So habe ich es jedenfalls gesehen. Das ist meine Meinung, die ich hier sage. Stattdessen wollen Sie sich jetzt zum Hüter der verfassungsmäßigen Ordnung und Wahrer solcher Grundsätze aufspielen,
allerdings beschränkt auf die von Ihnen herausgestellten Themen. Allein schon mit der Präambel und den Artikeln 1 und 2 unserer Verfassung kommt eindeutig die Verpflichtung zur Bekämpfung von jeglichem Extremismus, Rassismus oder auch Fremdenfeindlichkeit zum Ausdruck. Dies hat schließlich auch in konkreten Gesetzen seinen Ausdruck gefunden, zum Beispiel wenn man den § 130 StGB heranzieht - Volksverhetzung. Ich will mal nur die Nummer 1 kurz zitieren: „gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe beschimpft, … böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“ Da gibt es noch einen Absatz 4 in dem § 130: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren … wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.“ Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu in einer grundlegenden Entscheidung 2009 festgestellt, das menschenverachtende Regime dieser Zeit, das über Europa und die Welt in unermesslichem Ausmaß Leid und Tod und Unterdrückung gebracht hat, hat für die verfassungsrechtliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland eine gegenbildliche identitätsprägende Bedeutung, die einzigartig ist und allein auf der Grundlage
allgemeiner gesetzlicher Bestimmungen nicht eingefangen werden kann. Das bewusste Absetzen von der Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus war historisch ein zentrales Anliegen aller an der Entstehung wie Inkraftsetzung des Grundgesetzes beteiligten Kräfte. Somit bleibt nach meiner Meinung festzustellen, dass unsere Verfassung mit ihren Grundrechten genau die Ziele beschreibt, die Nationalsozialismus, Extremismus und Rassismus entgegenstehen. Der beantragte Zusatz verkürzt diese Grundsätze unnötig, erschafft durch seine Hervorhebung eine unzulässige Abstufung. Wo bleibt zum Beispiel die Bekämpfung anderer Menschenfeindlichkeiten, zum Beispiel Islamfeindlichkeit oder anderer Gruppen? Auch wenn ich jetzt betont habe, dass unsere Landesverfassung und das Grundgesetz durch die Ausgestaltung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung gerade Nationalismus, Rassismus und Extremismus entgegenstellen, will ich aber auch darauf hinweisen, dass diese Verfassungsregelungen zwar sehr wichtig sind, dass sie aber auch nicht ausreichen. Es kommt darauf an, dass die Werte unserer Verfassung auch gelebt werden, und zwar gelebt werden, angefangen in der Familie, in der die erste Wertevermittlung für unsere Kinder erfolgt. Wir können hier Reden zum Thema halten, das ist auch wichtig, wichtiger aber ist, sich Gedanken zu machen, auf welche Weise das zum Beispiel im Thüringen-Monitor klar dargestellte gesamtgesellschaftliche Problem angegangen werden kann. Hier hilft nicht eine zusätzliche Verpflichtung in der Verfassung, hier hilft ein Zusammenwirken aller gesellschaftlichen Gruppen und ständige Aufklärung, angefangen in der Familie, in der Schule, das Entgegentreten bei Stammtischparolen ebenso wie Gegenveranstaltungen bei Neonaziauftritten und natürlich auch die strafrechtliche Verfolgung zum Beispiel im Sinne von § 130 StGB. Darauf sollten unsere Bemühungen gerichtet sein, wenn wir Erfolg bei der Umsetzung unserer Verfassungsziele haben wollen. Danke schön.
Vielen herzlichen Dank, Herr Abgeordneter Scherer. Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Bodo Ramelow für die Fraktion DIE LINKE.
