Protocol of the Session on December 11, 2008

(Beifall DIE LINKE)

Die Arbeitslosigkeit bleibt weiter für 64 Prozent der Befragten ein großes Problem und es ist natürlich der Zusammenhang zur Abwanderung zu sehen. Aber wir müssen auf der anderen Seite auch noch mal deutlich sagen, dass die Einkommenssituation im Land insgesamt ein Problem ist. Wir, meine Damen und Herren, werden deshalb unter anderem bei unserer Forderung nach einem Mindestlohn von 8 € bleiben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist zu verzeichnen, dass im Monitor vielfach unsere Gesellschaft und ihre Entwicklung als ungerecht angesehen werden. Da, denke ich, gibt es schon ganz deutliche Hinweise auf die Bewertung der sozialen Marktwirtschaft, wenn ich diesen Begriff einmal so nehme; denn - und das liest man deutlich aus dem Monitor heraus, drei Viertel sehen ein deutliches Übergewicht des Marktes. Schon allein diese Aussage macht deutlich, dass wir von einer wirklichen sozialen Marktwirtschaft im Sinne von Erhard, wie vorhin von Ihnen, Herr Althaus, zitiert, in der Bewertung der Bürgerinnen und Bürger und - das sagen wir auch - in der Realität in Thüringen und in der heutigen Bundesrepublik überhaupt nicht mehr sprechen können.

(Beifall DIE LINKE)

Denn nur jeder Siebente - und das untermauert das noch einmal an dieser Stelle - sieht ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Wirtschaftsfragen, also dem Markt in diesem Falle, und den sozialen Verhältnissen. Gar nicht weiter erwähnt wird in diesem Zusammenhang, was die Auswertung betrifft, dass 74 Prozent der Befragten, das ist die Tabelle 15, der Meinung sind, aus diesen Dingen heraus gehe es in Deutschland ungerecht zu. Auch das, meine Damen und Herren, sind Realitäten im Ergebnis einer Politik, die nämlich in den gesamten letzten eineinhalb Jahrzehnten ein Schwergewicht auf Wirtschaft und Gewinnmaximierung bei gleichzeitigem Abbau der sozialen Sicherungssysteme betrieben hat. Damit, meine Damen und Herren, und damit auch Sie, Herr Althaus und die Thüringer Landesregierung, haben Sie die Grundfesten der sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland und in Thüringen erschüt

tert, infrage gestellt und erschüttert.

(Beifall DIE LINKE)

Deshalb sind wir auch der Auffassung, dass gerade unter den aktuellen Entwicklungen ein Umsteuern unbedingt notwendig ist.

Ja, zu den Fragen des Umweltschutzes haben sich die Thüringerinnen und Thüringer sehr positiv geäußert. Ich glaube sogar, dass eine Mehrheit wirklich erkannt hat, dass wir auf einige gute Ansätze auf diesem Gebiet zu verweisen haben, aber dass andererseits das, was gegenwärtig entwickelt wird aufseiten der Politik, lange nicht ausreicht. Wir sind der Auffassung und der Monitor bestärkt uns darin, dass zum Beispiel eine grundsätzliche Wende in der Energiepolitik dieses Landes unbedingt notwendig ist. Wir sind auch der Meinung, dass wir dazu in den nächsten Jahren politische Weichenstellungen durchführen müssen. Das heißt aber zum Beispiel auch, dass man sich gesamtgesellschaftlichen Fragen zuwenden muss und sie nicht umschiffen kann, wie z.B. die Monopolstellung der großen Konzerne innerhalb der Energiewirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Wir werden das weiterhin auf der Tagesordnung halten, weil ohne die Auseinandersetzung zu diesen Fragen nicht wirklich ein Umsteuern möglich sein wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Fragen zum Haushalt, zu der Einnahmen- und Ausgabensituation im Monitor sind sehr interessant, aber wer natürlich meint, wie Sie das ja vorhin getan haben, Herr Althaus, aus den Bewertungen vor allen Dingen die Festschreibung des Neuverschuldungsverbots abzuleiten, der ist, glaube ich, entschieden auf dem Holzweg.

