Protocol of the Session on December 14, 2011

Mit Ernstfall meine ich die Einleitung des Verfahrens bei Überschreiten des Maastrichter Grenzwertes von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und damit meine ich die Verhängung besonders schwerer Sanktionen gegen einen Defizitsünder. Ich bin mir sicher, dass in diesen Fällen der AEU-Vertrag gilt und dass dann die Zustimmung des Ministerrats mit qualifizierter Mehrheit notwendig ist und dieser Vertrag überhaupt nichts bewirkt.

Nach wie vor gibt es keine Klarheit über die künftige Rolle der EZB und über die Art und Weise einer gemeinsamen Haftung. Dabei laufen doch die Anleihekäufe der EZB bereits. Die gemeinsame Haftung, die hier abgelehnt wird, die ist doch längst

(Abg. Huster)

Realität. Diese Vergemeinschaftung von Schulden durch die Hintertür läuft doch längst ohne politische Kontrolle, ohne demokratische Legitimation.

Meine Damen und Herren, die Folgen der Beschlüsse des Europäischen Rates vom 9. Dezember auf den Freistaat Thüringen, das ist ja das Thema, können wir im Moment eigentlich nur erahnen. Die Lösung der Probleme ist noch lange nicht in Sicht und ich kann nur befürchten, dass die Beschlüsse, die dort gefasst worden sind, keine guten Aussichten für die Konjunktur bedeuten, auch für Thüringen, und darüber hinaus negative Auswirkungen für die Steuereinnahmen haben werden, auch für Thüringen. Wir stehen am Rande einer erneuten Rezession, wie viele Wirtschaftsforscher sagen, und je länger die CDU aus Angst vor ihrer eigenen Courage und vor der deutschen Öffentlichkeit wirksame Maßnahmen hinauszögert, umso härter fällt der wirtschaftliche Einbruch auch aus. Das sind die Auswirkungen der Politik der Bundesregierung. Das sind keine guten Nachrichten für Thüringen, nicht für die Haushaltskonsolidierung in Thüringen und auch nicht für die zukünftige Gestaltung unseres Landes. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD)

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Werner, du hast alle Erwartungen erfüllt.)

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Ja, meine auch.)

Ich rufe jetzt für die FDP den Abgeordneten Barth auf.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will mich der allgemeinen Feierstunde für Frau Merkel jetzt nicht anschließen, ich will nur kurz daran erinnern,

(Unruhe im Hause)

im Mai 2010 hatte die FDP-Fraktion hier schon darauf hingewiesen, dass man eine Schuldenkrise nicht damit bekämpfen kann, dass man neue Schulden macht. Wir haben damals über das erste Griechenland-Paket öffentlich und im Bundestag diskutiert und das war immerhin so erfolgreich, dass kurz darauf gleich ein zweites Rettungspaket beschlossen wurde und die Probleme, die Griechenland hat, sind ja nach wie vor aktuell. Deswegen will ich zu Beginn ganz klar festhalten, dass ich glaube, dass Skepsis angebracht ist, was diese Hilfsspirale betrifft.

Kollege Pidde hat die ansteigende Vergemeinschaftung der Schulden eben angesprochen, die ein Anlass für Skepsis ist, genauso wie die Frage

der Aushöhlung von Verantwortungsübernahme, die damit einhergehende Trennung von Verursachung von Haftung und das Ergebnis, nämlich der Einstieg in einen kollektiven Schuldensozialismus. All diese Dinge, meine Damen und Herren, werden die Schuldenkrise nicht lösen. Sie werden sie verschärfen

(Beifall FDP)

und das insbesondere in der Situation, in der alle Länder in der EU einschließlich Deutschland viel zu hohe Schulden haben. Dieser Versuch eben, Herr Pidde, war ja ganz nett, aber es sind vor allem die Regierungen mit sozialdemokratischer Finanzverantwortung gewesen, die das verursacht haben, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall CDU)

Schon Helmut Schmidt hat gesagt, er hat lieber 5 Prozent mehr Inflation als 5 Prozent mehr Arbeitslosigkeit. Das Ergebnis seiner Politik war, dass er beides hatte und diese Politik haben sie bis zum Ende ihrer Verantwortung fortgeführt.

