Protocol of the Session on June 16, 2011

Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen Sitzung des Thüringer Landtags, die ich hiermit eröffne. Ich begrüße die Gäste auf der Zuschauertribüne und die Vertreterinnen und Vertreter der Medien.

Neben mir haben Platz genommen als Schriftführer der Abgeordnete Kowalleck und die Rednerliste führt Herr Abgeordneter Metz.

Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt: der Herr Abgeordnete von der Krone, der Herr Abgeordnete Recknagel, der Herr Minister Machnig zeitweise und der Herr Minister Matschie zeitweise.

Gestatten Sie mir noch folgende Hinweise zur Tagesordnung:

Tagesordnungspunkt 2: Zu diesem wurde ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD in der Drucksache 5/2923 verteilt. Außerdem wurde ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Drucksache 5/2924 verteilt.

Der Tagesordnungspunkt 33 „Nachwahl eines stellvertretenden Mitglieds des Thüringer Verfassungsgerichtshofs“ wird heute nach der Mittagspause aufgerufen. Bei der Wahl von Frau Licht findet die Ernennung und Vereidigung in der Plenarsitzung im Monat Juli statt.

Gibt es noch Anmerkungen zur Tagesordnung? Das sehe ich nicht. Dann steigen wir in die Tagesordnung ein und ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1

Thüringer Gesetz zum Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Tieren Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 5/1707 dazu: Beschlussempfehlung des Innenausschusses - Drucksache 5/2900

dazu: Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 5/2919

dazu: Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 5/2921

dazu: Änderungsantrag der Fraktion der FDP - Drucksache 5/2922

ZWEITE BERATUNG

Das Wort hat Frau Abgeordnete Berninger aus dem Innenausschuss zur Berichterstattung. Bitte schön.

Die Landesregierung hat den Gesetzentwurf „Thüringer Gesetz zum Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Tieren“ in der Drucksache 5/1707 am 26.10.2010 veröffentlicht und am 11. November 2010 in den Thüringer Landtag eingebracht. Nach § 1, dem Zweck dieses Gesetzes, will man damit Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorbeugen und abwehren, die mit dem Halten und Führen von gefährlichen Tieren verbunden sind.

Die erste Plenarberatung fand dann auch am 11. November 2010 statt. Es wurde beantragt, den Gesetzentwurf an den Ausschuss für Landwirtschaft, Forsten, Umwelt und Naturschutz, den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit und den Innenausschuss zu überweisen, und zwar in die erstgenannten Ausschüsse, weil mit dem Gesetzentwurf eine Möglichkeit eingeräumt wird, ich zitiere aus § 3 Abs. 3: „Das für Ordnungsrecht zuständige Ministerium wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem für Tierschutz und Tiergesundheit zuständigen Ministerium sowie dem für Artenschutz zuständigen Ministerium durch Rechtsverordnung Tiere zu bestimmen, die als gefährlich im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1 gelten.“

Die Ausschussüberweisungen sind leider abgelehnt worden und der Gesetzentwurf ist letztendlich an den Innenausschuss überwiesen worden. Dort wurde er mehrfach beraten, zuerst am 3. Dezember 2010. Hier wurden eine schriftliche und eine mündliche Anhörung beschlossen. Hier hat der Innenausschuss erstmals ein Verfahren angewandt, in der die Anzahl der mündlich Anzuhörenden zahlenmäßig begrenzt ist, nämlich nach dem d’hondtschen Verfahren sollen lediglich fünf Anzuhörende mündlich gehört werden, die sich nach d’Hondt auf die CDU, DIE LINKE und die SPD verteilen. Um den kleineren Fraktionen ein Zugeständnis zu machen, wurde gnädigerweise gewährt, dass auch diese jeweils einen Anzuhörenden einladen können. Zusätzlich kommen noch die kommunalen Spitzenverbände dazu. Also hat der Ausschuss beschlossen, neun Anzuhörende mündlich anzuhören und in einer schriftlichen Anhörung parallel gleichzeitig alle von den Fraktionen vorgeschlagenen Anzuhörenden um Stellungnahmen zu bitten.

