anders kann ich Ihre ausschließliche Fokussierung auf Mitteldeutschland, konkret Halle, Leipzig, Jena, nicht umschreiben - werden Thüringen nicht voranbringen. Wenn wir nicht Mittelmäßigkeiten und Stillstand haben wollen, wenn wir große Räder drehen wollen, brauchen wir ein klares Bekenntnis zum Aufbau und Erhalt der globalen Wettbewerbsfähigkeit unserer universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Allerdings trägt die Reduzierung des auf Thüringen entfallenen Anteils von Bundesmitteln für den Hochschulbau von 48 auf - das wissen Sie ja - 39 Mio. !- zum Aufbau einer internationalen Wettbewerbsfähigkeit bei. Ich glaube, Herr Matschie, war das nicht Ihr früheres Betätigungsfeld zumindest bis Sommer? Sie waren ja da in Ihrer entsprechenden Funktion als Parlamentarischer Staatssekretär und haben da auch einiges mit zu verantworten.
Meine Damen und Herren, die Zauberformel heißt also Globalisierung und nicht Regionalisierung. Die wichtigsten Kennzeichen von Globalisierung sind Entgrenzung, also auch keine neue mitteldeutsche
und gesellschaftliche Autonomie. Ob wir, ich oder Sie, Herr Matschie von der SPD, es wollen oder nicht, spielt keine Rolle, wir sind längst auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen,
Globalisierung gerade im Forschungsbereich als Chance zu ergreifen und, meine Damen und Herren von der SPD, auch zu begreifen.
Auch der Campus Thüringen profitiert vom globalen Wettbewerb, der allerdings auch Gefahren birgt, denen wir uns stellen müssen.
Was steckt eigentlich hinter dem Begriff "Globalisierung"? Globalisierung heißt vor allem weltweite Kommunikation mit modernster Technik, heißt auch schwinden und nicht verschwinden staatlicher Steuerung, heißt kooperativer Politikstil, heißt vordergründig das Abarbeiten weltweiter und nicht provinzspezifischer Probleme. Globalisierung heißt neben Wettbewerb natürlich auch Standortpolitik. Die Gefahr dabei liegt auf der Hand, das Verschlafen zukunftsorientierter Chancen.
Meine Damen und Herren, Globalisierung bietet Chancen, die dazu beitragen, im Land eine Aufbruchstimmung zu erzeugen und dabei eigene Kräfte und Möglichkeiten zu aktivieren. Theoretisch funktioniert dies ganz einfach, man schaue auf Erfolgsmodelle weltweit und frage sich: Können wir so etwas nicht auch? Genau an dieser Stelle, meine Damen und Herren von der SPD, ist eben der Blick auf Mitteldeutschland, auf Halle, Leipzig, Jena, zu kurz bzw. zu begrenzt.
Erlauben Sie mir noch auf einen Aspekt hinzuweisen: Seit Jahren versuchen wir Wissenschaftspolitiker in der Öffentlichkeit - nicht nur in der Politik auch eine Art Akzeptanz zu erzeugen, eine Akzeptanz dafür, dass wir in Bildung und Wissenschaft mehr investieren müssen, vielleicht auch auf Kosten von anderen Bereichen, von sozialen Bereichen. Mit Ihrem Aspekt, mit Ihrer Fokussierung auf Jena erzeugen Sie - Frau Dr. Kaschuba hat das auch angedeutet - eine Neiddebatte.