(Beifall FDP)

Die Bundesregierung, die jetzt dran ist, muss diese Probleme lösen und sie wird es tun, da bin ich fest überzeugt, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Heiterkeit im Hause)

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Wahrschein- lich ohne FDP.)

Trotzdem gibt es einige Punkte, die durchaus zu begrüßen sind, wenn man sich die Beschlüsse vom Freitag anschaut. Die Vereinbarung einer strengeren Überwachung von gemeinsamen Haushaltsregeln gehört dazu, die Einführung automatischer Sanktionsmechanismen und auch die Tatsache, dass der ESM eben nicht mit einer Banklizenz ausgestattet wird. All diese Dinge sind ausdrücklich positiv. Für Deutschland kommt der Parlamentsvorbehalt ausdrücklich auch dazu. Was Regierungen mit Regierungen verhandeln ist die eine Sache. Das muss auch möglich sein, das kann gar nicht anders funktionieren. Für Deutschland ist aber wichtig, wie die Umsetzung im eigenen Land erfolgt und hier heißt es, nicht die Regierung entscheidet über den Haushalt, sondern das macht das Parlament und das ist ein ganz zentraler Punkt in unserem Land, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall FDP)

Wenn einige in Europa der Meinung sind, eine Partnerschaft so verstehen zu müssen, dass man in so einer schwierigen Situation Vertragsverhandlungen dazu ausnutzt, um für sich selbst vielleicht noch irgendeinen kleinen Rabatt rausschlagen zu können oder Ähnliches, dann muss man auch ganz klar einen Strich ziehen und sagen, so ein Europa der

(Abg. Dr. Pidde)

Rabattjäger und Trittbrettfahrer, das kann man an dieser Stelle nicht machen. Das geht nicht, das ist nicht im Sinne der gemeinsamen Angelegenheit.

Genauso wenig, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie die Frage, dass man mit all diesen Dingen natürlich den Gordischen Knoten nicht durchschlagen hat und es auch Schattenseiten gibt. Der Ausschluss einer weiteren Beteiligung privater Gläubiger zählt für mich ganz klar zu den Schattenseiten, zu den unerfreulicheren Ergebnissen des vergangenen Freitag und auch der Ausschluss weiterer Schuldenschnitte. Ich glaube, dass es durchaus nicht ganz unberechtigt ist, wenn es Leute gibt, die in diesen Punkten die Grundlage für eine neue Schuldenkrise sehen.

Genauso sind die Diskussionen, das haben wir eben erlebt, um unbegrenzte dauerhafte Rettungsschirme leider nicht ganz erledigt. Ich glaube, dass wir an dieser Stelle auch gut beraten sind, diesen Maßnahmen sehr skeptisch gegenüberzustehen. Wir hatten gerade in der FDP einen Mitgliederentscheid zu dieser Frage und ich kann gut verstehen, dass einige Kollegen, einige andere Parteien, so einen Mitgliederentscheid nicht machen. Herr Steinbrück mit seiner Position, die da heißt: Natürlich müssen die Deutschen das alles bezahlen. Ich würde zu so einer Position auch keinen Mitgliederentscheid machen, das ist ganz klar. Das ist der Punkt, meine sehr verehrten Damen und Herren, den Kollege Mohring auch schon angesprochen hat. Geld drucken ist nicht die Antwort auf die Krise.

(Beifall FDP)

Wenn wir die Geldwertstabilität im Auge haben, dann haben wir insbesondere natürlich auch Sorge um die Frage, was mit dem ganzen Guthaben der kleinen Sparer auf den Banken und Sparkassen in unserem Land wird, uns sind die wichtig. Wenn sie Ihnen nicht wichtig sind, ist das Ihre Politik, die Sie erklären müssen. Ich sage für die FDP ausdrücklich, uns sind die Guthaben der kleinen Sparer so wichtig, dass Geldwertstabilität ein zentraler Wert in der Finanzpolitik ist.