Zunächst mal ist natürlich die Situation, dass die Thüringerinnen und Thüringer insbesondere bei den Ausgaben Einsparungen wünschen, auch darauf zurückzuführen, wie Sie in den vergangenen Jahrzehnten mit den Staatsfinanzen in diesem Land umgegangen sind. Nicht wenig haben Sie dazu beigetragen, mit Ihrer Politik bestimmte Großprojekte bis zum Getno zu fördern, die aber überhaupt keine nachhaltige Entwicklung in diesem Land hervorgebracht haben. Sie haben eine Politik gefahren - deshalb, denke ich, auch im Übrigen die Kritik an der Wirtschaftsförderung -, wo Sie ganz viele Gelder in Landesgesellschaften gegeben haben, von denen nicht klar und schon gar nicht transparent ist, was sie denn wirklich in diesem Land für den wirtschaftlichen Aufschwung leisten. Ich denke, ein ganz großer Teil derjenigen Bürgerinnen und Bürger, die sich in der Umfrage entschieden haben zu sagen, bei den Ausgaben muss der Finger darauf gelegt werden, hat damit zu tun, dass sie das Vertrauen in Ihre Umgangsfähigkeit

mit Finanzen in diesem Land und berechtigterweise lange verloren haben, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Da müssen Sie nicht das Verfassungsverbot, was Sie wollen, der Neuverschuldung bestärkt sehen. Denn das wird doch auch in der Folge völlig klar; im Sozialbereich werden von über drei Vierteln Kürzungen abgelehnt. Das ist eine logische Folge der Politik, die Sie in den vergangenen Jahren betrieben haben. Ich will aus Zeitgründen nicht wieder auf alle Einzelheiten eingehen.

Zum Bildungsbereich haben Sie sich selbst geäußert. Ebenso lehnen zwei Drittel im Übrigen Kürzungen im Umweltbereich ab. Auch das ist wieder ein Problemfeld, dem sich die CDU einmal stellen müsste. Ihre Kanzlerin hat zwar mit grundlegenden wirksamen Konjunkturprogrammen ein riesiges Problem, aber überhaupt kein Problem hatte sie damit, mit einem Federstrich aus wirtschaftlichen Erwägungen ihre ansonsten weit gepflegte Position als die Umweltkanzlerin zu streichen und einfach mal festzustellen, Umweltfragen müssen hinter wirtschaftlichen Fragen zurückstehen. Das ist die völlig falsche Politik, meine Damen und Herren, der muss Widerstand entgegengesetzt werden.

(Beifall DIE LINKE)

Bei der Wirtschaftsförderung will ich mindestens zu dem, was ich gesagt habe, noch hinzufügen: Wir brauchen vor allen Dingen auch im Rahmen der vorhandenen Mittel ein grundsätzliches Umsteuern in diesen Fördermechanismen, die ist nicht zielgenau, wie Sie sagen, Herr Ministerpräsident. Sie bringen es - ich hatte das hier bereits erwähnt, und es bleibt nach Erkenntnis auch der Kammern und von vielen Unternehmern immer wieder ein Problem - zum Beispiel nicht auf den Punkt, dass wir in erster Linie Unternehmen unterstützen müssen beim Marketing, bei der Vermarktung ihrer Produkte, denn da ist oftmals das größte Nichtrealisierungsproblem zum Absatz und letztendlich dann natürlich auch zu dem Gewinn, der aufgrund guter Produkte durchaus möglich ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Familienpolitik der Landesregierung ist erneut Fragegegenstand und ich will hier ganz deutlich sagen, wir fühlen uns durch die Auffassung der Bürgerinnen und Bürger in diesen Fragen erneut in unserer Kritik Ihrer Politik und in unseren eigenen Vorschlägen bestätigt.