Mit dieser Neiddebatte helfen Sie dem ganzen Thüringen eben nicht. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Per Fingerzeig tat nun auch mir der Minister kund, dass er reden wolle. Herr Minister Prof. Dr. Goebel, bitte.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, natürlich ist das ein Thema, zu dem auch ich einiges sagen möchte und einiges zu sagen habe. Die Landesregierung fördert, unterstützt und begleitet bereits seit vielen Jahren Aktivitäten zur Zusammenarbeit der Region Mitteldeutschland und wird das auch künftig tun. Die Landesregierung hat zu keiner Zeit, Herr Matschie, auf die Bremse getreten, sondern wir geben auch in dieser Frage der Zusammenarbeit der Länder in Mitteldeutschland in vielen Bereichen tüchtig Gas. Das betrifft auch die Kooperation der Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Auch da sind wir uns in den Bestrebungen mit Sachsen-Anhalt und Sachsen durchaus einig. Aber, da muss ich ein Argument vieler meiner Vorredner aufgreifen, man darf dabei nicht verkennen, dass es natürlich in allererster Linie Angelegenheit der Akteure selbst ist, die Vernetzung miteinander kooperationsfähiger Einrichtungen und Strukturen zu bewerkstelligen. Das kann in der Tat nicht durch die Politik geleistet werden, sonst hätten wir den Dirigismus, von dem Frau Kaschuba in ihrem Beitrag sprach, den ich allerdings nicht sehen kann, denn ich denke, die Thüringer Hochschulpolitik ist inzwischen weit weg von Dirigismus. Wir werden auch in dieser Legislaturperiode in der Verschlankung unserer Gesetzgebung so weit voranschreiten, dass die Gestaltungskräfte der Hochschulen, auch was Kooperationen über die Landesgrenzen - und das meint nicht nur die Grenzen zwischen Bundesländern - hinaus angeht, dass es solche Kooperationen weiter und intensiv geben wird. Ich bin froh, Herr Matschie, dass Sie inzwischen einräumen, dass es intensive Kooperationen der Jenaer Hochschulen, der Thüringer Hochschulen in andere Bereiche gibt. In Ihrem Antrag hat sich das anders gelesen. In Ihrem Antrag lese ich, es gäbe bislang zwischen den Standorten Leipzig, Halle und Jena nur wenige Kooperationsansätze. Das ist nicht so. Sie haben selbst davon gesprochen. Es gibt eine vertragliche Zusammenarbeit zwischen der Friedrich-Schiller-Universität und den Universitäten in Halle und Leipzig und diese Zusammenarbeit lebt. Daran sind alle Fakultäten der Friedrich-Schiller-Universität beteiligt.
Es werden gemeinsame Studiengänge, gemeinsame Jahrestagungen, Doktorandenseminare, Workshops, Ringvorlesungen, Ferienkurse und andere Veranstaltungen durchgeführt, Sonderforschungsbereiche initiiert, Drittmittelprojekte und Diplomarbeiten auf den Weg gebracht und gemeinsame Publikationen herausgegeben. Deshalb kann man eben auch nicht von wenigen Kooperationsansätzen sprechen. Ich hatte mir eine Liste von allen möglichen Kooperationen zwischen Jena und den Universitäten in Sachsen und Sachsen-Anhalt aufgeschrieben, ich habe hier auch die Kooperationen der Fachhochschule Jena und vieler anderer Fachhochschulen aufgeschrieben. Herr Staatssekretär Juckenack hat mir zugearbeitet die Kooperation der Fachhochschule Nordhausen in den niedersächsischen Raum. Es gibt breite Netzwerke
