Protocol of the Session on January 19, 2011

Was den Punkt II Ihres Antrags betrifft: Er verdeutlicht es ja dann endgültig, dass Ihnen nicht an Sachpolitik, sondern an Polemik gelegen ist. Wenn man einen Antrag noch nicht einmal in einer Neufassung vorlegt, der einen Initiativplan zum 31.12. des vergangenen Jahres vorsieht, der ist doch etwas weltfremd. Es wäre doch wenigstens zu erwarten gewesen, dass dieser Punkt II Ihres Antrags zurückgezogen wäre oder dass Sie eine Neufassung mit einem neuen Datum hier vorgelegt hätten.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Sie haben wohl keine Ahnung vom parlamentari- schen Ablauf!)

Der Sofortbericht ist gegeben, der Sofortbericht ist ausführlich gegeben. Dafür noch einmal meinen Dank. Dem Punkt II können wir natürlich aus genannten Gründen selbstverständlich nicht zustimmen. Ich sehe hier auch keine Notwendigkeit, im Sozialausschuss weiterzuberaten. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich Frau Abgeordnete Siegesmund zu Wort gemeldet.

Ich verweise der guten Ordnung halber nur darauf: Wir haben heute im Wesentlichen Tagesordnungspunkte, die schon geraume Zeit auf der Tagesordnung liegen. Da können wir uns die einzelnen Bewertungen dazu ersparen.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung kann man sehr wohl in diesem Hohen Hause argumentieren, diskutieren und sich austauschen. Das muss man nicht nur im Ausschuss tun. Ich staune schon darüber, dass die Koalitionsfraktion der CDU satte anderthalb Minuten hat, um hier zu zeigen, was sie im Bereich Kinderarmut aufzubieten hat. Das ist so was von einem Armutszeugnis,

(Abg. Eckardt)

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

das kann man eigentlich gar nicht toppen. Schon allein deswegen bin ich der LINKEN dankbar dafür, dass dieser Antrag heute hier diskutiert wird, dass wir mal sehen können, wer hier wie ausgestattet ist mit guten Argumenten.

Ganz schnell ist diese Debatte, das habe ich hier beobachtet, in den Bereich Kinderarmut gekommen, hat hauptsächlich eine Rolle gespielt allein durch den Sofortbericht von Frau Taubert. Das allein ist aber gar nicht Bestandteil des Europäischen Jahres 2010 gegen Armut und soziale Ausgrenzung gewesen. Wer sich ein bisschen damit beschäftigt, was das Europaparlament selbst getan hat im Jahr 2010, der weiß, dass es u.a. eine Entschließung verabschiedet hat im Oktober 2010 zur Bedeutung des Mindesteinkommens für die Bekämpfung der Armut und die Förderung einer integrativen Gesellschaft. Was, wenn nicht genau dieses Gesetz, was angenommen wurde, zeigt uns, was für ein Querschnittsthema wir hier eigentlich vor uns liegen haben? Ja, da spielt Kinderarmut eine Rolle, genauso sehr aber auch Altersarmut, da spielt auch eine Rolle, dass die Frage der ständigen Ausgrenzung, die Frage des Zusammenhaltes in der Europäischen Union auch die Europäische Wirtschaft tangiert. Da spielt auch eine Rolle, wie es insgesamt um den sozialen Zusammenhalt in Europa bestellt ist und wie unterschiedlich in den einzelnen europäischen Ländern Sozialpolitik gemacht wird. Das ist ein sehr differenziertes Papier. Daran kann man sich sehr wohl abarbeiten und auch sehen, was wir hier in Thüringen auch noch aufzuarbeiten haben.

