Protocol of the Session on October 8, 2010

(Unruhe im Hause)

(Zwischenruf Abg. Kellner, CDU: Das hättest du nicht gedacht, dass du das mal rettest.)

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben Diskussionsbedarf zu dem vorliegenden Gesetzentwurf. Ich bedaure, dass Herr Meyer auch darauf hereinfällt, wie diese Landesregierung diesen Landtag vorführt und ihn wieder in eine Falle lockt. Ich dachte, nachdem Frau Lehmann auf mich zugekommen ist und gesagt hat, wir haben alle keinen Diskussionsbedarf, kann denn DIE LINKE das nicht auch durchwinken ohne Diskussion, dass es da noch mal eine Rückkopplung mit der Landesregierung gegeben hätte.

Es ist eben bedauerlicherweise nicht so, dass das Gesetz jetzt vorsieht, dass Verwaltungshandeln im Zusammenhang mit Bürgeranträgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden auf kommunaler Ebene

unter die sachliche Gebührenfreiheit fallen soll. Ich darf also noch mal zitieren aus dem Gesetzentwurf. Es wird jetzt der Punkt 13 in Abs. 2 oder Nummer 13 neu geregelt - öffentliche Leistungen in Angelegenheiten des Wahlrechts, des Volksbegehrens, der Volksentscheid und des Bürgerantrags auf Landesebene. Da ist von der kommunalen Ebene nicht die Rede. Jetzt weiß der Innenminister aufgrund einiger Anfragen, dass es immer wieder Anwendungsprobleme gibt auf kommunaler Ebene, was die Gebührenfreiheit des Verwaltungshandelns im Zusammenhang mit kommunalen Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden betrifft.

Da gibt es einen CDU-Bürgermeister in Zeulenroda-Triebes, der erhebt doch tatsächlich für einen Antrag im Zusammenhang mit Bürgerbegehren eine Verwaltungskostengebühr von über 300 €. Die Rechtsaufsichtsbehörde, die untersteht dem Innenminister, bestätigt das Ding. Wir müssen erst zum Verwaltungsgericht, damit der Richter sagt, also liebe Leute, seit wann darf denn Demokratie durch solche Gebührenhürden eingeschränkt werden. Da dachten wir, jetzt wird es klargestellt. Nach einem Jahr der nächste Fall, diesmal in Unterbreizbach im Wartburgkreis, ein Antrag auf ein Bürgerbegehren erneut gebührenpflichtig, diesmal nicht im dreistelligen Bereich, es sind nur 35 €. Aber auch selbst dort müssen wir uns erst über eine Anfrage an die Rechtsaufsichtsbehörde wenden. Dort hat zum Glück das Innenministerium reagiert. Dafür bin ich dankbar. Der Bürgermeister hat formuliert - der hat übrigens das Mandat der SPD -, die sollen doch klagen. Zum Glück hat der Innenminister reagiert und die Rechtsaufsichtsbehörde und es konnte im vorgerichtlichen Verfahren geklärt werden.

Wir waren der Überzeugung, diese Anwendungsprobleme animieren die Landesregierung bei der Novelle des Gesetzes, das einfach mit aufzunehmen. Das ist doch überhaupt nicht schwer, einfach eine Klarstellung. Sicherlich hat der Innenminister recht, der sagt und die Finanzministerin hat das jetzt noch mal bestätigt, das ergibt sich aus dem Sachzusammenhang. Wir kennen ja nun, es gibt solche und solche kommunalen Akteure und wenn wir solche Anwendungsprobleme haben, warum erweitern wir nicht einfach diese Passage und sagen, das trifft auch auf die kommunale Ebene zu. Deswegen haben wir auch den Diskussionsbedarf. Die Landesregierung kann jetzt nicht mehr reagieren, denn der Gesetzentwurf ist zugeleitet. Frau Lehmann hatte von uns den Hinweis. Aus der CDUund der SPD-Fraktion gibt es bisher keine Reaktion darauf, das kann noch im Ausschussverfahren kommen. Wir unterstützen gern dort die Regierungskoalition und werden entsprechend einen Änderungsantrag einbringen. Es widerspiegelt nur die jetzige Rechtsanwendung und die Finanzministerin hat formuliert, es geht auch um Rechtsklarheit und deshalb sollten wir das mit aufnehmen.