Werte Kolleginnen und Kollegen, wir haben am heutigen Tag mehrere Bezugspunkte zu dem Thema 3. Mai. Es ist der polnische Nationalfeiertag, es sind eine Reihe unserer Kollegen und die Ministerpräsidentin heute in Weimar bei dem Festakt gewe
sen zur Würdigung der freiheitlichen Verfassung Polens, die vor vielen, vielen Jahren unter anderem von Jean-Jacques Rousseau mitentwickelt worden ist, der sogar der Meinung war, dass er nach Polen umziehen wollte, weil er das Volk der Polen als so freiheitlich gesinnt sah. Die Verfassung war damals die erste europäische Verfassung überhaupt, die das Prinzip Freiheit klar definiert hat. Das hat Polen nicht vor dem Untergang geschützt. Der Punkt ist nur, dass das Deutsche Reich oder Nazi-Deutschland an einem 1. September wiederum machtmartialisch Polen ausgelöscht hat oder auslöschen wollte. Das heißt, der Ausgangspunkt der Betrachtung für mich an dem heutigen Tag ist die Würdigung einerseits Polens und des Verfassungsstaats Polens, aber andererseits immer wieder die Erinnerung daran, dass von deutschem Boden Nationalsozialismus ausgegangen ist, aggressiver Faschismus, ein mörderischer Krieg vom Zaun gebrochen worden ist, der dazu geführt hat, dass in der Nachkriegsentwicklung die europäische Teilung der Preis war, den die Völker dafür zahlen mussten, dass von deutschem Boden eine mörderische Gewalt über die Nachbarstaaten hereingebrochen ist. Ich sage das in der Deutlichkeit, weil in meiner politischen Entwicklung zwei Politiker einen wichtigen Eindruck hinterlassen haben. Das war Willy Brandt als Bundeskanzler, der die Ostverträge und die Aussöhnungspolitik mit dem Osten vorangetrieben hat, der Kniefall von Warschau ist unvergessen, und der es ermöglicht hat, dass auf dieser Basis ein Annähern im friedlichen Kontext möglich war. Es gibt einen zweiten - und die Rede wird sich in wenigen Tagen auch jähren -, dass ist Richard von Weizsäcker, unser damaliger Bundespräsident, der mit der Rede am 8. Mai zum Tag der Befreiung für Nachkriegsdeutschland, mindestens für Westdeutschland, einen wichtigen Akzent gesetzt hat, dass wir uns als Deutsche im Klaren waren, dass es deutsche Verantwortung bleibt, dass von deutschem Boden dieser Krieg ausgegangen ist.
Richard von Weizsäcker und Willy Brandt sind für mich die Architekten der Verfassung, die mit dem Grundgesetz den Verfassungsstaat der heutigen Bundesrepublik Deutschland ausgemacht hat. Ich will nicht darüber debattieren, dass man eigentlich vor 22 Jahren eine Volksabstimmung gebraucht hätte, um eine gemeinsame Verfassung zu haben, aber auf der Basis des Grundgesetzes
- und auf der bewege ich mich - wird es deutlich, dass wir als Ausgangspunkt der Betrachtung die historische Dimension der Verantwortung sehen müssen. Wir werden zwei Tage nach dem 8. Mai, am 10. Mai auf Initiative von Frau Diezel, der Landtagspräsidentin, die Würdigung des 70. Jahrestages der Deportation der Juden aus Thüringen hier
in dem Saal begehen, aber wir werden auch hier im Haus die Zellen wieder öffnen und wir werden das Haus öffnen im Rahmen der Verantwortung, die wir damit übernehmen, dass in diesem Haus die Vernichtung der Juden geplant wurde. Hier hat das Judenreferat gesessen. Das ist eben einer der zentralsten Punkte, wenn man sich mit dem Verfassungsauftrag auseinandersetzt, den das Grundgesetz, lieber Herr Scherer, uns aufgegeben hat.
Ich beziehe mich ausdrücklich auch auf das Grundgesetz, da heißt es in Artikel 139: „Die zur ‚Befreiung des Deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus’ erlassenen Rechtsvorschriften, werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt.“ In Artikel 158 der Hessischen Verfassung vom 1. Dezember heißt es: „Die verfassungsmäßigen Freiheiten und Rechte können nicht den Bestimmungen entgegengehalten werden, die ergangen sind oder von vor dem 1. Januar 1949 noch ergehen werden, um den Nationalsozialismus und den Militarismus zu überwinden und das von ihm verschuldete Unrecht wieder gut zu machen.“ Also ein Verfassungsauftrag der sagt, dass vor der Deutschen Verfassung 46 die erlassenen Regeln, die die Alliierten erlassen haben für uns weiterhin Geltung haben.
