Dazu gehören selbstverständlich auch gute Arbeit, gerechte Löhne und soziale Sicherheit. Ansonsten kann ich den Vorrednern zu 90 Prozent zustimmen. Danke schön.
Danke schön, Frau Abgeordnete. Ich sehe keine Wortmeldungen bei den Abgeordneten. Herr Minister Machnig für die Regierung, bitte schön.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Holzapfel, zunächst einmal vielen Dank für die äußerst interessanten Ausführungen zur Historie des 1. Mai.
und ich sage auch, warum: Jeder Tag hat seine Bedeutung, dieser Tag hat für mich eine Bedeutung, weil Arbeit in unserem Leben eine zentrale Rolle spielt. Genauso wie andere Organisationen Tage begehen, gehört es zur Kultur in unserem Land, dass auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und deren Interessenvertretung an diesem Tag auch öffentlich für ihre Belange eintreten. Ich glaube, das ist gut. Das sollten wir auch nicht infrage stellen und ich biete Ihnen an: Wir gehen nächstes Jahr mal zusammen auf den 1. Mai. Sie werden wirklich bekennender Fan einer solchen Veranstaltung werden.
Warum ist der 1. Mai wichtig und warum werden dort auch immer bestimmte Positionen öffentlich vertreten?
Das war doch eine freundliche Einladung und die kann man annehmen und die kann man auch ablehnen. Ich würde mich freuen, wenn wir das mal zusammen machen.
(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Sie können doch nicht so früh am Tag mit Drohungen um sich schmeißen.)
Jetzt zum Thema. Ja, das ist doch okay, gut. Wenn Sie das als Bedrohung empfinden, dann weiß ich nicht, was Sie sonst so im Leben erleben.
Jetzt zum Thema: Das Thema ist ernst. Worüber reden wir? Deutschland hat heute, das ist gut, darüber freue ich mich auch als Wirtschaftsminister, historisch in der Nachkriegsgeschichte den höchsten Beschäftigungsstand, den wir je hatten. Das ist die eine Seite der Medaille, die Wahrheit gehört
aber dazu. Dieser Arbeitsmarkt ist ein tief gespaltener Arbeitsmarkt. Was wir erleben, und das ist die eigentliche Herausforderung - ich nenne das die neue soziale Frage in Deutschland -, ist, dass wir einen Arbeitsmarkt haben, der eben spaltet in Gutverdiener und immer stärker spaltet auch in Leute, die in prekärer Beschäftigung sind.
Die Zahlen sind dort eindeutig. Wir haben heute 16,8 Mio. Menschen, die in atypischen Beschäftigungsverhältnissen in Deutschland beschäftigt sind, 5,7 Mio. in Teilzeit, 2,7 Mio. in befristeten Beschäftigungsverhältnissen, 7,4 Mio. Menschen in Minijobs, 1 Mio. in Leih- und Zeitarbeitsverträgen und es gibt jetzt eine neue Entwicklung, die Zahl der Werkvertragsarbeitnehmer nimmt zu. Auch das ein Instrument zum Lohndumping. Wir müssen schlicht und ergreifend zur Kenntnis nehmen - und ich finde, das sollte jeder tun, egal welcher politischen Gruppierung er angehört -, Deutschland ist in Europa das Land mit dem höchsten Niedriglohnsektor. Das ist die Realität. Wir bewegen uns auf dem Niveau von Kanada; die USA und nur Korea liegen noch etwas über uns. Allerdings, und das ist die negative Entwicklung: Wir sind das Land mit der höchsten Zunahme in den letzten Jahren, was den Niedriglohnsektor angeht. Wir haben eine Zunahme in den letzten zehn Jahren von mehr als 6 Prozent. Das hat natürlich