Protocol of the Session on May 2, 2012

Denn die Frage ist erstens, was ist eine gute Arbeit und zweitens, was ein gerechtes Entgelt darstellt.

(Zwischenruf Abg. Lemb, SPD)

Wer meint, Herr Lemb, dass der Staat der bessere Richter ist als beispielsweise der Kunde, die Arbeitgeber oder die Arbeitnehmer, der überschätzt nicht nur das Marktwissen des Staates, sondern unterschätzt auch die Interessenlage und die Durchsetzungsfähigkeit der Gewerkschaften.

(Beifall FDP)

Es gibt - und das will ich Ihnen kurz darstellen - aus unserer Sicht zwei potenzielle Folgen, die einen Mindestlohn zeitigt. Erstens: Der Mindestlohn in einer Branche ist wirkungslos - da nehmen wir zum Beispiel mal die Pflegebranche -, wenn die Arbeitgeber adäquate Arbeitskräfte für den festgelegten Satz überhaupt nicht mehr akquirieren können. Er liegt in diesem Fall deutlich unter dem, was Arbeitgeber jetzt schon zahlen müssen, damit sie entsprechend ausgebildete Fachkräfte überhaupt anwerben können.

(Beifall FDP)

Dazu sei den werten Kollegen auch durchaus mal ein Gespräch mit Trägern von stationären Pflegeheimen in Thüringen empfohlen. Die können Ihnen nämlich sehr deutlich sagen, was für einen Einfluss der Mindestlohn in der Pflegebranche hat, nämlich keinen. Die weitaus gefährlichere Folge ist aber in den Branchen zu beobachten, welche die durch den Mindestlohn erhöhten Personalkosten am Markt, also bei dem an den Kunden weitergegebenen Endpreis, überhaupt nicht mehr wirtschaften können. Die Arbeitsplätze, die durch zwangsweise erhöhte Endpreise nicht zu refinanzieren sind, weil die Kunden ausbleiben, werden abgebaut.

(Beifall FDP)

Eine weitere Folge wird sein, dass, sollte die Dienstleistung weiter nachgefragt werden, allerdings zu einem niedrigeren Preis als es den offiziellen Marktteilnehmern möglich ist, diese Branche zusätzlich durch die Bildung eines Schwarzmarkts unter Druck gesetzt wird.

(Beifall FDP)

Wir bleiben daher bei unserem Nein zu einem flächendeckenden gesetzlich festgelegten Mindestlohn.

(Beifall FDP)

Liebe Mitglieder der SPD-Fraktion, vielleicht sollten Sie Ihren Bürgermeister der Stadt Schmalkalden einen Herrn Kaminski - daran erinnern, in welcher Partei er ist. Die Stadt Schmalkalden schreibt aktuell eine Teilzeitstelle aus - 36 Stunden für einen Tiefbauingenieur mit gefordertem abgeschlossenen Studium - in der Entgeltgruppe 8. Ich wiederhole „Entgeltgruppe 8“. Diese Person, die aus welchem Grund auch immer gezwungen ist, diesen Job anzunehmen, wird sicherlich dankbar der heutigen Debatte lauschen, denn er wird sich sehr freuen, dass es bald für gute Arbeit auch ein entsprechend gutes Entgelt gibt. Vielen Dank.

(Beifall FDP)

Danke schön. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht Frau Abgeordnete Anja Siegesmund.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, was ist gute Arbeit? Fünf Fraktionen, fünf Antworten, aber ich will Ihnen zunächst sagen, was keine gute Arbeit ist. Nicht unter gute Arbeit fallen folgende Stichworte: Ausufernde Leiharbeitsbranchenprozente - alle, die in Leiharbeit beschäftigt waren, haben 50 Prozent nur dessen 2010 verdient, wie im Schnitt diejenigen, die unbefristete Arbeitsverträge hatten oder andere. Scheinselbstständigkeit gehört zu schlechter Arbeit. Zunehmender Burn-out - ein Phänomen, was wir beobachten können. Familienunfreundliche Arbeitszeiten, nicht nur unmoralische Stundenlöhne, wie sie eben schon hier eine Rolle spielten, definitiv auch, Altersarmut. All das gehört zu dem, was gute Arbeit eben nicht ausmacht.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und es gehört noch mehr dazu, nämlich die Tatsache, dass wir einen Arbeitsmarkt haben, an dem ganz eindeutig der Aufschwung an Älteren beispielsweise, an Menschen mit Behinderungen und

(Abg. Koppe)

anderen vorbeigeht. All das ist nicht gute Arbeit, all das ist das, worum wir uns kümmern müssen.

Gute Arbeit heißt also im Umkehrschluss, dass Menschen von ihrem Lohn leben können müssen, dass sie ihre Familien ernähren können müssen, dass sie gut leben wollen und wir ihnen dafür die Rahmenbedingungen schaffen, und dass es eben nicht knapp wird zu Hause, wenn der Schulausflug bezahlt werden muss.