Deswegen gehe ich auf den Kontrollratsbeschluss, Kontrollratsdirektive 38, zurück, damals erlassen von den Hohen Kommissaren. Da heißt es eindeutig: „Der Zweck dieser Direktive ist es, für ganz Deutschland gemeinsame Richtlinie zu schaffen betreffend:...die Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten, Militaristen und Industriellen, welche das nationalsozialistische Regime gefördert und gestützt haben;“ sowie „die vollständige und endgültige Vernichtung des Nationalsozialismus und des Militarismus durch Gefangensetzung oder Tätigkeitsbeschränkung von bedeutenden Teilnehmern oder Anhängern dieser Lehren;“ Das heißt, das Grundgesetz sagt, die Kontrollratsbeschlüsse haben weiterhin Geltung und auch in einer Entscheidung der Dreimächtekonferenz heißt es eindeutig: „Die Nationalsozialistische Partei mit ihren angeschlossenen Gliederungen und Unterorganisation ist zu vernichten; alle nationalsozialistischen Ämter sind aufzulösen; es sind Sicherheiten dafür zu schaffen, dass sie in keiner Form wieder auferstehen können; jeder nazistischen oder militaristischen Betätigung und Propaganda ist vorzubeugen.“ Das ist der immer noch gültige Kontrollratsbeschluss, der Handlungsauftrag auch in Ergänzung zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist.
Wir haben deshalb - Sie haben, Herr Scherer, zu Recht darauf hingewiesen - schon vor einigen Jahren das gleiche Thema hier aufgesetzt, wir haben in mehreren Bundesländern darüber geredet, wir haben immer wieder versucht deutlich zu machen, dass es notwendig ist, keine Hierarchisierung der
Verfassungsrechte zu formulieren, sondern eine besondere Stellung einer Verantwortung hervorzuheben, die wir, und da hatte ich immer den Eindruck, hier im Hohen Hause gemeinsam teilen, also dass Topf & Söhne ein Teil unserer Verantwortung ist, dass aus der Betrachtung des Alltags im Nationalsozialismus, wo das Wegschauen zur allgemeinen Strategie wurde und man nicht wahrhaben wollte, wie neben uns, neben den Menschen hier in dem Land, andere Menschen weggeführt wurden. Deswegen ist der 10. Mai in diesem Jahr für uns ein ganz besonderer Tag, für uns als Parlamentarier in diesem Landtag in der Verantwortung der Zellen, die in diesem Hause sind. Ich finde es richtig, dass wir uns der Verantwortung stellen und mit der Öffnung der Zellen deutlich machen, diese Deportation bleibt unsere Verantwortung, nicht unsere Schuld. Da wird immer alles durcheinander geschmissen, als wenn Menschen, die gar nicht dabei waren, eine persönliche Schuld hätten. Darum geht es gar nicht. Es geht darum, dass wir niemals zulassen dürfen, dass andere sich hinstellen und sagen, so schlimm ist es ja nicht gewesen, dazu gibt es die entsprechenden Strafparagraphen.
Sie haben ja auf einige hingewiesen. Aber wenn wir angesichts der Erkenntnisse, und da nehme ich nur die letzten Tage, 1996/1997 bei einem Täter, der an einem Badeteich in Quirla nationalsozialistische Propagandamusik abspielt, bei dem aggressive Schlägereien stattfinden, der verhaftet wird, und bei der Verhaftung gibt es eine Hausdurchsuchung und eine Rohrbombe wird gefunden, eine scharfe Rohrbombe wird gefunden mit Zünder und allem Drum und Dran und verurteilt wird dieser Täter anschließend auf wundersame Weise wegen der drei Flugblättern, die man auch gefunden hat, wegen eines Propagandadelikts, da kann ich nur sagen, dass das Thema „Aufstand der Anständigen“, was am 1. Mai wieder in Weimar hervorragend funktioniert hat, die Bürgergesellschaft hat in Weimar zusammengestanden und deutlich gemacht, dass man keinen Platz lässt für Nazis.