Konsequenzen und die Konsequenzen sind ganz praktisch, weil, und das müssen wir mal zur Kenntnis nehmen, es gibt fast 2 Mio. Menschen in Deutschland, die verdienen weniger als 5 €. Es gibt 4 Mio. Menschen, die verdienen weniger als 8 €. Und zwischen 8 und 10 € haben wir immer noch knapp 4 Mio. Menschen. Das heißt, wenn man einen Lohn von etwa 8/9 € zugrunde legt, haben wir heute eine Situation, dass mehrere Millionen Menschen in Deutschland sich unter einem angemessenen Lohn bewegen. Allein unter 8,50 € sind das 5,78 Mio. Menschen, im Übrigen mit der Konsequenz, dass man davon in der Regel nicht leben kann und sich die Zahl der Aufstockerinnen und Aufstocker insgesamt in den letzten Jahren auf sehr hohem Niveau, 1,4 Mio., bewegte. Wenn man genau schaut, wen das eigentlich betrifft, dann muss man Folgendes feststellen: Dieses Problem betrifft natürlich auch Männer, aber es sind vor allen Dingen Weibliche und es sind Jüngere, die von dieser Entwicklung betroffen sind. Allein in Thüringen verdienen 52 Prozent aller Menschen unter 29 Jahren weniger als 8,50 €. Was das zur Konsequenz hat, das wissen alle, nämlich es führt dazu, dass viele junge Menschen das Land verlassen. Ich sage es nicht so laut, aber die Umfrage, die ich mit Externen gemacht habe, hat zu einem geführt: Durchaus 40 Prozent der Thüringer können sich vorstellen, das Land zu verlassen. Das sind Alarmsignale, die wir sehr ernst nehmen sollten,
Wer in die Branchen schaut, wird feststellen, es gibt Hotspots. Wir haben insbesondere die höchsten Niedriglohnanteile im Bereich des Gastgewerbes, der Land- und Forstwirtschaft, im Einzelhandel, im Dienstleistungssektor und so weiter. Dort haben wir den höchsten Niedriglohnanteil. Ich empfehle allen einmal nachzulesen, was es heißt, etwa im Einzelhandel zu arbeiten, wenn man sich etwa die ALDIGeschichte im SPIEGEL anschaut. Diese Entwicklung ist nicht nur eine Entwicklung, die dann dazu führt, dass Menschen abgedrängt werden, sondern alle Beschäftigten sind davon betroffen. Denn wer sich anschaut, wie sich in den letzten Jahren die Reallöhne oder die Effektivlöhne in Deutschland entwickelt haben, der stellt fest, wir liegen heute, wenn man sich die Effektivlöhne in Deutschland anschaut, unter dem Niveau des Jahres 2000. Das heißt, Menschen haben real Lohnverluste gehabt. Wo sind sie am höchsten? Sie sind auch noch da am höchsten, wo Menschen am wenigsten verdienen, dort sind die höchsten Lohneinbußen. Ich finde, das hat jeder von uns zur Kenntnis zu nehmen. Für Thüringen heißt das im Übrigen, auch das will ich sagen, wir haben die geringsten Bruttoentgelte bundesweit, wir liegen am Schluss. Mit 1.936 €, das ist der Medianlohn in Thüringen, liegen wir hinter Sachsen-Anhalt, hinter Sachsen, hinter Mecklenburg-Vorpommern, hinter Brandenburg und sowieso hinter allen westdeutschen Ländern. Deswegen, glaube ich, brauchen wir auch in den nächsten Jahren eine wirkliche Wende in der Lohnpolitik.
Jetzt einen Satz zum Thema Mindestlohn: Ich stelle zunächst einmal fest, wenn ich auf den Deutschen Bundestag schaue, wenn ich hier ins Plenum schaue - ich denke, die CDU-Kolleginnen und -Kollegen stehen zu den Beschlüssen, die auf ihrem Parteitag gefasst wurden, das unterstelle ich mal.