Da bin ich beim Mindestlohn, der gehört mit dazu und die Zahlen will ich Ihnen nicht ersparen. Der Niedriglohnsektor ist in der Bundesrepublik in den vergangenen zehn Jahren dramatisch angewachsen. Wir wissen, dass mehr als 6,5 Mio. Menschen für einen Niedriglohn arbeiten, 3,4 Millionen verdienen weniger als 7 € in der Stunde und mehr als 1 Mio. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden hierzulande mit einem Stundenlohn von unter 5 € abgespeist.

Da komme ich gern mal zur FDP - ich weiß nicht, wo Herr Koppe jetzt ist -, aber die FDP muss, finde ich, auch endlich mal zur Kenntnis nehmen, Herr Koppe, dass die 1,3 Mio. Erwerbstätigen, die aufstocken, staatlich subventioniert werden. Es ist nämlich eine staatliche Subvention, wenn tatsächlich entschieden wird, dass aufgestockt werden muss, und dieses Geld, lieber Herr Koppe, sollten wir doch lieber in Mindestlohn stecken, anstatt Unternehmen damit zu subventionieren. Damit konterkarieren Sie komplett das, was gute Arbeit ist.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Übrigen, wenn Sie sich weniger mit so völlig grotesken Steuersenkungsplänen wie bei der Pendlerpauschale befassen würden, wüssten Sie auch, was wichtig ist.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der gesamte Niedriglohnsektor ist - und das müssen wir auch zur Kenntnis nehmen - überproportional weiblich. Wir haben nicht nur viele Junge, die betroffen sind, viele Ältere, sondern auch viele Frauen. Es gibt also genug, um das wir uns kümmern müssen, obwohl wir genau überlegen müssen, was denn eigentlich die richtigen Instrumente sind.

Es gibt in der Bundesrepublik bisher keine allgemeingültige Lohnuntergrenze. Fragen Sie mal Möbelspediteure, fragen Sie mal im Frisörbereich, fragen Sie mal in vielen anderen Dingen, was das eigentlich für die Menschen heißt. Ich glaube, dass manche das hier wirklich gut vertragen würden, auch mal miteinander zu reden, was das individuell heißt. Deswegen - und das finde ich besonders spannend - gibt es einige Länder, ich nenne mal Bremen und andere, die sich sehr wohl im Land darum bemühen zu überlegen, was wir eigentlich

vor Ort tun können, zum Beispiel darüber reden, wie das Land selbst dafür sorgt, dass ein Mindestlohn eingeführt wird.

Sie wissen, dass über zwei Drittel der Menschen, die in der Bundesrepublik leben, die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns befürworten. Das sind Umfragen, die Infratest dimap gemacht hat, das ist kein „Wünsch dir was“ von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, und über die Höhe können wir jetzt trefflich streiten, da können wir irgendwie einen Mittelwert finden oder uns etwas ganz anderes ausdenken. Es gibt Studien der Universität Berkeley in den USA dazu, die nun wirklich unverdächtig sind, in irgendeiner Form Hokuspokus zu machen. Es ist belegt und keiner muss sich davor fürchten, was ein Mindestlohn in Thüringen anrichten würde. Schauen Sie nach Großbritannien, schauen Sie in die USA, schauen Sie nach Österreich, dort gibt es den Mindestlohn und es ist, meine Damen und Herren von CDU und FDP, nicht der Sozialismus ausgebrochen; es täte uns allen gut.

(Beifall SPD)

Stattdessen - und das müsste vielleicht auch ein Argument sein, was die FDP gar nicht schlecht findet - gibt es Studien, in denen sehr wohl steht, dass, würden wir einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 € einführen, es positive fiskalische Effekte gäbe. Bundesweit rechnet man mit 7 Mrd. € mehr in den Kassen zusätzliche Steuereinnahmen, höhere Sozialbeiträge, ersparte Sozialtransfers, rechnen Sie mal mit den Zahlen, das täte Ihnen gut. Herr Koppe, ich hoffe sehr, dass die Parole „Trinkgeld statt Mindestlohn“ nicht Ihr Ernst war, sondern nur ein Ausrutscher. Alles andere fände ich sehr schräg.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Meine Damen und Herren, ich würde es begrüßen, wenn die Landesregierung Stellung dazu nähme, wie man denn innerhalb des Vergabegesetzes beispielsweise über einen Mindestlohn diskutiert. Das wäre doch mal ein starkes Signal am 2. Mai. Das würde mich interessieren. Sind Sie denn dazu im Gespräch nach dem 1. Mai - die Sonntagsreden, Frau Leukefeld hat gesagt, sollten vorbei sein...

Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Packen Sie es an und ich würde mich freuen, wenn Schwarz-Rot sich tatsächlich für diese Idee erwärmen kann.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Vielen Dank. Für die CDU-Fraktion hat das Wort die Abgeordnete Elke Holzapfel.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist alles gesagt,

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Nie im Le- ben!)

nur noch nicht von mir, Sie haben recht.

Anlässlich dieses Plenums wird uns natürlich dieses Thema auch öfter wieder einholen. Ich möchte gern zur Genese des Maifeiertages sprechen. Ich bekenne, ich habe gestern auf keiner Demonstration gesprochen.