Das ist richtig. Ich würde mich freuen, Herr Scherer, wenn Sie das nächste Mal mit mir dabei sind. Lassen Sie uns doch alle zusammen dann stehen, wenn wieder solche Naziaufzüge sind. Ich habe heute dem Oberbürgermeister von Weimar meine Hochachtung ausgesprochen über einen Vorgang, der vielleicht ganz banal scheint, dass er ordnungsrechtlich durchgesetzt hat, dass zehn Ordner nachweislich ohne Vorstrafe benannt werden müssen, und bei 250 anwesenden Nazis konnten zehn Ordner in zwei Stunden nicht gefunden werden, die nicht vorbestraft sind. Dass er dann als oberster Chef der Ordnungsbehörde sagt, wer die Auflagen nicht erfüllt, hat hier nichts zu suchen, da sage ich,
danke schön, dass hier mal ein richtiger Bürokrat so bürokratisch war, dass mit bürokratischer Hilfe solch einem Ungeist die Stirn geboten wird.
Dafür verdient Herr Wolf meine große Hochachtung. Aber dass er diese Kunstgriffe machen muss, dass er ein Ordnungsrecht erst einmal anwenden muss, das ist das, was der Landrat Hennig in den letzten Tagen in der TLZ aufgeschrieben hat, das hat er uns allen ins Stammbuch geschrieben. Er hat gesagt, er lässt nicht zu, dass der Heimatbegriff von den Nazis missbraucht wird in einer Region, in der gelebte Heimattreue auch etwas mit dem katholischen Glauben zu tun hat. Er schreibt uns, dann sorgt für Gesetze, die so eindeutig sind, dass diese Gesinnungstäter hier nicht die Heimatbegriffe mit einer ganz anderen Ideologie besetzen können. Ich verstehe das als Auftrag an uns, eine klare Handlungsorientierung zu geben. Wo beginnt die Handlungsorientierung, wenn nicht in unseren Grundsätzen, in unseren Grundlagen, in unserem Grundverständnis als Auftrag aus der Verfassung abgeleitet, die Dinge …
Nein, es steht nicht drin, Herr Scherer. Sie müssen fünfmal begründen, bis sie es herauslesen. Offenbar haben die Polizisten 1996 und die Staatsanwaltschaft 1996 ein anderes Verfassungsverständnis wie jedenfalls das, was ich aus dem Vorschlag, den wir vorgelegt haben, ableite, nämlich - und da darf ich es Ihnen zitieren, denn es ist so ein eingängiger schlichter Satz: „Die Wiederbelebung oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts, die Verherrlichung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems und rassistische, fremdenfeindliche oder antisemitische Aktivitäten nicht zuzulassen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt und Verantwortung aller.“ Ein so klarer Satz ist Verfassungsauftrag, wenn er denn mit Zweidrittelmehrheit hier in den Verfassungsrang erhoben würde, und dann hätten sich alle Behörden daran zu orientieren.
Ich glaube, auf dieser Basis können wir mit Herrn Landrat Hennig auch entsprechende Maßnahmen ergreifen, dass einer bestimmte Form von ideologischer Umgehung, die diese Leute permanent praktizieren, ein wirksames Ende, ein wirksames Stoppschild gesetzt wird. Dafür werben wir.
Der Unterschied ist nur, lieber Herr Scherer - und Sie sind nun wirklich ein solcher profunder Volljurist, Sie sind es wirklich -, Sie wissen ganz genau,
dass das StGB eine untergeordnete Dimension hat zu unserem Verfassungsrang. Wir reden vom Verfassungsrang als Verfassungsauftrag für sämtliche Organe, die nachgeordnet sind, auf der Basis dieser Verfassung arbeiten, also wir als Parlamentarier, die wir das Recht setzen, die Behörden, die das Recht umzusetzen haben, die Einzelgesetze, die erlassen werden, werden an dem Maßstab geprüft, ob das den Auftrag erfüllt. Wir haben leidenschaftliche Debatten im Bundestag gehabt, ob das Kinderschutzrecht in die Verfassung kommt. Es gibt Massenpetitionen, dass das Kinderschutzrecht in die Verfassung kommt. Es gab eine Selbstverständlichkeit, dass der Tierschutz in die Verfassung kommt. Ich bin auch einverstanden damit, dass der Schutz der Kreatur als gleichrangiges Recht in den Verfassungskanon aufgenommen wird. Aber nachdem wir aus Thüringen und in Thüringen zur Kenntnis nehmen mussten, dass zumindest zehn, fünfzehn Jahre die Zuständigen offenbar auf einem Auge etwas blinder waren, etwas - Sie sagen Nein, aber die Menschen sind tot, die rassistischen Morde hat es gegeben, keine zuständige Stelle will es gemerkt haben, da kann man doch nicht Nein sagen.