(Beifall FDP)

Da sind wir an der Stelle, an der es Thüringen betrifft. Das ist mein letzter Gedanke, Frau Präsidentin. Wir müssen den Thüringer Schuldenberg angehen. Deswegen, Herr Kollege Pidde, ist es eben auch ein Thüringer Problem. Deswegen ist es übrigens auch ein Staatsschuldenproblem, denn wir können nicht den Finanzmärkten sagen, sie sollen ein bisschen vorsichtiger sein, und wenn sie dann die Staatsschulden sehen und vorsichtiger sind, ist es auch wieder verkehrt.

Das ist nicht ganz logisch, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in den nächsten Stunden dann morgen einen langen Tag Zeit, uns über diese Fragen ausführlich zu unterhalten und

ich verspreche Ihnen, dass Sie sich hier auch noch mal mit einem Antrag befassen müssen, der sich aus unserer Sicht mit der Frage „Schuldenabbau in Thüringen“ befasst, denn das ist die zentrale Antwort. Vielen Dank.

(Beifall FDP)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Meyer das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Nach der FDP reden ist immer schwierig, weil man immer geneigt ist, darauf zu reagieren, das will ich jetzt gerade offensiv nicht tun.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Da fällt Ihnen nichts ein, ja.)

Da würde mir sogar mehr als fünf Minuten etwas einfallen, Herr Barth.

Ich möchte zur Aktuellen Stunde der CDU sprechen. Ich finde es anerkennenswert und alle zwei Monate über dieses Thema hier zu reden, ist wahrscheinlich der Schwere des Problems angemessen. Man muss doch schauen, ich finde es schön, dass die CDU der Meinung war, über eine Stabilitätsunion reden zu müssen. Geben Sie sich einen Ruck, nennen Sie es irgendwann einmal Wirtschaftsunion. Da geht es hin, da muss es hingehen. Das sollte doch die CDU langsam mal erkennen. Schön, dass Sie neue Worte schaffen, aber genau dass das auch von der CDU gewollt wird, das kann man mal positiv hervorheben. Mal sehen, ob das auch so bleibt.

Wenn Sie zwar sagen, wir sind auf dem Weg zu einer Wirtschaftsunion und irgendwann auch zu einer politischen Union, die den Namen verdient. Welche Folgen sollen diese, wie Sie das nennen, Stabilitätsunion und die Beschlüsse vom letzten Freitag für den Haushalt von Thüringen haben? Ich habe es in die mittel- und die kurzfristigen Folgen unterteilt. Was die mittelfristigen Folgen angeht, die Frage, wie die Verhandlungsführung, Verhandlungsergebnisse und auch die vorher genannten Positionen von Deutschland auf das Verhältnis Deutschlands innerhalb der Union wirken, da bin ich mir nicht ganz sicher, welche mittelfristigen Erwartungen wir da haben dürfen.

Ich finde es einerseits richtig, dass Deutschland eine stärkere Rolle spielt. Das wird von allen diskutiert und das halte ich auch für sinnvoll. Ob die Art und Weise, wie Frau Merkel der Meinung ist, das durchsetzen zu müssen, tête-à-tête mit Herrn Sarkozy das Richtige ist, darüber kann man sehr geteilter Ansicht sein. Ich hoffe darauf, dass sie ir

(Abg. Barth)

gendwann anfangen wird mit 26, in diesem Fall 25 Regierungen zu sprechen und nicht nur mit einer bei dem Thema.

Ich bin mir auch nicht so klar darüber, ob die mittelfristig positiven Ergebnisse nicht dadurch konterkariert werden, dass Großbritannien nicht mehr dabei ist, nicht wegen Großbritannien, sondern wegen der Tatsache, dass wir jetzt nicht mehr darüber sprechen, dass die Europäische Union die Maßnahmen betrifft, sondern einen Club von 26 Mitgliedern. Kurze Zwischenbemerkung: Ob es Großbritannien in fünf Jahren noch gibt, ist durchaus nicht abgemacht, es kann durchaus sein, dass in fünf Jahren die Schotten bereits selbstständig sind und wir vielleicht dann wieder ein neues Mitglied in der Europäischen Union begrüßen können. Da wird sich noch einiges tun auf der Insel, wie man so hört.