(Beifall FDP)

Ja, ich sage Ihnen eindeutig, ich habe den Maifeiertag, den ich zum 21. Mal in Freiheit und in Einheit erleben durfte, im Kreise meiner Freunde verbracht. Wir sind weder an einer Tribüne vorbeimarschiert, noch haben wir Winkelemente getragen. Auch einem Bestechungsversuch mit Freibier und Rostwurst waren wir gestern nicht erlegen. Wir haben diesen Tag gefeiert mit Gedanken und Erinnerungen u.a. an unsere gemeinsame Vergangenheit, so wie wir diesen Tag erlebt haben. Es ist vielleicht auch wichtig für unsere Zuschauer, dass sie es noch einmal ein Stückchen miterleben.

Erlauben Sie mir trotzdem einen kurzen Rückblick in die Geschichte, bevor ich auf das Gewerkschaftsmotto 2012 eingehe, dem diese Aktuelle Stunde heute gewidmet ist. Als am 1. Mai vor 126 Jahren in Nordamerika die Beschäftigten aus über 11.000 Betrieben in einen mehrtägigen Streik traten, um die Einführung des 8-Stunden-Tages in ihre Verträge zu fordern, konnte sich wohl kaum jemand vorstellen, welche Bedeutung diesem Tag einmal zukommt. Anlass hierfür, und das sagte der Kollege Koppe gerade, war eine gewalttätige Auseinandersetzung, die drei Tage später auf dem Haymarket in Chicago ein blutiges Ende nahm. Das Ziel, den 8-Stunden-Tag einzuführen, wurde nicht erreicht. Den Einsatz dafür haben mehr als 30 Menschen mit ihrem Leben bezahlt. Die Zweite Internationale rief auf ihrem Gründungskongress vier Jahre später in Paris zum Gedenken an die Opfer den 1. Mai zum Kampftag der Arbeiterbewegung aus. Trotz der geringen Streikneigung im damaligen deutschen Kaiserreich und dem noch geltenden Sozialistengesetz, mit dem Sozialdemokraten verfolgt und politische Versammlungen verboten waren, beteiligten sich bereits ein Jahr später am 1. Mai 1890 über 100.000 Arbeiterinnen und Arbeiter an den sogenannten Mai-Spaziergängen. Wer weiß das hier?

(Zwischenruf Abg. Dr. Klaubert, DIE LINKE: Ich.)

Sehr schön. Vornehmlich wurden diese in den großen Städten wie Berlin, Dresden und Hamburg durch die Gewerkschaften organisiert. In Hamburg entwickelte sich daraus ein Arbeitskampf um einen 9-Stunden-Tag, der sich bis zum Spätsommer ausdehnte. Zwar konnten sich die Gewerkschaften nicht durchsetzen, dennoch gilt dieser Arbeitskampf als erfolgreich, denn er war die Geburtsstunde des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Aus der Erfahrung heraus, dass Einigkeit stark macht, wurde der erste Dachverband gegründet. Fortan wurde am ersten Sonntag im Mai überall dort, wo es nicht möglich war, am Datumstag zu streiken oder der Arbeit fernzubleiben, mit Umzügen und Festen, die im Freien stattfanden, gefeiert. Der Versuch, den 1. Mai als einen gesetzlichen Feiertag verbindlich festzulegen, erfolgte 1919 erstmals durch die Weimarer Nationalversammlung. Hier funktionierte nicht die Parole „Einigkeit macht stark“; es konnte nicht durchgesetzt werden. Als gesetzlicher Feiertag wurde der 1. Mai erst ab 1933 durch die Nationalsozialisten eingeführt und gründlich missbraucht. Bereits am 2. Mai 1933 wurden die Gewerkschaften in Deutschland verboten. Eine Ungeheuerlichkeit! Aus dem Feiertag der nationalen Arbeit wurde der nationale Feiertag. Dieser war geprägt von Aufmärschen und Leistungsschauen sowie Massenauftritten der Nazis. Damit war der 1. Mai als Tag der Arbeit völlig entwertet. Und wie das zu DDR-Zeiten vor sich ging, das hatte ich Ihnen schon gesagt. Ich sehe, meine Zeit läuft hier weg. Ich könnte noch sehr viel über die Geschichte

(Unruhe DIE LINKE)

schade - des 1. Mai sagen. Ich möchte nur sagen, dass mir besonders das Bundesland NordrheinWestfalen gefällt. Dort wurde der 1. Mai festgelegt als Tag des Bekenntnisses zur Freiheit, zu Frieden, Völkerversöhnung und Menschenwürde. Das ist eine sehr gute Geschichte. Für alle Menschen, die auf dem Boden unserer Verfassung stehen, ist die Würde unantastbar.

Die Redezeit ist wirklich zu Ende.

Dazu gehören selbstverständlich auch gute Arbeit, gerechte Löhne und soziale Sicherheit. Ansonsten kann ich den Vorrednern zu 90 Prozent zustimmen. Danke schön.