(Abg. Meyer)

Zu einem zweiten Punkt, wo wir Probleme sehen, wo wir auch Klarstellungen für notwendig erachten, das ist die persönliche Gebührenfreiheitspflicht für Parteien und ihre Fraktionen und Wählergruppen. Auch dort haben wir einen aktuellen Fall in der Stadt Eisenach, dass die LINKE, die dort eine Plakatierung durchgeführt hat, einen Gebührenbescheid erhalten hat von 80 €. Es gab ein Verfahren beim Verwaltungsgericht. Das Verwaltungsgericht hat das bestätigt und hat gesagt, solange das gesetzlich nicht geregelt ist, das ist eine Sondernutzung, kann es gebührenpflichtig werden. Nun stellen Sie sich mal vor, wir haben 950 Gemeinden in Thüringen. Eine Partei möchte außerhalb von Wahlzeiten, denn während der Wahlzeit ist die sachliche und persönliche Gebührenfreiheit gesichert, und die Parteien müssen, sie sind privilegiert laut Grundgesetz und sollen an der Meinungsbildung mitwirken und eine Partei in Thüringen will eine landesweite Plakataktion machen in 950 Gemeinden und jede Gemeinde erhebt wie die Stadt Eisenach dafür eine Gebühr von 80 €. Das sind 80.000 €. Ich weiß nicht, ob es in Thüringen eine Partei gibt, die einfach einmal 80.000 € für eine Plakataktion ausgeben kann, und ob da nicht die Privilegierung der Parteien, nämlich zur Meinungsbildung beitragen zu dürfen, nicht eingeschränkt wird.

Jetzt kommen wir zu Widersprüchen, dass nämlich zum Beispiel Initiatoren eines Volksbegehrens, die fallen unter die Gebührenfreiheit, warum nicht die Parteien und ihre Fraktionen, die in der Verfassung noch privilegiert sind? Und wir haben die persönliche Gebührenfreiheit auch für Kirchen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften. Wenn aber Kirchen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften unter dieses Privileg der persönlichen Gebührenfreiheit fallen, weshalb dann nicht Parteien und ihre Fraktionen? Dies ist aus unserer Sicht nicht sachgerecht und das wollen wir auflösen. Auch das werden wir im Ausschuss thematisieren und werden sicherlich auch mit den Experten und Betroffenen im Rahmen der Anhörung darüber in den Dialog kommen. Ich bitte insbesondere die Vertreter der Regierungskoalition, dann im Ausschuss auch eine mündliche Anhörung zu diesen Sachverhalten zu ermöglichen, denn wir brauchen den Dialog darüber. Sie wissen, im Rahmen einer schriftlichen Anhörung ist ein Dialogverfahren nahezu ausgeschlossen.

Zu einem dritten Punkt, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wir reden über die Notwendigkeit, alle Einnahmemöglichkeiten auszuschöpfen, auf Landesebene, auch auf kommunaler Ebene. Nun ist Verwaltungshandeln sehr vielschichtig, sehr differenziert und es gibt bestimmte Verwaltungsentscheidungen, die vermitteln tatsächlich für einen engen Kreis von Betroffenen einen materiellen Vorteil, die darüber hinaus auch noch in der Lage sind,

dies zu finanzieren, die also als leistungsfähig gelten. Das ist jetzt sehr abstrakt, deswegen möchte ich es an einem Beispiel festmachen: Ich habe wenig Verständnis dafür, dass im Bereich Kfz- und Zulassungswesen das Verwaltungshandeln aus dem allgemeinen Steueraufkommen subventioniert wird. Da bin ich für die Durchsetzung des Kostendeckungsgebotes, und zwar nach realen Kosten. Sie wissen, das betrifft auch kalkulatorische Kosten, die da mit einzubeziehen sind. Es ist nicht einzusehen, dass dort das subventioniert wird, zumindest nicht in einer Zeit, wenn gleichzeitig soziale Projekte mit Mittelkürzungen zurechtkommen müssen. Oder im Bereich der Bauordnungsbehörden, was Bauanträge betrifft: Auch dort sind wir davon überzeugt, ist der Vorteil für den Antragsteller genau zu fassen und muss auch im Rahmen des Kostendeckungsprinzips kostendeckend erfolgen.

