Protocol of the Session on November 11, 2010

(Beifall FDP)

Die aus Steuermitteln finanzierte sogenannte Herdprämie ist daher aus unserer Sicht abzulehnen. Wir als Thüringer FDP sprechen uns dafür aus, die durch eine Abschaffung des Thüringer Erziehungsgelds freiwerdenden finanziellen Mittel vollumfänglich zum Ausbau und zur Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Betreuung in Kindertagesstätten einzusetzen. Dies ist eine nachhaltige Sozialpolitik und entspräche zudem den Erfordernissen unserer Zeit.

(Unruhe im Hause)

Einen Unterschied zum Gesetzentwurf der GRÜNEN gibt es bei aller Übereinstimmung dann doch noch. Jetzt gehe ich noch einmal auf die Argumentation von Frau Pelke ein mit der Übergangsregelung. Wir wollen, dass das Thüringer Erziehungsgeld bereits ab dem 01.01.2011 nicht mehr neu beantragt werden kann. Das ist richtig. Das heißt aber, dass Anträge nur noch bis zum 31.12. gestellt werden können. Die Zahlungen enden damit für die Bescheide, die spätestens am letzten Tag des Jahres 2010 beantragt wurden, im Dezember 2011, da die Beziehdauer laut des bestehenden Gesetzes 12 Monate beträgt. Wer rechnen kann, bekommt es raus. Dies ist unserer Meinung nach genügend Zeit für einen Übergang, denn ein Thüringer Erziehungsgeld kann sich unser Freistaat nicht mehr leisten. Besonders schwer wiegt unserer Meinung nach der Umstand, dass wir uns als Nehmerland einen Luxus erlauben, von dem so manches Geberland nur träumen kann. Es ist absolut unverständlich, dass wir in Thüringen die Steuermittel verbraten, die in anderen Bundesländern durch Arbeitnehmer und Unternehmen erarbeitet wurden. Dies gehört zu einer Solidaritäts- und Gleichheitsdebatte ebenso dazu, Herr Mohring.

(Unruhe CDU)

Dies hat im Übrigen auch schon die Junge Union in Thüringen erkannt. Vielleicht lesen Sie dort mal nach, es sind sehr erkenntnisreiche Darlegungen.

Eines noch - leider ist der Herr Matschie nicht da -: Es gibt in diesem Haus eine Fraktion, die sich heute besonders schwertun kann. Das hat man den Worten der Frau Kollegin Pelke schon angemerkt. Ich darf - Ihre Erlaubnis vorausgesetzt, Frau Präsidentin - ein Mitglied des Parlaments und den jetzigen stellvertretenden Ministerpräsidenten in einer der letzten Plenarsitzungen zu diesem Thema zitieren. Herr Matschie hat in der letzten Legislatur rich

tigerweise festgestellt, dass „man mit dem Familienbild aus dem 19. Jahrhundert keine Politik für das 21. Jahrhundert machen kann“,

(Beifall DIE LINKE, FDP)

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Da hat er recht gehabt.)

dass „das Erziehungsgeld eine Politik gegen den Mehrheitswillen der Eltern in Thüringen ist“ und

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Da hat er auch recht gehabt.)

dass „generell und überhaupt das Thüringer Erziehungsgeldgesetz dazu führt, dass sich Eltern, die wenig Geld im Portemonnaie haben, häufiger für die Geldleistung entscheiden und nicht für die Kindereinrichtung“.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Da hat er schon wieder recht gehabt.)

Herr Matschie, Sie haben vollkommen recht mit Ihren Äußerungen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bitte Sie lediglich darum, handeln Sie danach und belehren Sie uns eines Besseren, dass die hiesige SPD nicht nur über Ankündigungsminister verfügt, denn einer in Ihren Reihen ist schon mehr als genug. Vielen Dank.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Das habe ich jetzt nicht verstanden.)

(Beifall FDP)

Danke, Herr Abgeordneter Koppe. Es hat jetzt das Wort die Abgeordnete Frau Siegesmund für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, eine leidenschaftliche Debatte zum Thema Familienpolitik, was wollen wir mehr an diesem Abend, wo wir heute noch lange beisammen sind. Frau Pelke, es ist mir schon so ein bisschen aufgefallen, dass es Ihnen zum Teil schwergefallen sein muss.

