Protocol of the Session on October 8, 2010

Ich glaube, das ist auch ein Punkt, das muss man einfach heute hier sagen. Sie können doch vorgehen, Herr Kollege. Sie sitzen in der Nähe von einem, der eigentlich hier draußen sein sollte, wenn wir reden, aber Sie können doch vorgehen.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was sagen Sie, wer hier im Saal bleiben darf? Das ist doch unmöglich.)

Sie können doch hier vorgehen. Seit wann nehmen Sie denn Stasispitzel in Schutz? Da bin ich aber jetzt wirklich ein bisschen von den Socken. Ich habe Ihnen gestern wirklich mit vollem Herzen und Inbrunst gedankt, wie Sie sich gestern geäußert haben. Ich hoffe, dass Sie das jetzt nur aus parlamentarischer Sicht sagen und nicht, dass Sie einen Stasispitzel jetzt schützen wollen. Davon gehe ich doch aus, Herr Adams. Ich gestatte die Frage.

Herr Abgeordneter Fiedler, ein klein wenig Mäßigung in der ganzen Runde würde ich an dieser Stelle vorschlagen und außerdem, die Frage haben Sie ja schon gestattet von Herrn Adams. Bitte, Herr Adams.

Lieber Herr Fiedler, würden Sie mir denn zustimmen, dass über die Frage, welche Personen hier in diesem Hohen Hause sind, die Bevölkerung des Freistaats Thüringen abstimmt? Würden Sie mir nicht zustimmen, dass es ein hohes Gut dieses Rechtsstaates, dieser parlamentarischen Demokratie ist, dass das Volk darüber abstimmt und dass wir das alle akzeptieren, so sehr es einzelnen möglicherweise missfällt?

Herr Adams, da stimme ich Ihnen nur teilweise zu, weil man natürlich auch wissen muss, das Volk, dass sie damals einen Stasispitzel gewählt haben. Dann hätten sie das ankreuzen müssen oder hätten es sagen müssen, ich war Stasispitzel, bitte entscheide darüber, ob ich gewählt werde oder nicht. Ich will Sie da überhaupt nicht belehren. Ich weiß auch um die Demokratie und dass die in den alten Ländern und von der Rechtsstaatlichkeit ganz anders betrachtet wird.

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich hätte mir gewünscht, dass sich viele, auch Altparlamente, in der Bundesrepublik alt auch hätten überprüfen lassen. Auch das hätte ich mir gewünscht. Das gehört auch zum gesamtdeutschen Zusammenwachsen. Da haben es auch viele leider nicht gemacht. Ich entscheide nicht darüber, aber der vorhergehende Landtag in diesem Hohen Haus

hat damals eine Entscheidung getroffen. Mit großer Mehrheit ist eine Entscheidung getroffen worden, dass man dem damaligen Mitglied der letzten Legislaturperiode - nicht unserer -, den Herrn Kuschel als Stasi-IM bezeichnen darf, als IM Kaiser.

Mehr konnten wir nicht machen und das haben wir gemacht und das muss auch heute noch zu sagen sein. Die Überprüfungen laufen ja übrigens von allen Parlamentariern und, ich denke, dass das entsprechende Hohe Haus, die dabei sind, darüber entscheidet.

Meine Damen und Herren, ich will das gar nicht hier in irgendeiner Form hochstilisieren, aber das gehört auch mit zur Geschichte, dass man zu seiner Geschichte steht und dann die auch offen ansagt. Wenn man das macht - hatten Sie etwas gesagt, Frau Rothe-Beinlich, was ich überhört habe. Sie können es ja gern noch einmal etwas lauter sagen.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist schon sicher, Herr Abteilungsleiter.)

Oh, Frau Rothe-Beinlich, Sie haben es wohl nie zum richtigen Abschluss gebracht, sonst wären Sie vielleicht auch etwas geworden.