und diese breiten Netzwerke fördern und unterstützen wir auch, Herr Matschie, aber es müssen Netzwerke sein, die entstehen aus der Kooperation der Wissenschaftler selbst. Das Projekt, was in Ihrem Antrag genannt wurde, die BioRiver-Region in Nordrhein-Westfalen, ist einerseits untauglich und zeigt andererseits die Richtigkeit auch des Ansatzes der Thüringer Landesregierung. Bei der BioRiver-Region, Herr Bausewein hat das ja hier schon ausgeführt, handelt es sich nämlich nicht um eine Aktivität zur länderübergreifenden Koordinierung, BioRiver dient einzig und allein der Vermarktung von fünf so genannten Bioregionen in Nordrhein-Westfalen. BioRiver ist auch keine bemerkenswerte neue Aktivität, sondern der im Oktober 2003 neu geprägte Markenname einer längst vorhandenen Struktur, nämlich der im BioRegio-Wettbewerb des BMBF im Jahre 1997 siegreichen Modellregion Rheinland - siegreich übrigens neben zwei weiteren Regionen und der Region Jena, das heißt, eine vergleichbare Struktur zu BioRiver ist mit dem BioRegio Jena e.V. geschaffen. Eine solche Initiative gibt es in Thüringen längst; und BioRiver ist ebenso wie die Initiative Bioinstrumente Jena das Ergebnis einer zwar durch das Land und den Bund unterstützten, aber eben einer unmittelbar von den Akteuren getragenen Initiative. Das, denke ich, sollte auch weiter in Thüringen und in der Zusammenarbeit zwischen den Wissenschaftsstandorten Thüringens, Sachsens und Sachsen-Anhalts gegebenen Einrichtungen so sein. Die Thüringer Landesregierung hält jedenfalls wenig von einer von oben verordneten Schaffung zusätzlicher Institutionen. Sie setzt vielmehr auf das Handeln der verantwortlichen
Akteure, welches, wie ich Ihnen an vielen Beispielen hier noch verdeutlichen könnte, in wünschenswerter Vielzahl und Vielfalt vorhanden ist. Wo immer es angebracht ist, die Rahmenbedingungen für eine Zusammenarbeit der Regionen Mitteldeutschlands zu verbessern, wird die Landesregierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten und im Zusammenwirken mit den Regierungen in Magdeburg und in Dresden das Erforderliche dazu beitragen. Eines Antrags, wie Sie ihn hier gestellt haben, jedenfalls bedarf es dazu nicht. Vielen Dank.
Ich sehe keine weiteren Redemeldungen und schließe die Aussprache. Es ist Ausschussüberweisung beantragt worden, und zwar die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Wissenschaft, Kunst und Medien. Herr Abgeordneter Buse?
Frau Präsidentin, im Namen der PDS-Fraktion beantrage ich auch die Überweisung an den Ausschuss für Wirtschaft, Technologie und Arbeit.
Dann stimmen wir in dieser Reihenfolge ab: zunächst Ausschussüberweisung an den Ausschuss für Wissenschaft, Kunst und Medien. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Danke schön. Die Gegenstimmen bitte. Danke schön. Das ist eine Mehrheit. Gibt es Stimmenthaltungen? Die gibt es nicht. Mit einer Mehrheit von Gegenstimmen ist dieser Antrag zur Überweisung an den Ausschuss für Wissenschaft, Kunst und Medien abgelehnt worden.
Wir kommen als Nächstes zur Ausschussüberweisung an den Ausschuss für Wirtschaft, Technologie und Arbeit. Wer dem zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen? Danke schön. Die Gegenstimmen bitte. Das ist jetzt auch eine Mehrheit von Gegenstimmen, die etwas größer geworden ist. Damit ist auch diese Ausschussüberweisung abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag direkt. Wer diesem Antrag der SPD-Fraktion zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Danke schön. Die Gegenstimmen bitte. Das ist eine Mehrheit von Gegenstimmen. Stimmenthaltungen. Es gibt auch eine ganze Reihe von Stimmenthaltungen. Der Antrag der SPD-Fraktion ist abgelehnt. Ich schließe den Tagesordnungspunkt 10.