(Unruhe SPD)

Wenn Sie den Koalitionsvertrag hier zitieren, habe ich immer so den Eindruck, da gibt es diese heilige Kuh. Eigentlich will ich hier etwas anderes sagen. Sie machen das nicht schlecht, aber so hundertprozentig überzeugt hat mich das noch nicht. Herr Koppe, selbst wenn wir inhaltlich an etwas Ähnlichem arbeiten, es gibt zwischen unseren beiden

Entwürfen nicht nur qualitative Unterschiede. Ich muss Sie leider an der Stelle korrigieren. Seitdem die CDU in Thüringen die Familienoffensive und das hier aufgelegt hat, „Paul und Paula“,

(Unruhe SPD)

wusste ich, es wird der Tag kommen, an dem es die Abrechnung geben muss zu den Ergebnissen von „Paul und Paula“

(Unruhe im Hause)

und ich wusste, dass die Familienoffensive der falsche Weg ist, um in Thüringen Familienpolitik zu machen. Ich will Ihnen auch gerne sagen warum.

(Zwischenruf Carius, Minister für Landesent- wicklung, Bau und Verkehr: Aber ausgemalt haben sie es trotzdem.)

Das wäre ja schön, Herr Carius, aber man druckt das hier so fertig aus. Das Malbuch motiviert Kinder nicht einmal dazu, Seite 1 auszumalen.

(Unruhe im Hause)

Wer weiß, was auch immer Sie sich dabei gedacht haben. Es sieht jedenfalls so aus. Ich kenne den Rest auch.

(Heiterkeit im Hause)

Ich muss ehrlich gestehen, ich werde die Rückseite auch noch verwenden, ich habe es heute ausgedruckt. Jeder, der es noch möchte, kann es sich im Netz runterladen. Im internationalen Vergleich gibt Deutschland, gibt Thüringen insgesamt überdurchschnittlich viel Geld für Familien aus. Jetzt müsste man meinen, dann ist ja alles gut, ähnlich wie in der Bildungspolitik - es ist aber nicht alles gut. Wenn man sozialpolitisch unterwegs ist und eine sozialpolitische Linie hat, hat man zwei Möglichkeiten, sich fiskalisch zu entscheiden. Die eine Variante ist, dass man direkt alimentiert; die andere Variante ist, dass man in Infrastruktur investiert. Wir in Deutschland und übrigens auch hier in Thüringen, das zeigt das Landeserziehungsgeld, setzen aufs falsche Pferd, nämlich auf die direkte Transferleistung, anstatt mehr in Strukturen zu stecken.

(Zwischenruf Abg. Gumprecht, CDU: Bei- des!)

Moment, Herr Gumprecht, Sie müssen mir schon weiter zuhören. Lassen Sie mich doch zu dem Punkt kommen. In Dänemark ist das Verhältnis so, dass ein Drittel der Leistungen direkte familienpolitische sind, zwei Drittel werden in die Infrastruktur gesteckt. Dänemark ist eines der familienfreundlichsten Länder, die es in Europa gibt. In Deutschland ist es genau andersrum. Ich will Ihnen an dieser Stelle nur sagen, wir haben an der Stelle nicht das monetäre Problem, wir haben einfach die Frage, wohin investieren wir das.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Abg. Koppe)

Und da gibt es schlicht und ergreifend Justierbedarf. Wir haben gute Ansätze des Umsteuerns. Es gibt das Kinderförderungsgesetz, es gibt den Kinderfreibetrag, es gibt das Kindergeld auf Bundesebene usw., übrigens verfassungsrechtlich normiert, da kann man wenig tun, aber Sie setzen ja diese Schleife, die sich auf Bundesebene abzeichnet, fort, indem Sie eben auch direkt mit dem Landeserziehungsgeld Transferleistungen zahlen. Sie haben, weil Sie klug sind, das Familienfördergesetz evaluieren lassen. Da steht irgendwo der Satz - und das bestätigt auch Ihre Linie -, dass monetäre Leistungen in Thüringen eine deutliche Aufwertung durch das Familienfördergesetz erfahren. Also Sie verfolgen genau die Linie, bei der OECD und viele andere sagen, es ist schön, dass Geld ausgegeben wird, aber genau in dem falschen Bereich. Warum ist es der falsche Bereich? Es ist der falsche Bereich, weil Kinder nach wie vor in Thüringen und in der Bundesrepublik ein erhöhtes Armutsrisiko bedeuten. Vor allen Dingen Alleinerziehende und Mehrkindfamilien profitieren eben nicht davon, dass es die direkten Zahlungen gibt, sondern sie profitieren davon, wenn es eine gute Infrastruktur gibt. Wir haben nach wie vor das Problem, in Thüringen genauso wie in der Bundesrepublik, dass mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf das Armutsrisiko auch steigern.