(Beifall DIE LINKE)

Ich habe durchaus den Eindruck, dass wir in dem Jahr vielleicht Erkenntnisse gewonnen haben, es aber mit diesem Jahr längst nicht getan werden muss. Was mir auch nicht genügt, ist, wenn ich vielen Dank für den Sofortbericht - dann höre, wir haben dazu eine Kleine Anfrage gestellt, zur Frage TIZIAN - Was tut TIZIAN in Thüringen? Ich selber habe viele TIZIAN-Projekte besucht. Wenn ich mir dann anschaue, wie qualitativ unterschiedlich diese Projekte sind, und wir dann ganz konkret vor Ort, ganz konkret an denjenigen, die es betrifft, sehen, was die Reichweite oder eben nicht die Reichweite genau dieser Projekte ist. Der zentrale Punkt bei der Frage Armutsbekämpfung ist für mich, dass wir als Politikerinnen und Politiker uns nicht hinstellen und sagen können, wir legen folgendes Projekt auf, nennen wir es move up oder was auch immer, ich will es nicht diskreditieren, ich will nur sagen, Projekte sind zeitlich befristet und Projekte reichen ganz sicherlich nicht aus, um eine sinnvolle Kinderarmuts-, Altersarmuts-, Armutsstrategie insgesamt

zu fahren. Das muss auch deutlich gesagt werden, das reicht auch nicht mit diesem einen Jahr.

Jetzt sage ich, was ich mir wünsche. Was ich mir wünsche von der Landesregierung ist eine Kinderarmuts- und Armutsstrategie, beides zusammen, was zusammengehört. Dazu gehören für mich drei Dinge, nämlich a) Angebote, die wir vorhalten, b) Bildung, ganz selbstredend - Sie haben es angesprochen, Frau Ministerin; genauso gut könnte der Kultusminister jetzt hier sitzen und seinen Beitrag auch an dieser Stelle dazu leisten, was die Landesregierung tut, um bildungspolitisch Armut vorzubeugen, das hätte mich zum Beispiel sehr interessiert und c) was tun wir für Chancengleichheit. Ganz leicht zu merken: a, b, c - Angebote, Bildung, Chancengleichheit, dann können wir vernünftig über eine Armutsstrategie in Thüringen reden. Ich kann nicht sehen, dass es sie bislang gibt bzw. eine Strategie zur Bekämpfung der Armut selbstredend.

Über welche Bereiche reden wir? Wir reden über Bildungspolitik, wir reden über Wirtschaftspolitik, wir reden im Übrigen auch darüber, wie Kommunen künftig stemmen können, sozialen Ausgleich zu schaffen. Es gibt Städte und Gemeinden in diesem Land, die es sich wohl leisten können, Zusatzleistungen vorzuhalten, andere nicht. Wie kann es sein, dass es Kindern in Städten vielleicht besser geht, während kleinere Dörfer längst Angebote nicht mehr vorhalten können. Das sind alles Fragen, dazu habe ich heute nichts gehört. Ich würde mir wünschen, dazu etwas zu hören, ich kann nur von meiner Stelle sagen: Mir genügt es nicht, was ich eben im Sofortbericht gehört habe. Wir haben einen Antrag bereits vorbereitet für den Ausschuss und werden die Debatte dort entsprechend weiterführen. Danke.

(Unruhe CDU)

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Für die Fraktion DIE LINKE hat der Abgeordnete Kubitzki das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, man sieht eigentlich hier an dieser Debatte, dabei muss ich natürlich sagen, das, was von der Fraktion der CDU und der SPD kam, war forstwirtschaftlich gesprochen „eine dürre Fichte“.

(Beifall DIE LINKE)

Es zeigte aber die Diskussion, wie wichtig sie ist und dass das Thema Armut nach wie vor auch in diesem Land ein Problem ist.

(Abg. Siegesmund)

Zu dem Sinn und dem Inhalt des Europäischen Jahres zur Bekämpfung von Armut und gegen soziale Ausgrenzung wurde schon inhaltlich auch vom Kollegen Koppe einiges gesagt und von den anderen Rednern auch, deshalb will ich darauf nicht näher eingehen. Aber nur einmal ein paar Zahlen, warum sich die EU dazu entschlossen hat: Derzeit leben 80 Mio. Europäerinnen und Europäer unterhalb der Armutsgrenze. Das sind 17 Prozent der EU-Bevölkerung. Entsprechend des letzten Eurobarometers betrachten 73 Prozent der Europäer Armut als ein Problem und 89 Prozent fordern von ihrer Regierung, mehr gegen Armut zu tun. Das allein ist Anlass genug, dass dieses Jahr einberufen wurde. Es ist durchaus auch heute noch, im ersten Monat des Jahres 2011, legitim, von der Landesregierung zu erfragen, was ist in dem Jahr 2010 entsprechend dieser Vorgaben denn in Thüringen passiert? Es ist auch legitim, dort Fragen zu stellen, wie es in Thüringen umgesetzt wurde. Wie ist denn die Wirklichkeit? In Deutschland lebt jedes fünfte Kind in Armut. Das bedeutet für 2 Mio. Kinder, die wissen, wie sich Armut anfühlt; die Tendenz ist leider steigend.

