Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich heiße Sie zu unserer heutigen Sitzung des Thüringer Landtags willkommen, die ich hiermit eröffne. Ich begrüße auch die Gäste auf der Zuschauertribüne und die Vertreterinnen und Vertreter der Medien.
Als Schriftführer hat neben mir Platz genommen Herr Abgeordneter Dr. Voigt. Die Redeliste führt die Frau Abgeordnete König.
Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt: Frau Abgeordnete Dr. Kaschuba, Herr Abgeordneter Krauße, Herr Abgeordneter von der Krone, Herr Minister Machnig, Herr Minister Matschie, Herr Minister Geibert (zeitweise), Herr Minister Dr. Voß (zeitweise) und Frau Abgeordnete Schubert (zeit- weise).
Ich habe eine angenehme Aufgabe, Frau Abgeordnete Mühlbauer hat heute Geburtstag, meinen herzlichsten Glückwunsch und alles Gute.
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses - Mögliches Fehlverhalten der Thüringer Sicherheits- und Justizbehörden, einschließlich der zuständigen Ministerien unter Einschluss der politischen Leitungen, sowie der mit den Sicherheitsbehörden zusammenarbeitenden Personen (soge- nannte menschliche Quellen) im Zusammenhang mit Aktivitäten rechtsextremer Strukturen, insbesondere des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) und des „Thüringer Heimatschutzes“ (THS) und seiner Mitglieder, sowie mögliche Fehler der Thüringer Sicherheits- und Justizbehörden bei der Aufklärung und Verfolgung der dem NSU und ihm verbundener Netzwerke zugerechneten Straftaten Antrag der Fraktionen der CDU, DIE LINKE, der SPD, der FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 5/3902
Wünscht eine Fraktion das Wort zur Begründung? Ich sehe, das ist nicht der Fall. Mir liegen Wortmeldungen vor und ich eröffne die Aussprache. Als Erste hat das Wort die Frau Abgeordnete Marx von der SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben eine besondere Verantwortung. Eine Serie kaltblütiger Morde konnte nicht verhindert und nicht gestoppt werden. Das hat das Vertrauen unserer Bürgerinnen und Bürger in unseren Rechtsstaat massiv erschüttert. Auch wir Parlamentarier stehen deshalb in der Pflicht, unseren Beitrag zur Aufklärung zu leisten, wie so etwas geschehen konnte, obwohl die Täter sich schon seit dem Ende der 90er-Jahre im Visier der Sicherheits- und Justizbehörden befunden hatten.
Was haben wir bis heute dazu erfahren? Eine Reihe, oder besser ein Haufen einzelner Puzzlesteinchen liegt vor uns, ein Mischmasch aus vermuteten und schon sichtbar gewordenen Mängeln, tatsächliche und ziemlich zahlreiche Fehlschläge bei der Suche nach dem Trio, Fehleinschätzungen von Beziehungsgeflechten, fragwürdige Einsätze von fragwürdigen V-Leuten, Dienste, die sich gegenseitig auf den Füßen gestanden haben, die darauf aufbauende These, die Behörden und der Staat seien auf dem rechten Auge wohl ziemlich blind gewesen. Doch für ein Gesamtbild reichen diese Puzzlestücke noch nicht, am Ende bislang nur für weitere Spekulationen, Thesen und Theorien. In der Nachrichtenlage werden seit November Fakten und Thesen zum vermeintlichen Hergang oftmals vermischt.
Ich werde jetzt darauf verzichten, die bewiesenen Einzelteile aufzuzählen und die weißen Flecken detailliert zu beschreiben. Eines steht fest: Wir wissen nach wie vor zu wenig.
Neben den vielen redlichen, honorigen Experten, aber insbesondere auch neben den vielen selbst ernannten Experten haben wir die Verantwortung, Experten in eigener Sache zu sein, Experten bei der Ausübung der Rechte und Pflichten als Parlamentarier. Wie oft haben wir andere Meinungen gehört in den letzten Wochen? Da schauen doch auch schon so viele andere, wollen wir da nicht erst einmal abwarten, wozu jetzt noch ein - wie es so hübsch abfällig neulich in einem Kommentar zu lesen war - „ländlicher“ Untersuchungsausschuss? Wir haben uns jetzt - von mir aus hätte es schon früher sein können - gemeinsam dafür entschieden, uns nicht vor unserer eigenen Aufklärungsverantwortung davonzustehlen. Wer das mühselige Geschäft der Aufklärung nur Kommissionen und Expertenrunden übertragen will, auch wenn die besten Willens sind, der trägt dazu bei, dass das Ver
denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, wofür sitzen wir gemeinsam hier, wenn nicht dafür, bei einem dringenden Verdacht des Versagens staatlicher Stellen beim Schutz von Menschenleben auch selber der Frage nachzugehen, wie konnte es dazu kommen? Neu an diesem Ausschuss ist, dass ihm die klassische Frontstellung zwischen Regierung und Opposition fehlt. Hier geht es um Arbeit, viel Arbeit und um die Herstellung von Öffentlichkeit, gerade dies ist unser Auftrag.