Am 7. Dezember wurden in einer InnenausschussSitzung der Kreis der Anzuhörenden und die Fragestellungen beschlossen. Die Fragestellungen zum Gesetzentwurf lauteten wie folgt:

Die Anzuhörenden wurden gefragt:

1. Wie bewerten Sie den vorliegenden Gesetzentwurf?

2. Gibt es aus Ihrer Sicht rechtliche Bedenken zum Gesetzentwurf?

3. Sehen Sie Änderungsbedarf?

In der mündlichen Anhörung am 18. Februar wurden angehört: das Bayerische Staatsministerium des Innern, für das Tierheim auf der Weißenburg in Sömmerda Herr Stengler, die Landestierärztekammer, der Landestierschutzverband Thüringen e.V., der Deutsche Doggen-Club 1888 e.V. und der Tiertrainer Herr Markus Herwig. Das Innenministerium Baden-Württemberg hat die Einladung leider aus terminlichen Gründen ausschlagen müssen. Nicht zuletzt wurden der Thüringer Gemeinde- und Städtebund und der Thüringische Landkreistag angehört.

Des Weiteren hat uns das Innenministerium dankenswerterweise weitere drei Stellungnahmen zur Verfügung gestellt, die bereits in der Kabinettsanhörung eine Rolle gespielt und auf die sich die Anzuhörenden in ihren schriftlichen Stellungnahmen bezogen hatten. Das waren Stellungnahmen von PETA, der Stadt Nordhausen und der Deutschen Kinderhilfe. In der mündlichen Anhörung am 18. Februar waren acht mündlich Anzuhörende anwesend. Diese habe ich schon benannt. Wir hatten insgesamt schriftliche Stellungnahmen von 22 Anzuhörenden vorliegen. Vier dieser schriftlichen Stellungnahmen waren zum Gesetzentwurf der Landesregierung zustimmende Stellungnahmen, alle anderen 18 lehnten den Gesetzentwurf ab, und zwar lehnten sie die Rasseliste ab. Sie lehnten ab, dass große Hunde per se als gefährlich eingeschätzt werden sollten, und haben auch viele, viele andere Gründe, diesen Gesetzentwurf abzulehnen, bzw. Änderungen für den Gesetzentwurf vorgeschlagen.

Die nächste Ausschussberatung fand dann am 13. Mai statt. Hier war vorher verabredet worden, dass alle Fraktionen, die Änderungsbedarf sehen, rechtzeitig ihre Änderungsanträge dem Ausschuss vorlegen. Es hatten Änderungsanträge der Fraktion DIE LINKE vom 10.05. vorgelegen, ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 10.05., die FDP hatte ihren Änderungsantrag am 12.05. vorgelegt und als Tischvorlage lag am 13.05. ein Änderungsantrag von CDU und SPD vor, also ein alternativer Gesetzentwurf, so will ich das mal nennen. Am 13.05. ist eine weitere schriftliche Anhörung beschlossen worden, und zwar mit dem gleichen Kreis der Anzuhörenden wie bei dem ersten Anhörungsverfahren, leider aber nicht, wie der Antrag der Oppositionsfraktionen war, zu allen Änderungsanträgen, sondern nur zu dem Änderungsantrag von CDU und SPD. Die Oppositionsfraktionen haben dann gemeinsam ihre Änderungsanträge auch an alle angefragten Expertinnen und Experten geschickt. Es haben sich auch einige der Expertinnen und Experten in ihren Stellungnahmen

auf die Änderungsanträge der Fraktion DIE LINKE, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Fraktion der FDP bezogen, zum Beispiel negativ der Hund und Halter e.V. zur Kennzeichnungspflicht nach dem Vorschlag der LINKEN am eingefriedeten Besitztum, aber auch positiv, wie zum Beispiel der Kinderschutzbund, der die Gesetzentwürfe von FDP und DIE LINKE sehr positiv bezeichnet hatte, oder auch der Schutz- und Gebrauchshundesportverband e.V. oder der Hundetrainer Herr Herwig von der Eichsfelder Hundeschule.