Entwurf einer EU-Richtlinie zur Schaffung eines Binnenmarkts für Dienstleistungen KOM (2004) 2 Antrag der Fraktion der PDS - Drucksache 4/393
Die einreichende Fraktion hat keine Begründung beantragt und die Landesregierung hat signalisiert, dass Minister Reinholz als Erster sprechen möchte. Bitte, Herr Minister.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Dienstleistungssektor hat in Europa, aber auch in Deutschland und in Thüringen einen ganz entscheidenden Anteil an der Wirtschaftsleistung und der Beschäftigung. So generiert er allein fast 70 Prozent des Bruttoinlandprodukts und der Beschäftigung in der EU. Das vom Europäischen Rat in Lissabon im Jahre 2000 gesetzte Ziel lautet, die EU bis zum Jahre 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Wenn dieses Ziel Realität werden soll, dann wird es gerade im Dienstleistungsbereich darauf ankommen, rechtliche und bürokratische Hindernisse abzutragen. Um das enorme Potenzial des Dienstleistungssektors für Wachstum und Beschäftigung besser nutzen zu können, hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt vorgelegt. Ziel ist, die Hindernisse für die Niederlassungsfreiheit von Dienstleistungserbringern und für den freien Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten zu beseitigen und die erforderliche Rechtssicherheit zu schaffen. Um es gleich vorwegzunehmen: Nach meiner Einschätzung würde auch Thüringen von einer besseren Dienstleistungsfreiheit in Europa profitieren. Immerhin spielt der Dienstleistungssektor auch im Freistaat eine recht gewichtige Rolle; im Jahre 2003 lag sein Anteil an der Bruttowertschöfung immerhin bei 67 Prozent. Grundsätzlich ist es deshalb wichtig, bestehende Hemmnisse für grenzüberschreitende Dienstleistungen zu beseitigen und Verfahren zu vereinfachen, damit auch Thüringer Dienstleistungsunternehmen leichter in anderen Europäischen Mitgliedstaaten ihre Dienstleistungen anbieten können. Sicherlich sind einige der aufgeworfenen Fragen und Bedenken nicht von der Hand zu weisen - ich denke da zum Beispiel an die Verletzung des Subsidiaritätsprinzips -, allerdings komme ich im Ergebnis doch nicht zu einer Ablehnung des gesamten Richtlinienvorschlags. Vielmehr betrachte ich ihn als einen ersten und sicher diskussionswürdigen, aber doch
wichtigen Schritt, um in Europa einen wirklich einheitlichen Binnenmarkt zu schaffen, einen Binnenmarkt also, der allen Akteuren gleiche Marktchancen bietet. Einige Artikel des Richtlinienvorschlags entsprechen nicht unseren Vorstellungen und denen anderer Bundesländer. Sie greifen zu tief in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten ein, deshalb hat der Bundesrat schon frühzeitig Änderungsvorschläge formuliert. So wurden beispielsweise die Regelungen zum so genannten Herkunftslandprinzip und die Verletzung des Subsidiaritätsprinzips kritisiert. Des Weiteren legt der Bundesrat im Hinblick auf wirtschaftliche Tätigkeit im Rahmen der Daseinsvorsorge - ich zitiere wörtlich - "Wert auf die Feststellung, dass die Regelungen der Daseinsvorsorge grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten sind. Bestrebungen, die die grundsätzliche Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Daseinsvorsorge infrage stellen, tritt er entschieden entgegen." Zudem stellt der Bundesrat fest, dass der Geltungsbereich der geplanten Richtlinie nicht überall klar erkennbar sei, und fordert entsprechende Ausnahmen für bestimmte Berufsgruppen und Dienstleistungsbereiche. Hierunter fallen zum Beispiel Notare und Rechtsanwälte, audiovisuelle Dienstleistungen, Glücks- und Gewinnspiele, Berufe und Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit der Ausübung der öffentlichen Gewalt stehen, Verkehrsdienstleistungen wie bestimmte Hafendienste, Bereiche des Schienenverkehrs und des öffentlichen Nahverkehrs, Tätigkeiten von Sachverständigen und Kfz-Überwachung sowie wirtschaftliche Tätigkeiten der Daseinsvorsorge. Und schließlich fordert der Bundesrat auch eine Beteiligung der EU, zumindest an den Kosten für die Stellen der einheitlichen Ansprechpartner.
Meine Damen und Herren, Sie werden feststellen, dass dies eine Menge von Änderungswünschen und Forderungen sind, die jetzt im Rahmen der Verhandlungen über den Vorschlag mit Nachdruck im Europäischen Parlament und im Rat vertreten werden müssen. Aber ich meine auch, meine Damen und Herren, dass sich dieser Aufwand lohnen wird. Eine Ablehnung des Richtlinienvorschlags in seiner Gesamtheit, meine Damen und Herren, wie Sie es von der PDS fordern, würde die Schaffung des einheitlichen europäischen Binnenmarkts behindern, weil sich an den bisherigen Hindernissen dann auch nichts ändern würde.
