalismus, der noch wusste, dass nicht die Anhänger der Regierung und die Befürworter der Gesellschaft dieser Freiheit und Sicherheit bedürfen, sondern eben auch Kritiker und Gegner einer Gesellschaft. Ich finde, die Linkspartei spielt - bei aller Auseinandersetzung hier - ein gefährliches Spiel, denn sie meint, sie könnte die Gewalt des Staates an dieser Stelle nutzen. So schwer es auch ist, sage ich auch ganz klar: Willy Brandt, eines Ihrer politischen Vorbilder, hat zum Beispiel mal sehr deutlich formuliert, die Berufsverbote waren einer der größten Fehler der deutschen Sozialdemokratie in der Geschichte. Und genau so eine autoritäre Art, Politik zu verfolgen - ich finde, diesen Lerneffekt, den Willy Brandt skizziert hat, den sollten wir alle machen. Demokratie und mehr Demokratie wagen, heißt tatsächlich, die Wirklichkeit zu verändern, sich mit rassistischem Gedankengut auseinanderzusetzen, Demokratie zu leben im Alltag und keinen staatlich oktroyierten Antifaschismus in eine Verfassung reinzuschreiben. Vielen Dank.

(Beifall SPD)

Danke, Herr Abgeordneter. Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Rothe-Beinlich von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, bevor ich gleich auch ein paar Sätze zu meinem Vorredner sage, denn das muss ich schlichtweg tun, möchte ich mich zunächst bedanken bei der Initiative der Fraktion DIE LINKE, eine solche Debatte hier anzustoßen. Ich glaube, dass es eine durchaus sehr wichtige Debatte ist, auch wenn sie schon einmal in diesem Hause geführt wurde im Jahr 2005. Jede und jeder hat das wahrscheinlich in Erinnerung oder nachgelesen; auch ich habe das getan. Es gab im Jahr 2005 bereits drei Beratungen auch zu einem Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE, der in der Tat wortgleich ist in dem Ansinnen, das vertreten wurde. Was allerdings beschämen muss, und da kann man viel über wehrhafte Demokratie und über Austausch und gelebte Demokratie reden, was in der Tat zu denken geben muss, ist, dass 2005 eine Mehrheit im Landtag nicht einmal bereit war, diesen Gesetzentwurf im Ausschuss zu diskutieren und dazu auch Expertinnen und Experten anzuhören. Denn vor Ihrem Angebot habe ich hohen Respekt, Bodo Ramelow, das nehme ich auch sehr ernst. Sie haben angeboten, im Ausschuss die Debatte zu führen, und zwar so offen zu führen, dass man vielleicht sogar zu einem gemeinsamen Textvorschlag kommt, so sich die Mehrheit dafür entscheidet, dass es eine solche Präzisierung in der Verfassung braucht. Und ich frage mich ein Stück weit, wovor wer hier im Hause eigentlich Angst hat,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

wenn wir diese Debatte einmal ernsthaft führen würden. Ich sage ganz offen, auch wir in unserer Fraktion haben das Pro und das Kontra einer solchen Möglichkeit der Verfassungsänderung diskutiert. Und wir wünschen uns, dass wir dazu in der Tat eine Anhörung im Justizausschuss haben werden, um mit unterschiedlichsten Expertinnen und Experten, mit Fachleuten, mit Praktikerinnen, mit Theoretikerinnen ins Gespräch zu kommen und zu überlegen, wie wir unserer historischen Verantwortung vielleicht auch über die Verfassung hinaus noch gerechter werden können. Denn Herr Scherer, das hatte ich auch ein Stück weit erwartet, dass so etwas passieren könnte, Ihr Redebeitrag ist fast wortgleich, zumindest der Anfang, nachzulesen, wenn man sich den Redebeitrag von Ihrem Kollegen Herrn Schröter aus der Debatte von 2005 anschaut, jedenfalls die erste Hälfte. Das ist ja auch nicht schlimm, wenn Sie die gleiche Meinung ver