(Beifall DIE LINKE)

Die weit überwiegende Mehrheit der Befragten bestätigt Ihnen, dass sie eine Förderung der Bedingungen

z.B. auch in ein kostenfreies Mittagessen, eine Förderung in die institutionellen Voraussetzungen will und nicht die individuelle Vergabe von Geld in diesen ganzen Bereichen. Ihr Konzept - wenn Sie auch immer von Wahlfreiheit reden - ist real ein anderes, Ihre Familienpolitik hat die Bedingungen in den Kindertagesstätten in dem gesamten Bereich, der damit befasst ist, weiter verschlechtert, hat die Personalauslastung verschlechtert. Die Thüringerinnen und Thüringer haben Ihnen erneut gesagt, eine solche Politik tragen sie nicht mit, die lehnen sie ab. Wir können Sie hier nur noch mal zu Ihrer grundsätzlichen Korrektur in dieser Frage in schnellster Zeit auffordern.

(Beifall DIE LINKE)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie immer befasst sich der Monitor mit den Fragen der demokratischen Einstellungen. Es gibt Zustimmung dort zur Demokratie, doch eine Mehrheit ist mit der Praxis unzufrieden. Zwei Drittel der Befragten meinen, sie hätten keinen Einfluss auf die Regierung, über 70 Prozent würden sich aber zum Beispiel in einer Bürgerinitiative engagieren. Da sage ich noch mal ganz deutlich: Wir haben die Beispiele doch im Land, wir hatten sie schon zurückliegend bei dem Engagement für die Erhaltung der Kulturlandschaft in Thüringen, wir hatten sie bei der Familienpolitik, wir hatten sie im Zusammenhang mit mehr Demokratie auf der direkten Ebene, wir haben sie zum Beispiel, um noch mal eine Replik zur Energiefrage zu machen, bei einer 380 kV-Leitung, aber Sie haben das alles im Grunde genommen immer wieder abgelehnt. Sie senden den Bürgern in diesem Lande Signale aus, dass Sie auf ihre Meinung zwischen den Wahltagen keinen Wert legen und dann müssen Sie sich nicht wundern, wenn eine große Mehrheit der Menschen im Land der Meinung ist, Sie hätten eine Politik entwickelt, mit der dann die konkrete Demokratie mit Unzufriedenheit verbunden ist. Das ist das Resultat Ihrer Politik.

(Beifall DIE LINKE)

Das ist natürlich auch ein Spannungsfeld, nochmals daraus zu schlussfolgern zwischen Wirtschaftsentwicklung und Demokratie.

Ja, soziale Marktwirtschaft baut zu Recht darauf, dass demokratische Entwicklungen durch wirtschaftliche Prosperität und Entwicklung gestärkt werden. Ja, das zeigt die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Es wäre niemals möglich gewesen nach 1945, in den alten Bundesländern dieses demokratische System aufzubauen, wenn es nicht auch mit einer wirtschaftlichen Entwicklung verbunden gewesen wäre, die die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land erreicht hat. Das ist unbezweifelbar, aber wenn heute natürlich wir eine Situation zu ver

zeichnen haben, dass diejenigen, die die wirtschaftliche Situation im Land gut einschätzen, auf der anderen Seite auch die Demokratie positiv bewerten, dass aber diejenigen, die wirtschaftlich eher eine kritische Bewertung und sicherlich auch eine kritische Situation bei sich selbst vorfinden, auch die Frage der Demokratie im Grunde genommen kritischer bewerten, das zeigt uns doch, dass wir das generelle Umsteuern auf diesem Gebiet in durchgreifender Art und Weise brauchen. Wir müssen weg davon, dass Finanzspekulationen und Gewinne allein im Mittelpunkt des Fokus von politischer Regulierung stehen. Wir müssen wieder dazu kommen, dass politische Regulierung in diesem Land wirtschaftliche Rahmenbedingungen setzt, aber auch dafür sorgt, dass die Gewinne und die Ergebnisse dieser Wirtschaftspolitik einer Mehrheit der Bevölkerung zugute kommt. Nur dann hat die soziale Marktwirtschaft eine Chance, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Es bleibt weiter eine große Herausforderung, sich vor dem Hintergrund der Stärkung unserer Demokratie mit dem Rechtsextremismus auseinanderzusetzen. Meine Damen und Herren, auch 2008 ist ein Rückgang in mehreren Einstellungsmustern des Neofaschismus zu verzeichnen, auch des Anteils der rechtsextremen Einstellungen und das ist natürlich eine positive Entwicklung, dennoch, die Gefahr des Rechtsextremismus bleibt die größte Herausforderung der Demokratie. Solange Menschen bestimmte Orte zu bestimmten Zeiten in Thüringen meiden, da sie Angst haben, Opfer einer rechtsextremen Straftat zu werden, ist Freiheit in diesem Lande gefährdet, meine Damen und Herren. Die Straftaten in 2007 im rechtsextremen Bereich sind um ein Drittel gestiegen, in 2008 entwickeln sie sich weiter auf hohem Niveau, wenn nicht gar noch eine Steigerung zu verzeichnen ist. Aggressives und selbstbewusstes Auftreten der rechtsextremen Organisationen in Thüringen ist zu verzeichnen und dem muss konsequent begegnet werden. Gemeinsame Aufgabe für das Jahr 2009 ist es, denke ich, alles daran zu setzen, um den Einzug rechtsextremer Parteien in die kommunalen Vertretungen und den Thüringer Landtag zu verhindern, meine Damen und Herren. Langfristig und nachhaltig - und das sage ich an dieser Stelle noch einmal und unterstreiche es - brauchen wir dazu ein Landesprogramm für Demokratie und gegen Rechtsextremismus. Nichts führt aus unserer Sicht an dieser Aufgabe vorbei. Die Landesregierung verweigert sich dem weiter beharrlich.