Wie eingangs schon festgestellt, ist der Dienstleistungsbereich ein enormer Wirtschaftsmarkt. In einem Handelsblattartikel vom 29. November dieses Jahres ist davon die Rede, dass durch die Liberalisierung des Dienstleistungsmarkts EU-weit bis zu 2,5 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden können. Die Chance, daran zu partizipieren, würden wir durch eine generelle Ablehnung der Dienstleistungsrichtlinie jedenfalls verspielen. Anstatt auf Ab
lehnungskurs zu gehen, meine Damen und Herren, sollten wir den Richtlinienvorschlag konstruktiv begleiten, damit er in seiner Umsetzung auch rasch vorankommt. Aus dem Grund, denke ich, ist der Antrag der PDS-Fraktion abzulehnen. Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, wer kennt eigentlich von ihnen Frits Bolkestein?
Also um es vorwegzunehmen, es ist nicht die holländische Antwort auf die Niederlage von München 74. Der in der Öffentlichkeit als umstritten bezeichnete EU-Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein entspricht nach meiner Auffassung zumindest zu Recht dem Idealtyp eines Neoliberalen. Kurzer Ausriss aus seiner Biographie: 17 Jahre diente der 1933 geborene Niederländer dem Ölmulti Shell. Später war er Aufsichtsrat beim Pharmakonzern Merck, und nach einigen Jahren, Jahrzehnten als Abgeordneter und Minister in den Niederlanden wurde er schließlich Kommissar für den europäischen Binnenmarkt. Die grenzenlose Privatisierung des öffentlichen Dienstleistungsgewerbes wurde praktisch somit zu seiner Lebensaufgabe. Ein Zitat von ihm ist überliefert, das da lautet, Frau Präsidentin: "Die nationalen Vorschriften sind zum Teil archaisch, übertrieben, aufwändig, und sie verstoßen gegen das EU-Recht." beschied er bereits im Januar dieses Jahres. Diese Vorschriften müssen daher schlichtweg verschwinden - zweifellos eine Herkules-Aufgabe. Das Abschiedsgeschenk des scheidenden Binnenmarktkommissars an seinen Nachfolger, das kann man zumindest mit Fug und Recht behaupten, ist das wohl brisanteste politische Projekt der Europäischen Union der letzten Jahre. Es ist dieser Vorschlag für eine EU-Dienstleistungsrichtlinie. Man kann auch sagen, dass selten ein Vorschlag der Kommission auf so einmütige Ablehnung der Rechtsexperten, Gewerkschaften, Verbände der kleinen und mittleren Unternehmen, der sozialen Verbände, der Krankenkassen, der freien Berufe etc. gestoßen ist. Vom Bundesrat bis zum französischen Staatsrat ist die Kritik deutlich vernehmbar. Herr Minister Reinholz, Sie haben eben erwähnt, die Beschlusslage aus dem Bundesrat, sie datiert vom 2. April dieses Jahres, und ich finde es bemerkenswert, dass der Bundesrat einen so umfänglichen Fragen-, ja ich möchte sogar sagen, Kri
tikkatalog als Beschlusslage aufgenommen hat, so dass es sich durchaus lohnt, darüber nachzudenken, ob man dieser Richtlinie seine Zustimmung erteilt.
Dieser so genannte Bolkestein-Entwurf ist die komplexeste, komplizierteste und in sich mit dem existierenden europäischen Recht und der künftigen Verfassung widersprüchlichste Vorlage in der Geschichte der Europäischen Union. Er greift umfassend wie nie in die nationale Souveränität ein, setzt sich über den Wortlaut der EG-Verträge und die ausschließlichen Zuständigkeiten einzelner Mitgliedstaaten schlichtweg hinweg und verlangt sogar, dass neue Gesetze, Vorschriften hier nur mit Zustimmung der Brüsseler Bürokratie beschlossen werden dürfen. Eklatant sichtbar wird der Eingriff in die nationale Souveränität durch den faktischen Wegfall der öffentlichen Kontrolle für ausländische Dienstleistungsunternehmen, die auf heimischem Boden tätig werden.