Insgesamt sind im zweiten Anhörungsverfahren 22 Schreiben eingegangen. Zwei davon waren ohne inhaltliche Stellungnahme, nämlich die bayerische und die baden-württembergische Stellungnahme. Die beiden Anzuhörenden haben auf ihre ersten Stellungnahmen verwiesen. Und von den übrigen zwanzig inhaltlichen Stellungnahmen im zweiten Anhörungsverfahren befürworteten lediglich zwei den Gesetzentwurf mit Rasseliste, wovon aber der Gemeinde- und Städtebund seine Kritik, keine Kostenfolgenabschätzung, wiederholte und erhebliche Zweifel äußerte, ich zitiere, „ob das den Ordnungsbehörden bisher zur Verfügung stehende Handlungsinstrumentarium als ausreichend angesehen werden kann, eine angemessene Umsetzung der Ge- und Verbote sicherzustellen“. Der Umgang mit den Stellungnahmen wird deutlich an der Ihnen vorliegenden Beschlussempfehlung aus dem Innenausschuss vom 10.06. Die Stellungnahmen nämlich wurden in diesem Gesetzentwurf nicht berücksichtigt. Da möchte ich zum Schluss noch die Stadt Nordhausen zitieren. Die hat sich eine ausführliche Stellungnahme erspart, weil, wie sie schreibt - ich zitiere: „Die bisherigen zwei, zum Teil recht aufwendigen Stellungnahmen sind nicht nur mit recht großem Zeitaufwand verbunden gewesen,

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Da müssen Sie nicht eine Einzelne herausgreifen …)

da diese scheinbar im Allgemeinen keinerlei oder nur wenig Berücksichtigung finden, es gibt keine neue Überarbeitung des Entwurfs durch die Landesregierung, erscheint das auch nicht notwendig bzw. zielführend.“ Die Stadt Nordhausen positioniert sich daher nicht für oder gegen konkrete Bestimmungen, sie gibt aber im Detail einige Ergänzungshinweise, die zum größten Teil den Verwaltungsvollzug erleichtern und wie schwammige Formulierungen klarer werden können. Auch wenn Sie sich jetzt aufregen, Herr Fiedler, ich bin die Berichterstatterin aus dem parlamentarischen Verfahren im Ausschuss.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Ja genau, vom Ausschuss.)

Schauen Sie in die Geschäftsordnung des Thüringer Landtags, da steht, was ich als Berichterstatte

rin zu tun habe. Ein Teil dessen, was ich zu tun habe, ist wiederzugeben, welche Meinung die Anzuhörenden geäußert haben. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Danke schön. Ich eröffne die Aussprache. Als Erster zu Wort gemeldet hat sich der Abgeordnete Bergner von der FDP-Fraktion.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, seit Oktober 2010 beschäftigt uns der Gesetzentwurf „Thüringer Gesetz zum Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Tieren“. Jetzt könnte man die Hoffnung hegen, was lange währt, wird endlich gut. Aber leider, meine Damen und Herren, hat der Volksmund dieses Mal unrecht. Immerhin wurden zwar nach unserer Auffassung ein paar Verbesserungen in die nun vorliegende Beschlussempfehlung aufgenommen, wie etwa die Kennzeichnungsund Versicherungspflicht von Hunden oder die wieder eingeführte Maulkorbpflicht für gefährliche Hunde. Das war ja tatsächlich etwas inkonsequent, wenn man eine Verschärfung will, aber die Maulkorbpflicht herausnimmt. Das alles, meine Damen und Herren, mögen ein paar gute Ansätze sein, um Sicherheit und Opferschutz zu gewährleisten, mehr sind sie aber nicht.