Nun ist dieser Katalog dieses Verwaltungshandelns sehr dynamisch und deshalb nicht geeignet, im Gesetz zu regeln, sondern wir schlagen vor, über eine Verordnungsermächtigung die Landesregierung in die Lage zu versetzen, diesen Katalog ständig fortzuschreiben, also das Verwaltungshandeln zu definieren, wobei dann bei der Gebührenerhebung das Kostendeckungsgebot festgeschrieben wird. Wir wollen damit - und ich hoffe, das nehmen Sie zur Kenntnis - bewusst einen Beitrag dazu leisten, dass das Äquivalenzprinzip durchgesetzt wird und dass natürlich wir uns auch um Einnahmen kümmern, dort, wo sie berechtigt und sachlich gerechtfertigt sind.

Eine letzte Anmerkung: Wie differenziert Kommunen gegenwärtig das Verwaltungskostengesetz anwenden - und die Finanzministerin hat ja davon gesprochen, es ist modern, es ist rechtssicher und es ist anwenderfreundlich -, will ich an einem Beispiel festmachen. Auf Grundlage des Verwaltungskostengesetzes erheben auch die Widerspruchsbehörden Widerspruchsgebühren in Rechtsmittelverfahren, z.B. gegen Kommunalabgabenentscheide. Dort handelt es sich ja oftmals um sogenannte Massenverfahren. Wenn jetzt ein Zweckverband Beitragsbescheide erlässt, dann ist die Rechtsaufsichtsbehörde oftmals mit einer Vielzahl von Widersprüchen konfrontiert oder bei Straßenausbaubeiträgen analog. Allerdings steigt der Verwaltungsaufwand nicht linear mit der Anzahl der Verfahren, sondern er ist degressiv, weil natürlich die Behörde sich nur einmal mit dem Satzungsrecht beschäftigen muss, nur einmal mit der Kalkulation und dann ja nur noch mal draufschauen muss, ob der einzelne Widerspruch noch eine Besonderheit aufweist. Deshalb haben wieder einige Widerspruchsbehörden eine sehr vernünftige Entscheidung auf Grundlage des Verwaltungskostengesetzes getroffen. Dazu gehört z.B. der Wartburgkreis mit einem CDULandrat - das betone ich bewusst, um nicht in den Verdacht zu geraten, dass ich ihm politisch nahe

stehe und deshalb ihn hier lobe -, der hat verfügt, bei solchen Massenwidersprüchen wird die Widerspruchsgebühr einheitlich mit 40 € festgesetzt. Das ist vernünftig und ist auch für die Widerspruchsführer nachvollziehbar. Ein anderer Landrat aus meinem Kreis, wo ich auch im Kreistag bin, im IlmKreis, auch CDU, der betrachtet den Bürger ein bisschen so als eine Größe, die eher der Verwaltung feindlich gegenübersteht nach dem Prinzip „Kommunalpolitik macht so viel Spaß, es gibt nur eins, was stört, das ist der Bürger“, der verfügt 5 Prozent der Bescheidsumme als Verwaltungskosten. Stellen Sie sich vor, der dortige Zweckverband Arnstadt erhebt Abwasserbeiträge, zum Teil 5.000 €, wie schnell ist man da bei 250 €, 300 € pro Widerspruch, obwohl der Aufwand identisch ist. Auch mit diesen Problemen müssen wir uns mal beschäftigen, ob wir über das Verwaltungskostengesetz möglicherweise die Rechte der Bürger, das Rechtsmittel wahrzunehmen, also eine Verwaltungsentscheidung noch mal zu überprüfen, nicht einschränken, insbesondere wenn es um solche Massenwidersprüche geht. Es gibt übrigens sehr viele Aufgabenträger und Gemeinden, die haben wenig mit Widersprüchen zu tun. Wir haben uns mal damit beschäftigt, wo da die Ursachen liegen. Die haben einfach ein anderes Verhältnis zu ihren Bürgern. Die verschicken nicht wie jetzt die Stadt Neustadt-Orla - ich weiß gar nicht, wie die darauf kommen - in dieser Woche Straßenausbaubeitragsbescheide, die Bürger waren heute bei mir, für eine Baumaßnahme im Sanierungsgebiet, wo ich große Zweifel habe, ob da überhaupt eine Beitragspflicht entsteht, von 14.000 €, fällig am 21.12.2010 - Fröhliche Weihnachten! Also wie kann ein Bürgermeister so was aus seinem Haus rausgeben und damit Ängste erzeugen? Da steht nicht mal drin, dass das Land Zinsbeihilfen gewährt und dass sie einen Anspruch haben auf Stundung, weil das Ängste schon mal nehmen würde. Nein, es steht nur eins drin, wenn sie sich wehren, müssen sie erst mal zahlen, das ist klar und da werden auch Verwaltungskosten auf Grundlage des Verwaltungskostengesetzes fällig und dann wird nur der Korridor formuliert von 30 € bis 3.000 €. Was denken die Leute? Die sagen, jetzt muss ich schon 14.000 € Straßenausbaubeiträge bezahlen und wenn ich mich wehre, darf ich noch bis zu 3.000 € Verwaltungskosten bezahlen. Dabei ist das ja nur der Korridor, übernommen als Textbaustein aus dem Gesetz. Also auch da sollten wir in der Ausschussberatung noch mal nachdenken, ob wir im Gesetz nicht entweder als Ermächtigung für den Verordnungsgeber oder durch gesetzliche Regelungen hier Ordnung schaffen, dass die Behörden auch mit dem Bürger vernünftig umgehen und nicht zusätzliche Ängste schüren und insbesondere Menschen nicht davon abhalten, ihr legitimes Mittel im Rechtsstaat wahrzunehmen, nämlich noch einmal eine einseitige Willenserklärung der Behörde, das ist ja der Ver