Zur viel beschworenen Aufklärung gehört, dass sie nicht länger hinter verschlossenen Türen stattfindet. Weitere Geheimniskrämerei nährt am Ende nur Verschwörungstheorien und weiteres Misstrauen gegen unsere Ordnung und den Schutz unseres Rechtsstaats. Transparenz war angesagt und sie muss jetzt hergestellt werden. Unser Untersuchungsausschussgesetz enthält eine klare Präferenz für eine öffentliche Aufarbeitung unseres umfangreichen Auftrags. Der Regelfall ist die Beweiserhebung in öffentlicher Sitzung, § 10 Abs. 3. Eine nicht öffentliche Beweiserhebung kann nach vorgeschriebener Abwägung zwischen Interesse an öffentlicher Aufklärung und streng begrenzten Geheimhaltungsgründen nur mit einer Zweidrittelmehrheit beschlossen werden.
Zentral für unseren Auftrag ist § 14. Hier finden wir die Antwort auf die oft geäußerte Befürchtung, Landesregierung oder betroffene Landesbehörden könnten uns durch Zurückhaltung von Akten und Nichterteilung von Aussagegenehmigungen ausbremsen. Es besteht eine grundsätzliche Verpflichtung zur Vorlage von Akten und zur Erteilung von Aussagegenehmigungen, das steht im Gesetz. Ausnahmen sind abschließend auch dort geregelt, der Kernbereich exekutiven Handelns, Grundrechtsgefährdung und -ganz wichtig - eine Berufung darauf, dass Aktenherausgaben oder die Erteilung der Aussagegenehmigungen das Wohl eines Landes oder des Bundes gefährdeten. Diese Berufung ist ausgeschlossen, wenn der Ausschuss selbst für Geheimhaltung sorgt. Dann kann zwar die Öffentlichkeit im Einzelfall einmal ausgeschlossen werden, aber der Ausschuss nicht angeschwiegen werden. Mauern wird es dort nicht geben.
Ob eine zulässige Ausnahme von der Offenbarungspflicht vorliegt, ist zudem gerichtlich nachprüfbar. Der Ausschuss kann dies vom Landesverfassungsgericht notfalls überprüfen lassen; und davon werden wir Gebrauch machen, falls es nötig werden sollte. Auch ein laufendes Ermittlungsverfahren grenzt einen Untersuchungsausschuss nicht aus,
dies ist in der Strafprozessordnung geregelt. All dies unterscheidet uns wesentlich von normalen Ausschüssen oder Kommissionen, welche die Regierung einsetzen und deren Ergebnisse sie, die Regierung, dann bekannt geben kann, aber nicht muss. Wichtig ist, dass wir, wenn wir den Hergang besser kennen, auch der Frage nachgehen werden, ob und wenn ja, was wir an Politik, Rechtsgrundlagen und Behördenstrukturen in unserem Land verändern müssen, damit eine solche lange Verbrechensserie nicht nochmals begangen, von einer Neonaziszene über mehr als ein Jahrzehnt gedeckt und von Behörden ebenso lange übersehen werden kann.
Würden wir uns dieser Aufgabe nicht stellen, liebe Kolleginnen und Kollegen, würden wir weiter abwarten, gar mauern wollen oder auf Vergessen setzen, würden wir neues Unrecht produzieren. Zum Ermittlungsversagen von gestern käme ein Aufklärungsversagen von heute hinzu.
Sie alle kennen die Redensart, dass über eine Sache Gras wächst. Über Tote wächst in diesem Sinne niemals Gras. Gras auf Gräbern führt nicht zum Vergessen von Toten.
Wir haben nicht zuletzt auch hier als Thüringer Parlamentarier die Aufgabe, die Würde der Opfer und ihrer Familien zu wahren. Dazu braucht es nicht nur Trauer und Gedenken. Jeder und jede von uns schuldet die Mühe, bei der Aufklärung des unfassbaren Geschehens das zu tun, was zu seinen Aufgaben und Möglichkeiten zählt. Deshalb ist es gut und richtig, dass wir heute gemeinsam hier einen Untersuchungsausschuss einsetzen. Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es sind erschütternde Ereignisse, die wir in den letzten Wochen und Monaten zur Kenntnis nehmen mussten und bei denen wir lernen mussten, dass vieles in unserem Lande nicht so gelaufen ist, wie wir das erwartet haben. Es sind diffuse Nachrichtenlagen, die wir in den Ausschüssen, die sich bis jetzt damit befasst haben, immer wieder zur Kenntnis nehmen mussten.
