Protocol of the Session on October 8, 2010

all das gehört dazu und gehört auch an diesem Tag erzählt. Wichtig dabei ist eins, dass die Lebensleistung der Menschen nicht als persönliches Versagen ausgelegt werden darf, nur weil das DDR-Wirtschaftssystem als Misserfolg gekrönt war. Das bleibt immer wieder festzuhalten, es lag nicht an den Menschen, aber es waren die Umstände des Systems, die den Menschen nicht die Freiheit ermöglicht haben, auch den Lohn ihrer eigenen Arbeit zu bekommen und auch zu behalten, sondern dass

der Staat sie um die Früchte ihrer Arbeit gebracht hat. Die soziale Marktwirtschaft mit ihrem Wettbewerbsgedanken mutet den Menschen einiges zu, nicht nur an Verantwortung, sondern auch an Notwendigkeiten. Natürlich war der Transformationsprozess schmerzlich und er ist bestimmt noch nicht in allen Bereichen der Wirtschaft abgeschlossen. Aber um die Vorteile zu erkennen, genügt ein Gang in jedes Kaufhaus. Manchmal reicht das aus, wenn man sich zurückversetzt in diesen Tagen des Oktober 2010 und überlegt, wie sah es in den Geschäften im September und Oktober 1989 aus. Wenn man da mal ein Stück zurückblickt und überlegt, wie war das eine und wie ist es heute, dann sieht man schon, da ist eine Menge passiert. Wir können gemeinsam froh sein, dass die Soziale Marktwirtschaft auch hier in den jungen Ländern Einzug gehalten hat.

(Beifall FDP)

Fünftens, meine Damen und Herren, ist aus einer durchherrschten Gesellschaft eine pluralistische Gesellschaft geworden.

(Beifall CDU, SPD)

Durch den demokratischen Zentralismus hat die SED alle Bereiche von oben nach unten kontrolliert und durch die Massenorganisationen hat sie alle Arten gesellschaftlicher Betätigung kanalisiert und unter Kontrolle gehalten - und zwar lückenlos - mit einer Ausnahme, nämlich der der Kirchen. Denn zum religiösen Bereich konnte sie als erklärtermaßen atheistische Partei nichts sagen und außerhalb des kirchlichen Bereichs konnte sich Eigenständigkeit und Eigensinn keinen organisatorischen Rahmen geben. Heute haben wir ein freies und vielfältiges Vereinswesen. Ein Drittel aller Thüringerinnen und Thüringer sind ehrenamtlich inner- und außerhalb von Vereinen engagiert. Die Bürger können selbst entscheiden, für was und in welcher Form und vor allen Dingen wann sie sich engagieren wollen. Heute ist die Mitgliedschaft in der DSF und anderen gesellschaftlichen Gruppen nicht mehr Voraussetzung dafür, dass man vermeintlich gesellschaftliche Anerkennung und berufliche Erfolge verzeichnen kann.

(Beifall CDU)

Mit dem Föderalismus, der kommunalen Selbstverwaltung und dem Subsidiaritätsprinzip ist auch auf unterschiedlichen politischen Ebenen Vielfalt eingekehrt.

Sechstens, meine Damen und Herren, aus Insassen eines Mauerstaates sind freie Bürger geworden. Im nächsten Jahr, am 13. August 2011, werden wir uns an 50 Jahre Mauerbau erinnern. Dieses Datum zeigt und diese Mauer zeigt wie kein anderes Bauwerk, dieser Staat war zum Davonlaufen und er musste Mauern bauen, um seine Bürger in

seinen Grenzen festzuhalten und ihnen ihre Freiheit wegzunehmen.

(Beifall FDP)

Meine Damen und Herren, die mit Blut gezogene Grenze ist nicht mehr. Wir leben in einem Europa, das frei ist und wo die Grenzen nicht mehr die Länder durchtrennen, sondern miteinander verbinden.

(Beifall CDU, FDP)

Ich will mich ausdrücklich - und ich bin da sehr froh gewesen - den Worten von Frau Siegesmund anschließen: Es hätte wunderbar gepasst nach diesen 20 Jahren deutsche Einheit, nachdem wir in Europa friedlich in Gemeinsamkeit leben und einen langen historischen Zeitraum in Frieden ohne Krieg in Europa haben, wenn der Ehrenbürger Europas und der Kanzler der deutschen Einheit Dr. Helmut Kohl heute den Friedensnobelpreis bekommen hätte. Nichtsdestotrotz, seine Lebensleistung ist unerreicht und zu würdigen. Aber ich danke ausdrücklich für Ihre Worte, dass Sie diese Auffassung mit uns teilen. Wir können dankbar sein, dass Helmut Kohl diese Lebensleistung für die deutsche Einheit und die Einheit Europas gebracht hat.

