Protocol of the Session on April 29, 2010

Das wissen wir und das lesen wir an ganz vielen Laternenmasten auf dem Weg nach Erfurt oder in Erfurt. Aber ich kann Ihnen nur sagen, seien Sie doch ehrlich, die Decke ist immer zu klein. Wenn Sie an dem einen Ende ziehen, wird es immer an dem anderen Ende kalt.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Deswegen Verwaltungsreform.)

Ja, das ist nicht das Allheilmittel, Herr Kollege Ramelow, das wird es bestimmt nicht sein.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Aber es wäre mal ein Einstieg.)

90 Mio. € für eine Infrastrukturpauschale sind ein frommer Wunsch, aber auch nicht seriös gedeckt.

Die Stellungnahme des Gemeinde- und Städtebundes dazu hat sich auch nicht gerade positiv gelesen. 17 Mio. € der Infrastrukturpauschale für Kindereinrichtungen, das wollen wir, sollen und müssen auch für diesen Zweck eingesetzt werden. 3 Mio. € Deckung aus der Erhöhung der Erbschaftsteuer sind auch aus unserer Sicht völlig aus der Luft gegriffen. Wir kennen keine Zahlen, die das realistisch belegen würden. Dass hier der Haushaltsansatz nicht korrekt wäre, sondern auch hier müssen wir uns an dem orientieren, was in den letzten Jahren in die Kasse gekommen ist aus dem Bereich der Erbschaftsteuer. Sollten dort mehr Gelder kommen, ich sage es gern noch einmal, müssen diese zur Reduzierung der Neuverschuldung eingesetzt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Sie sind auch noch recht neu hier und haben sich redlich bemüht, Anträge zu stellen.

(Zwischenruf Abg. Schubert, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir haben uns nicht nur bemüht, wir haben auch welche ge- stellt.)

Aber, ich denke, den großen haushaltspolitischen Wurf - Sie haben welche gestellt, ja - haben Sie sicherlich noch nicht gewagt. Aber Sie hatten es auch dieses Mal leicht, weil wir die Ist-Zahlen aus dem Jahr 2009 vorliegen hatten. Das wird es so auch nicht wieder geben. Wir hatten also eine gute Grundlage, um auch über den Haushalt zu diskutieren, indem wir gesehen haben, was wurde denn tatsächlich für 2009 ausgegeben. Wir hatten nicht den Eindruck, dass Sie das so beachtet haben bei Ihren Anträgen. Deswegen hätten Sie eigentlich da noch andere Veränderungen einbringen können. Aber, ich denke, wir sind gespannt darauf, wie sich das bei Ihnen auch weiterentwickelt.

(Heiterkeit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Wir sind gespannt, wie Ih- re Entwicklungen sind.)

Ja, wir wollen auch da die Hoffnung nicht aufgeben, dass Sie hier doch auch noch den größeren Wurf wagen werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich denke, wir haben eine Reihe von Vorschlägen noch für heute zur Abstimmung und unsere zwei Anträge - Entschließungsantrag, Antrag zum Haushaltsgesetz - liegen Ihnen vor. Ich freue mich auf die weitere Debatte im Verlauf des Nachmittags. Ich bin auch vor allen Dingen sehr gespannt auf das Abstimmungsergebnis. Denn wenn Sie alle etwas für die Bürger in diesem Lande tun wollen, und das sagt ja jeder hier vorn an dieser Stelle, dann können Sie eigentlich diesem Haushalt am Ende nur zustimmen.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Eben nicht!)

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, SPD)

Wir gehen in eine Mittagspause bis 14.15 Uhr.

Wir fahren mit der Generalaussprache fort. Das Wort hat Abgeordneter Carsten Meyer von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich nehme es nicht persönlich, aber ich muss schon sagen, in einer Haushaltsdebatte wundert es mich schon, wenn hier eine derartige Kulisse für welchen Redner auch immer da ist.

(Beifall im Hause)

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Mitglieder des Kabinetts, sofern anwesend

(Zwischenruf Reinholz, Minister für Landwirtschaft, Forsten, Umwelt und Naturschutz: Es ist nur einer da.)