Meine Damen und Herren, jetzt kommen wir zu dem Punkt, zu dem ich nicht hin wollte, ich hatte aber darauf gewartet, dass das von Ihnen kommt. Mir geht es darum, meine Damen und Herren, wir bleiben dabei, dass wir diese unsere friedliche Revolution - denke ich mal - alle gut hingekriegt haben. Wir haben jetzt im Freistaat Thüringen viele Dinge noch nachzuarbeiten. In dem Antrag steht ja drin „Bilanz, Probleme und Perspektiven“ - natürlich gibt es noch Probleme, ich habe einige genannt. Ob das jetzt Billiglohn ist, es gibt so viele Dinge, die noch zu klären sind. Unsere Straßen müssen noch verbessert werden. Es muss uns endlich gelingen, mal wieder etwas auf die Schiene zu kriegen. Wir reden immer und reden und reden. Selbst zu grünen Zeiten ist nichts auf die Schiene gekommen. Vielleicht gelingt es dem neuen, unserem Minister mit seiner Konferenz das noch ein bisschen herauszuarbeiten, dass wir, lieber Christian Carius, mehr auf die Schiene bekommen. Da muss es hin, auf die Schiene muss es.

(Beifall CDU)

(Zwischenruf Abg. Schubert, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ja, auf die Schiene.)

Da können Sie sich aufregen wie Sie wollen, ich lasse mich überhaupt nicht aus der Hütte locken. Aber eines will ich Ihnen auch noch einmal sagen, meine Damen und Herren, ich versuche und viele andere machen das auch, damit ich Ihnen auch dieses noch einmal deutlich machen kann, und ich kenne viele Abgeordnete vor Ort die das machen. An mich ist mal die Frage herangetragen worden

vor längerer Zeit, ob ich nicht Botschafter werde von der Agentur für Arbeit für KOOP, sprich „50 Plus“. Da habe ich mir das angehört, da habe ich gesagt, das mache ich sehr gern. Dass man Gespräche herbeiführt, Unternehmen an einen Tisch bringt, Institutionen an einen Tisch bringt und versucht, gerade Ältere, die lange arbeitslos sind und ich kann Ihnen sagen, das wissen viele von Ihnen so wie ich, wie schwer das ist, wenn man mehrere Jahre arbeitslos war, die muss man überhaupt daran gewöhnen, dass sie früh wieder aufstehen, dass sie an die Arbeit kommen und dass sie dort was machen.

Herr Abgeordneter Fiedler, Ihre Redezeit geht zu Ende.

Das hätten Sie mir ein bisschen eher sagen können.

Meine Damen und Herren, ich bin froh, im wiedervereinigten Deutschland zu leben.

Und jetzt an die GRÜNEN - und da können Sie aufjaulen, wie Sie wollen -, ich sage Ihnen von diesem Platz aus, ich werde Sie weiterhin bezeichnen als vaterlandslose Gesellen, die gestern nicht für Schwarz-Rot-Gold waren, die nehme ich ausdrücklich aus. Und da können Sie sich aufregen, wie Sie wollen.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das stimmt doch gar nicht.)

Das gehört auch zur Rede- und Pressefreiheit und das hat damals Thierse auch gesagt. Und dazu stehe ich.

Ihre Redezeit ist jetzt zu Ende.

(Beifall CDU)

Herr Abgeordneter Fiedler, für die „vaterlandslosen Gesellen“ spreche ich Ihnen einen Ordnungsruf aus.

Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, möchte ich im Sinne des Hohen Hauses noch einmal darauf verweisen und erinnern, dass der Verzehr von Speisen und Getränken hier nicht gestattet ist.

(Zwischenruf Abg. Holzapfel, CDU: Wer macht denn das?)

Es ist nur eine Erinnerung. Ich rufe jetzt auf den Herrn Abgeordneten Dr. Augsten für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Abg. Fiedler)

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, zunächst eine Bemerkung, zu dem was Herr Fiedler zum Schluss gesagt hat. Herr Fiedler, schauen Sie bitte mal im Protokoll nach oder lassen Sie sich vom Parlamentarischen Geschäftsführer Ihrer Fraktion mal unterrichten, wie das gestern wirklich gewesen ist und hören Sie auf mit diesen Mythen, die Sie hier verbreiten.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Ich habe es doch gesehen.)