Jetzt sieht es so aus, dass wir in Thüringen durch das Kita-Gesetz einen großen Sprung gemacht haben. Wir haben einen sehr großen Sprung gemacht, wir haben uns entschieden, doch in Infrastruktur zu investieren, und deswegen ist es ein Punkt, weswegen wir auch über das Landeserziehungsgeld diskutieren müssen, weil, als Sie 1993 in Thüringen das Landeserziehungsgeld eingeführt haben, Sie das damit begründet haben, dass Sie sagten, ich zitiere: „ … empfindliche Einkommenslücke für Eltern, die ihr Kind in der Kleinkindphase vor Aufnahme in den Kindergarten unter Ausnutzung des Erziehungsurlaubs selbst erziehen und betreuen wollen.“ Das war die Begründung. Diese Einkommenslücke gibt es aber nicht mehr, weil sie erstens durch das Kita-Gesetz gute Infrastrukturen geschaffen haben und zweitens der Rechtsanspruch mit Vollendung des 1. Lebensjahres in Thüringen existiert. Das heißt, die Begründung des 93er Landeserziehungsgeldgesetzes, das die CDU hier eingebracht hat, ist weggefallen. Die Hauptbegründung ist weggefallen und damit ist auch der Frage des Landeserziehungsgeldes und der Transferleistung an sich die Legitimation entzogen. Deswegen diskutieren wir darüber heute auch. Warum diskutieren wir noch? Wir diskutieren darüber, weil es zeigt, was nach wie vor CDU und an dieser Stelle auch SPD für ein Familienbild pflegen. Für mich ist Familie da, wo Kinder sind, da gehören Regenbogenfamilien, Patchworkfamilien usw. dazu.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da gehören eben nicht - ich muss es jetzt noch einmal zücken - wie bei „Paul und Paula“ Mutti, Vati, Kind dazu, sondern es gibt weithin andere Familienformen. Wenn man nach wie vor in dieser Ideologie verhaftet ist, dass Familie genau das ist - Mutti, Vati, Kind -, und wir geben mal 150 €

(Zwischenruf Abg. Dr. Zeh, CDU: Das stimmt doch gar nicht. Das ist nicht Ideologie!)

- das stimmt gar nicht? - und dann geht es den Familien besser, da kommt man nicht weiter.

(Unruhe CDU)

Wenn Sie durcheinanderreden, kann ich Sie gar nicht verstehen; vielleicht nacheinander, das wäre günstig.

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Wir können Sie nicht verstehen, obwohl wir Sie hören.)

Ich bemühe mich, Sie zu verstehen. Der Punkt ist doch eindeutig, die Hauptgrundlage ist weggefallen, Sie haben den 93er Gesetzentwurf hier eingebracht mit der Begründung, die heute nicht mehr legitim ist. Also müssen wir auch darüber diskutieren, wie Sie es anpassen wollen.

Ich finde es zudem nicht günstig, wenn Sie die Eltern gegeneinander ausspielen, die, die Kinder zu Hause betreuen, und die anderen, die sie in die Kita geben. Ich finde, dass man allen Eltern Anerkennung dafür zollen sollte, egal ob sie ihr Kind in die Kita bringen oder sich dafür entscheiden, weil sie es finanziell können, ihr Kind zu Hause zu betreuen. Es wird mir wohl jeder in diesem Raum recht geben, der sagt: 150 €, die Eltern, die ihr Kind zu Hause betreuen, zusätzlich bekommen über das Landeserziehungsgeld, helfen keiner Familie, die ernsthaft finanzielle Nöte hat, tatsächlich zu Hause zu bleiben. Wenn sie auf Jobsuche gehen müssen, weil das Geld nicht reicht bzw. weil sie arbeiten wollen, helfen die 150 € nicht. Vielleicht können Sie mich auch belehren, dass Sie Familien kennen oder mir eine Statistik geben.

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Sie sind un- belehrbar.)