Protocol of the Session on August 18, 2010

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Das ist eine völlig andere Fragestellung.)

Frau Doht, es stimmt einfach nicht, wir haben nicht einmal dieses Zeitfenster nachts für den Güterverkehr, weil die Trassenpreise so hoch sind. Da müsste es eine ganz andere Finanzierungsstruktur geben, dann könnte man dieses kleine Fenster we

nigstens benutzen. Aber selbst dann würde es diese Trasse nicht rechtfertigen. Das Argument, dass wir knapp 300 Mio. € an die Thüringer Wirtschaft vergeben haben, liebe SPD, mit dem gleichen Argument könnte man auch ein „Erfurt 21“ ins Leben rufen, das würde vielleicht noch einmal 600 Mio. € an Aufträgen erzeugen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bitte sauber argumentieren. Wir wollen auch Geld in die Infrastruktur stecken, aber wir wollen es effizient machen und das ist nicht effizient.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Interessant waren auch die Reaktionen auf die Studie. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Die FDP hält die Studie für einen Schildbürgerstreich. Herr Schneider sagt: Diese Studie hätte es gar nicht geben dürfen. Er macht sofort eine Anfrage im Bundestag. Herr Carius sagt, das ist ein Manöver von interessierter Seite.

Sehr geehrte Damen und Herren, das ist ein schlechtes Zeichen für unsere politische Kultur. Es ist unehrlich, wenn ich mit einem Ergebnis der Studie nicht einverstanden bin, dann stelle ich erst einmal die Studie infrage. Wo wir das Wort „Manöver“ schon einmal hatten, das ist ein sehr durchschaubares Ablenkungsmanöver, Herr Carius.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese interessierte Seite, Herr Carius, nämlich das Umweltbundesamt, hat einfach Folgendes gemacht: Es hat untersucht, wie die Güterverkehrskapazitäten in Deutschland aussehen. Wir haben heute schon Engpässe und wenn wir die politischen Ziele, die Sie alle in Ihrem Wahlprogramm haben auch im Koalitionsvertrag -, wir wollen mehr Güterverkehr von der Straße auf die Schiene bringen, dann kommen wir mit dieser Infrastruktur nicht aus, dann ist das, was wir im Thüringer Wald und darüber hinaus machen, ein verlorenes Stück aus Stahl und Beton. Das können wir uns nicht leisten. Vielleicht noch einmal, um das zu veranschaulichen: Wir reden hier über eine Trasse …

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Diese Debat- te hätte vor 15 Jahren geführt werden müs- sen.)

Wir haben die Debatte auch geführt, aber auf uns hat leider niemand gehört. Es ist nichts Neues, was ich heute sage -, aber vielleicht ist inzwischen der Zeitpunkt gekommen, manchmal dauert es länger (vielleicht hat es bei Ihnen 15 Jahre gedauert) , wo Sie es endlich zur Kenntnis nehmen sollten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die ganze Trasse kostet 9 Mrd. €. Wir reden über ein Volumen in Höhe dieses Landeshaushalts, das muss man sich auch einmal vergegenwärtigen. Je höher die Summen, desto unvorstellbarer und des

(Abg. Dr. Lukin)

wegen kann man da mal so locker darüber entscheiden.

Ich komme noch einmal zum Fazit des Gutachtens. Das Gutachten erkennt an, dass Fakten geschaffen worden sind. Wir haben in Größenordnungen Milliarden schon versenkt, das ist richtig. Das Gutachten sagt auch, es ist möglicherweise unrealistisch, diesen Bau abzubrechen. Deswegen muss das Fazit sein: Wir müssen diesen Bau stoppen und wir müssen die Zeit, die wir dadurch gewinnen, nutzen, um eine neue Planung in Auftrag zu geben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine Planung, die hoffentlich am Ende diese Milliarden rechtfertigt, die es ermöglicht, auf dieser Strecke Güterverkehr fahren zu lassen. Das muss das Ziel sein und das ist auch das Fazit der Studie. An dieser Stelle würde man im Ruhrgebiet sagen: „Die Gurke ist geschält“.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die einzige Chance ist, wenn Sie es jetzt machen. Das ist unser Appell und insofern haben wir auch an der Stelle ein Kooperationsangebot: Wir sagen nicht, lasst diese Investitionsruine stehen - so realistisch sind wir auch -, aber nutzen Sie die Chance, um eine neue Planung zu machen und nehmen Sie das Gutachten beim Wort. Vielen Dank.