182 rassistische Morde seit 21 Jahren in Deutschland und es wird noch kleingerechnet, ob es wirklich 182 waren oder nur 58. Der Unterschied der Zahlen ist, das eine wird abgeleitet von den Tätern, die Nazis waren, und die anderen zählen nur die Taten, ob es eine Propagandatat war oder ob es eine Alkoholtat war. Diese Form der Zerlegung scheint mir ein Teil des Problems zu sein.
Deswegen meine Bitte, wirklich über Rassismus als ein klares Merkmal der Ächtung aus der Verfassung zu reden.
Meine Damen und Herren, ja, wir behaupten nicht, dass der Satz von uns der allein richtige ist. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir auch über Alternativen reden würden. Es geht nicht darum, dass dieser Satz beschlossen werden müsste - es wäre schön, wenn er beschlossen würde, weil wir ihn uns ausgedacht haben, ich akzeptiere aber, wenn Sie sagen, nein, es gibt bessere Sätze. Deswegen und da wiederhole ich das auch - ich würde mich freuen, wenn wir ernsthaft diesen Denkansatz an die Ausschüsse überweisen, Alternativen prüfen und auch noch mal prüfen, ob der von Ihnen benannte Gesetzeskanon in der Verfassung klar erkennbar ist, aber dann nebeneinander wirklich auch mal schauen, was andere Bundesländer in der Zwischenzeit selber praktiziert haben. Da lohnt es sich, einmal einen Blick zu werfen, dass in anderen Bundesländern mit dem Thema umgegangen worden ist. Ich werbe ausdrücklich für die Überweisung an die Ausschüsse und würde dann anbieten, dass wir wenigstens gemeinsam schauen, welche Konse
quenzen Mecklenburg-Vorpommern in der Verfassungsfrage für sich gezogen hat. Die Kollegen im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern haben gemeinsam fraktionsübergreifend - und daran würde mir liegen, ich hätte auch nichts dagegen, wenn die CDU der Antragsteller wäre, dann könnten wir unseren Antrag auch zurückziehen, dann könnten wir eine andere Beschlusslage bringen -, bevor die Nazis ins Parlament eingezogen sind, eine Verfassungsregelung geschaffen, die heute noch für die ganzen Kolleginnen und Kollegen in MecklenburgVorpommern tragendes Grundverständnis ist. Ich will es einfach vorlesen. Da heißt es in Artikel 18 a (Friedensverpflichtung, Gewaltfreiheit) : „(1) Alles staatliche Handeln muss dem inneren und äußeren Frieden dienen und Bedingungen schaffen, unter denen gesellschaftliche Konflikte gewaltfrei gelöst werden können. (2) Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker oder der Bürger Mecklenburg-Vorpommerns zu stören und insbesondere darauf gerichtet sind, rassistisches oder extremistisches Gedankengut zu verbreiten, sind verfassungswidrig.“ - ein Antrag, den die CDU Mecklenburg-Vorpommerns gestellt hat. Ich würde mich freuen, wenn wir wenigstens darüber in den Ausschüssen reden könnten. Über den Extremismusbegriff würde ich mich immer streiten, aber über die Verfassungsorientierung, dass Rassismus ein geächtetes Thema ist, ein geächteter Vorgang ist, den wir durch nichts zulassen, nicht akzeptieren dürfen und keinerlei Organisationsgliederung in diesem Land das durchgehen lassen darf, deswegen, meine Damen und Herren, der Aufstand der Anständigen ist ein richtiger Schritt. Das Handeln der Zuständigen ist der notwendige Schritt. Und wenn wir den Zuständigen nicht das Material und die Möglichkeiten in die Hand geben, dann bleibt die Mahnung des Landrats Hennig aus dem Eichsfeldkreis. Ich glaube, am Schluss, wenn wir ein gemeinsames Fundament dazu schaffen würden, dann hätten wir einen großen Schritt