Ich muss nicht zu den CDU-Parteitagsbeschlüssen stehen. Das ist nicht meine Aufgabe, aber ich stelle Folgendes fest: Hier im Saal und im Deutschen Bundestag sind bis auf die FDP alle Parteien inzwischen für eine Lohnuntergrenze. Es geht um die Frage der Ausgestaltung der Lohnuntergrenze. Ich sage ganz offen, da habe ich zumindest Zweifel am Modell von Frau von der Leyen. Aber das ist ja zunächst ein Signal, dass auch die Bundesarbeitsministerin erkannt hat, ohne eine Lohnuntergrenze wird das Lohndumping in den nächsten Jahren weitergehen. Deswegen sollten wir das, was jetzt vorgelegt worden ist, auch ernst nehmen. Ich tue das zumindest und wir sollten auch ehrlich miteinander diskutieren. In 20 von 27 europäischen Ländern
gibt es Mindestlöhne. Wenn man sich zum Beispiel die britischen und andere Erfahrungen anschaut, kann man feststellen, das hat nicht dazu geführt, dass weniger Beschäftigung aufgebaut worden ist.
Nein, ich sage es noch einmal, schauen Sie sich die Ergebnisse an, die ich ja nicht produziert habe. Frau von der Leyen hat acht Branchen in Deutschland untersuchen lassen, wo es Mindestlöhne gibt: im Bauhauptgewerbe, im Dachdeckerhandwerk, im Elektrohandwerk, im Bereich der Gebäudereinigung, im Maler- und Lackierhandwerk, in der Abfallwirtschaft, in der Wäschereidienstleistung und in der Pflegebranche. Übereinstimmend kommen diejenigen, die diese Evaluation gemacht haben, zu einem Ergebnis, dass diese Mindestlöhne, die es in diesen Branchen gibt, zu nicht weniger Beschäftigung in der Sache geführt haben. Ich finde, die eigenen empirischen Ergebnisse sollten dann doch einmal ernst genommen werden.
Ich glaube auch, dass wir uns auf den Weg machen sollten, jetzt - weil, ich sage es nochmals, es ist die neue soziale Frage - uns dieses Themas anzunehmen und zumindest würde ich mal mein Gefühl geben, man kann sich auch auf einen solchen Mindestlohn verständigen. Wir haben in Deutschland eine Pfändungsgrenze von 1.030 €. 1.030 € ist die Pfändungsgrenze. Wenn man das auf eine 38Stunden-Woche umlegen würde, würde das heißen 8,62 €, auf eine 40-Stunden-Woche 8,22 €. Wir haben als zweiten Maßstab die Hartz-Regelsätze, die bedeuten 1.054 € netto pro Monat. Das würde bei einer 38-Stunden-Woche 8,91 € und bei einer 40Stundenwoche die besagten 8,50 € bedeuten. Wenn wir die Armutsschwelle zugrunde legen, die Armutsschwelle in Deutschland, auch dafür gibt es ja entsprechende Zahlen, dann würde das bedeuten, dass wir über ganz andere Sätze reden. Wenn wir das zugrunde legen, würde man über Größenordnungen von 10 € und mehr sprechen. Und wenn wir die Europäische Sozialcharta zugrunde legen würden, reden wir dann über Mindestlöhne von 12,24 €. Damit spreche ich nicht für diese Größenordnung. Ich wollte nur deutlich machen, es gibt Bezugssysteme und Referenzsysteme - Sozialcharta, Pfändungsgrenze -, die eines deutlich machen, auch in anderen Bereichen regeln wir doch eines, dass es keinen Absturz von Menschen gibt in das Bodenlose. Ich finde, das sollten wir tun. Im Übrigen jetzt ein Satz, Frau Leukefeld, zur Arbeit der Landesregierung: In der Tat, es gibt einen Gesetzentwurf meines Hauses. Wir haben uns im Rahmen der Koalition darauf verständigt, dass wir eine Arbeitsgruppe einrichten. Herr Bergemann ist z.B. Mitglied dieser Arbeitsgruppe. Wir haben jetzt dreimal getagt, wir werden diese Woche das vierte Mal tagen.
Ich bin für folgendes Prinzip: Im Zweifelsfall habe ich immer die entscheidende Stimme, Herr Mohring. Das wäre das Beste.
