Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dann sprechen wir jetzt doch indirekt über das Thema deutsche Einheit. Am Sonntag haben wir in Erfurt und an vielen anderen Orten und vielen anderen Städten unseres Landes den 20. Jahrestag der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes gewürdigt und auch gefeiert. Die Ministerpräsidentin hat in ihrer Ansprache hier in Erfurt beim Festakt der Landesregierung den Einigungsprozess und die Entwicklung in Thüringen in den vergangenen 20 Jahren als Erfolg bezeichnet. Die Präsidentin hat eben gesagt, wir dürfen stolz auf das Erreichte sein. Dieser Einschätzung schließe ich mich für meine Fraktion ganz ausdrücklich an,
ohne dass wir dabei natürlich übersehen, dass es nach wie vor viel zu tun gibt, dass es viele Probleme gibt, dass es Unzufriedene gibt, berechtigt und unberechtigt Unzufriedene.
Frau Präsidentin hat eben gesagt, dass es Entwicklungsbedarf gibt, also politischen Handlungsbedarf auf allen Feldern zur Vollendung der inneren Einheit.
Meine Damen und Herren, wenige Tage vor diesem Termin, vor dem 3. Oktober, hat das Wirtschaftsministerium dieses Mittelstandsförderprogramm verabschiedet, vorgestellt und auch in die Büros ver
schickt, in dessen Vorwort der Minister wörtlich schreibt, ich zitiere: „Die ostdeutsche Wirtschaftspolitik wollte in den vergangenen 20 Jahren möglichst schnell das Niveau der alten Bundesländer erreichen. Von dieser hektischen Aufholjagd sollten sich die neuen Länder 20 Jahre nach der Wiedervereinigung verabschieden. Diese hatte negative Begleiterscheinungen wie Niedriglöhne, Abwanderungen und unüberlegte Ansiedlungen, die einzelne Regionen nicht weitergebracht, sondern zurückgeworfen haben.“
Zunächst, meine sehr verehrten Damen und Herren, stellt sich die Frage, wie man dazu kommt, die Abwanderung als Folge des Aufholprozesses zu bezeichnen.
Ich habe das so wahrgenommen, dass der Aufholprozess nötig war und nötig ist, um die Abwanderung zu bekämpfen und die Abwanderung zu stoppen.
In den 30 Jahren vorher hat man die Abwanderung mit anderen Mitteln gestoppt. Da gab es Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl mit über 1.000 Toten an der innerdeutschen Grenze. Ich sage ehrlich, mir ist der Aufholprozess als Mittel zur Bekämpfung der Abwanderung wesentlich lieber.
Was unüberlegte Ansiedlungen sind, kann ich beim besten Willen nicht sagen. Ich habe lange darüber nachgedacht, was damit gemeint sein könnte. Sicherlich war nicht jede Ansiedlung erfolgreich. Aber was eine unüberlegte Ansiedlung ist, das bleibt bisher das Geheimnis des Verfassers.
Der eigentliche Skandal, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist aber die Behauptung, einzelne Regionen in unserem Land seien durch die Wirtschaftspolitik der vergangenen 20 Jahre zurückgeworfen worden. Da erhebt sich für mich die Frage, zurückgeworfen wohin denn? Auf den Stand von vor 1990 etwa? Das ist ja die zwingende Schlussfolgerung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer sich erinnert, in welchem Zustand sich dieses Land vor 20 Jahren befunden hat, wer das erlebt hat, und wer nicht völlig ideologische Scheuklappen auf hat, der muss sich bei dieser Lektüre die Frage stellen, wie jemand, der auch nur einigermaßen bei Trost ist, ernsthaft eine solche Behauptung aufstellen kann.
Meine Damen und Herren, mit dieser Behauptung, einzelne Regionen seien durch die Wirtschaftspolitik der letzten 20 Jahre zurückgeworfen worden, werden nicht nur die Aufbauleistungen der Men
schen, die wir eben hier gewürdigt haben in unserem Land, die Leistungen der Unternehmerinnen und Unternehmer, die Risiko auf sich genommen und Verantwortung übernommen haben für unser Land, diffamiert und diskreditiert. Auch die politischen Entscheidungen dieses Landtags und aller Landesregierungen vor dieser inklusive von zwei Wirtschaftsministern der CDU und zwei Wirtschaftsministern der FDP werden so diskreditiert und infrage gestellt. Deswegen frage ich die Ministerpräsidentin - sie wird es hören, weil sie sich im Vorraum befindet - ob diese Behauptung tatsächlich die Meinung der von ihr geführten Landesregierung darstellt. Im Sinne dessen, was Herr Fiedler eben gesagt hat, ist das eine Debatte über 20 Jahre deutsche Einheit. Wenn das nicht die Meinung dieser Landesregierung ist, dann kann ich, wovon ich mal ausgehe, die Ministerpräsidentin nur auffordern, diesen Minister dahin zu schicken, wo er hergekommen ist oder dorthin, wo er hingehört, wo immer das auch sein mag, das ist mir auch egal,
weil beides ist nicht Thüringen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Und wenn die Ministerpräsidentin das endlich tut, dann weiß ich und dann weiß meine Fraktion auch endlich, warum wir diese Ministerpräsidentin zu Beginn dieser Legislatur mitgewählt haben, denn diese Art von ideologischer Geschichtsverfälschung hätten wir von einem Ministerpräsidenten Ramelow ganz genauso haben können. Herzlichen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist genau das, was ich unter der Aktuellen Stunde, beantragt von der FDP, vermutet habe, Herr Barth, nämlich, dass es Ihnen nicht wirklich um die Diskussion zu den aktuellen Fragen der Wirtschaftspolitik 20 Jahre nach der Einheit geht, sondern dass es Ihnen darum geht, den Wirtschaftsminister des Freistaats Thüringen zu diskreditieren. Sie tun also genau das, was Sie ihm vorwerfen.