getan. Ich bitte Sie, vor dem 8. Mai, ich bitte Sie, vor dem 10. Mai darüber nachzudenken, ob wir nicht wenigstens in einen gemeinsamen Dialog eintreten, dass nach dem Erkennen des NSU-Terrors, des rassistischen Mordens und des offensiven Gewaltanwendens im Namen einer Ideologie, die uns die Alliierten vorgeschrieben haben zu bekämpfen, und zwar als dauerhaften Kampf, darum bitten wir Sie, diese Diskussion im Parlament und in den Ausschüssen und zwischen den Fraktionen zu führen. Es gibt vielleicht bessere Lösungsvorschläge, aber lassen Sie uns dann über den Inhalt reden und nicht einfach sagen, der Antrag kommt von den Falschen. Damit wird anderes Unrecht kleingemacht. Ich will überhaupt nicht leugnen, dass mit Ideologien immer, wenn sie versuchen, den Allmachtsanspruch durchzusetzen, Menschenrechtsverletzungen einhergehen. Aber es gibt einen Unterschied: Der Rassis
mus, den der Nationalsozialismus ausgelöst hat, ist durch nichts, durch keine andere Ideologie in dieser Dimension überhaupt nur zu vergleichen. Deswegen bleibt unsere Verantwortung, Nationalsozialismus zu ächten. Darüber würden wir gern mit Ihnen ins Gespräch kommen. Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Ramelow. Das war auch eine Punktlandung, was die Redezeit anbelangt. Ich habe eine Frage: Sie sprachen immer von den Ausschüssen, welche Ausschüsse meinten Sie?
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Linkspartei hat ihren Antrag leicht modifiziert von 2005 noch einmal eingereicht und dem Landtag vorgelegt und ahnt sicherlich schon, dass auch diesmal keine Mehrheit im Hause zustande kommen wird. Ich will, wenn ich ausführlicher begründen darf, deshalb ausführlicher begründen, weil ich nicht schon wieder diese Wer-hat-uns-verraten-Sozialdemokratenmasche hören will oder Wer-sei-der-bessere-Antifaschist, sondern, ich denke, man muss sich damit tatsächlich tief auseinandersetzen.
Weil die Linkspartei es auf der Jagd nach Stimmen der außerparlamentarischen LINKEN sehr gern hat, sich selbst als große Antifaschistin zu präsentieren und es liebt, eigentlich mehr als verbal radikal aufgeplusterte Sozialdemokratie auf die SPD teilweise herabzusehen, möchte ich mit Ihnen auch in die Auseinandersetzung gehen, denn sowohl - darf ich vorweg verraten - der Antrag, den die Kolleginnen und Kollegen hier stellen, ist weder besonders radikal noch besonders links, noch liefert er, wie ich finde, eine treffende Analyse des Problems des Neonazismus. Was das Fass zum Überlaufen bringt für mich: Ich denke, es verbessert auch nicht die Ausgangsbedingungen eines zivilgesellschaftlichen Engagements und auch nicht die Ausgangsbedingungen von autonomen Antifagruppen oder anderen Antifagruppen.
Beginnen wir also konkret mit dem gesetzgeberischen Aspekt, den Sie formuliert haben. Frisch und frei behauptet hier die Linkspartei, es fehle eine spezielle verfassungsrechtliche Vorsorge gegen das Wiederaufleben nationalsozialistischen Gedankenguts, gegen die Verherrlichung der neonationalsozialistischen Gewaltherrschaft und gegen das Entstehen und die Betätigung von Parteien und Or
ganisationen usw., usf. Tatsächlich trifft das jedoch nur dann zu, wenn speziell die explizite Nennung des Neonazismus gemeint ist. Soweit das Grundgesetz und eine Landesverfassung überhaupt der Ort sind, solche Dinge zu regeln, findet sich durchaus eine ganze Reihe von Artikeln, die einem solchen Wiederaufleben entgegenstehen. Als allererstes ist da: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“