- ich nehme auch das zur Kenntnis -, ich erlaube mir einen ganz kurzen Blick zurück. Ich zitiere: „Die Ministerpräsidentin will bei der Konsolidierung der öffentlichen Finanzen auch auf die Hilfe des Thüringer Rechnungshofs zurückgreifen.“ Das waren die Medieninformationen 68/2010 der Landesregierung. Kommentar dazu: Das hätte sie schon seit Jahren besser haben können, das wäre auch nötig gewesen.

(Zwischenruf Lieberknecht, Ministerprä- sidentin: Wir machen das jetzt.)

Ach, ich freue mich, dass Sie anwesend sind, Frau Ministerpräsidentin. Danke, dass Sie mir zuhören.

(Zwischenruf Abg. Bergemann, CDU: Extra wegen Ihnen.)

So weit will ich jetzt nicht gehen, Herr Bergemann.

Meine zweite Bemerkung, was den Blick zurück angeht: Als Opposition sollte man die Regierung stellen, ihr Fehler aus der Vergangenheit nachweisen und dabei auf Fehlentwicklungen für die Zukunft hinweisen. Aber diesen einen Aspekt hat die Regierung nicht verdient, dass ein Mitglied - und zwar ein verantwortliches Mitglied - der Regierungsfraktion sich zum Abschied zitieren lässt mit der Aussage, es sei wichtig, dass bald wieder ein ausgeglichener Etat erreicht werde. Ich habe das „Freie Wort“ vom 28. April zitiert.

Ich wünsche jeder Thüringer Landesregierung, dass ihre Mitglieder mehr Verantwortungsgefühl und Abstand zum eigenen Handeln haben und sich bei ihrem Abschied entsprechend verhalten werden.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wie wird nun - jetzt komme ich in die Gegenwart, dieses Wort ist überstrapaziert worden, aber häufig benutzt, auch von mir - der Übergang dieses Haushalts gemanagt? Frau Lieberknecht lässt zwei untaugliche Haltungen zu durch die Regierungskoalition und die Regierung - gezwungenermaßen, aber für mich ohne erkennbaren Widerstand. Die erste ist: Sparen durch Nichtstun. Die späte Verabschiedung des Haushalts sichert erwartbare Minderausgaben, die die Nettokreditaufnahme etwas abmildert und in ihren Folgen als Fehler der Verwaltung herausgegeben werden können.

Das Zweite: Aktivität vortäuschen durch die Koalitionsfraktionen. Mit 60 Mio. € gefundenen Einsparungen kann leider kein Problem gelöst werden, aber dazu dann mehr, wenn ich auf die Kritik der Fraktionen eingehe.

Für den Haushalt gilt: Das große Problem des Thüringer Landeshaushalts ist es, dass er inzwischen ein strukturelles Defizit von etwa 1 Mrd. € hat. Ich möchte mir jetzt nicht anmaßen zu sagen, dass ich genau weiß, woher das alles rührt. Aber ich zitiere da gern Herrn Mohring, der auch nicht anwesend ist, der gesagt hat, es seien 1,5 Mrd. Ich stapele lieber tief und behaupte, es ist 1 Mrd. Wir reden also von etwa 10 Prozent des Gesamtvolumens. Herr Barth, Sie haben hierüber, glaube ich, schon gesprochen, dann zitiere ich jetzt Herrn Barth.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Sie sollen nur aufhören, ständig zu erzählen, wer da ist und nicht. Wir machen das auch nicht bei Ihnen.)

Das Wort hat gerade Abgeordneter Meyer. Sie können, wenn Sie möchten, eine Zwischenfrage stellen. Ansonsten bitte ich das Zwiegespräch einzustellen, Herr Barth.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Ich neh- me mir das Recht, einen Zwischenruf zu machen. Wenn der Kollege deshalb sei- ne Rede unterbricht, ist das seine Sa- che.)

Die Zwischenrufe dauern schon sehr lange. Herr Meyer, bitte fahren Sie fort.