Nein, schauen Sie nach, was gestern wirklich gewesen ist. Vielleicht hilft das dann, dass auch Sie zur Wahrheit finden.

Meine Damen und Herren, selbstverständlich habe ich es bei so einem wichtigen Thema zunächst einmal meiner Fraktionsvorsitzenden überlassen, zu sprechen, aber trotzdem treibt es mich, als jemanden, der mehr Zeit seines Lebens in dieser fürchterlichen Diktatur verbracht hat als in der Freiheit, nach vorn. Ich sage Ihnen ganz deutlich und Sie merken auch, es geht mir sehr nahe, für mich war das, was vor 20 Jahren passiert ist, die zweite Geburt.

(Beifall FDP)

Das liegt daran, dass ich vielleicht 15 Jahre lang, wenn ich aufgestanden bin und zum Fenster rausgeschaut habe, Stacheldraht gesehen habe. Dass ich in einem Dorf gewohnt habe, wo nur eine Straße rein ging und wieder raus und dass ich dann als Militärkraftfahrer Menschen rausfahren musste, Kommandos, die Totgeschossene eingesammelt haben. Menschen, die nichts verbrochen haben, sondern die nur woanders leben wollten und denen man nicht die Gelegenheit gegeben hat, ihr Leben woanders zu verwirklichen. Das prägt. Insofern sage ich es noch einmal in aller Deutlichkeit: Wenn ich eine Minute Zeit habe, wenn ich im Sterben liege, über mein Leben nachzudenken, dann werde ich eine halbe Minute dieses Sterbens dieser Zeit vor 20 Jahren widmen, so wichtig war das für mich damals gewesen.

Meine Damen und Herren, drei Bemerkungen zu dem, was hier gesprochen wurde. Ich bin zunächst einmal Frau Hitzing außerordentlich dankbar, dass sie das Gedenken an diejenigen hier betont hat, die diese Wende, diese Wiedervereinigung nicht mehr erleben konnten. Jedem von uns, der das erlebt hat, fallen Menschen ein, die kurz vorher gestorben sind, wo man sagt: Mensch, dem hätte man es doch gegönnt. Uns fallen Leute ein, die kritisch dem System gegenübergestanden haben, wo wir gesagt haben: Hätten die das noch einmal erlebt, dass dieser Traum, dass dieser Lebenstraum in Erfüllung gegangen ist.

Mir fallen persönliche Bekannte ein, mir fällt mein Großvater ein, der gestorben ist, als man die Walnussbäume im Grenzstreifen umgemacht hat, um ein besseres Schussfeld zu haben und besser auf Menschen schießen zu können. Mir fallen viele andere Menschen ein. Das Problem ist, wenn man dann anfängt darüber nachzudenken, wem man das noch gegönnt hätte, dann findet man kein Ende. Eigentlich kommt man zu dem Schluss, dass dieses furchtbare System überhaupt nicht hätte stattfinden dürfen,

(Beifall CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

weil es außer denjenigen, die das damals getragen haben, jeder verdient hätte, in einer Freiheit zu leben.