Ich gebe Ihnen recht, Frau Ministerin, die Bekämpfung der Armut ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und nicht die Aufgabe hier in Thüringen des Thüringer Sozialministeriums.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da wäre es eigentlich richtig gewesen, dass zumindest die Staatskanzleiministerin, jetzt Europaministerin, dazu hätte auch den Gesamteindruck der Landesregierung sagen können, was in den anderen Ressorts in diesem Armutsjahr passiert ist.

Noch mal einige Zahlen zur Armutsgefährdung in Thüringen und das sind Zahlen vom Statistischen Bundesamt und von den Statistikämtern der Länder: Die Armutsgefährdungsquote in Thüringen im Jahr 2009 lag bei 18,1 Prozent und hat sich nicht viel verbessert. Das bedeutet, dass 18,1 Prozent der Thüringer Bevölkerung mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens auskommen müssen. Besonders stark armutsgefährdet sind in Thüringen Erwerbslose mit 62,2 Prozent, Erwachsene mit einem Kind 51,3 Prozent und Personen unter 18 Jahren mit 26,7 Prozent. Menschen mit Armutsgefährdung müssen zwangläufig auf grundlegende Dinge des täglichen Lebens verzichten, weil sie sich diese Dinge einfach nicht leisten können. Anliegen dieses Europäischen Jahres war es, dass Maßnahmen ergriffen werden, diese Zustände zu verändern.

Meine Damen und Herren, es grenzt schon an Zynismus, wenn in dieser Bundesrepublik im Jahr 2010, in dem Europäischen Jahr zur Begrenzung der Armut, ein soziales Sparpaket mit einer Größe aufgelegt wird, was wieder die Armen dieser Gesellschaft betrifft und das im Europäischen Jahr zur

Bekämpfung der Armut, meine Damen und Herren. Das ist Zynismus pur, was hier die Politik veranstaltet hat.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Da wird im Europäischen Jahr zur Bekämpfung der Armut beschlossen, dass das Elterngeld bei HartzIV-Empfängern auf ihr Einkommen angerechnet wird. Da wird im Europäischen Jahr zur Bekämpfung der Armut eine Gesundheitsreform beschlossen, die der Einstieg zum Ausstieg aus der paritätisch finanzierten Krankenversicherung ist, dass dort die Gesundheitskosten wieder zulasten der Armen umgelagert werden, dass eine Kopfpauschale eingeführt wird. Da sagen wir als LINKE, sinnvoll wäre es gewesen, wenn ein soziales Sicherungssystem - das betrifft auch das Rententhema -, eine solidarische Bürgerversicherung eingeführt worden wäre. Wir sagen, wir fordern die solidarische Bürgerversicherung, wir brauchen kein unsoziales Bürgergeld.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf aus der CDU-Fraktion: Das ist unsere Landespolitik.)

Was heißt Landespolitik? Wir sind Bestandteil der Politik dieses Landes und auch der Landespolitik. Die Landesregierung hat über den Bundesrat Einfluss entsprechend des Föderalismus auf die Politik in dieser Bundesrepublik.

(Beifall DIE LINKE)

Noch einige Fragen direkt für Thüringen: Wir haben zum Beispiel ein ressortübergreifendes Thüringer Programm zur Bekämpfung der Armut vermisst. Das Gleiche trifft zu für den Maßnahmekatalog, Frau Ministerin, den Sie angesprochen haben, das ist aber der Maßnahmekatalog zur Bekämpfung der Kinderarmut. Wir sagen aber in unserem Punkt II ziehen Sie sich nicht an diesem Datum hoch -, ein Maßnahmekatalog zur Bekämpfung der Armut. Da sage ich Ihnen ganz deutlich zum Thema Kinderarmut, wenn wir das nur auf Kinderarmut beziehen, Kinderarmut ist die Armut der Eltern. Das ist nämlich die Ursache von Kinderarmut.