Ich freue mich, dass mir zugehört wird. Dass wir ein strukturelles Defizit von 1 Mrd. € haben, ist mit schnödem Kürzen und Sparen nicht mehr zu bewältigen. Die langfristigen Folgen würden dann noch gravierender sein. Die Probleme sind das Resultat von Fehl- und Nichtentscheidungen der vergangenen CDU-Regierung. Ich behaupte, die Alimentierung der eigenen Klientel und die Sorge um die Wiederwahl haben verhindert, das richtige, durchaus auch als richtig erkannte, aber vermeintlich unpopuläre Entscheidungen nicht getroffen worden sind.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei strukturellen Fehlentwicklungen müssen aber entsprechende strukturelle Entscheidungen getroffen werden, nicht nur Entscheidungen von heute auf morgen. Nehmen wir das Schulsystem als Beispiel. Gute Bildungspolitik ist die nachhaltigste Wirtschaftspolitik, da zitiere ich jemanden aus dem Hause von heute Vormittag. Kein Bundesland gibt so viel je Schüler aus wie Thüringen. Darauf waren auch die vergangenen Regierungen immer sehr stolz, nur, um dann beharrlich am viergliedrigen Schulsystem festzuhalten. Ich sage bewusst viergliedrig, weil ich die Förderschulen als ein Glied in dieser Selektionskette sehe und die immer gern übersehen werden. Wenn über 7 Prozent aller Kinder eines Schuljahrgangs unbeachtet bleiben, dann darf man sich auch nicht wundern, wenn bei der Evaluation der Leistung der übrig gebliebenen 93 Prozent gute Noten herauskommen. Das ist einer der Gründe dafür, warum Thüringen immer so tut, als wenn es bei PISA so gut sei. Unser Schulsystem ist eines, das die Herkunft mehr berücksichtigt als alles andere und das das Aussortieren fördert und zusätzlich bremst. Hier setzen wir unsere Hoffnung in die Erklärung des kleinen Koalitionspartners, dass sich mit der freiwilligen Gemeinschaftsschule schon alles zum Besseren wenden wird.

Nehmen wir die bislang nicht erfolgte Gebietsstrukturreform. Wovor hat die Landesregierung bislang Angst? Davor, dass viele CDU-Bürgermeister, -Landräte, -Verwaltungsgemeinschaftschefs nicht mehr auf der öffentlichen Besoldungsliste stehen, oder vor den Widerständen aus der Region? Ich nehme zur Kenntnis, dass in den Regionen offen in den Zeitungen darüber diskutiert wird, wer sich mit wem zusammenschließen möchte, regelmäßig übrigens auch durch Verwaltungsbeamte, die Ihrer Partei nahestehen. Nur hier in diesem Landtag wird in einer wachsenden Beharrlichkeit darauf hingewiesen, dass es überhaupt nicht geht, überhaupt keinen Sinn macht und schon gar nichts spart. Strukturen zu ändern kostet zunächst einmal - und nicht nur - Geld, aber

manchmal eben auch Hartnäckigkeit, die Kraft des guten oder zumindest besseren Arguments und manchmal auch, und davor hatte die CDU mehr Angst als vor dem Leibhaftigen, den Einsatz oder gar den Verlust der eigenen politischen Machtposition. Manchmal muss man das akzeptieren, wenn man dem Land gegenüber etwas Gutes erreichen will. Die Haltung sollte nach meiner Ansicht sein: Wir schüren bei den Menschen nicht die Angst vor dem Verlust der vermuteten Kuscheligkeit des Immer-Weiterso, sondern treten in einen Dialog über die Frage, wie das Land und die Gemeinden ihre Aufgaben optimal erfüllen können. So sind bislang in jeder Hinsicht kleinteilige Strukturen in Thüringen angesagt, die vor Fördermittelblindheit den gesamtvolkswirtschaftlichen Blick vermissen lassen. Dann möchte ich jetzt mal aktuell auf eine Tischvorlage kommen, da hilft es dann auch nichts, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Regierungskoalition, wenn man dann in seinem Entschließungsantrag fordert, die Initiative Mitteldeutschland mit neuem Leben zu erfüllen und die Prüfung von mehr Länderbehörden wieder in Angriff zu nehmen.