Ich fordere Sie hier noch einmal dazu auf: Finden Sie den Konsens mit uns, mit den Oppositionsparteien, vor allem aber, Herr Althaus, mit den vielen Menschen, die zivilgesellschaftlichen Widerstand leisten, die Sie vorhin völlig zu Recht in Ihrer Rede gewürdigt

haben. Diese Menschen haben ein solches Landesprogramm verdient. Machen wir uns dazu auf, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wird nicht überraschen, dass meine Gesamtbewertung dieses Monitors sich gravierend von der des Ministerpräsidenten unterscheidet. Ich sage Ihnen, dieser Monitor ist ein Spiegelbild Ihrer verfehlten Politik in den zurückliegenden Jahren, dieses Land braucht grundlegende Veränderungen und ich sage Ihnen, in diesem Land ist die Zeit für Veränderungen gewachsen, was auch die Menschen im Land spüren.

(Beifall DIE LINKE)

Das Wort hat der Abgeordnete Matschie, SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident, wenn Sie diese Rede im Juli gehalten hätten, wäre sie zwar auch nicht gut, aber noch politisch irgendwie akzeptabel gewesen, dass Sie diese Rede heute hier so halten, wirft die Frage auf, ob Sie überhaupt noch mitkriegen, was eigentlich in diesem Land passiert. Lesen Sie Zeitung? Hören Sie Nachrichten? Herr Ministerpräsident, dieser Thüringen-Monitor, den Sie hier ausführlich referiert haben, das ist eigentlich ein Sonderfall. Das Thema des Monitors, nämlich die soziale Marktwirtschaft und ihre Beurteilung, das ist hochaktuell, aber die Zahlen, die der Monitor liefert, die sind überhaupt nicht mehr aktuell, die sind von der Zeit völlig überholt. Da muss man nicht einmal einen Blick in den aktuellen Deutschlandtrend der ARD werfen, um zu wissen, dass sich die Einschätzung von Menschen in dieser Frage, die Einschätzung in der Frage, wie sich soziale Marktwirtschaft bewährt, wie der Staat handeln muss, derzeit gravierend verändern. Die Zahl derjenigen, die heute sagen, der Staat muss aktiver in die Wirtschaft eingreifen, die ist deutlich größer als sie noch vor Monaten gewesen ist. Wir leben in einer Zeit des Umbruchs und man kann ja einmal ein kleines Experiment machen, gedanklich und sich fragen, was wird eigentlich in Erinnerung bleiben von diesem Jahr 2008. Ich vermute, es wird nicht die gute Platzierung von Thüringen bei PISA sein. Es wird auch nicht Frau Ypsilanti sein und es wird auch nicht die Tatsache sein, dass die Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren in Deutschland um 2 Millionen zurückgegangen ist. Im Rückblick wird das Jahr 2008 in Erinnerung bleiben als das Jahr der großen Krise, der großen Finanz- und Wirtschaftskrise. Meine Einschät

