Höchstgeduldig habe ich diesen Satz in ThomasMann-Manier mit vielen Kommas angehört. Der zweite wird jetzt kürzer und dann ist Schluss.
Der zweite wird jetzt kürzer, liebe Frau Präsidentin. Diesen 47 sind Alternativen angeboten worden, die haben sie nicht wahrgenommen und deswegen brauchen wir dafür auch eine gesetzliche Regelung. Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Barth, was gibt es denn hier eigentlich zu diskutieren? Eine künstliche Aufregung, geschürt von einer Partei, deren politisches Überleben gefährdet ist und die nun einen Skandal behaupten möchte, wo es gar keinen gibt. Was ist denn eigentlich passiert? Die Verlängerung der Geltungsdauer des Stasiunterlagengesetzes stand für meine Partei nie infrage. Wie auch, denn wir haben selbst daran mitgewirkt. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich war selbst dabei. Gemeinsam mit meinem sächsischen Fraktionskollegen Rolf Schwanitz habe ich in einer aus allen Bundestagsfraktionen gebildeten Kommission gesessen, die erst einmal massive Widerstände gegen eine Öffnung der Unterlagen überwinden musste. Wir waren und wurden umzingelt von westdeutschen Ministerialbeamten politisch verschiedenfarbig regierter Bundesländer, die uns eindringlich klarzumachen versuchten, dass das gar nicht geht, entweder Vernichten der Akten oder im Bundesarchiv für 30 Jahre einschließen, aber bloß nicht Opfer und Wissenschaftler Einsicht nehmen lassen. Das sei illegal und Teufelswerk. Es werde Mord und Totschlag geben, wenn wir so etwas machen wollten. Wir haben uns damals durchgesetzt und es war richtig und gut, den Opfern die Herrschaft über ihre Biographien durch Einsichtsmöglichkeit in die massenhafte Bespitzelungspraxis zurückzugeben, um dann auch über Schuld und Verantwortung diskutieren zu können. An Schlussstrich-Forderungen, Herr Barth, hat sich die SPD nie und zu keinem Zeitpunkt beteiligt,
wohl aber und immer an der Diskussion, welche Konsequenzen ein Rechtsstaat aus der Tätigkeit und der Enttarnung von Mitarbeit im perfiden Spitzelsystem des MfS ziehen muss, aber auch welche er ziehen darf. In diesem Rahmen existiert ein rechtliches Problem mit der in der Gesetzesnovelle umgesetzten Forderung von Roland Jahn, 47 Mitarbeiter der Stasi-Unterlagen-Behörde, die dort vor 20 Jahren in Kenntnis ihrer vorherigen hauptamtlichen Tätigkeit für das MfS für die Mithilfe beim Zusammenfinden der Unterlagen eingestellt wurden, jetzt 20 Jahre später aus dieser Behörde auch gegen ihren Willen zu entfernen. Bei allem Verständnis für das Befremden, dass diese Beschäftigung ausgelöst hat und bis heute auslöst, ist arbeitsrechtlich wirklich evident, dass jeder dieser Beschäftigten einen Rechtsanspruch darauf hat, eine 20 Jahre in Kenntnis der Vortätigkeit beim MfS beanstandungsfrei ausgeübte Tätigkeit nicht aufgeben zu müssen. Man kann trotzdem wie die derzeitige
Regierungskoalition oder wie einzelne unserer Mitglieder, Hans-Jürgen Döring wird gleich noch etwas dazu sagen, dann sagen, es ist uns egal, sollen sich doch alle wieder einklagen. Aber wir haben den Opfern, denen so hinterhältig und unsäglich Leid zugefügt wurde und allen anderen, die sich daran immer gestoßen haben, einmal gezeigt, dass wir diese Entscheidung auch jetzt nach 20 Jahren noch revidieren wollen. Den Standpunkt kann man haben.
Ein Gesetz indessen, sage ich Ihnen jetzt, nur symbolisch beschließen, auch wenn klar ist, dass es keinen Bestand haben kann, kann genauso gut oder schlecht Wasser auf die Mühlen derjenigen sein, die im Nebel aufkommender DDR-Nostalgie eifrig unseren Rechtsstaat als Unrechtssystem diskreditieren wollen. Ähnliche Bedenken, wie gegen diese Umsetzung der 47 gab und gibt es gegen die weitere Neuregelung im Stasi-Unterlagen-Gesetz, die eine anlasslose Überprüfung auch unterer Gehaltsstufen im öffentlichen Dienst wieder ausdehnt.