Welche Bedeutung - es wurde hier schon angerissen - haben die Dienstleistungsbranchen in der Europäischen Union? Herr Minister Reinholz hat es ausgeführt, ich möchte es nur kurz umreißen. Es ist in der Tat so, zwischen 60 und 70 Prozent des Bruttoinlandprodukts in den Mitgliedstaaten, mehr als 50 Prozent, entfällt auf die nicht vom Staat erbrachten Dienstleistungen. Die noch unregulierten Bereiche beschäftigen über 60 Millionen Arbeitnehmer und erwirtschaften im Jahr rund 3 Billionen
Kommen wir zum geplanten Geltungsbereich dieser Richtlinie. Der Geltungsbereich umfasst bis auf einige Ausnahmen, wie zum Beispiel die regulierten Bereiche, alle Dienstleistungen, die als wirtschaftliche Tätigkeiten auch solche nichtwirtschaftlicher Art, soweit sie in der Regel gegen Entgelt erbracht werden. Weil Entgelt nicht nur vom Empfänger der Leistung bezahlt werden muss, sondern auch vom Staat in Form von Beihilfen gezahlt werden kann, sind damit auch direkt und indirekt Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge, wie beispielsweise Gesundheitsdienstleistungen, soziale und kommunale Dienste, erfasst.
Das Ziel, meine Damen und Herren, dieser Richtlinie laut Kommission ist, alle in der Europäischen Union noch bestehenden Hindernisse im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr zu beseitigen, damit in der EU ansässige Unternehmen ihre Dienstleistungen gemeinschaftsweit anbieten können. Die Unternehmen sollen allein den Gesetzen ihres Herkunftslandes folgen und dies ohne andere oder zusätzliche Regelungen des Landes beachten zu müssen, in dem sie ihre Leistungen erbringen. Der Kommission geht es um nicht mehr oder weniger als um den Abbau aller Verwaltungs- und rechtlicher Barrieren im Dienstleistungsverkehr, ob nun berechtigt oder unberechtigt. Allen vorgeschlagenen Maß
nahmen liegt die Idee eines umfassenden mehrjährigen Prozesses der Deregulierung, Liberalisierung und letztlich Privatisierung zugrunde.
Meine Damen und Herren, in dieser Richtlinie kristallisiert sich ein ganz entscheidender Punkt sehr dominant heraus - ich habe es angerissen -, das ist die Frage des Herkunftslandprinzips. Es besagt, dass die Dienstleistungserbringer nur den Rechtsvorschriften ihres Herkunftslandes unterliegen, und zwar bezüglich der Aufnahme und der Ausübung der Dienstleistung, in dem er niedergelassen ist, und der Regelung des Verhaltens der Dienstleistungserbringer, der Qualität oder des Inhalts, der Regelung der Werbung, der Verträge und der Verantwortlichkeit.
Meine Damen und Herren, natürlich stellt sich die Frage der Konsequenzen aus einer solchen Absicht. Das bedeutet, dass auf dem Boden ein und desselben Staates 25 parallele Rechtssysteme in zwanzig Sprachen gültig sein können und in Konkurrenz miteinander treten können. Das anzuwendende Recht wäre von Person zu Person bzw. Betrieb zu Betrieb je nach Herkunft des Dienstleisters völlig verschieden. Eine solche Situation, und das kann man mit Fug und Recht behaupten, ist in der Geschichte ohne Beispiel und selbst beim Turmbau zu Babel gab es zwar verschiedene Sprachen, aber es galt das Recht des Stadtkönigreiches Babylon.
In der Konsequenz für Deutschland werden sich inländische Betriebe strengeren Auflagen unterziehen müssen als ausländische. Da steht die Frage für manche ist es ein böses Wort, ich will es aber dennoch hier nennen - der so genannten Inländerdiskriminierung. Sie würden die Gleichstellung mit der ausländischen Konkurrenz einklagen oder aber ihre Unternehmen dorthin verlagern, wo günstigere Normen, günstigere Standards, Sozialauflagen, Umweltabgaben, sowie Steuern angeboten werden. Nach der Richtlinie - so, wie sie momentan im Entwurf vorliegt - genügt bereits eine Briefkastenfirma, sagen wir, in Riga oder der Slowakei oder vielleicht auch auf der Insel Jersey, um von den einschlägigen deutschen Belastungen befreit zu sein.