(Beifall CDU, SPD)

Meine Damen und Herren, die LINKEN fragen ja auch nach Zahlen. Jetzt ist es müßig, all diese Zahlen aufzublättern. Aber ich habe ein Buch gefunden: „Thüringen - ein statistisches Porträt“. Es stammt von den Statistischen Bezirksämtern der Städte Erfurt, Gera und Suhl aus dem Juni 1990. Die haben sich die statistischen Zahlen der Jahre 1988 und 1989 vorgenommen und sie aufbereitet. Es macht Sinn, diese aufbereiteten Zahlen von 1988/89 mit denen des Jahres 2010 zu vergleichen. Vielleicht, wenn man mit ein paar elementaren Dingen anfängt, wird sich manches gut erhellen. Vielleicht fange ich zuerst mit der Lebenserwartung an. Die ist zwischen den Jahren 1991 und 2009 bei den Männern um 7,8 Jahre und bei den Frauen um sieben Jahre angestiegen. Ganz nebenbei: Jeder achte Rentner musste sich 1989 noch etwas dazu verdienen, um mit seiner mickrigen Rente einigermaßen ein Auskommen zu haben.

(Beifall CDU, FDP)

Im Gesundheitswesen kam 1989 in Thüringen ein Arzt auf 432 Einwohner. Im Jahr 2010 kommt ein Arzt auf 282 Einwohner. Im Umweltschutz war es 1991 so, dass 16 Prozent der Flüsse im guten Zustand waren. Heute sagt die Statistik 70 Prozent der Flüsse sind in einem guten Zustand. Was wir aus dem Umweltschutz kennen, diesen schönen alten Spruch „In der DDR war alles grau, nur die Flüsse waren bunt.“, das ist lange Geschichte und vorbei.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

Meine Damen und Herren, das Bruttoinlandsprodukt ist im Verhältnis von 1989 zu 2010 um 211 Prozent je Erwerbstätigen und Euro gestiegen. Selbst bei den Löhnen, wo zu Recht auch oft darauf hingewiesen wird, dass viele so wenig verdienen, trotzdem sie den ganzen Tag arbeiten und es manchmal nicht reicht, die Familie zu ernähren, ist es so, dass das Arbeitnehmerentgelt in Euro umgerechnet ein Plus von 92,7 Prozent gegenüber der gleichen Entwicklung von 1989 bis 2010 im Westen von 32 Prozent erfahren hat.

(Beifall CDU, FDP)

Das muss gesagt werden, weil es auch dazu dient, ein Stück weit alles in die richtige Richtung einzuordnen. Wie sah es denn auf dem Wohnungsmarkt aus? 1989 gab es rund 1 Mio. Wohnungen für 2,6 Mio. Einwohner in Thüringen. Der Wohnungsmangel brach der DDR mit das Genick. 1989 hatten 25 Prozent dieser 1 Mio. Wohnungen nicht einmal eine Innentoilette und lediglich 46 Prozent eine moderne Heizung. Es gab zerfallende Altbauten und Plattenbauten und nicht zu Unrecht wurden manche von diesen als Arbeiterschließfächer bezeichnet. Im Jahr 2009 haben wir 1,17 Mio. Wohnungen für 2,2 Mio. Einwohner.

(Zwischenruf Abg. Gentzel, SPD: Wohnflä- che?)

Das war der richtige Zwischenruf, im Jahr 1989 betrug die Wohnfläche je Einwohner 28 m², heute beträgt der Quadratmeterdurchschnitt pro Einwohner und Wohnfläche 40 m². Wer erinnert sich nicht noch daran, als im Herbst 1989 14 Prozent der Thüringer - wenn überhaupt - nur ein Telefon hatten. Als wir die ersten Gespräche machen wollten 1989, um die Freunde in den alten Ländern anrufen zu wollen, musste man es einen Tag lang in irgendeinem zentralen Büro anmelden, damit man telefonieren konnte. Das ist alles Geschichte, aber es muss erwähnt werden. Sie wollten diese Zahlen hören, jetzt seien Sie ein Stück kurz dabei und lassen Sie sich Ihre Statistik mit unserer von heute im Jahr 2010 vergleichen.