waltungsakt, noch einmal rechtlich überprüfen zu lassen. Sie sehen, meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt durchaus Diskussionsbedarf zu einem scheinbar sehr trockenen juristischen Thema. Aber uns gelingt es immer wieder, daran auch die Vielfalt des Lebens festzumachen.

(Beifall DIE LINKE)

Sie wissen, unser Grundsatz ist aus Sicht des Bürgers heraus auch Gesetze zu bewerten. Wir sind davon überzeugt, hier haben wir noch über das, was die Landesregierung jetzt uns vorgeschlagen hat, was wir mittragen - das will ich zum Schluss noch betonen, das, was die Landesregierung hier als Änderung vorgeschlagen hat, tragen wir mit -, aber es gibt noch andere Probleme, beispielhaft habe ich hier drei genannt und diese sollten wir weiter in der Ausschussberatung und dann auch im Rahmen der Anhörung diskutieren. Danke.

(Beifall DIE LINKE)

Vielen herzlichen Dank, Herr Abgeordneter Kuschel. An welchen Ausschuss möchten Sie das denn gern überweisen, an den Innenausschuss?

Federführend an den Haushalts- und Finanzausschuss und an den Innenausschuss.

Vielen herzlichen Dank. Es gibt jetzt keine weiteren Wortmeldungen. Oder gibt es noch Wortbeiträge vonseiten der Regierung? Frau Ministerin Walsmann, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, eine kurze Anmerkung. Über die konkreten Änderungsvorschläge, denke ich, reden wir dann im Ausschuss. Ich wollte nur noch einmal nachfragen. Ich denke, bei den Plakatierungen, das ist im Rahmen des Straßengesetzes, dieser Sondernutzungserlaubnistatbestand. Ich denke, das geht in die Richtung. Für Sondernutzungen trifft § 21 Abs. 1 Thüringer Straßengesetz zu, wo Sondernutzungsgebühren erhoben werden können. Da gibt es im Übrigen auch einen Runderlass des Innenministeriums und des Wirtschaftsministeriums dazu, die den Gemeinden in geschlossenen Ortschaften empfohlen haben, die Sondernutzung der Straße für Wahlwerbung von der Erlaubnispflicht zu befreien. Das haben sie ja insbesondere getan vor Wahlen in bestimmten Korridoren oder in Zeiten vor Wahlen. Wenn jetzt keine Befreiung von der Erlaubnispflicht erfolgt, da wurde ja auch in diesem Schreiben empfohlen, auf Gebührenerhebungen usw. zu verzich

(Abg. Kuschel)

ten. Trotzdem müssen wir feststellen, dass Sondernutzungsgebühren keine Verwaltungskosten im Sinne des Thüringer Verwaltungskostengesetzes sind, also da ist die Rechtfertigung, die Grundlage im Straßengesetz angelegt. Insofern müssen wir uns im Ausschuss dann wirklich noch einmal über die unterschiedlichen Grundlagen unterhalten. Danke.