Für die CDU-Fraktion hat Frau Abgeordnete Tasch das Wort.

Frau Tasch, haben Sie ausgewechselt? Sie haben aber bei mir nicht angekündigt, dass Sie ausgewechselt haben.

(Zwischenruf Abg. Kowalleck, CDU: Nein, wir haben ausgewechselt.)

Das ist ja interessant. Normalerweise gilt, wer aufgerufen ist, muss auch reden. Ich bin einmal sehr mildtätig und gebe Ihnen jetzt das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, also zunächst einmal freue ich mich nicht nur, dass ich reden darf, sondern dass unser Koalitionspartner sich auch zur ICE-Strecke bekennt, wobei wir allerdings hier gar nicht stehen bräuchten, wenn nicht - vorhin kam es kurz in der Andeutung - 1999 der damalige Verkehrsminister im Bund, namens Müntefering, einen Baustopp aus rein fiskalischen Gründen verhängt hätte, vielleicht auch unter Mithilfe seines damaligen Staatssekretärs, der heute hier Wirtschaftsminister ist, aber jetzt nicht da ist, um dies vielleicht bestätigen zu können.

Eigentlich wäre die Strecke schon seit fünf Jahren fertig, wenn es 1999 nicht den Baustopp gegeben hätte und dann würden Sie auch die Güterzüge fahren sehen. Ich kann mich gut daran erinnern, als wir im Innenministerium vor zig Jahren, ich als Staatssekretär, gekämpft haben, dass in die Röhre eine Betonwand eingezogen werden sollte und uns die Bahn genau erklärt hatte, wie auch tagsüber dort die Güterzüge fahren können.

Nun zu dem Gutachten: Da schreibt ein Herr Holzhey eine Studie, die beschäftigt sich ja nicht mit dieser Strecke in erster Linie, sondern die beschäftigt sich mit dem Schienengüterverkehr in ganz Deutschland. Das Umweltbundesamt teilt zu dieser Studie mit, dass die in der Studie geäußerten Ansichten mit denen des Umweltbundesamts nicht übereinstimmen. Das ist auch schon einmal bezeichnend, wenn man das im Voraus auf dem ersten Blatt der Studie auch gleich so abdruckt.

Was ist jetzt die Quintessenz des Gutachtens? Er kommt zu dem Ergebnis, dass es an bestimmten Verkehrsknoten innerhalb von Deutschland in den nächsten 20 Jahren beim Güterverkehr zu Problemen kommt und dass diese Verkehrsknoten ausgebaut werden müssen. Erst jetzt kommt überhaupt die Strecke ins Spiel und er zum Ergebnis, man bräuchte noch eine Ausweichstrecke für die jetzigen beiden Hauptstrecken im Westen, wo der Güterverkehr nach Norden, Süden oder in die umgekehrte Richtung läuft. Erst bei dieser Nebenstrecke kommt unsere Strecke hier ins Spiel und man glaubt es kaum, wie toll es ist, er hat eine Nebenstrecke gefunden, 100 km weiter von der jetzigen Strecke nach Osten. Das kommt mir sehr bekannt vor, denn es ist genau diese Strecke, die früher schon einmal in der Diskussion war, das ist eine absolute Nebenstrecke. Er schreibt es im Übrigen auch selbst, er schreibt nämlich an einer Stelle, dass diese Strecke bisher ohne nennenswerten eigenen Verkehr sei. An anderer Stelle führt er dann aus, dass die auch noch dringend ausgebaut werden muss, zum Beispiel 500 km Elektrifizierung an dieser Stelle. Das kostet auch alles Geld und das Geld findet er natürlich, er braucht ja Geld zur Finanzierung, weil das ja nicht vorgesehen ist, das Geld findet er dadurch, dass er einfach sagt, die ICE-Strecke sollte man stoppen und dann ist genug Geld da für so eine tolle Nebenstrecke, die im Übrigen - ich will es nur mal sagen - von Leipzig über Gößnitz, Plauen, Hof, Marktredwitz nach Regensburg und Passau führt. Also wo da die Güter herkommen sollen, die auf dieser Strecke fahren sollen, weiß ich nicht. Das Problem hat er selber, er sagt nämlich, durch diese Strecke - behauptet er einfach - würden ganz wichtige Terminals angebunden, nämlich Nürnberg und Ingolstadt. Nürnberg und Ingolstadt werden durch die ICE-Strecke angebunden, aber nicht durch die Strecke, die er vorsieht. Die läuft nämlich um 100 km an diesen von