Das weiß ich nicht, der Minister wird dazu sicherlich selber etwas sagen. Wenn Sie selber sagen, Sie überschätzen sich, dann will ich dem nicht widersprechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man das Thema ernsthaft diskutiert, also die aktuelle Frage der Wirtschaftspolitik 20 Jahre nach der deutschen Einheit, was ja eigentlich der Titel der Aktuellen Stunde ist, dann heißt es natürlich, wir müssen gemeinsam eine Bewertung vornehmen, und zwar eine Bewertung, die auf dem Erreichten aufbaut, also durchaus die positiven Entwicklungen der wirtschaftlichen Situation in Thüringen berücksichtigt, allerdings ohne die Herausforderung zu vernachlässigen, die wirtschaftlichen Kerne, die in den letzten 20 Jahren entwickelt wurden und die wirtschaftlichen Potenziale, die weiterzuentwickeln sind. Das heißt, natürlich auch zu bewerten, wie es uns bisher gelungen ist, die Menschen - arbeitsmarktpolitisch betrachtet - mitzunehmen in dem Prozess der wirtschaftlichen Entwicklung im Freistaat. Wo stehen wir heute, einige Tage nach dem historischen Tag 20 Jahre deutsche Einheit? „Auferstanden aus Ruinen“, so formulierte es der ehemalige Bundesbankpräsident und Sonderberater des damaligen Bundeskanzlers Dr. Hans Tietmeyer. Das gilt natürlich auch für Thüringen. Ausgehend von einer maroden Infrastruktur, niedriger Arbeitsproduktivität, hoher Umweltverschmutzung hat sich Ostdeutschland und insbesondere Thüringen zu einem in weiten Teilen leistungsfähigen Wirtschaftstandort entwickelt. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Weg ist nicht abgeschlossen. Wir verfügen heute über wichtige und zukunftsfähige industriepolitische Potenziale, beispielsweise in der Automobilindustrie, der Solarwirtschaft, der Medizintechnik, im Maschinenbau und natürlich auch in der optoelektronischen Industrie. Zu berücksichtigen ist aber, dass wir diese Positionen, diese wirtschaftliche Entwicklung weiterentwickeln müssen. Der Mittelstand ist das Rückgrat - das wissen wir alle - der Thüringer Wirtschaft. Aber auch der Mittelstand muss weiterentwickelt werden und deshalb, Herr Kollege Barth, sollten Sie vielleicht nicht nur das Vorwort lesen, sondern auch über das Vorwort hinaus weiterlesen.
Dass es Sie grämt als - wie Sie selber ja immer behaupten - Mittelstandspartei in Thüringen und in der Bundesrepublik, dass eine andere Partei, eine andere Regierungskonstellation und ein anderer Wirtschaftsminister tatsächlich Mittelstandsförderpolitik betreibt, das glaube ich Ihnen gern. Aber das liegt nicht an diesem Wirtschaftsminister, sondern liegt an Ihrer bisherigen politischen Weichenstellung.
Kolleginnen und Kollegen, den Mittelstand weiterzuentwickeln bedeutet, wir müssen die Eigenkapitalausstattung verbessern, wir müssen den notwendigen Wandel, die notwendige Anpassung an den technischen Wandel herbeiführen und wir müssen vor allen Dingen die F- und E-Potenziale in unserem Mittelstand im Freistaat verbessern. Wir haben hier eine Quote von 1,4 Prozent in Thüringen gegenüber 3,5 Prozent in Baden-Württemberg. Also hier gibt es erhebliches Aufholpotenzial.