Vielen herzlichen Dank, Frau Ministerin Walsmann. Es wurde Ausschussüberweisung beantragt, zunächst an den Haushalts- und Finanzausschuss und dann auch an den Innenausschuss.

Wir stimmen zunächst über die Überweisung an den Haushalts- und Finanzausschuss ab. Wer dieser Überweisung so zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Vielen herzlichen Dank. Das ist Zustimmung aus allen Fraktionen. Gibt es Gegenstimmen? Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? Das ist auch nicht der Fall. Damit ist dieser Gesetzentwurf an den Haushalts- und Finanzausschuss überwiesen.

Jetzt stimmen wir ab über die Überweisung an den Innenausschuss. Wer auch dieser Überweisung die Zustimmung erteilt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Das sind Stimmen aus der Fraktion DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP. Gibt es Gegenstimmen? Das sind die Stimmen aus den Fraktionen CDU und SPD. Gibt es Enthaltungen? Das ist nicht der Fall. Damit ist diese Ausschussüberweisung abgelehnt.

Damit ist auch die Federführung klar, weil es nur an einen Ausschuss überwiesen wurde.

Ich schließe diesen Tagesordnungspunkt und rufe jetzt auf den Tagesordnungspunkt 7

Thüringer Erwachsenenbildungsgesetz (ThürEBG) Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 5/1534 ERSTE BERATUNG

Der Minister ist da und er hat auch das Wort.

Frau Präsidentin, meine werten Kolleginnen und Kollegen, ich will es angesichts der fortgeschrittenen Zeit heute versuchen kurz zu machen. Sie wissen, Lernen ist wie Rudern gegen den Strom; sobald man aufhört, treibt man zurück. Deshalb ist es wichtig, dass wir lebenslange, lebensbegleitende Lernprozesse organisieren, denn unsere Gesellschaft, unsere Arbeitswelt verändern sich rasant. Es ist wichtig, dass Menschen die Möglichkeit ha

ben, sich diesen rasanten Veränderungen anzupassen. Dazu dient unser System der Erwachsenenbildung. Dieses ist seit 2005 in einem Erwachsenenbildungsgesetz geregelt. Damit ist diese vierte Säule des Bildungssystems fest auch rechtlich etabliert.

Ziel der Landesregierung ist, dieses System abzusichern und weiter auszubauen; so ist es auch im Koalitionsvertrag festgehalten. Mit Ablauf dieses Jahres tritt das bislang gültige Gesetz außer Kraft. Deshalb haben wir uns angeschaut, welche Veränderungen hat es seit 2005 gegeben und was muss neu im Gesetz verankert und aufgenommen werden. Das neue Gesetz wertet die Erwachsenenbildung auf und es wird zudem ein verstärktes Augenmerk auf die gute Zusammenarbeit mit den anderen drei Säulen im Bildungssystem gelegt. Die Ziele des Gesetzes wurden neben der redaktionellen Überarbeitung auch inhaltlich weiterentwickelt. Ein Ziel der Erwachsenenbildung ist künftig auch die Berücksichtigung der Aspekte der Bildung für nachhaltige Entwicklung und die Stärkung der integrativen Kräfte. In der Grundbildung wird neben Veranstaltungen zum externen Erwerb von Schulabschlüssen auch das Angebot von Alphabetisierungskursen genannt und künftig können entsprechende Angebote von allen Einrichtungen der Erwachsenenbildung erbracht werden. Wir wollen mit dem neuen Gesetz moderne Steuerungsmodelle mit Zielvereinbarungen in der Projektförderung etablieren. Ich sage an dieser Stelle aber auch deutlich: Einige Punkte müssen offen bleiben, z.B. die Frage der Bildungsfreistellung, die auch im Koalitionsvertrag angeschnitten ist, die werden wir mit dieser Gesetzesnovelle noch nicht regeln können, sondern erst in den kommenden Jahren auf den Weg bringen. Das Finanzierungsmodell, das seit Anfang 2006 gilt, hat sich bewährt, bleibt im Grundsatz auch unangetastet. Weiterhin soll es einen Sockelbetrag in Höhe von 35.000 € für jede Volkshochschule sowie für jeden freien Träger und in Höhe von 50.000 € für jede Heimvolkshochschule geben. Zudem sollen bei der Bemessung der Grundförderung die Unterrichtsstunden bzw. die Teilnehmertage berücksichtigt werden. Auch bei diesem Gesetz ist es so, dass Einzelheiten der Berechnung dann in einer Durchführungsverordnung geregelt werden. Diese wird gerade noch mit den Erwachsenenbildungseinrichtungen in einer Arbeitsgruppe diskutiert. Klar ist - das gilt auch für die anderen Bildungsbereiche -, dass wir auch hier der Haushaltslage Rechnung tragen müssen; auch hier wird es zu moderaten Einsparungen kommen. Im Haushalt 2011 sind knapp 5,6 Mio. € eingestellt. Das ist weniger als in diesem Jahr, aber immer noch deutlich über dem Ansatz des Jahres 2009. Damit wollen wir auch deutlich machen, dass Erwachsenenbildung eine wichtige Zukunftsinvestition bleibt. Wir haben gestern Abend den parlamentarischen Abend mit den Volkshochschulen hier gemeinsam im Hause gehabt und ich will auch heute noch ein