Wir hatten nicht immer den Eindruck, auch tatsächlich alle Informationen zu erhalten, die diesen Ausschüssen zugestanden hätten.
Wir beraten heute Vormittag über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, der das mögliche Fehlverhalten der Thüringer Landesregierung sowie Fehler der Thüringer Sicherheits- und Justizbehörden aufklären und untersuchen soll. Ich bin froh und dankbar, meine Damen und Herren, dass sich dabei ein Konsens über alle Fraktionen hinweg gefunden hat. Frau Kollegin Marx hat soeben davon gesprochen, dass es sich dabei nicht um die typische Frontstellung zwischen Koalition und Opposition handele. Ich darf Ihnen sagen, meine Damen und Herren, wenn der Ausschuss seine Arbeit so leistet, wie wir das erwarten, wird auch von unserer Seite diese typische Frontstellung nicht gepflegt werden, sondern wir sind interessiert an einer grundlegenden und tiefschürfenden Aufklärung.
Meine Damen und Herren, es ist aber eben nicht nur der Landtag, sondern es sind auch alle verantwortlichen staatlichen und politischen Stellen, von denen wir einen unbedingten Willen zur rückhaltlosen Aufklärung erwarten.
Ob dieser Wille immer von jedem Einzelnen wahrnehmbar ist, will ich heute noch offenlassen. Ich hoffe, dass dem Untersuchungsausschuss eine entsprechende Arbeit gelingen wird und dass er an weniger Barrieren stoßen wird, als es bislang im Innen- und Justizausschuss der Fall gewesen ist.
Aber wir sollten uns auch klar darüber sein, dass der Aufklärungswille nicht daran gemessen wird, wer sich am lautesten und am schrillsten vor Kameras präsentiert, sondern es kommt darauf an, dass wir willens sind, durch einen Untersuchungsausschuss die für Thüringen spezifischen Vorkommnisse und möglichen Fehler der Ministerien, der Sicherheits- und Justizbehörden konsequent aufzuklären.
Denn am Ende, meine Damen und Herren, werden wir alle gemeinsam am Ergebnis gemessen. Deswegen bleibt bei uns auch ein bisschen die Skepsis, ob wir im Augenblick den richtigen Zeitpunkt erwischen, wenn wir sehen, wie viele andere Gremien im Augenblick auch damit befasst sind.
So soll nahezu zeitgleich der Untersuchungsausschuss im Bundestag eingesetzt werden und es wird in insgesamt vier Ländern Untersuchungsausschüsse geben. Die Parlamentarischen Kontrollkommissionen in Bund und Ländern sind mit dem
Thema beschäftigt, eine Bund-Länder-Kommission soll es geben, in Thüringen wurde schon die Schäfer-Kommission eingesetzt und der Generalbundesanwalt ermittelt ebenfalls hinsichtlich der Vorfälle. Das ist eine Vielzahl von Gremien, die hier Aufklärungsarbeit leisten sollen, wollen und müssen oder auch Ermittlungstätigkeiten wahrnehmen.
Meine Damen und Herren, es ist eine hohe Messlatte für den Ausschuss, den wir heute aus der Taufe heben, dass das Sprichwort von den vielen Köchen nicht die Wahrheit finden wird, sondern dass wir tatsächlich mit diesem Ausschuss auch zu mehr Klarheit und Wahrheit und vor allem Offenheit beitragen. Es ist nicht hilfreich, wenn sich die Aufklärer gegenseitig auf den Füßen stehen und wenn ein Wettrennen um die Akten und die Zeugen stattfindet.
Deswegen, meine Damen und Herren, wünsche ich allen, die in diesem Ausschuss eine verantwortungsvolle, eine verantwortungsbewusste Arbeit wahrnehmen werden und wollen, ein hohes Maß an Durchsetzungsvermögen, an Stehvermögen, damit wir gemeinsam, wenn der Ausschuss seine Arbeit zu Ende geführt hat, hier stehen können und sagen können, jawohl, das Werk, das wir miteinander aus der Taufe gehoben haben, hat tatsächlich den Erfolg gebracht, den wir uns alle davon erhoffen, erwünschen und erwarten, meine Damen und Herren. Ich danke Ihnen.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, man kann es nicht oft genug tun und daher möchte ich persönlich allen Hinterbliebenen der Opfer des NSU mein Beileid aussprechen.