Ich meine, es ist die FDP-Lyrik der 70er-Jahre aus veralteten VWL-Lehrbüchern - immer wieder das Gleiche. Da kann man nachlesen, wenn man will, muss man aber nicht. Da muss man auch nicht vor 1977, so wie ich, geboren sein. Die kann man jetzt noch nehmen. Der Unterschied ist nur, ich zitiere nicht mehr daraus, denn manche bewegen sich einfach geistig dann auch weiter.
Also bei allen Ausführungen, die jetzt kommen, glaube ich, dass mindestens vier Parteien hier in diesem Plenum relativ nah beieinander sind, jedenfalls in großen Teilen,
bis auf die Mindestlohnbremser der FDP. Da sind Sie ja schon und kommen in Vorhand. Das ist schön, Herr Barth, dass Sie jetzt munter werden.
Das freut mich sehr, weil diese Mindestlohnbremser der FDP bis heute nicht kapiert haben, dass diese über 1 Mio. Menschen, die unter Mindestlohn bezahlt werden, wertvolle Arbeit leisten, die, Herr Bergemann, gute Arbeit ist.
Da freue ich mich, dass Sie zustimmen. Gestatten Sie mir den kleinen Ausflug bei der FDP. Wenn ich mir Herrn Kurth am Wochenende angehört habe, wie er den Chef der Landesarbeitsagentur Sachsen-Anhalt-Thüringen verrissen hat dafür, dass er genau gesagt hat, wir brauchen einen Mindestlohn, muss ich auch sagen, Ihr Kollege Patrick Kurth unter Niveau und wieder hinter der Zeit. Aber wenn das Ihr Stil ist, bitte sehr.
Man kann beim Prinzip „Guter Lohn für gute Arbeit“ relativ schnell zueinander kommen, wenn man die Realitäten anerkennt. Herr Bergemann hat einiges skizziert. Wir müssen beim Thema Arbeitsmarkt und das gehört jetzt tatsächlich auch zur Überschrift „Guter Lohn für gute Arbeit - Differenzierung nach Ost und West“ eben schauen, wir leben nicht mehr in der Bundesrepublik der 80er-Jahre und wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, Sie haben das genannt, die Tarifbindung der Arbeitgeber und die Bindung der Arbeitnehmer an die Gewerkschaften hat nun mal stark nachgelassen.
Deswegen ist es auch unsere Verantwortung, übrigens auch hier, Herr Barth, hier in diesem Plenum oder Herr Kemmerich, der ja vorhin dazu sprach darüber zu sprechen und die Situation hier einzuschätzen. Ich habe es gesagt, über 1 Mio. Erwerbstätige müssen ihren Lohn mit ALG II aufstocken, um über die Runden zu kommen, 400.000 von ihnen haben sogar eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitstelle. Solche Niedriglöhne aufzustocken, kostet den Staat - und das müsste der FDP eigentlich wehtun - 11 Mrd. € im Jahr. Das sind die bekannten Fakten, das ist Wirtschaftsförderung. Wenn man der Ansicht ist, Etatismus ist nicht das Richtige, müsste man bei diesen 11 Mrd. € ansetzen und für einen Mindestlohn sein. Sie sind es bis heute nicht.
(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Tarifautonomie, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist ein hohes Gut, aber wir müssen sie nicht wie ein goldenes Kalb vor uns hertragen, wenn wir sehen, dass Politik eben Rahmenbedin- gungen setzen muss, und da bin ich beim Mindest- lohn. Wir kommen bei diesem Thema nicht umhin - und wir haben als GRÜNE eine unabhängige Min- destlohnkommission nach dem Vorbild der Low Pay Commmission in Großbritannien vorgeschlagen -, im Rahmen eines Mindestarbeitsbedingungsge- setzes soll das Ganze entstehen und soll sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Sozialpartner, der Wissenschaft zusammensetzen und beraten. Dann kann man gern über die Höhe sprechen. Natürlich können die Unternehmer da mitreden, das ist ver- nünftig, denn es macht auch Sinn, darüber zu re- den, weil man die Lebenswirklichkeiten anerkennen sollte. Herr Barth, vielleicht wissen Sie auch, dass wir in der Bundesrepublik weniger ein Ost-West-, sondern vielmehr ein Nord-Süd-Gefälle haben und deswegen der plumpe Verweis auf die Frage der Differenzierung Ost-West nicht mehr trägt. (Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Das ist nicht unser Antrag.)