Dazu würden wir auch erwarten, dass sich Thüringen zum Beispiel stark macht - auch entsprechend der Anträge, die wir gestellt haben - für die Einführung einer eigenständigen Kindergrundsicherung, was wir schon mehrmals gefordert haben.

(Beifall DIE LINKE)

Auch der Deutsche Kinderschutzbund fordert eine Kindergrundsicherung von 502 €, was von uns unterstützt wird.

Wir akzeptieren das Programm TIZIAN; es geht aber um die Wirksamkeit. Bei der Armutskonferenz in Gera sind Projekte vorgestellt worden, ich nenne

nur das Projekt Altenburg, da müssen wir aber auch über die Wirksamkeit reden, wenn die Altenburger berichten, dass von 86 Teilnehmern nur acht Teilnehmer untergekommen sind auf dem ersten Arbeitsmarkt.

(Zwischenruf Taubert, Ministerin für Soziales, Familie und Gesundheit: Das war doch gar nicht Ziel dieses Programms.)

Sie mögen ja recht haben, Frau Ministerin, trotzdem geht es doch darum, dass hier Eltern auf dem ersten Arbeitsmarkt eingegliedert werden können, damit sie ihre Kinder versorgen können. Und wenn es bei 86 Teilnehmern nur acht Teilnehmern gelungen ist, dann ist der Wirkungsgrad an dieser Stelle sehr gering.

Dass Kindern aus armen Verhältnissen Feriengestaltung gewährt wird, ist zwar positiv zu bewerten, das kritisieren wir auch gar nicht, Frau Ministerin, aber es ist in letzter Instanz nur Armutslinderung. Das müssen wir an dieser Stelle festhalten.

Wir sagen, der richtige Weg ist das Landesarbeitsprogramm für Thüringen. Aber wenn wir hören, dass bisher nur 1.000 Teilnehmer auf dem ersten Arbeitsmarkt untergekommen sind, dann ist das ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich will damit sagen, richtig ist die Erkenntnis, Frau Ministerin, mit dem Europäischen Jahr zur Bekämpfung der Armut darf die Armutsbekämpfung nicht aufhören. Aber wenn wir sagen, wir brauchen einen Maßnahmekatalog, dann brauchen wir nicht bloß den Maßnahmekatalog zur Bekämpfung der Kinderarmut, dann brauchen wir in erster Linie Maßnahmen, die Nachhaltigkeit haben. Da gebe ich Frau Siegesmund recht, Projekte sind gut, haben aber den Beigeschmack, dass sie zeitlich begrenzt sind und oft ist die Nachhaltigkeit infrage gestellt, weil eine Weiterfinanzierung in der Regel nicht möglich ist.

Deshalb möchten wir Sie auffordern - aber nicht nur Sie allein, Frau Ministerin, da gebe ich Ihnen recht, das ist nicht nur Aufgabe des Sozialministeriums, es ist Aufgabe aller Ressorts der Thüringer Landesregierung -, etwas zu tun, damit die Menschen in Thüringen Chancengleichheit haben. Dazu gehört auch, sich stark zu machen für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, dazu gehört auch, das prekäre Beschäftigungsverhältnisse abgebaut werden, dass Arbeit so bezahlt wird, dass ich von meiner Arbeit leben kann. Dieser Kampf muss in diesem Jahr genauso vonstatten gehen, wie das im Europäischen Jahr zur Bekämpfung der Armut sein sollte. Danke.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich habe keine Redemeldungen mehr aus den Fraktionen. Gibt es noch Redewünsche seitens der

Landesregierung? Nein. Damit kann ich die Aussprache zu dem Sofortbericht und zu Nummer II des Antrags der Fraktion DIE LINKE schließen.

Es ist als Erstes die Fortberatung des Berichts im Sozialausschuss beantragt worden. Hier muss ich aber alle Fraktionen, die der Beratung des Berichts zugestimmt haben, fragen, ob Sie dem Antrag zustimmen? Die CDU-Fraktion signalisiert nein. Damit brauche ich diesen Antrag zur Fortberatung gar nicht abstimmen lassen.