(Abg. Metz)

treten. Sie haben wichtige Grundsätze der Verfassung hier noch einmal zitiert, auch den Verfassungsauftrag benannt. Nichtsdestotrotz glaube ich, wir müssen auch Geschichte, und zwar auch jüngere Geschichte, mit im Blick haben, und vor dieser vielleicht auch und gerade in Thüringen neu bewerten oder überhaupt erst einmal eine fachliche Bewertung in allen Fraktionen vornehmen. Wir alle wissen, dass wir im Moment einen Untersuchungsausschuss haben, der sich mit Dingen beschäftigt, die viele nie zu ahnen wagten. Viele von uns kannten Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe und Uwe Mundlos als engagierte junge Nazis aus Jena auch schon Anfang der 90er-Jahre. Wir wussten, dass diese beispielsweise auf Rudolf-Heß-Gedenkmärschen regelmäßig unterwegs gewesen sind und dass sie über ein verfestigtes rassistisches und menschenverachtendes Weltbild verfügen. Trotzdem, sage ich, hat niemand gewusst, dass sie es waren, die mordend durch die Lande zogen. Da muss man sich fragen, warum uns das nicht aufgefallen ist, dass diese Gefahr bestand, warum man nicht schon viel eher hätte darauf kommen können, nicht nur wes Geistes Kind diese Menschen sind, sondern auch welche Praxis sie leben, eine menschenverachtende, eine mordende Praxis, die eine tiefe Blutspur durch das ganze Land gezogen hat. Diese müssen wir hinterfragen und wir müssen uns auch fragen, was wir hätten anders machen können und wo wir hätten wachsamer sein müssen. Ich bin davon überzeugt, dass weder ein NPD-Verbot noch eine solche Klausel, wie sie vorgeschlagen wurde in der Verfassung, Garant dafür wäre, dass so etwas nicht geschehen wäre. Das muss hier auch klar sein. Wir dürfen nicht in Populismus verfallen und denken, irgendeine Klausel könnte uns vor Straftaten oder vor mordenden Nazis bewahren,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

aber ich finde, wir sollten darüber ernsthaft streiten, wir sollten darüber ernsthaft diskutieren und wir sollten da auch Erfahrungen und Einschätzungen aus den anderen Ländern mit einbeziehen. Eine wurde hier schon genannt, nämlich aus Mecklenburg-Vorpommern. Ich möchte noch zwei Landesverfassungen zitieren, in denen auch Regelungen gefunden wurden, nämlich die Landesverfassung aus Bayern, dort heißt es: „Rassen- und Völkerhaß zu entfachen, ist verboten und strafbar.“ in Artikel 119. In der Landesverfassung in Bremen heißt es: „Durch Gesetz sind Vereinigungen zu verbieten, die die Demokratie oder eine Völkerverständigung gefährden.“ in Artikel 17. Ich meine, wir sollten uns die Zeit nehmen, im Ausschuss tatsächlich genau zu schauen, wie sehen einzelne Verfassungen aus, was ist in unserer Verfassung schon gegeben und wie können wir alles dafür tun, dass wir Verfassung natürlich auch mit Leben gestalten, sie erfahrbar machen. Vielleicht kommen wir dann auch dazu,

dass wir bestimmte Dinge bestenfalls gemeinsam in der Verfassung verankern, weil sie dann noch klarer sind. Wir sind da noch nicht abschließend entschieden, aber wir wollen das Angebot gern annehmen, dazu offen mit allen Fraktionen ins Gespräch zu kommen.

Hier gestatten Sie mir, sehr geehrter Herr Präsident, Sie selbst zu zitieren. Ich will es noch einmal wörtlich tun, weil Sie 2005 treffend sagten, ich zitiere: „Ich hoffe ja, dass Sie in der Mitte“ - gemeint war die CDU - „nicht so dreist sind und bei Verfassungsfragen, die durchaus diskussionswürdig sind, auch noch die Ausschussüberweisung ablehnen.“

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Wo er recht hat, hat er recht.)

Ich habe mir auch sehr genau angeschaut, welche Organisationen sich 2005 und auch schon sehr viel eher mit dieser Frage auseinandergesetzt haben und vehement eine solche Klausel gefordert haben. Das war z.B. die Gewerkschaft der Polizei, und zwar schon seit 1994. 1994 gab es einen Beschluss der Gewerkschaft der Polizei auf Bundesebene, wo sie sich für eine solche Regelung ausgesprochen hat. Ich finde, wir sollten auch die GdP anhören, wir sollten mit ihr ins Gespräch kommen und wir sollten abwägen, ob wir das für richtig halten und wie eine solche Formulierung gegebenenfalls gemeinsam gefunden werden könnte.