Auf die wesentlichen Forderungen der Sachverständigen sind die Landesregierung sowie die Koalition von CDU und SPD gerade nicht eingegangen,

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Ex- tra!)

nämlich auf die Streichung der Rasseliste aus dem Gesetzentwurf. Jetzt muss man sich natürlich fragen: Wieso beharren die Landesregierung und die Koalition auf der Rasseliste und welche Erkenntnisse stützen sie dabei? Dies könnten zum einen die Stellungnahmen der Anzuhörenden sein. Nun haben wir seit Oktober einige Sachverständige zu dem Thema gehört. Ich kann Ihnen sagen, dass ca. 85 Prozent der Sachverständigen sich gegen eine Rasseliste ausgesprochen haben. Nun könnte sich die Koalition von CDU und SPD auch auf Statistiken oder wissenschaftliche Gutachten berufen. Aber auch hier, meine Damen und Herren, findet die Rasseliste keine haltbare Grundlage - zum einen, weil die Rassen, die sich auf der Rasseliste befinden, gerade nicht die Beißstatistiken anführen. Die Beißstatistiken führen gerade nicht diese vier Rassen an, sondern Rassen wie der deutsche Schäferhund oder der oft als Familienhund gehaltene Golden Retriever.

Auch die tragischen Vorfälle in Sachsenburg, meine Damen und Herren,

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das waren die Opfer.)

in Niederorschel waren gerade keine Hunde, die sich auf der Rasseliste befinden, sondern Mischlinge, die nicht eindeutig zugeordnet werden konnten. Auch der Vorfall in Kindelbrück ist nicht durch einen Hund auf der Rasseliste hervorgerufen worden. Zum anderen gibt es auch keine wissenschaftlichen Gutachten, meine Damen und Herren, die belegen, dass die auf der Rasseliste befindlichen Hunde gefährlicher seien als alle anderen Hunde.

In der öffentlichen Anhörung zum ursprünglichen Entwurf der Landesregierung betont ein Vertreter des Bayerischen Innenministeriums im Brustton der Überzeugung, in Bayern habe sich die Rasseliste aus der Statistik bewährt. Um diese Aussage zu bewerten, meine Damen und Herren, muss man freilich wissen, dass die Statistik erst nach der Einführung der Rasseliste in Bayern begonnen wurde. Sorgsamer und ehrlicher Umgang mit Statistik sieht anders aus, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, FDP)

Nun könnte sich die Rasseliste vielleicht auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2004 stützen. Durch das Urteil wurde dem Gesetzgeber im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aufgegeben, in den nächsten Jahren zu prüfen, ob die dort aufgeführten vier Rassen wirklich gefährlich sind. Eine derartige Prüfung, meine Damen und Herren, ist bis heute nicht erfolgt. Eine Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung der vier Rassen kann das Urteil somit nicht mehr darstellen. Ich will noch einmal zusammenfassen: Eine Rasseliste ist weder statistisch noch durch Gutachten und auch nicht durch die Stellungnahmen der Anzuhörenden zu rechtfertigen.

(Beifall DIE LINKE, FDP)

Um jetzt wieder auf die oben gestellte Frage zurückzukommen, welche Gründe für die Rasseliste sprechen, so sage ich Ihnen, meine Damen und Herren, es gibt keine nachvollziehbaren Gründe.

(Beifall DIE LINKE, FDP)

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, welche Haltung die Kollegen der Union noch im Februar hatten. Am 16. Februar schreibt die „Thüringer Allgemeine,“ ich zitiere: „Eines stellt Wolfgang Fiedler am Rande des Besuchs in Weimar klar: Mit ihm werde es keine Rasseliste geben. Eher scheitert das Gesetz.“

(Beifall DIE LINKE, FDP)

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Hört, Hört.)

(Abg. Berninger)