(Zwischenruf Abg. Huster, DIE LINKE: Und wohin?)

Prüfaufträge, da müsste jetzt eigentlich die FDP wieder hoch und runter hüpfen, sind bestimmt wieder mit Gutachten verbunden. Das finden die gar nicht schön, vor allem da wir schon wissen, was rauskommen soll, nämlich dass es sich nicht rechnet, denn ansonsten hätten wir schon längst angefangen. Wir wissen es so gut wie alle anderen auch, ein Land wie Bayern oder Baden-Württemberg hat regionale Identitäten, regiert sich ohne Probleme, ist aber doppelt so groß wie Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt. Dass man das nicht erkennen will und meint, hier wäre man etwas Besonderes, das ist ein Strukturfehler, den wir seit 20 Jahren vor uns hertragen und von dem ich nur hoffen kann, dass er sich langsam, aber sicher abbaut.

(Zwischenruf Abg. Recknagel, FDP: Wir sind aber etwas Besonderes.)

Genau, wir sind etwas ganz Besonderes. Da werden in einem bevölkerungstechnisch schrumpfenden Land ständig neue Flächen für Wohngebiete, Gewerbegebiete und Straßen zubetoniert, nur um Fördermittel nicht verfallen zu lassen.

(Zwischenruf Abg. Dr. Pidde, SPD: Das ist ja unser Problem.)

Das ist ja heute wieder gesagt worden, wir refinanzieren alles, was wir an Förderung bekommen. Die Frage, ob vor sieben Jahren irgendwann mal in einer europäischen Behörde entschieden wurde, wie

viel Geld Thüringen bekommt und ob das noch richtig ist und gebraucht wird, die stellt sich natürlich überhaupt niemand. Wir gegenfinanzieren und haben damit gezeigt, dass wir das Richtige tun. Das halte ich für einen strukturellen Fehler.

Dass diese Infrastruktur dann teuer erhalten werden muss, während Leerstand immer größer wird, wird offenbar ausgeblendet. Kleinteilige Verwaltungen tun sich nicht nur schwer mit dem Gesamtblick, sondern auch mit der Rekrutierung geeigneten Personals, weil weder die Gehaltsstruktur stimmt noch überhaupt genügend Fachpersonal vorhanden ist und manchmal dieses Fachpersonal auch nicht - entschuldigen Sie bitte - in diese kleinteiligen Strukturen möchte. Ich möchte nur noch einmal auf das Thema Verwaltungsfehler im Wartburgkreis von gestern Abend hinweisen.

In Sachsen, die auch was sehr Besonderes sind, ist die kleinste kreisfreie Stadt, nämlich Chemnitz, immer noch größer als die größte in Thüringen, nämlich Erfurt. Ähnlich sieht es bei den Kreisen aus, wovon es dort nur noch zehn Kreise und drei kreisfreie Städte gibt bei über 4 Mio. Einwohnern. Wir sind ja ganz besondere Sachsen, historisch gesprochen, zumindest teilweise. Abgesehen von der Landesbank, wo Sachsen nicht so viel Glück hatte wie Thüringen mit der Helaba, scheint Sachsen seine Finanzen in den Griff zu bekommen, obwohl dort Geld für so was wie die Sächsische Energieagentur ausgegeben wird und konsequent in den Wärmeschutz von neuen Altbauten investiert wird und strenger Passivhausstandard mit Lüftungsanlagen in der Wärmerückgewinnung der angestrebte Standard ist. Wir fordern dafür lächerliche 800.000 € und werden kommentarlos einfach schlicht abgebügelt. Das ist dann strukturelles Festhalten an gegebenen Situationen. Womöglich zahlt es sich aber doch aus, das Geld den einheimischen Handwerkern zu geben statt irgendwelchen Energieriesen für Gas, Öl oder Kohle. Wir haben den Versuch unternommen mit unseren Änderungsanträgen und sind an der Koalition gescheitert.