Herr Scherer, ich möchte oder muss aber auch noch einmal Bezug nehmen auf das, was Sie hier ausführten, weil Sie sehr schnell wieder dabei waren, den Begriff „Extremismus“ sehr allgemein zu verwenden. Eben ist schon auf eine Ausstellung hingewiesen worden vom Landesamt für Verfassungsschutz, die aus unserer Sicht nicht nur nichts in Schulen zu suchen hat, sondern die auch noch fatale Fehler aufweist. Sie weist aber nicht nur fatale Fehler auf, sondern sie suggeriert zugleich eine Gleichsetzungslogik, die aus unserer Sicht im wahrsten Sinn des Wortes brandgefährlich ist, weil sie unterm Strich einer Verharmlosung von Rechtsextremismus, von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und von Rassismus gleichkommt. Dass die Ablehnung von Menschenrechten, sehr geehrter Herr Scherer, und von demokratischen Überzeugungen keine linken Grundideen sind, aber zum Standardprogramm von allen nationalistischen und rassistischen Gruppen gehören, wird dabei immer wieder übersehen, genauso wie die Tatsache, Bodo Ramelow hat es erwähnt, dass es seit der friedlichen Revolution in der ehemaligen DDR 1989 bundesweit 182 Todesopfer durch Nazis und durch rechte Gewalt gegeben hat. Außerdem übersieht diese vermeintliche Parallelität, wie sie immer wieder benannt wird, dass Antisemitismus, dass Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlich

keit mitnichten Randphänomene der Gesellschaft sind, sondern immer wieder auch in der sogenannten bürgerlichen Mitte auftreten und zum Teil auch der Mitte der Gesellschaft entstammen. Die alltägliche Diskriminierung von Menschen, die nicht einer vermeintlichen Norm entsprechen, ist nach wie vor fest in unserer Gesellschaft verankert. Das zeigt auch immer wieder der Thüringen-Monitor auf erschreckende Art und Weise. Die Verwendung eines unklaren und schwammigen Extremismusbegriffs verharmlost rassistische Gewalt, führt zu einer Kriminalisierung von Anti-Nazi-Initiativen und beschönigt menschenverachtende und antisemitische Einstellungen in der sogenannten Mitte der Gesellschaft.

Ich möchte an dieser Stelle auch noch auf einen wichtigen Punkt eingehen, weil er uns hier schon mehrfach beschäftigt hat und weil er natürlich auch mit der Debatte zu tun hat. Der zeigt sich ganz exemplarisch in der sogenannten Extremismusklausel. Die sogenannte Extremismusklausel von Ministerin Schröder, die ja hier dankenswerterweise in Thüringen von Frau Sozialministerin Taubert sehr richtig als Gesinnungsschnüffelei bezeichnet wurde, wurde beklagt von einer Initiative aus Pirna, der ich ausdrücklich danken möchte.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Diese Initiative hat inzwischen auch vor Gericht bestätigt bekommen, dass diese Klausel rechtswidrig ist. Das hatte im Übrigen auch schon ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes aus dem Bundestag belegt. Was jedoch tut Ministerin Schröder? Sie hält an einer solchen Klausel fest. Ich halte dies für im wahrsten Sinne des Wortes extrem problematisch und habe hier leider noch keinen Aufschrei aus der Mitte dieses Hauses vernehmen können. Auch diese Debatte übrigens könnten wir in diesem Zusammenhang sehr gut führen.

Lassen Sie mich jetzt zum Ende kommen. Bodo Ramelow hatte darauf verwiesen, dass wir am 10. Mai im Landtag das Gedenken veranstalten werden an die Deportationen, die aus diesem Hause heraus organisiert wurden. 70 Jahre ist es her. Wir tragen da auch eine beklemmende Last, denn wir sitzen in den Räumen, wo vermutlich das sogenannte Judenreferat hier im Abgeordnetenhaus gesessen hat. Wir alle wissen auch, dass der Buchenwaldschwur „Nie wieder!“ uns hoffentlich alle eint, nicht nur wenn wir auf die Straße gehen wie am 1. Mai in Weimar beispielsweise, sondern auch, wenn wir über Gesetzlichkeiten und die Verfassung streiten.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Streit ist aus unserer Sicht gut und richtig und wichtig, wenn er sachlich geführt wird und wenn sich

diesem nicht verweigert wird. Denn viel schlimmer als Streit in der Sache ist Totschweigen und Festhalten an einem Status quo, weil man Angst davor hat, vielleicht Farbe bekennen zu müssen an der einen oder anderen Stelle. In diesem Sinne werben auch wir für Ausschussüberweisung und für eine sachliche Debatte in dieser wichtigen Frage. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Danke, Frau Abgeordnete. Das Wort hat jetzt Abgeordneter Bergner von der FDP-Fraktion.