Protocol of the Session on October 13, 2011

Von Frau Pelke? Gern.

Bitte, Frau Abgeordnete Pelke.

Ich entschuldige mich schon vorab, weil es keine politisch-inhaltliche Frage ist, aber ein bisschen ärgerlich sind manche Dinge doch. Ich habe in der Politik eigentlich schon immer, seit ich da tätig bin, eine grundsätzliche Frauensolidarität.

(Abg. Gumprecht)

Die habe ich auch.

Ich finde es nicht besonders witzig, wenn man eine Bundesministerin dann als Uschi betituliert, da hätte jetzt nur noch gefehlt, Uschi mach kein mmmhhh.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Frage an Sie wäre nur, weil Sie sind bestimmt auch nicht mit der Finanzpolitik auf Bundesebene und dem Finanzminister einverstanden, würden Sie dann auch zum Finanzminister Wolfgang Schäuble „Wölfchen“ sagen oder machen Sie das nur bei Frauen?

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da unterstellen Sie mir jetzt eine grundsätzliche Frauenfeindlichkeit, die so nicht stattfindet,

(Unruhe CDU, FDP)

sondern das ist eine ablehnende Haltung gegenüber politischen Grundsatzannahmen und gegenüber politischen Grundhaltungen, die dürfen Sie mir durchaus unterstellen, dazu stehe ich auch. Ich denke...

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Die Frage ist doch, ob Sie überhaupt über Grundanstand verfügen.)

Herr Emde, wenn Sie möchten...

Herr Abgeordneter Bärwolff, ich schalte mich jetzt mal ein in das Gespräch und bitte Sie, in der Folge Ihrer Rede zu versuchen und sich darauf zu konzentrieren, die Frau Bundesministerin nicht als eine Verniedlichungsform hier darzustellen.

(Beifall CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Gebrauch von Diminutiven - ich weiß nicht, ob der in der Geschäftsordnung geregelt ist -, aber ich denke, Diminutive zeugen auch von einem besonderen Verhältnis.

(Zwischenruf Abg. Schubert, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Das ist ja neu.)

Von daher, denke ich, dass es durchaus angebracht ist. Aber ich würde gern zum Gesetz sprechen. Herr Gumprecht hatte gesagt, dass ein großer Kritikpunkt an unserem Gesetz die Frage

(Zwischenruf aus dem Hause)

meinetwegen - der kommunalen Selbstverwaltung ist. Herr Gumprecht, im Jahr 1988 bereits hat das Bundesverfassungsgericht ein Urteil gefasst, das sogenannte Raststättenurteil. In dem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht - das wurde dann auch an vielen Stellen bestätigt - einen juristischen Grundsatz formuliert, der heißt: Wenn Probleme in gemeindlichen Angelegenheiten wurzeln, dann greift die kommunale Selbstverwaltung. Wenn Probleme aber gesamtgesellschaftlicher Natur sind, wie es beispielsweise das Thema Arbeitslosigkeit, das Thema Kinderarmut ist, dann greift die kommunale Selbstverwaltung nicht. Wir sind davon überzeugt, dass das Problem Kinderarmut keines in den gemeindlichen Angelegenheiten - wie es das Bundesverfassungsgericht damals formuliert hat - wurzelndes Problem ist, sondern das Problem Kinderarmut ist ein gesamtgesellschaftlich-ökonomisches Problem. Deshalb sehen wir hier die Kritik auch nicht berechtigt. Die Frage ist - und die führt uns auch in der inhaltlichen Diskussion weiter -: Wie wurde eigentlich das Bundesverfassungsgerichtsurteil umgesetzt? Mit dem Bildungspaket ist das aus unserer Sicht nur unzureichend gelungen. Die Frage, die jetzt auch an die Landesregierung zu stellen wäre, wäre, wenn die Hans-Böckler-Stiftung in ihrer Studie, die vor drei, vier Wochen herausgekommen ist, wiederholt feststellt, dass selbst das Bildungspaket in vielen, vielen Teilen verfassungswidrig ist, wenn man feststellt mit juristischem Sachverstand, dass viele Teilaspekte, angefangen bei der Berechnung der Regelsätze über die Höhe, über die Ansprüche, wenn die verfassungswidrig sind, ob dann nicht beispielsweise auch die Sozialministerin des Landes Thüringen oder der Freistaat Thüringen als solches nicht angehalten wären, hier eine Normenkontrollklage gegen das Bildungspaketgesetz auf den Weg zu bringen. Das wäre eine politische Schlussfolgerung. Wenn man feststellen muss, dass das Gesetz verfassungswidrig ist, wäre es durchaus angehalten, auch vom politischen Akteur Freistaat Thüringen, der auch im Bundesrat an diesem Verfahren mitgemacht hat, vor dem höchsten Gericht zu Felde zu ziehen. Das wäre durchaus ein politisches Anliegen, wo ich denke, dass sich dort auch die Sozialministerin gut einbringen könnte.