(Abg. Schubert)

ihm selbst bezeichneten wichtigen Terminals vorbei. Das hört sich alles sehr simpel an. Man muss auch mal sehen, das Gutachten hat 180 Seiten und die ICE-Strecke kommt auf drei Seiten vor. Das ist nur so eine Begründung, damit er sagen kann, wie er die Nebenstrecke überhaupt finanzieren will. Soweit er einfach behauptet, auf der ICE-Strecke gäbe es keinen Güterverkehr bzw. keinen gesteigerten Güterverkehr, stellt er den Satz so in die Welt ohne eine einzige Begründung. So weit zum Gutachten. Ich gehe mal davon aus, unsere Thüringer Bevölkerung fällt nicht auf diese Argumente herein. Wir brauchen in Thüringen einen solchen Infrastrukturknotenpunkt für unsere Wirtschaft und den brauchen wir auch für unsere Bevölkerung. Es ist eine Weisheit, die schon Jahrhunderte alt ist, dass Verkehrswege schon immer wesentlich für die Infrastruktur waren. Sie brauchen sich in Thüringen doch nur die A 4 anzuschauen, da haben Sie das schönste Beispiel.

Noch ein Wort zum Thema „Prestigeobjekt“: Prestigeobjekt und Innovation hängen zusammen. Viele Innovationen sind erst dadurch etwas geworden, dass es dafür Prestigeprojekte gab. Fangen wir mal beim Transrapid an, den haben wir schon hergegeben ins Ausland. Im Moment sind wir dabei, in Thüringen unser Prestigeprojekt „Longliner“ herzugeben bzw. zu kippen, obwohl die Firma in Thüringen produziert. Die produziert dann in Zukunft im Ausland, wo die Longliner fahren dürfen. Wollen wir jetzt das dritte Projekt, das für Thüringen sehr wichtig ist, auch noch aufgeben, die Hochgeschwindigkeitsstrecke Skandinavien-Sizilien an Thüringen vorbei, in so einem Bogen Thüringen aussparen? Da kann sich, glaube ich, jeder das richtige Bild davon machen. Ich meine, die Antwort ist klar, so, wie es im Koalitionsvertrag steht: „Die Koalitionspartner bekräftigen das Ziel, den Bau bzw. Ausbau der Hochgeschwindigkeitsstrecke Nürnberg-Erfurt-Halle/Leipzig zügig abzuschließen.“ Ich meine, Thüringen kann nichts Besseres passieren.

(Beifall CDU)

Herr Abgeordneter, das ist das Ende Ihrer Redezeit. Jetzt probiere ich es mal bei der FDP-Fraktion. Da nehme ich an, dass der Abgeordnete Untermann sprechen möchte. Das ist so.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, erst einmal zwei Worte zu meinen Vorrednern: Frau Schubert, wenn Sie sagen, ich habe das als Schildbürgerstreich bezeichnet, dann stehe ich auch dazu. Was ist, wenn in einer Expertise steht, man sollte nicht bauen und einen Satz weiter, man sollte doch weiterbauen? Dann verstehe ich die Welt nicht mehr. Wenn das kein Schild

bürgerstreich ist, dann kann jeder schreiben, was er will. Das haben Sie eigentlich in Ihrer Rede auch gezeigt.

(Beifall FDP)

Sie sagen am Anfang, alles machen wir nicht, am besten wir hören auf und am Ende kommt nicht ein Wort, was denn nun daraus werden wird. Das ist das Entscheidende an der Sache, wo ich mit mir nicht einig bin, was ich davon halten soll.

Frau Doht, Sie haben es zwar schon richtig gesagt - das wurde von Herrn Scherer schon gesagt -, dass 1998/99 die rotgrüne Regierung dafür verantwortlich war, unter welchen Bedingungen auch immer, es war erst einmal die rotgrüne Regierung, die hierfür verantwortlich ist, dass das Stückchen jetzt bis Arnstadt oder Ilmenau so dasteht. Das nur mal nebenbei.