Meine Damen und Herren, damit komme ich zum zweiten Stichpunkt, und das ist: Warum konnten viele dieser Menschen, die es verdient hätten, das nicht mehr erleben? Jetzt komme ich zur Rolle der CDU: Wenn man die Diskussion in der Zeitung verfolgt, da gibt es ja die merkwürdigsten Geschichtsschilderungen, wie toll das alles gewesen ist zu DDR-Zeiten. Es gibt aber auch Menschen, die offenbar in diesem System nicht gelebt haben und genauso hier falsche Auffassungen vertreten. Ich habe - und das hat mit meiner Biografie zu tun - in einem Leserbrief formuliert - ein Stück war gestern in der TLZ zu lesen - dass das, was wir in der DDR erlebt haben, ganz viel mit Glück und Pech zu tun hatte. Ich weiß, mein Kollege Adams hat sich vorhin ein bisschen aufgeregt, als Frau Hitzing geschildert hat, wie man denn zu einem Studium kam. Er hat sich zu Recht aufgeregt. Herr Adams hat studiert wie viele andere auch, ohne dass er systemtreu war. Er hat eben Glück gehabt, andere hatten Pech. Ich sage noch einmal, Glück ist kein Maßstab dafür, ob eine Gesellschaft gerecht ist, kein Bewertungsmaßstab.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wichtig ist, was ist denn mit den anderen Menschen gewesen? Jetzt komme ich zu Herrn Fiedler. Selbstverständlich hat Herr Mohring recht, ich war einer von denen, denen man auf der Dorfschule einreden wollte, dass man mit 1,2 zu schlecht für die EOS ist. Als sie dann mein trauriges Gesicht gesehen haben, weil ich unbedingt weg wollte von zu Hause, dann haben sie gesagt: Na gut, es gibt noch eine Chance für Sie (oder für dich - damals). 25 Jahre Armee, und schon darfst du auf die EOS. Das war Erpressung. Ich habe mich verpflichtet, um studieren zu können, ich durfte es dann trotzdem nicht. Aber das war Erpressung. So ist man mit Menschen umgegangen - im Übrigen das Mädchen, welches noch besser war als ich, durfte nicht studieren, weil ihre Eltern eine Gastwirtschaft hatten und als Selbständige natürlich ein Besuch der EOS fast unmöglich war. Das war die Realität, das

war Erpressung, das war etwas, wie man mit den Menschen umgesprungen ist.

Meine Damen und Herren, insofern gab es Menschen, die Glück hatten, und es gab Leute, die Pech hatten.

Jetzt komme ich wirklich zu Herrn Fiedler. Herr Fiedler - und das ist das, was mich wirklich hier nach vorn getrieben hat -, mir tut das ein bisschen leid, dass ich mich jetzt gar nicht auf DIE LINKE fixiere. Herr Kuschel hat oft genug erlebt, wie ich es mit ihm gehalten habe, wenn er irgendwo in einem Raum war, da habe ich den Raum verlassen. Jetzt bin ich Teil des Parlaments, ich muss anerkennen, dass er mit mir hier drin sitzt. Dass ich mich jetzt ein bisschen auf Sie einschießen muss, hat aber damit zu tun, dass auch Sie eine Geschichtsverfälschung hier betreiben. Denn es hat nichts mit Glück und Pech zu tun, ob man in der DDR Karriere gemacht hat. Vielleicht wissen Sie es nicht, ich war Arbeitskollege von Ihnen, ich habe auch bei Carl Zeiss Jena gearbeitet. In dieser roten Hochburg der DDR-Produktion mit einem Kombinatsdirektor, der Widerstand an dieser Einrichtung gar nicht zugelassen hat. Und während Sie Karriere gemacht haben mit einem Parteibuch, war ich noch nicht einmal gut genug, um eine Optikerlehre anfangen zu können, ich war Hilfsarbeiter. Zum Glück gab es dann in der Landwirtschaft so große Not, dass ich den ehrbaren Beruf eines Rinderzüchters erlernen durfte. Aber ich sage noch einmal: Wenn Sie vorn schon - das ärgert mich von Anfang an, seitdem ich hier drin bin - so tun, als ob Sie der große Widerstandskämpfer waren. Jemand, der zu DDR-Zeiten Abteilungsleiter geworden ist, hat sich eingerichtet, hat dafür gesorgt, dass dieses System lange genug oder viel zu lange überlebt hat und Sie waren Teil des Systems. Hören Sie doch auf, an dieser Stelle so zu tun, als ob Sie ein großer Widerstandskämpfer gewesen sind.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist unerträglich für jemanden, der zu DDR-Zeiten wirklich Widerstand geleistet hat.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: In der … war ich nicht.)