Die Frage, die Frau Pelke aufgeworfen hat, finde ich ganz spannend. Sie hat von den Finanzströmen gesprochen, die in die richtigen Stellen fließen müssen. Wenn ich mir die Finanzströme anschaue, die wir in Deutschland so verhandeln, dann lässt sich einiges konstatieren. Die Finanzströme sind immer von unten nach oben. Die Finanzströme mit der Agenda 2010, mit Hartz IV und Niedriglohnpolitik sind immer so, dass diejenigen, die am unteren Rand der Gesellschaft leben, geschröpft werden, dass diejenigen, die am unteren Rand der Gesellschaft leben, immer weiter unter Druck geraten, im

mer weiter in Bedrängnis geraten, während die Gewinne von Unternehmen und der kumulierte Reichtum immer größer werden. Das kann man an verschiedensten Punkten durchaus nachvollziehen, angefangen bei der Frage des Erziehungsgeldes, was dann zu einem Elterngeld von Frau von der Leyen umgewandelt wurde, wo diejenigen, die auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind, diejenigen, die auf Niedriglohn angewiesen sind, benachteiligt werden, und diejenigen mit gutem Einkommen wieder übervorteilt werden, die nämlich bis zu 67 Prozent ihres Einkommens oder bis zu 1.800 € als Lohnersatz bekommen. Das heißt, die Sozialpolitik, die wir hier in Deutschland machen, ist auch keine Sozialpolitik für diejenigen, die sie brauchen, sondern wir machen Sozialpolitik für diejenigen, die sie nicht brauchen. Das führt sich fort und man kann auch das Kindergeld und die Frage der Kinderfreibeträge anführen, das ließe sich verschiedentlich fortsetzen. Ich denke, dass wir gerade diese Frage der Finanzströme durchaus noch mal diskutieren müssen. Denn, ich glaube, wenn uns der Thüringen-Monitor darstellt, dass nur 52 Prozent der Thüringer zufrieden mit der Demokratie sind, dann lässt sich doch daraus auch ableiten, dass 48 Prozent nicht zufrieden mit der Demokratie sind. Und diese Unzufriedenheit ist nicht nur eine Demokratieunzufriedenheit, sondern ist auch eine Staatsverdrossenheit. Dieser Staat, in dem wir leben, diese Politik, die Sie ja machen als ganz große neoliberale Koalition, ist eben kein Staat für die Armen, sondern ist ein Staat für die Reichen, ist Politik für die Reichen.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Das ist kaum noch zu überbieten.)

Wieso? Sie machen doch permanent Politik für die Reichen. Sie machen nicht Politik für die Armen, Sie machen Politik für diejenigen, die ökonomisch stark sind, Herr Barth. Sie in Ihrer Bundesregierung mit Ihren Gesetzen, die Sie dort ständig verabschieden, mit der Art und Weise, wie Sie die Banken retten und mit der Art und Weise, wie Sie Sozialpolitik betreiben, Herr Barth. Ich kann Ihnen das auch vorrechnen.

(Zwischenruf Abg. Bergner, FDP: Wovon Sie gerade reden, ist geistige Armut.)

Ja, Herr Bergner, wenn Sie der Meinung sind. Ich lege es Ihnen auch gern mal vor: Im Februar 2010 sagt das Bundesverfassungsgericht, halt, die Regelsätze im SGB II sind rechtswidrig. Im November 2010 gibt es ein großes Sparpaket, damit die Kosten für die erste Bankenrettung finanziert werden können. Bei diesen Kosten für die Bankenrettung werden 30,3 Mrd. € bei SGB-II-Empfängern gestrichen, während die Banken nur mit 0,6 Prozent überhaupt belastet werden. Ein Jahr später im April legen Sie großzügigerweise das Bildungspaket auf, was, wenn alle Berechtigten alle Leistun

gen abrufen würden, maximal 1,6 Mrd. kostet. Da ist doch klar, dass hier Sozialpolitik und Politik immer zugunsten der ökonomisch Starken stattfindet und nicht der ökonomisch Schwachen.

Herr Abgeordneter Bärwolff, es gibt den Wunsch auf eine Zwischenfrage. Lassen Sie die zu?