Übrigens der zweite Grund, warum ich mich freue, dass Herr Bergemann das Thema heute zur Aktuellen Stunde gemacht hat. Lassen Sie mich einfach zwei Beispiele nennen, wenn wir über den faktischen Mindestlohn sprechen: Der faktische Mindestlohn in Thüringen in der Friseurbranche liegt bei 3,18 €, in NRW immerhin bei 7,60 €, nur der Haarschnitt kostet, glaube ich, in Gummersbach genauso viel wie in Erfurt, oder? In der Pflegebranche gilt im Westen ein Tariflohn von mindestens 8,50 € Untergrenze, im gesamten Osten, also in Jena genauso wie in Demmin in Mecklenburg-Vorpommern, nur 7,50 €. Nur, und das ist der Punkt, in der Pflegebranche konkurrieren wir in Thüringen nicht mit Demmin, also den Ostländern, sondern mit den Westländern Hessen und Bayern. Deswegen ist es richtig, Herr Bergemann, dass wir heute hier in dieser Aktuellen Stunde debattiert haben. Das Instrument sollten wir weiterdiskutieren. Ich glaube, wenn die FDP irgendwann den Weckruf gehört hat, kommen wir auch einen Schritt weiter. Vielen Dank.
Werte Kolleginnen und Kollegen, ich habe mich über die Aktuelle Stunde gefreut, ich war der festen Überzeugung, dass für zwanzigjährige aktive Arbeit die CDU-Fraktion Gustav Bergemann gestattet hat, eine solche Aktuelle Stunde hier zu stellen.
Ich freue mich auch, dass einige Abgeordnete der Union dageblieben sind, auch der Ausführung folgen. Aber die Fragestellung ist völlig richtig, die hier auf die Tagesordnung gesetzt worden ist. Die Unterscheidung Tariflöhne nach Ost und West ist einfach überholt, und zwar unabhängig davon, Gustav Bergemann, ob man rückwärts das so betrachtet oder so. Die Frage, dass die innerdeutsche Grenze mit diesen Unterschieden ständig wieder zementiert wird von denen, die immer in die Richtung der LINKEN mit dem Finger zeigen und insbesondere am 17. Juni dann besonders laut in unsere Richtung rufen, das sind diejenigen, die gleichzeitig im Bundestag Gesetze erlassen, die einen Ostlohn und einen Westlohn in differenzierter Form beinhalten. Das sind die eigentlichen Mauerbauer.
Insoweit finde ich es absolut aktuell und absolut richtig. Ehrlich gesagt, Kollege Barth, finde ich es grenzwertig, wenn Ihr Redner sozusagen die Personifizierung des Widerspruchs in sich ist in der Form, in der er hier vorn steht.
Wenn jemand Verantwortung für Tariflöhne hat, dann auch ein Unternehmer; das postulieren Sie doch immer, Kollege Barth, und Herr Kemmerich ist Unternehmer. Sein Unternehmen ist eins, das einen Tarifvertrag anwendet, der seit über zehn Jahren nicht mehr verhandelt worden ist, der allgemeinverbindlich ist, der diesen Satz, den Kollegin Siegesmund gerade genannt hat, 3,18 € als Ecklohn in den Lohngruppen beinhaltet. Ich sage, solche Löhne sind ein Skandal.
Ich finde sie eine gottverdammte Sauerei, dass man überhaupt Menschen zumutet, für 3,18 € tätig sein zu müssen. Deswegen will ich einfach darauf hinweisen, dass ich das eben nicht nur grenzwertig fand, sondern es ist mir auf den Magen geschlagen. Herr Kemmerich, Sie sind wirklich der Widerspruch zu dem Thema, wenn es um gute Arbeit und guten Lohn geht. Sie sind wirklich derjenige, der irgendwie qualifiziert dazu nicht viel beitragen kann. Das haben Sie auch bewiesen.
entlanggehangelt an der Produktivität -, dann frage ich mal: Was ist denn die Produktivität im Friseurgewerbe? Was ist die Produktivität bitte beim Altenpfleger? Was ist die Produktivität beim Kellner, bei der Verkäuferin, beim Verkäufer? Aber die reale Entlohnung z.B. der Altenpfleger: Der Mann im Westen hat - im Statistischen Handbuch nachlesbar ein reales Einkommen von 2.251 €, der Mann in der gleichen Tätigkeit im Osten hat ein Einkommen von 1.674 €. Das sind wir signifikant allein beim MannVergleich Ost-West und dann, wenn wir noch den Frau-Vergleich dazupacken: Die Frau im Westen hat eine Realeinkunfteinnahme von 2.121 €, die Frau im Osten von 1.577 €. Mit welcher Produktivität begründet man die geschlechtsspezifischen Unterschiede und die Ost-West-Unterschiede?