zung ist, dieses Jahr markiert eine Zeitenwende. Die Krise bestimmt die Debatte, die Krise verändert die Einstellung der Menschen und offensichtlich ist das nur an Ihnen, Herr Althaus, vorbeigegangen. Auf der Tagesordnung stand heute eine Regierungserklärung und in einer solchen Situation muss man doch von einer Regierung erwarten, dass sie mehr tut, als einen wissenschaftlichen Bericht zu referieren. Sie sind Ministerpräsident dieses Landes, Sie haben Handlungskompetenz, Sie sind nicht der Pressesprecher des Thüringen-Monitors, Herr Althaus.

(Beifall SPD)

Wir leben in einer Krise, in einer Zeit, in der sich Politik wandelt und wandeln muss. Für mich ist klar, die Zeit der Deregulierung ist vorbei. Die Politik muss sich Gestaltungsspielräume zurückholen und sie wird sich Gestaltungsspielräume zurückholen, davon bin ich überzeugt.

Werte Kolleginnen und Kollegen, ich sage auch ganz deutlich, es hilft nicht, wenn wir uns mit Katastrophenszenarien überbieten. Aber genauso richtig ist, dass man in einer schwierigen Situation eben nicht den Kopf in den Sand stecken darf, wie wir das eben beim Regierungschef gesehen haben, sondern dass man in einer schwierigen Zeit der Situation auch offen ins Auge blicken und sehen muss, was da im Land vor sich geht. Wer sich offen umschaut, der kommt nicht daran vorbei, dass wichtige Wirtschaftsinstitute uns sagen, wir stecken schon tief drin in der Krise und es wird möglicherweise die tiefste Krise seit 60 Jahren sein, die wir da noch vor uns haben. Wer mit offenen Augen durchs Land geht, der hat die Ankündigung gesehen, die aus der Automobilzulieferindustrie in diesen Tagen gekommen ist, wo Vertreter der Unternehmen sagen, wir rechnen damit, dass 10.000 Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer in den nächsten Wochen ihre Arbeit verlieren werden. Das sind doch alles Signale, die ein Regierungschef nicht einfach übersehen darf. Wir müssen der Situation offen ins Augen blicken, ohne Katastrophen an die Wand zu malen und wir müssen den Menschen aber auch sagen, was wir tun in der Krise, wie ein Weg aus dieser Krise herausführen kann. Dann fassen Menschen wieder Vertrauen, dann sind sie überzeugt, dass wir die Situation meistern können. Das Schlimmste ist, sich in einer schwierigen Situation zurückzulehnen, abzuwarten und nichts zu tun. Wir müssen Mut machen und wir müssen auch zeigen, dass wir selbst Mut haben und in der Lage sind, zu handeln in der Krise.

(Beifall SPD)

Da das bei Ihnen kaum eine Rolle gespielt hat, will ich noch einmal daran erinnern, was eigentlich in den letzten Wochen passiert ist. Am 15. September

war es, als ein Bruch eintrat in der kritischen Zuspitzung, nämlich mit der Insolvenz der Bank Lehman Brothers in den USA. Danach war nichts mehr wie es vorher gewesen war. Kurz darauf, Ende September, brach dann die größte US-Sparkasse zusammen und wenige Tage später hatten wir in Deutschland die Auswirkungen mit der Krise der Hypo Real Estate. Es hat nur wenige Tage gedauert, im Oktober musste die Bundesregierung eine Komplettgarantie für die deutschen Spareinlagen abgeben, weil Panik drohte, weil die Menschen das Vertrauen in die Banken verloren hatten. In dieser Zeit stand Island schon vor dem Staatsbankrott, in England wurde ein Teil der Banken verstaatlicht und Mitte Oktober hat die Bundesregierung dann ihr Rettungspaket für die Banken im Umfang von 500 Mrd. € auf den Weg gebracht gemeinsam mit den Ländern, die das im Bundesrat mitgetragen haben, genauso wie sie jetzt vor einer Woche das Konjunkturpaket der Bundesregierung im Bundesrat mitgetragen haben.