Richard Schröder, den Christoph Matschie in seinem Interview in der Thüringer Allgemeinen, das Anlass für Ihre Aktuelle Stunde gewesen ist, zitiert, hat zu Recht gesagt: „Wir haben in der Volkskammer gesagt, wir gehen mit euch anders um als ihr mit uns umgegangen seid, nämlich rechtsstaatlich. Diesen Stolz lasse ich mir nicht gern nehmen.“ Man kann das, wie gesagt, als symbolischen Akt anders machen wollen, das hat die Mehrheit im Bundestag auch so beschlossen. SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bundestag, also genau die Parteien, die aus der Bürgerrechtsbewegung neu bzw. wieder hervorgegangen sind, haben sich mehrheitlich für die rechtsstaatskompatible Variante entschieden. Im Ergebnis stand eine Enthaltung bei der Gesetzesnovelle, nachdem ein gemeinsamer Änderungsantrag der Oppositionsparteien SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der die beiden Stolpersteine entfernen wollte, abgelehnt worden ist.
Eines, Herr Barth und liebe Kolleginnen und Kollegen, muss doch klar sein. Mit einem moralischen Freispruch von Menschen, die durch Verstrickung in das Unrechtssystem Schuld auf sich geladen haben, kann rechtsstaatlich korrekter Umgang mit ihnen nicht verwechselt werden.
Das versuchen Sie hier. Gegen diesen Versuch verwahren wir uns. Gegen das Motto „Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit“ hat sich im Übrigen schon Rosa Luxemburg gewandt.
Wenn Sie uns einen Linksruck unterstellen: In dieser Hinsicht waren wir schon immer links und auch linker als viele. Suchen Sie sich besser ein anderes Feld zur Profilierung.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte an der Stelle sagen, dass ich die Auffassung von Frau Marx ausdrücklich nicht teile.
Ich habe mich, als am 04.11. diese Änderungen des Stasi-Unterlagen-Gesetzes beschlossen worden sind, gefreut. Ich habe mich besonders auch als Thüringer gefreut, weil Thüringen immer bisher einen positiven Ruf hatte für konsequente Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit zu stehen. Das haben uns die Opferverbände bestätigt und diesen Ruf haben wir jetzt leichtfertig aufs Spiel gesetzt.
Als ich hörte, dass Thüringen im Bundesrat sich der Stimme enthalten hat, war ich deprimiert. Ich kann auch die Gründe, die sie vorgetragen haben, nicht nachvollziehen. Ich finde diese Enthaltung nicht angemessen und ich finde, sie schadet dem Ruf des Freistaats Thüringen, denn - und da teile ich auch die Auffassung von Herrn Barth - es geht damit wieder einmal das fatale Signal aus, dass die Opfer von SED-Unrecht bei uns kaum eine Rolle spielen, während die Täter unsere ganze positive Aufmerksamkeit erhalten. Das halte ich für ein sehr fatales Signal. Ich habe anschließend gehört, dass die Thüringer SPD dem nicht zustimmen wollte und sich Thüringen deshalb nach den Spielregeln der Koalition enthalten musste. Ich kann nur sagen, wir können froh sein, dass die Sozialdemokraten aus den Altbundesländern, zum Beispiel RheinlandPfalz mit Kurt Beck an der Spitze, dies ganz anders gesehen haben und uns zum Glück den Rücken in unserem Falle gestärkt haben. Wenn ich die Gründe Revue passieren lasse, ich will das, was ich gelesen habe, in der TLZ ist Herr Matschie ja zu hören, nachzulesen, dass das Vertrauen in die Demokratie schwinde - und jetzt Zitat - „wenn wir mit zunehmendem zeitlichen Abstand in unserem Aufarbeitungsstreben immer radikaler werden.“ Das stand am 09.11. in der TLZ, ausgerechnet am 09.11.