Dafür kann ich überhaupt keinen Grund sehen. Ich finde, wenn die Volksvertreter nicht mal darüber im Parlament reden sollen, wie Herr Kemmerich es eben gesagt hat, dass man doch da lieber gar nicht reden soll, damit man wahrscheinlich nicht auf ihn und seine Verantwortung kommt, wenn wir nicht mal darüber reden, wie es dem Volk geht, wie es den Menschen in diesem Land geht und warum es einfach unerträglich ist, wenn beim Verkäufer der Mann im Westen 1.934 €, der Mann im Osten 1.717 €, die Frau im Westen 1.731 €, die Frau im Osten 1.574 € bekommt - die gleiche Bandbreite in der geschlechtsspezifischen Unterscheidung und in der Ost-West-Unterscheidung. Ich finde, das sind aktuelle Zahlen, die es uns zum Anlass geben sollten, als Volksvertreter darüber zu reden, dass diese Unterschiede weder geschlechtsspezifisch begründet sind noch nach der territorialen Herkunft, also nach Ost-West überhaupt nicht. Kollegin Siegesmund hat ja auf das Nord-Süd-Gefälle hingewiesen. Das gibt es in der Tat, quer durch die Bundesrepublik. Aber gesetzlich zementieren wir, Kollege Barth, und Ihre Abgeordneten in Berlin heben dazu brav die Hand, dass der Ost-West-Unterschied der einzige ist, der in Gesetzen steht.
Es ist einfach, die FDP beweist im Bund und im Land, dass sie nicht auf der Seite der Menschen steht, sie steht nicht auf der Seite der Menschen, die auf der anderen Seite der Ladentheke arbeiten. Sie stehen nicht auf der Seite derjenigen, die im Friseurladen tatsächlich den Kopf waschen, sondern Sie stellen sich nur hin und wollen den anderen den Kopf waschen, um dann anschließend allerdings aus dem Mehrwert, den Sie an dem Lohn dieser Menschen verdienen, sich die Taschen vollzustecken, und das finde ich unverschämt und unerträglich.
Danke. Das war ein gutes Schlusswort, weil ich glaube, Herr Kemmerich war eine Zumutung für uns alle.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie mir folgende Anmerkung: Der Ausdruck „gottverdammte Sauerei“ ist weder für einen Christenmenschen noch für einen Abgeordneten entsprechend.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist schon mehrfach gesagt worden, in der Tat, herzlichen Dank, dass Sie das Thema, Herr Bergemann, hier auf die Tagesordnung gesetzt haben. Das Thema, wer ein bisschen nachdenkt, ist nämlich gar kein tarifpolitisches Thema allein, es ist im Kern ein wirtschaftspolitisches Thema, das wissen wir aus allen Studien, die wir zur Verfügung haben. Das entscheidende Thema für die weitere ökonomische Entwicklung in den neuen Bundesländern heißt Fachkräfte und Fachkräfte werden wir nur dann halten, wenn es uns gelingt, in den nächsten Jahren alle, die hier ausgebildet werden, hierzubehalten und vor allen Dingen neue nach Thüringen zu holen und zu gewinnen, damit wir überhaupt den Beschäftigungsstand, den wir in den nächsten Jahren hier in Thüringen aufbauen bzw. ersetzen müssen, weil 200.000 Menschen bis zum Jahr 2020 aus ihrem Job ausscheiden und damit ersetzt werden müssen, um sie in diesem Lande zu halten. Deswegen - und das ist das Entscheidende, Herr Bergner und liebe Kolleginnen und Kollegen -, das, was wir in den nächsten Jahren erleben werden, ist ein tiefgreifender Paradigmenwechsel, weil der Wert von Arbeit heute und morgen und übermorgen ein anderer sein wird als in den letzten 10 bis 15 Jahren. Das heißt, wir werden uns im Standortwettbewerb hier in Thüringen nur dann behaupten können, wenn es uns gelingt, das Niedriglohnimage des Landes zu verlassen, wenn es uns gelingt, eine vernünftige Lohnpolitik in den nächsten Jahren durchzusetzen, wenn es uns gelingt, auch dafür zu werben, dass hier faire Bedingungen zum Beispiel bei der Tarifpartnerschaft oder bei der Tarifpolitik herrschen. Die Wahrheit ist doch die,
dass wir zwar am Sonntag auch auf FDP-Parteitagen im Übrigen die Tarifpartnerschaft betonen, aber am Montag dafür sorgen, dass überhaupt keine verhandlungsfähigen Gewerkschaften in den Unternehmen zugelassen werden und damit die Tarifpartnerschaft de facto außer Kraft gesetzt wird.