(Beifall CDU, FDP)

Dann macht es Sinn, auch im Bildungswesen mal kurz nachzuschauen. Sie sind ja die, die regelmäßig von früh bis abends nach besserer Bildung schreien und wir mit Ihnen in Diskussion stehen, was ist das bessere Bildungssystem. Wie sah es denn in der DDR aus?

(Zwischenruf Abg. Bärwolff, DIE LINKE: Bes- ser.)

Die Übertrittsquote an die EOS betrug 1989 10 Prozent. Wir wissen das doch, es durften nicht die Besten an die Schule, sondern es durften auch Schlechte an die Schule, wenn sie sich für 25 Jahre

NVA verpflichtet haben, das war ihnen mehr wert als gute Schulleistung.

(Beifall CDU, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Heute haben wir eine Übertrittsquote an das Gymnasium von 44 Prozent gegenüber 10 Prozent an die EOS im Jahr 1989. Sie können doch alle an die alten Schulen gehen und fragen, wir waren doch alle dabei, wie schwierig das war. Die drei Besten wurden genommen und die anderen wurden ausgesucht. In meiner eigenen POS-Klasse war es doch so, da sind zwei an die EOS gekommen, weil sie kurz vorher für 25 Jahre Armee unterschrieben haben. Deswegen wurden andere mit 1,0 nicht genommen, obwohl sie die Silberne Lessingmedaille bekommen haben, durften sie nicht auf die EOS, weil die anderen, Hinz und Kunz, mit NVA-Erklärung 25 Jahre auf einmal hindurften. Auf einmal sind die Noten angestiegen, auf einmal hatten sie die EOS-Zulassung. Das muss doch alles mal gesagt sein.

(Beifall CDU, FDP)

Wie sieht es an den Hochschulen aus? Im Jahr 1988 hatten wir an den sechs Hochschulen in Thüringen 12.680 Studierende und wir haben im Jahr 2009 an fünf Hochschulen ohne die Fachhochschulen 36.422 Studierenden gehabt.

Um noch einmal auf die normale Volksbildung zu kommen. An den Volkshochschulen gab es 1988 in Thüringen 45.000 Besucher. Jetzt fragen Sie mal nach den Zahlen von heute: 125.692 Besucher an den Volkshochschulen. Und da wollen Sie uns weismachen, dass Bildungschancen bei Ihnen besser waren als heute in der freien Gesellschaft? Ich bezweifele das.

(Beifall CDU)

Meine Damen und Herren, ich will nicht davon sprechen - wir könnten das fortsetzen - wie es um die CO2-Ausstöße stand, um die Selbstständigenquote und all die anderen Fragen, die eine Rolle spielen, wenn man so eine Statistik miteinander aufarbeitet. Aber eine Infrastrukturzahl sei noch gesagt: Wir hatten im Jahr 1989 in Thüringen 250 Autobahnkilometer und wir haben jetzt im Jahr 2010 580 Autobahnkilometer. Wir haben das mehr als verdoppelt, was wir an verschlissener Infrastruktur 1989/90 vorgefunden haben. Wir sind dankbar, dass diese Infrastruktur sich so weiterentwickeln konnte und das ist gelungen, weil wir so große Hilfe von der Bundesrepublik Deutschland, aber auch von den Geberländern West erhalten haben im Rahmen des Solidarpakts II. Danke für diese Hilfe, sonst wäre die Infrastruktur nicht so toll, wie wir sie heute vorfinden.

(Beifall CDU)

Ich bin deshalb auch dankbar, dass die Ministerpräsidentin in diesen Tagen sich noch mal zu Wort gemeldet hat und noch mal eins klargestellt hat: Der Solidarpakt II ist ausgehandelt und unbestritten bis zum Jahr 2019 festgeschrieben. Wir brauchen ihn auch, weil er notwendig ist, um die restlichen teilungsbedingten Lasten weiter zu beseitigen, aber er dient auch dafür, diese notwendigen Ausgaben durch Einnahmen im Haushalt sicherzustellen. Damit das gelingt, deswegen zahlen mit Unterbrechung seit 1990 und darüber hinaus in verschiedenen Maßstäben und Veränderungen alle Bürger Deutschlands ihren Solidaritätszuschlag als Zuschlag zur Einkommensteuer, zur Kapitalertragssteuer und zur Körperschaftssteuer. Diese Summen fließen in den allgemeinen Haushalt hinein, daraus werden dann auch die Solidarleistungen für den Aufbau der neuen Länder finanziert. Ich finde es richtig, dass wir, solange der Aufbau Ost notwendig ist, auch am Solidaritätszuschlag festhalten. Gleichzeitig macht es Sinn, wenn wir im Jahr 2012 und darüber hinaus in eine Phase der Finanzierung kommen, wo der Bund durch den Solidaritätszuschlag mehr einnimmt, als er noch in den Aufbau Ost investiert, dass dann das übriggebliebene Geld auch dafür verwendet würde, in anderen Regionen Deutschlands das Geld zu investieren und auch dort zu helfen, dass Nachteile in den Regionen beseitigt werden. Deswegen soll es auch so sein, die Solidarität Ost ist festgeschrieben und muss erfüllt werden, aber gleichzeitig sollten die Chancen aus Überschüssen genutzt werden, auch in anderen Regionen Deutschlands zu helfen und Strukturnachteile auszugleichen.