(Ministerin Walsmann)

mal die Gelegenheit nutzen, all denen, die dort im hauptamtlichen Bereich arbeiten, aber auch den vielen, die als Kursleiter im ehrenamtlichen Bereich tätig sind, meinen ganz herzlichen Dank auszusprechen. Hier wird eine sehr wichtige und wertvolle Arbeit für Thüringen geleistet.

(Beifall SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Entscheidend ist, dass das System Erwachsenenbildung rechtlich auf sicheren Füßen steht, finanziell langfristig planen kann und wir die Bildungsprozesse, die notwendig sind, damit Menschen auf der Höhe der Zeit bleiben, hier in Thüringen gut organisieren können. Ich bitte auch bei diesem Gesetz um eine konstruktive und zügige Beratung, damit wir rechtzeitig zum 1. Januar des kommenden Jahres das neue Gesetz in Kraft setzen können. Herzlichen Dank.

(Beifall SPD)

Ich eröffne die Aussprache und rufe auf für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Abgeordnete Rothe-Beinlich.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Minister Matschie, Sie haben es gesagt, gerade erst gestern waren wir zu Gast hier im Hohen Haus beim parlamentarischen Abend des Volkshochschulverbandes und haben uns eindrucksvoll die Berichte angehört, welche wichtige Arbeit dort geleistet wird. Wir wissen alle, dass sich die Qualität einer Gesellschaft daran auch bemisst, wie sie den Menschen ermöglicht, ihr Leben zu leben, und dass Bildung und der Zugang zu Bildung dabei eine herausragende Rolle spielen, ist auch deutlich geworden, nicht zuletzt an dem Beispiel, was ich heute schon an anderer Stelle erwähnt habe, wie ein junger Mann seinen Lebensweg geschildert hat und wie es ihm möglich war, über die Volkshochschulen bestimmte Bildungsabschlüsse zu erreichen.

Die Lebenschancen des Einzelnen hängen heute aufgrund der Anforderungen in der Arbeitswelt und im Alltag immer mehr von Bildung und Wissen ab, aber - und das will ich auch ganz deutlich sagen es geht dabei um mehr als um bloße Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt, denn Bildung vermittelt auch soziale Kompetenzen und ist Teil der Erziehung zur Demokratie. Das ist mir ganz wichtig auch an dieser Stelle zu erwähnen. In einer Wissensgesellschaft können Teilhabe und Innovation nur gesichert werden, wenn wir lebenslanges Lernen auch stärker fördern, und dafür tragen wir ja hier die Verantwortung. Gerade durch die demographische

Entwicklung, das wissen wir auch, werden uns in vielen Bereichen bald Fachkräfte fehlen. Das ist zum Teil auch schon der Fall. Ältere werden nicht mehr so früh aus dem Erwerbsleben ausscheiden wie derzeit. Mit Geld allein ist es dabei nicht getan, sondern es braucht auch Teilhabechancen auch für die, die beispielsweise lehren. Da haben wir ja gestern ein eindrucksvolles Beispiel gehört, von der 71-jährigen Deutschlehrerin, die seit acht Jahren, wenn ich mich richtig erinnere, in der JVA Gräfentonna unterrichtet. Ebenso wichtig sind Bildungsberatung, Alphabetisierungskurse - Sie sprachen es an -, Angebote für besondere Zielgruppen und natürlich auch das Wissen darum, dass Lernen uns ein Leben lang begleiten wird und das Erwachsenenalter nun mal der längste Lebensabschnitt ist, in dem wir dazulernen wollen und auch müssen. Bildung sichert Selbstständigkeit und soziale Integration jeder und jedes Einzelnen. Sie ist auch Voraussetzung für Kreativität und Innovation, egal ob es um gesellschaftliches Engagement oder wirtschaftliche Aktivität geht. Daher stellt Erwachsenenbildung als ein fundamental wichtiger Bestandteil des lebenslangen Lernens für unsere Zukunft ein wichtiges Handlungsfeld dar, indem wir als Politik die Chancengerechtigkeit im Zugang zu Bildung im Erwachsenenalter definieren und festlegen. Von daher ist es positiv zu bewerten und wir wollen ja eine konstruktive Debatte führen, dass wir im Zuge der Novellierung durch das Auslaufen des Gesetzes über Erwachsenenbildung und den dazu von der Landesregierung vorgelegten Gesetzentwurf sprechen können.