Das kann man an den Zahlen im Übrigen sehen. Wir haben in Thüringen noch 22 Prozent der Unternehmen, die überhaupt noch in einer Tarifbindung sind. Das sind gerade mal 43 Prozent der Beschäftigten. Im Westen sind das 36 Prozent der Unternehmen und 63 Prozent der Beschäftigten. Jetzt will ich es an dieser Stelle mal so sagen: Es ist doch geradezu absurd, dass wir zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch so eine Lösung haben, wo es Zwangsmitgliedschaften bei den IHKen gibt, wo sich viele Unternehmer fragen, warum bin ich da eigentlich Mitglied, es aber keine verbindliche Lösung dafür gibt,
dass Unternehmen in Tarifgemeinschaften sein müssen, um eine vernünftige Tarifpolitik machen zu können. Das geht an der Lebensrealität vorbei.
Jetzt will ich noch ein weiteres Argument benennen, warum wir eigentlich in den nächsten Jahren eine wirkliche Wende brauchen, auch in dem Sinne, wie Sie das vorgeschlagen haben, nämlich dass wir keine Ost-West-Differenzierung brauchen. Wer sich die Branchenstruktur in Thüringen im Jahre 2011 anschaut, wird Folgendes feststellen: Wir haben Branchen, da haben wir heute schon ein Westniveau, will ich mal sagen. Das sind die Eisenund Stahlindustrie, das Bankgewerbe, die Post, die Deutsche Bahn, das Umdruckgewerbe und der öffentliche Dienst. Wir haben andere Branchen, zum Beispiel die Landwirtschaft mit 70 Prozent, das Verkehrsgewerbe mit 60 Prozent, das Hotel- und Gaststättengewerbe mit 76 Prozent des Westniveaus. Wir haben andere Branchen, wie zum Beispiel die Energiewirtschaft, die chemische Industrie und die Metall- und Elektroindustrie, die bei 90 Prozent liegen. Schon allein diese Zahlen belegen doch eines, wie willkürlich die Situation heute schon ist. Wenn das stimmt, dass das alles produktivitätsorientiert wäre, wie hier behauptet worden ist, dann könnte es diese Differenzierung nicht geben, sondern da müssten alle etwa bei 70, 80 Prozent liegen; aber wir haben heute schon Branchen, die liegen bei 100 Prozent und manche liegen bei 90 Prozent. In der Chemiebranche, eine der produktivsten Branchen, die wir überhaupt in Deutschland haben, auch im Übrigen im Osten haben, spricht überhaupt nichts dagegen, morgen das gleiche Lohnniveau wie im Westen zu zahlen.
Das heißt, wir haben heute schon tarifpolitische Willkür und diese tarifpolitische Willkür muss beendet werden. Wie soll ich jemandem erklären, von dem wir sagen, wir brauchen dich in den nächsten Jahren in Thüringen, wenn er mich fragt, kannst du mir eines zusichern, dass ich hier vernünftig bezahlt werde, dass ich einen sicheren Job habe und dass ich hier Karrierechancen habe. Dann kann ich ihm auf zwei von drei Fragen keine so genaue Antwort geben. Deswegen brauchen wir eine Wende in der Entlohnungspolitik, und zwar heißt das für mich in der Tat eines, keine Differenzierung mehr Ost und West, heißt für mich auch, wir brauchen eine Lohnuntergrenze. Eines ist doch klar, ohne Lohnuntergrenze sind Lohnniveaus offensichtlich durchsetzbar, die weder existenzsichernd sind noch ansonsten der Würde des Menschen entsprechen.