Wir können ja einmal darüber abstimmen lassen. Mal sehen, wie weit wir dann mit diesem Vorschlag kommen. Nein, ich schaue einmal den Kollegen Bergemann an. Herr Bergemann, ich glaube, man kann eines sagen: Wir haben dort in dieser Arbeitsgruppe sehr sachlich über das Thema diskutiert und wir haben uns - Herr Bergemann, Sie werden das wissen, Sie waren ja bei den Sitzungen anwesend -, immer zutragen lassen, und zwar vom Institut der Deutschen Wirtschaft genauso wie vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, wie vom WSI usw. Das Erstaunliche ist, selbst der Vertreter des Instituts der Wirtschaft aus Köln hat eines gesagt, ja, er sieht auch Handlungsnotwendigkeit. Die Unterschiede lagen nicht bei der prinzipiellen Frage, brauchen wir einen Mindestlohn oder nicht. Es war die Frage, wie hoch muss er denn sein, damit es keine negativen Beschäftigungseffekte gibt. Das finde ich eine sinnvolle Diskussion. In der Tat, das ist auch die Abwägungsfrage, vor der wir stehen und die wir auch insgesamt treffen müssen. Ich glaube, das war eine sehr gute Arbeit. Wir machen diese Woche die letzte Runde, dann soll es einen Bericht geben. Aufbauend auf diesen Bericht wollen wir dann auch die politischen Konsequenzen aus dieser Frage ziehen. Ich will mich auf jeden Fall heute schon einmal bedanken für die gute und konstruktive Diskussionskultur, die es in diesem Bereich gibt.
Zum Schluss: Der Mindestlohn wird kommen, er wird kommen. Die Frage ist nur, kommt er schnell, oder nehmen wir uns noch mal ein, zwei Jahre Zeit. Ich sage, die Verbitterung in der Bevölkerung wird zunehmen. Denn es ist doch angesichts von Managergehältern - wie die von Herrn Winterkorn, 18 Millionen - Menschen nicht vermittelbar, warum sie eigentlich in Bereiche abgedrängt werden, von denen sie nicht leben können.
Das gehört zur Sozialhygiene in diesem Land. Diese soziale Hygiene müssen wir im Auge behalten, weil ansonsten die Demokratie Schaden leidet. Das ist meine tiefste Überzeugung. Deswegen noch mal mein Appell: Lassen Sie uns in aller Ruhe aufbauend auf Daten, Zahlen und Fakten, aufbauend auf empirische Analysen, aufbauend im Übrigen auf der neuen Arbeitsmarktforschung aus den USA, denn wenn man sich amerikanische Arbeitsmarktforscher anschaut, haben die sich längst von der These verabschiedet, dass ein Mindestlohn zu Beschäftigungsabbau führt. Das sind die neuesten Ergebnisse. Lassen Sie uns im Sinne, ich sage das auch offen, sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber einen solchen Mindestlohn auf den Weg bringen.
Warum ist das auch für die Arbeitgeber wichtig? Weil viele aus dem Handwerk, viele aus anderen Bereichen sagen: Wir können uns auch manchmal nicht schützen gegen den Dumpingwettbewerb, den Konkurrenten von uns machen, und das auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deshalb, glaube ich, ist es auch im Interesse von vielen Arbeitgebern, wenn wir diesen Schritt tun. Wir sollten ihn schnell tun. Wir sollten ihn im Interesse der Beschäftigung und der Beschäftigten in diesem Land tun. Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Minister, zwei, drei Punkte will ich nur noch mal kurz retournieren. Wenn Sie sich die Mühe machen würden, gelegentlich auch einmal mit kleinen und mittelständischen Unternehmern aus Thüringen zu sprechen, insbesondere im Grenzbereich so zu Hessen, zu Bayern, also insbesondere zu den „gebrauchten“ Bundesländern, zu den westlichen Nachbarn, dann würden Sie sicherlich genauso hören, so wie sie mir das erzählen, dass die sich in einem enormen Wettbewerbsdruck befinden, auch gerade was die Lohnsituation betrifft - überhaupt keine Frage. Die Frage ist nur, wenn die jetzt schon wissen, dass sie sich in diesem Wettbewerb befinden und die Löhne trotzdem nicht zahlen, weil sie sie nicht zahlen können, was soll denn dann durch die gesetzliche Regelung, bitte schön, besser werden?