Da muss ich, Frau Abg. Marx, auch ein bisschen zur Historie beitragen. Es waren nicht die Westbeamten, die dagegen gestanden haben, sondern es war in erster Linie und ganz zuvorderst Herr Thierse. Ich habe mit anderen SPD-Kollegen gesprochen, ich nenne hier Herrn Markus Meckel, der hat
ausdrücklich die Meinung nicht geteilt von Herrn Thierse und wahrscheinlich auch zu dem Kreis gehört, den sie gerade benannt haben. Ich bin froh, dass damals tatsächlich nicht das eingetreten ist, was geplant war, nämlich die Überprüfung vollständig aufzugeben mit eben der Begründung, die Sie heute auch genannt haben, weil es nicht rechtssicher ist. Es war rechtssicher, es hat nämlich von 2005 bis 2011 gehalten, jeder rechtlichen Überprüfung, falls eine angestrebt worden wäre. Ich habe da nichts gehört, aber es hat zumindest gehalten und es waren damals im Grunde genommen ähnliche Argumente. Es war damals gesagt worden, wir dürfen nur noch die Anfragen auf wissenschaftliche Aufarbeitung ausrichten, wir dürfen nur noch Journalisten über diesen Zugang machen. Das fand ich besonders verheerend, wenn Journalisten dort unsere Akteneinsichtnahmen geben können. Erst auf Druck der Opferverbände, aber auch der Länderkammer im Bundesrat hat Herr Thierse und wahrscheinlich auch aus innerparteilichem Druck, das haben Sie eben beschrieben, Frau Marx, erkenne ich ausdrücklich an, dann beigedreht und wir haben tatsächlich noch einmal ein Gesetz hinbekommen, aber es war eben leider nur so, dass damals die betroffenen Personenkreise auf Behördenleiter beschränkt waren und Wahlbeamte, also auf oberste Chargen.
Jetzt will ich Ihnen einen Fall einmal konstruieren, der, wenn Sie vielleicht letzten Mittwoch, 09.11., den Film gesehen haben „Die Frauen von Hoheneck“ und davor war ein anderer Film. Da ging es nämlich darum, der Titel war „Es ist nicht vorbei“, wie eine Frau litt unter einem Arzt, der ihr nach der friedlichen Wiedervereinigung begegnet ist. Genau ein solcher Fall wäre möglich, wenn ein Amtsarzt sich beispielsweise im Schulbereich bewerben würde. Er dürfte nicht überprüft werden, denn er würde vom Gesetz nicht betroffen. Er wäre eingestellt! Ein SED-Opfer wäre einer solchen Person ausgeliefert. Das halte ich für fatal und für unerträglich und deswegen denke ich,
ist hier Konsequenz besser als eine WischiwaschiRegelung. Das hat nichts mit Generalverdacht für DDR-Bürger zu tun. Es sind auch keine flächendeckenden Kontrollen, sondern es geht um Vertrauen in den öffentlichen Dienst. Hier weiß ich jetzt nicht, wie man das sehen kann bei den 47 Beamten in der Jahn-Behörde. Mögen sie rechtlich vielleicht korrekt handeln, aber wenn wir nicht aufwachen, dann kann es eben passieren, dass genau so etwas in unseren Behörden dann entsteht, und dem möchte ich keinen Vorschub leisten. Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir erleben heute das, was wir selten erleben, nämlich dass sich tatsächlich gegensätzliche Positionen abwechseln hier vorn am Redepult.
Das ist Demokratie und das ist auch gut so, lieber Herr Zeh. Deswegen habe ich Ihnen sehr genau zugehört, genauso auch allen anderen. Ich kann mich Frau Marx rundweg anschließen in der Position, dass die grundsätzliche Frage der Überprüfung für uns GRÜNE gewiss nie in Zweifel stand und das auch nicht bei unserer Fraktion. Aber Frau Marx hat auch schon darauf verwiesen, es gab sehr gute Gründe für die Fraktionen der SPD und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bundestag, einen gemeinsamen Änderungsantrag einzubringen und es gab auch eine umfängliche Anhörung zu der gesamten Problematik. Ich glaube, dass wir uns mittlerweile im Jahr 22 nach 1989 tatsächlich sehr differenziert mit der Rechtsstaatlichkeit beschäftigen müssen, denn manchen passt es vielleicht nicht, aber ich sage sehr deutlich, die Antwort auf die Stasi ist der Rechtsstaat. Das hat Wolfgang Wieland im Bundestag für unsere Fraktion auch so ausgeführt.