(Beifall CDU, FDP)

Aber, meine Damen und Herren, eine Zahl will ich Ihnen noch nennen, weil die mich sehr freut. Im Jahr 1989 hatte allein im Bezirk Erfurt die SED 156.000 Mitglieder. Ich bin froh, dass in ganz Thüringen DIE LINKE jetzt gerade noch 7.000 Mitglieder hat. Auch da ist eine Menge passiert

(Beifall CDU, SPD)

und wir sind froh, dass sich das so entwickelt hat.

Meine Damen und Herren, wenn Sie schon so einen Bericht „20 Jahre Thüringen“ verlangen, dann hätte es sich gehört, dass Sie nicht nur fragen nach den Statistiken, die Sie interessieren, sondern dass Sie auch eine Verantwortung übernommen hätten und die GRÜNEN haben das zu Recht angesprochen -, dass Sie auch fragen: Wie steht es nach 20 Jahren um die Opfer unserer eigenen Diktatur? Sie haben es weggelassen, Sie haben es bewusst vorsätzlich wieder nicht abgefragt, weil es Sie nicht interessiert und weil es nicht ehrlich ist,

(Beifall CDU, SPD, FDP)

wenn Sie einmal so eine Debatte ansprechen.

(Beifall CDU)

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Sie haben überhaupt nichts beantragt, das ist ja lächerlich, und dann machen Sie am 7. Okto- ber so einen Krawattenzirkus.)

Meine Damen und Herren, der Ausgangspunkt ist noch eine Statistik, die ich sagen will. Im Jahr 1989 gab es allein in Thüringen 20.000 inoffizielle Mitarbeiter bei der Staatssicherheit; in ganz Ostdeutschland waren es 189.000 im Jahr 1989. Jedes 20. SED-Mitglied war selbst Spitzel, und dass daraus Opfer entstanden sind, meine Damen und Herren, das muss doch festgehalten werden, und dass die einen Anspruch darauf haben, dass sie aus ihrer nicht selbst verursachten, sondern durch die Diktatur verursachten Opferrolle herausbegehren, wieder gleichberechtigt in der Gesellschaft zu sein und Anerkennung und Entschädigung verlangen, das ist doch selbstverständlich. Sie hätten fragen können, fragen müssen: Wie steht es um die Opferentschädigung aus unserer eigenen Diktatur?

(Beifall CDU, SPD, FDP)

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Sie dürfen es doch sagen, niemand hindert Sie daran.)

Meine Damen und Herren, die Ministerpräsidentin hat deshalb zu Recht angesprochen im zweiten Teil ihrer Erklärung, dass Thüringen eine Menge geleistet hat und sich besonders dieser Gruppe der Opfer aus der SED-Diktatur angenommen hat. Das ist mindestens eine moralische Verpflichtung für die Gesellschaft, aber es ist auch eine notwendige Verpflichtung für politisch Handelnde, dass diese Opfer aus der Rolle von damals in der Diktatur in der heutigen Zeit keinen neuen Nachteil erleiden sollen. Deshalb ist es wichtig und richtig und ich bin dankbar, dass es Thüringen war, das als einziges Bundesland vor allen Dingen zum Beispiel den Zwangsausgesiedelten mit einer einmaligen Entschädigungsleistung geholfen hat. Es macht Sinn, dass sich auch darüber hinaus der Bund in besonderer Weise den Zwangsausgesiedelten widmet. Der 50. Jahrestag der Aktion „Kornblume“ im nächsten Jahr wäre dafür übrigens ein guter Anlass.