Die Studie des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit betrachtet den Ausbau für einen leistungsfähigen Schienengüterverkehr, aber stellt meines Erachtens keine Wirtschaftlichkeitsanalyse der ICE-Strecke MünchenErfurt-Halle-Berlin dar. Ich gebe den Kritikern recht, 10 Mrd. € für das Bahnprojekt sind eine große Menge Geld für mich und - ich gehe davon aus - auch für alle, die hier sitzen. Aber gehen wir mal von den momentanen Fakten aus. Ich werde sicherlich jetzt einiges wiederholen müssen, aber es muss mal in die Köpfe rein, damit man das erst einmal versteht, was wir hier jetzt vor uns haben. Von den geplanten 29 Brücken sind bereits 27 fertiggestellt - wie Sie richtig sagten, Frau Doht - oder befinden sich im Bau. Analog bedeutet das für die Tunnelbauten 21 von 22 sind fertiggestellt, im Bau oder schon vergeben. Man kann sagen, mehr als die Hälfte des Geldes ist verbaut. Allein in Thüringen sind 1.500 Menschen auf den Baustellen der Neubaustrecke beschäftigt. Zahlreiche mittelständische Unternehmen aus dem Thüringer Raum sind als Haupt- und Subunternehmer in das Projekt involviert. Es stehen viele Arbeitsplätze und Existenzen auf dem Spiel. Abgesehen davon würde ein Baustopp wahrscheinlich Regress- oder Rückbaumaßnahmekosten bedeuten, die sich in Milliardenhöhe belaufen würden. Können wir das befürworten? Ich glaube nicht. Was wollen wir unseren Enkeln erzählen, wenn sie diese Bauruinen sehen? Übrigens, in der Studie steht unter der Rubrik Handlungsempfehlungen, wie ich vorhin schon mal betont habe: Aus politischen Gründen können diese Vorhaben jedoch nicht mehr qualifiziert abgebrochen werden. Was das auch immer heißen soll „qualifiziert“. Die Mittel sind im Bedarfsplan des Bundes eingeordnet.

Und im Güterverkehr: Der Güterverkehr ist abgesichert. Ich habe das auch gestern noch mal in Erfahrung gebracht, jede Stunde ein Zugpaar kann auf dieser Strecke am Tag fahren als Güterverkehr und nachts durchgehend. Das ist natürlich noch nicht

(Abg. Scherer)

befriedigend, aber das sind die Fakten, woran man arbeiten kann. Es sind extra vier Ausbaubahnhöfe geplant und werden schon gebaut, damit diese Züge sich dann ausweichen können und ein ordentlicher Güterzugverkehr eigentlich gerechtfertigt ist. Ich stelle mir und Ihnen die Frage nach Darlegung der oben genannten Fakten: Soll dieser Bau gestoppt werden? Wie sollen wir dem Steuerzahler eine 5-Milliarden-Bauruine auf mehr als 107 Kilometern in Thüringen erklären? Fehler sind im Vorfeld gemacht worden, das ist unumstritten. Übrigens damals von der CDU-geführten Regierung. Hier wären noch andere Möglichkeiten gewesen, aber, ich denke, das ist nicht richtig ausdiskutiert worden und es ist nun mal so, aber das muss man hier noch einmal sagen, damals wurden genau solche Fehler gemacht.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine Investitionsentscheidung in solcher Höhe muss streng nach dem verkehrlichen Bedarf ausgerichtet sein. Unsere Aufgabe muss es sein, die Kosten- und Bedarfsentwicklung im Auge zu behalten und eine Anpassung an geänderte Bedingungen, soweit wie noch möglich, einzufordern. Die zukünftige Infrastrukturpolitik ist grundlegend zeitgerecht anzupassen. Das muss bedeuten, die Fahrgastprognosen sind Grundlagen für die Neubewertung des Bedarfsplans. Weiterhin muss das verkehrliche Kriterium der Nutzung für den Schienengüterverkehr betrachtet werden. Bei jedem Investitionsprojekt wäre zunächst kritisch zu prüfen, inwieweit diese auch vom Frachtverkehr, wie ich schon betont habe, ordentlich genutzt werden kann. Anzustreben ist ein Mischbetrieb von Güter- und Personenverkehr. Solche Diskussionen, wie sie jetzt vonstatten gehen, darf es in Zukunft nicht mehr geben. Ich danke Ihnen.

(Beifall FDP)

Für die Landesregierung Minister Carius, bitte.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Ihnen versichern, dass diese Landesregierung, anders als es einige Redebeiträge nahelegten, mit offenen Augen, offenen Ohren und natürlich auch mit einem offenen Mund dafür eintritt, dass diese ICE-Strecke tatsächlich auch gebaut wird.

(Beifall CDU)

Wir nehmen die Kritik zur Kenntnis und weisen sie auch gern zurück.