Wenn Herr Barth meint, dass er mich etwas fragen möchte, gern.

Er lässt zu. Bitte, Herr Abgeordneter Barth.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Herr Kollege, ich möchte Sie nur fragen, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass über 50 Prozent der Mittel des Bundeshaushalts für soziale Zwecke ausgegeben werden?

(Beifall FDP)

Herr Barth, dass die Mittel für soziale Zwecke ausgegeben werden, das mag doch sein. Die Frage ist doch aber: Wer ist der Empfänger dieser Mittel? Das ist doch die Frage. Das ist genau dieselbe Frage wie beim Elterngeld. Diejenigen, die auf HartzIV-Leistungen angewiesen sind, bekommen gar nichts mehr, das hat Ihre Regierung ihnen gestrichen. Und diejenigen, die ein hohes Einkommen haben, bekommen bis zu 67 Prozent ihres Lohnes ersetzt, das muss man doch mal sagen. Das ist eben keine Politik für die ökonomisch Schwachen, das ist keine Politik für diejenigen, die eine Unterstützung brauchen, sondern das ist eine Politik für diejenigen, die sowieso schon Geld haben. Das ist ungerecht. Das sage ich jetzt einfach mal so. Und wir als Linksfraktion sind da durchaus der Meinung, dass man dies umkehren muss. Man braucht sich nicht zu wundern, wenn gerade diejenigen, die ökonomisch am unteren Ende der Gesellschaft leben, wenn diejenigen, die ökonomisch unter Druck sind, mit diesem Staat, mit dieser Demokratie nicht so viel zu tun haben wollen, weil sie einfach tagtäglich in den politischen Entscheidungen, die wir hier fällen, mitbekommen, dass Ihre Interessen sich nicht durchsetzen, sondern dass nur die Interessen der ökonomisch Starken durchgesetzt werden, die Interessen der Wirtschaft und die Interessen der Reichen.

Herr Abgeordneter Bärwolff, ich unterbreche Sie noch einmal, weil es wieder den Wunsch auf eine Zwischenfrage gibt vom Herrn Abgeordneten Gumprecht. Lassen Sie die zu?

Meine Redebeiträge scheinen ja wirklich hier die Diskussionsfreudigkeit heraufzubeschwören. Ja, gern.

Gut und dann kommen wir wieder zum Thema zurück. Bitte, Herr Abgeordneter Gumprecht.

An mir soll es nicht liegen.

Genau das war mein Anliegen. Herr Bärwolff, sagen Sie mir doch bitte: An welcher Stelle Ihres Entwurfs wollen Sie denn das Thema Armut nun lösen, weil Sie gerade darüber so groß geredet haben?

Ich habe z.B. die Frau Sozialministerin aufgefordert, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.

Aber das steht nicht im Entwurf drin oder?

Das steht jetzt nicht im Gesetzentwurf.

Aber Sie kennen doch auch die Geschäftsordnung des Landtags, da steht drin: Die Rede des Abgeordneten ist frei. Davon mache ich an dieser Stelle Gebrauch. Ich darf doch hier beim Thema Bildungsarmut, beim Thema Kinderarmut doch dazu sprechen, wozu ich möchte. Da gehört z.B. dazu, dass wir eine Umverteilungspolitik von oben nach unten brauchen. Da gehört z.B. auch dazu, dass wir endlich eine Initiative brauchen zur Einführung einer Kindergrundsicherung,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

die die Institutionen fordert, die Einrichtungen für Kinder und Jugendliche fordert und fördert und die

nicht darauf ausgerichtet ist, dass Kinder für die Umsetzung ihrer Grundrechte Gutscheine beantragen müssen, dass sie sich vor dem Arbeitsamt nackig machen müssen und dass die Betroffenen Hunderte von Anträgen ausfüllen müssen. Das steht dem Anliegen der Bekämpfung von Kinderarmut und der Teilhabe an der Gesellschaft grundsätzlich entgegen. Wie gesagt, die Politik, die wir hier machen, ist eine Entsolidarisierungspolitik.

(Beifall DIE LINKE)

Wir als LINKE streiten weiterhin dafür, dass Kinderrechte ins Grundgesetz kommen. Wir streiten weiterhin dafür, dass Kinderarmut effektiv bekämpft wird. Der beste Weg dafür ist, wie gesagt, eine Kindergrundsicherung und eine vernünftige Kinderpolitik. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)

Danke, Herr Abgeordneter Bärwolff. Meine Rednerliste ist jetzt abgearbeitet. Jetzt hat die Frau Sozialministerin Taubert das Wort.