Wenn man sich das anschaut, dann kann man nur zu dem Schluss kommen, dass Politik und soziale Marktwirtschaft hier vor einer echten Bewährungsprobe stehen. Ich will, dass wir in der Krise eine Politik des Handelns machen, nicht eine Politik des Abwartens. Ich bin nicht der Einzige, der hier aktiveres Handeln einfordert. Ich will mich nicht nur auf die vielen Wirtschaftsinstitute berufen, die das tun, auf die Wirtschaftsweisen, die die Bundesregierung beraten. Auch Horst Köhler hat heute in einem Zeitungsinterview eine konzertierte Aktion und ein stärkeres Handeln in der Krise eingefordert. Das gilt genauso für den Bund wie es für das Land gilt.

Die ersten Schritte auf der Bundesebene sind getan, aber ich sage auch ganz deutlich, weitere Schritte müssen folgen. Ich bin in dieser Frage ungeduldig. Ich finde, wir sollten nicht weiter abwarten in dieser Zeit; wer abwartet, verliert wichtige Zeit. Jetzt, am Anfang der Krise, sind die Chancen am größten, noch erfolgreich gegenzusteuern. Jeder kennt doch dieses Bild, wenn ein Stein erst mal am Hang ins Rollen gekommen ist, dann nimmt die Wucht zu und dann wird es immer schwerer, diesen Stein irgendwann wieder zu stoppen. Das weiß jeder. Deshalb sage ich, jetzt muss Politik schnell handeln, jetzt darf Politik nicht weiter abwarten, wir brauchen ein deutliches Signal gegen die drohende Flaute im Bund und auch auf der Landesebene.

(Beifall SPD)

Deshalb brauchen wir ein zweites Konjunkturpaket und wir können dabei die Krise auch als Chance nutzen für einen Modernisierungsschub, für eine Modernisierungsstrategie unserer Volkswirtschaft und unserer Infrastruktur.

Das Deutsche Institut für Urbanistik schätzt zum Beispiel den Investitionsbedarf der Kommunen bis zum Jahr 2020, also bis zum Auslaufen des Solidarpakts, auf etwa 700 Mrd. €. Das ist ein gewaltiger Investitionsbedarf in den Kommunen. Wir wissen auch, dass es einen erheblichen Investitionsstau gibt, weil viele Kommunen nicht in der Lage sind, die notwendigen Investitionen zu tätigen. Deshalb mein Vorschlag: an dieser Stelle jetzt ansetzen. Wir haben in Deutschland beispielsweise 40.000 Schulen, 50.000 Kindergärten, die Hälfte davon gilt als energetisch sanierungsbedürftig. Warum nicht jetzt in der Krise genau diese Aufgabe anpacken, Geld in die Hand nehmen, in die Kindergärten, in die Schulen investieren, für bessere Bedingungen sorgen, für Energieeinsparungen sorgen? Das hilft uns doch auch langfristig, werte Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall SPD)

Oder: Jeder, der in der Kommunalpolitik ist, kennt die Debatten über die Energiekosten von Kommunen. Straßenbeleuchtung ist immer wieder ein Thema. Warum nicht jetzt in der Krise Geld in die Hand nehmen und an dieser Stelle investieren, energiesparende Straßenbeleuchtung installieren, energiesparende Beleuchtungseinrichtungen in den öffentlichen Gebäuden?

Oder Solarindustrie: Wir sind doch ein Bundesland, in dem Solarindustrie, die Produktion von Solarzellen, eine enorme Rolle spielt. Hier im mitteldeutschen Raum, in Thüringen, in Sachsen-Anhalt und in Sachsen, werden 80 Prozent aller Solarzellen in Deutschland produziert, 20 Prozent der Weltsolarzellenproduktion. Warum nicht jetzt Geld in die Hand nehmen und ein neues Solarprogramm starten? Ein Programm beispielsweise nicht nur für private Haushalte, denn 95 Prozent der bisherigen Förderung gehen bereits in kleine Anlagen auf privaten Dächern. Warum nicht jetzt ein Großprogramm starten für große, öffentliche Gebäude, ein neues Solarzellenprogramm, das die Wirtschaft ankurbelt und für einen Fortschritt bei den erneuerbaren Energien sorgt? Das ist das Gebot der Stunde.