Was sind unsere Prämissen für eine erfolgreiche Erwachsenenbildungspolitik? Wir meinen, es braucht die Sicherung und den Ausbau eines wohnortnahen und pluralen und bezahlbaren Erwachsenenbildungsangebots, um Bildungsbarrieren abzubauen. Dass sich die Erwachsenenbildung in den letzten Jahren, gerade nach 1989, sehr plural und, wie wir meinen, auch sehr gut entwickelt hat, das wissen alle, die die Träger der Erwachsenenbildung kennen, erleben dürfen und ihre Arbeit wertschätzen und deren Früchte tragen. Wir wollen den Trägerpluralismus in Thüringen erhalten und die Arbeit der Träger planbar machen und auf solide Beine stellen. Wir sind der Meinung, dass es dafür drei Voraussetzungen braucht: Erstens muss die Grundfinanzierung der Einrichtung gesichert werden. Zum Zweiten braucht es mehr Geld pro Unterrichtsstunde zur Verfügung, um die Qualität der Angebote zu sichern, und drittens - das sage ich ganz deutlich, weil wir ja den Haushalt immer mitdenken müssen, denn er wird ja parallel schon mitberaten -, im Bereich der Erwachsenenbildung kann nicht derart gestrichen werden, wenn wir das aufrechterhalten wollen.

Zu Ihrem Anspruch an den Gesetzentwurf vonseiten der Regierung, Herr Matschie, haben Sie ja Ihre

(Minister Matschie)

Punkte ausgeführt, die Ihnen wichtig sind. Ich möchte auch aufgrund der schon fortgeschrittenen Zeit zu unserer Bewertung des Gesetzentwurfs kommen. In den Vorbemerkungen spricht die Landesregierung davon, dass das bisherige Gesetz sich bewährt habe. Aus Sicht der freien Träger der Erwachsenenbildung jedoch hat sich das Thüringer Erwachsenenbildungsgesetz mitnichten derart bewährt. So schildern Einrichtungen, dass die mit der Gesetzesnovelle 2005 einhergehende Neuprofilierung der Thüringer Erwachsenenbildung, flankiert damals durch eine rigide Kürzung der Fördermittel, durchaus fatale Folgen hatte. Vor dem Hintergrund einer Strategie des lebenslangen Lernens und der Stärkung von Erwachsenenbildung kann das bisherige Gesetz nicht als „sich bewährt“ angesehen werden. Ich will das kurz erläutern:

1. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Einrichtungen wurden durch die Sparpolitik weiter eingeengt. Es gab drastische Kürzungen der Fördermittel, die Kofinanzierungsfähigkeit der Einrichtung ging teilweise verloren. Zentrale nationale und internationale Programme, zum Beispiel Lernen vor Ort, EU-Programme etc., sind nicht finanziert worden.

2. Die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen der Beschäftigten in der Erwachsenenbildung wurden weiter verschlechtert. Die Arbeitsbedingungen im öffentlichen Erwachsenenbildungssektor sind weit entfernt von tariflichen Parametern wie zum Beispiel dem TVöD, wie wir ihn hier kennen. Stattdessen beobachten wir immer mehr prekäre Beschäftigungsverhältnisse in all ihren Facetten, sowohl bei der Entlohnung als auch was Befristungen von Arbeitsverhältnissen anbelangt etc. In der Praxis ist damit auch eine gesellschaftliche Ent- und Abwertung der Erwachsenenbildung zu konstatieren.