Joachim Gauck hat einmal gesagt: „Staatliche Verwaltung muss dem Recht gehorchen, weder Gutdünken, noch Gutmeinen dürfen das Handeln leiten.“ Genau das war der Leitspruch auch für unsere Bundestagsfraktion, die sich wie die SPD im Bundestag zu der Novellierung des Gesetzes enthalten hat und zwar aus gutem Grund. Dass Menschen sich ändern können, dem trägt die Rechtsordnung, Frau Marx hat das auch schon ausgeführt, in vielfältiger Weise Rechnung, zum Beispiel durch strafrechtliche Verjährungsfristen und die Tilgungsvorschriften beispielsweise der Strafregisterbestimmungen. Auch schon ausgeführt wurde, dass einzig Mord und Völkermord nie verjähren. Unsere Rechtsordnung ist ganz klar auch vom Prinzip der zweiten Chance geprägt. Das verlangt die Achtung der Menschenwürde. Vertrauen ist das Grundkapital unserer rechtsstaatlichen und demokratischen Ordnung und solches Vertrauen kann erschüttert werden und dann,
genau dann muss es die Möglichkeit geben, angemessen zu reagieren. Da, so meinen wir, ist eine auf konkreten Verdacht bezogene Überprüfungsmöglichkeit dezidiert der bessere Weg und deswegen haben wir auch für diesen Weg gestritten. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben Vertrauen, Herr Barth, in die integrative Wirkung des Rechtsstaates. Das sage ich in aller Deutlichkeit. Ich war allerdings auch eine von den sechs Abgeordneten, die hier vor wenigen Tagen die Rede von Roland Jahn gehört haben. Sie haben sinngemäß zitiert, ich möchte ihn wörtlich zitieren, er hat hier gesagt:
„Jeder soll eine faire Chance bekommen, jeder, der bereit ist, sich seiner Verantwortung zu stellen.“ Das ist ganz entscheidend, sich der Verantwortung zu stellen, da sind wir uns einig. Er hat ausgeführt, dass er das Bekenntnis zur Biografie, das Bekenntnis zur Verantwortung für das eigene Handeln und die Bitte um Entschuldigung vermisst. Das vermisse ich ebenso und zwar nicht nur von denen, die beispielsweise für das MfS gearbeitet haben, sondern auch von denen, die staatstragende Positionen in der DDR ausgefüllt haben und vielleicht Mitglied einer Blockpartei gewesen sind. Es geht aber nicht um Vergeltung, sondern um Aufklärung und es geht darum zu begreifen, wie Diktatur funktioniert. Genau das wollen auch wir. Roland Jahn hat Walter Schilling, einen Pfarrer aus Thüringen, zitiert, den ich auch gut kenne. Der hat ihm mit auf den Weg gegeben: „Barmherzigkeit führt nur über den bitteren Weg der Erkenntnis.“ Wir brauchen Transparenz, das ist überhaupt keine Frage. Transparenz ist aber etwas anderes als ein Generalverdacht, das möchte ich auch ganz deutlich sagen. Wichtig ist der Umgang mit der eigenen Vergangenheit, weil man tatsächlich - das hat Roland Jahn auch ausgeführt - nur dem vergeben kann, den man auch kennt. Vergeben ohne zu vergessen ist das, was entscheidend ist. Ich will auch noch einmal sagen, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die SPD haben sich in den Verhandlungen auf Bundesebene immer wieder auf die Koalition auf Bundesebene zubewegt und sehr deutlich gemacht, dass sie natürlich die Überprüfung mittragen wollen, wenn die zwei Punkte gestrichen werden, die ganz klar rechtsstaatlichen Prinzipien widersprechen.
Es ist ein bitterer Satz von Bärbel Bohley, die einmal gesagt hat: „Wir haben für Gerechtigkeit gestritten und den Rechtsstaat bekommen.“ Auch ich habe Bauchschmerzen mit dem Satz, aber ich stehe zum heutigen Rechtsstaat. Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, lassen Sie mich zuerst sehr unaufgeregt, aber klar und deutlich sagen: Für mich war die Umsetzung der 47 ehemaligen Stasi-Mitarbeiter längst überfällig.