Das zentrale Thema hat deutlich auch Herr Mohring angesprochen und übrigens auch Herr Huster, das ist das Stichwort der demokratischen Kontrolle der Krisenmaßnahmen. Hier wird nicht nur in die Rolle des Europäischen Parlaments eingegriffen, sondern damit natürlich mindestens indirekt, wahrscheinlich aber auch direkt in unsere Rolle, in unsere Rechte im Rahmen der Subsidiaritätsfrühwarnproblematik hier im Landtag in Thüringen. Dass wir gefragt werden im Rahmen der Bundesratssituation bei allen Maßnahmen, Herr Mohring, die der Bundestag jetzt beschließen mag, wage ich zu bezweifeln. Der Bund hat gar kein Interesse daran, sich mit den Ländern zu dem Thema auseinanderzusetzen. Dementsprechend wird es selbstverständlich auf Thüringen wahrscheinlich Auswirkungen haben, undemokratische Auswirkungen. Das behaupte ich jetzt einfach, wir werden sehen, ob ich mich da eines Besseren belehren lassen kann. Das heißt, das eigentliche Problem mittelfristig ist natürlich, dass nicht der Bundestag, sondern das Europäische Parlament die Kontrollkompetenz bräuchte, um die Maßnahmen zu kontrollieren und durchzusetzen. Trotz alledem bin ich da positiv gestimmt und hoffe mit Ihnen zusammen, dass es mittelfristig eine positive Wirkung dieser Maßnahmen gibt.

Was das Thema Kurzfristigkeit angeht, gehe ich davon aus, dass der Nachtragshaushalt, der jetzt mittlerweile ja in allen Zeitungen auf bundesdeutscher Ebene genannt wird, kurzfristig negative Folgen für uns haben wird. Ich möchte darauf hinweisen, dass 4,3 Mrd. € höchstwahrscheinlich schon im Jahr 2012 fließen müssen. Der Finanzminister hat damit nicht gerechnet und man kann heute in den Zeitungen lesen, dass ein Nachtragshaushalt kommt. Ich zitiere jetzt mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, aus der Süddeutschen Zeitung, und mit Ihrer Erlaubnis, Herr Mohring, einen Ihrer Parteifreunde, nämlich in diesem Fall Herrn Norbert Barthle, den haushaltspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion, der sagt: „Ich gehe davon aus, dass das Defizit dadurch nicht steigen wird. Wir werden weitere Mög

lichkeiten zur Gegenfinanzierung suchen.“ Das heißt irgendwo anders kürzen. Das, möchte ich annehmen, hätte auch Wirkung auf den Thüringer Haushalt. Ich bin sehr gespannt darauf, was Herr Barthle oder auch sein Finanzminister damit gemeint haben.

Ich finde es kurzfristig auch mehr als bedenklich für unseren Haushalt, dass es durchaus auch Stimmen gibt, die sagen, um dem Ganzen zum Erfolg zu verhelfen, wäre es sinnvoll, dass bereits das gesamte Geld im Jahr 2012 zur Verfügung steht. Das würde bedeuten, dass der Bundeshaushalt nicht mit 4,3 Mrd. € zusätzlich belastet wird, sondern mit rund 18,5 Mrd. €. Möglicherweise ist das vernünftig, das kann ich von hier aus nicht einschätzen, auf jeden Fall ist es aber teuer.

Zentral ist für mich, dass das Thema der Bankenlizenz nach wie vor für die EZB im Raum steht. Die Zwangskapitalisierung wäre ein richtiger Schritt gewesen. Uns haben eigentlich andere Länder in Europa vorgemacht, wie man Bankenkrisen eindämmen kann. Das wird hier aber nicht gern gehört, schon gar nicht von den Konservativen. Ich kann eigentlich nur noch einmal als letzten Satz zu Herrn Huster sagen: Das Thema Geschwindigkeit scheint mein zentrales Problem dabei zu sein. Um es einmal etwas plakativ zu machen: Die Geschwindigkeit der Anpassung an diese Krise muss demokratiefest sein. Sie muss so sein, dass wir demokratisch noch reagieren können und das scheint mir bislang überhaupt nicht der Fall zu sein. Vielen Dank.