Deshalb, Kolleginnen und Kollegen, kann man nicht sagen, es ist alles im grünen Bereich 20 Jahre nach der deutschen Einheit, sondern, ich glaube, die Herausforderungen in Thüringen werden in den nächsten Jahren völlig andere sein, als in den letzten 20 Jahren. Die Unternehmen stehen bereits heute im knallharten Wettbewerb um gute Fachkräfte und um die klügsten Köpfe. In den nächsten 20 Jahren werden wir im Freistaat ein Drittel der Fachkräfte verlieren; allein in den nächsten fünf Jahren werden 80.000 neue Fachkräfte gebraucht. Deshalb muss zielgerichtete Wirtschaftspolitik im Mittelpunkt stehen, dass wir zur Kenntnis nehmen, wer Billiglöhne heute noch als Standortvorteil preist - wie Sie das ja immer tun -, hat von Fachkräftebedarf und damit zukunftsorientierter Wirtschaftspolitik keine Ahnung. Wer prekäre Beschäftigung als zukunftstaugliches Mittel ansieht, wie Sie es auch tun, versteht nichts von nachfrageorientierter Wirtschaftspolitik. Wer die Herausforderung auf dem Arbeitsmarkt nicht anerkennt, nimmt billigend in Kauf, dass ein großer Teil der Thüringer Bevölkerung dauerhaft von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen bleibt. Das ist, Kolleginnen und Kollegen, nicht Ziel dieser Landesregierung. Wir verfolgen eine andere zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik. Hier steht im Mittelpunkt eine weitere Förderung und Unterstützung des Mittelstandes. In diesem Sinne sollten Sie vielleicht das Mittelstandsförderprogramm in ihrer Gänze lesen, denn es gilt der alte Grundsatz - Lesen bildet. Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Lemb. Als Nächster spricht der Abgeordnete Hausold von der Fraktion DIE LINKE.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, es steht außer Frage, dass vieles in der wirtschaftlichen Entwicklung in Thüringen der letzten 20 Jahre sehr positiv zu bewerten ist. In allererster Linie haben wir das unserer mittelständischen Wirtschaft und dem Handwerk in diesem Land zu
verdanken, weniger allerdings den in den zurückliegenden Jahren Regierenden; das will ich auch deutlich anmerken.
Frau Merkel hat vor Kurzem eine positive Bilanz auch zu wirtschaftspolitischen Fragen gezogen. Sie hat dabei auch deutlich gemacht, dass insbesondere in den Fragen der Innovation, der Forschung in Unternehmen im Osten Aufholbedarf besteht. Ja, meine Damen und Herren, der besteht auch hier in Thüringen, auch aufgrund des Nichthandelns vorangegangener Regierungen. Deshalb ist es natürlich gerechtfertigt, wenn selbst die Kanzlerin darauf hinweist an diesem Tag und bei diesem Thema, auch auf kritische Aspekte einzugehen. Es gibt ja eine Länder-Ranking-Studie, zu vertreten durch EW-Consult in Zusammenarbeit mit der Initiative „Neue soziale Marktwirtschaft“ und der „Wirtschaftswoche“. Da sieht das Bild, was Thüringen betrifft, durchaus differenziert aus. Natürlich können wir feststellen, dass wir bei der Arbeitsplatzversorgung - diese stieg von 2006 bis 2009 immerhin um 6,1 Prozent, bundesweit waren es nur 3,1 Prozent einen hervorragenden 1. Platz belegen. Das betrifft auch die Steuerkraft und das betrifft auch die Produktivitätsentwicklung in Thüringen, wo unser Bundesland vordere Plätze einnimmt im Vergleich.
Doch diesen guten Nachrichten, meine Damen und Herren, und gerade das fordert Demokratie heraus, müssen wir auch die kritischen Aspekte hinzufügen. Betrachtet man die Platzierung Thüringens in Einzelindikatoren, so ist die Bewertung durchaus nicht so gut - Platz 15 zum Beispiel erreicht Thüringen in der Einwohnerentwicklung. Das Land musste zwischen 2006 und 2009 einen Rückgang von 2,8 Prozent verkraften. Herr Barth, das hat selbstverständlich nicht nur, aber auch mit wirtschaftspolitischen Entwicklungen in diesem Land zu tun. Ich zitiere Frau Ministerpräsidentin von der IHK-Tagung neulich in Suhl: Es ist eben heute leider nicht mehr so auch aufgrund politischer Verhältnisse, dass Produktivitätssteigerungen und die Tatsache, dass es bestimmten wirtschaftlichen Bereichen gut geht, auch dem Land insgesamt und den Menschen im Land hier gut geht. Das ist die politische Herausforderung und da kritisieren wir die zurückliegenden Thüringer Regierungen, zum Teil allerdings auch die heutige ganz deutlich, meine Damen und Herren.
Da sind wir zum Beispiel, Wolfgang Lemb hat es schon erwähnt, bei dem Einkommen. Das verfügbare Einkommen in Thüringen liegt gegenwärtig bei 15.361 € je Einwohner, der Bundesdurchschnitt liegt bei 19.071 €. Damit nimmt Thüringen den vorletzten Platz ein ebenso wie bei dem Arbeitnehmerentgelt die Arbeitnehmer. Nur noch in Mecklenburg
Vorpommern werden geringere Löhne gezahlt in der Bundesrepublik Deutschland. Das hat natürlich dann mit der Binnennachfrage zu tun und das hat dann wiederum mit Wirtschaftsentwicklung und Möglichkeiten zu tun und das zeigt ganz stringenten politischen Handlungsbedarf in Richtung Mindestlöhne auf, meine Damen und Herren.