Herr Abgeordneter Döring, Sie hatten versprochen, dass Sie noch eine Frage beantworten. Herr Abgeordneter Schwäblein.
Schönen Dank. Herr Kollege Döring, können Sie sich vielleicht vorstellen, dass die Eltern, die ihre Kinder bewusst auf die Reformschulen Thüringens schicken, sei es Jenaplan, Hermann-Lietz oder andere, dass die ihren Kindern schon durch dieses Interesse eine etwas bessere Bildungschance mitgeben und dass dadurch möglichweise die Lernergebnisse so viel besser sind und dieses gleiche Klientel, unabhängig davon, ob sie jetzt an einer Gesamtschule oder einer gegliederten Schule etwa auf gleiche Leistungen kommen oder im gegliederten sogar noch besser sein könnten.
Herr Abgeordneter Schwäblein, wenn Sie sich mal anschauen würden, wie die Reformschulen ihre Schüler aussuchen - sie können sie sich nämlich aussuchen -, dann werden Sie merken, dass ganz bewusst auch Schüler von bildungsfernen Elternhäusern, ganz bewusst auch Problemschüler in diese Schulen integriert werden. Insofern zeigt sich die Leistungsfähigkeit dieser Schulen gerade darin, dass sie Problemkindern solche Leistungen abverlangen und solche Leistungen entwickeln und nicht, dass nur die Eltern interessiert sind an dieser Schule. Das ist auch der Fall bei vielen, aber leider nicht bei allen. Ich
wünsche mir, dass es bei allen so wäre, und da müssen wir einiges tun und wir haben noch die Elternarbeit beschrieben. Aber wenn man jetzt die Erwachsenenbildung anschaut, auch hier wird gestrichen. Also, wir haben immer große, hehre Ziele und Sie machen das dann mit Ihrem finanzpolitischen Kahlschlag wieder kaputt.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich möchte zunächst Frau Reimann ein paar Worte entgegnen, weil, wir sind uns ja einig, dass es wichtig ist, auf Qualität zu achten und den Unterricht besser zu machen und individueller zu fördern. Auch in anderen Dingen, die Sie genannt haben, waren wir uns einig, das haben wir auch in der Enquetekommission festgestellt. Nur bei dem einem Schluss, den Sie ziehen, dass es dazu unbedingt notwendig ist, dass wir wieder die Einheitsschule einführen, da sind wir auseinander.
Wir sind auch nicht der Meinung, dass man genau dies aus der PISA-Studie herauslesen kann. Sie sagen, das deutsche Bildungssystem; das wissen Sie ja selbst, dass es das deutsche Bildungssystem in dem Sinne nicht gibt und dass es eben so ist, dass einige Bundesländer, dass die Schüler dort, wenn sie die neunte Klasse erreicht haben, um ein Jahr zurückliegen gegenüber zum Beispiel den Spitzenreitern wie Bayern, Baden-Württemberg. Und Thüringen lag ja auch bei der regionalisierten Studie auf dem vierten Platz.
Herr Emde, stimmen Sie mir zu, dass Sie den Begriff Einheitsschule aus meinem Mund noch nie gehört haben?
Kann ich jetzt so nicht sagen. Nehme ich dann von mir aus auch zurück, dann sage ich eben, aber wenn Sie fordern, dass alle Schüler von Klasse 1 bis 8 zu
sammen lernen, dann ist das für mich eine Einheitsschule. Dann nenne ich es eben so, wenn Sie es so nicht gesagt haben.
Herr Döring, wenn die Schule, die Sie fordern, so funktioniert, wie Sie es sich gern erträumen, dann frage ich mich, warum in SPD-regierten, sozialdemokratisch regierten Ländern das noch nie geklappt hat und warum genau diese Länder am schlechtesten abschneiden sowohl in der Leistung als auch bei den sozialen Benachteiligungen. Warum ist denn das so?
Frau Reimann, noch ein Wort zu meinen Aussagen, dass sich Schule in Deutschland oder vielleicht auch in Thüringen zu oft an den Schwachen ausrichtet. Damit war nicht gemeint, dass ich nicht gerade die schwächeren Schüler fördern will, das sagen uns ja die PISA-Studien. Dort sind wir auch auf dem Weg. Was ich sagen will, ist, dass Schule sehr häufig dadurch, dass sie sich an den Schwachen orientiert, Mittelmaß produziert und dass eben die Differenzierung oft nicht greift.
Worüber trifft der internationale Vergleich PISA 2003 Aussagen? Dieser internationale Leistungsvergleich wird von der OECD verantwortet, also einer Organisation, die ausschließlich ökonomische Entwicklungen in den Fokus nimmt. Vor diesem Hintergrund muss man natürlich die Frage stellen, ob es einzig das Abschneiden bei diesem Test ist, was den wirtschaftlichen Erfolg eines Landes ausmacht. Die USA, Mutter der Weltwirtschaft, schneidet um einiges schlechter ab als Deutschland. Dort und auch in anderen Ländern, die schlechter abschneiden als Deutschland, ist von einer PISA-Hysterie nichts zu hören. Offensichtlich ist es für uns Deutsche schwer zu ertragen, dass wir nicht die Besten sind. Wir sind es schon lange auf vielen Gebieten nicht mehr. Die PISA-Vergleiche sind aus meiner Sicht ein Abbild unserer Gesellschaft. Im Vordergrund der Diskussion steht zwar immer die Schule, im Hintergrund erscheint aber unsere Gesellschaft und so manche Fehlentwicklung oder kulturelles Defizit. Lobbyismus, Selbstgefälligkeit und Schuldzuweisung an andere, hier insbesondere an die Lehrer, haben noch die Oberhand. Die Ergebnisse sagen, dass sich die Testleistungen der 15-jährigen Schüler in Deutschland in Mathe und Lesen leicht sowie in Naturwissenschaf
ten etwas stärker verbessert haben. Wir liegen im OECD-Durchschnitt, was an sich schon als Skandal gewertet wird. Über Sozialkompetenz, Methodenkompetenz oder Sprachkompetenz deutscher Schüler, das sind auch wichtige Bereiche, gibt es keinerlei Aussagen. Aber wir wissen jetzt, dass unsere Schüler Probleme deutlich besser lösen können als Alterskameraden in anderen Teilen der Welt. Die soziale Herkunft ist in Deutschland entscheidend für das abrufbare Wissen bei den Tests. Vergleichbar viele Schüler mit niedrigem Sozialstatus besuchen Hauptoder Realschulgang und erzielen auch schlechtere Ergebnisse. Aber auch an der integrierten Gesamtschule, welche das Abitur einschließt, gibt es zwischen Schülern aus Elternhäusern mit unterschiedlichem Sozialstatus Wissensdefizite in Mathe von über einem Schuljahr. Es wird festgestellt in der Studie, ich darf zitieren: "Jedoch besteht kein Zusammenhang zwischen dem Differenzierungsgrad des Schulsystems bzw. dem Alter der Differenzierung und dem Kompetenzniveau." Herr Döring, wenn Sie immer den Herrn Schleicher hier zurate ziehen, dann sage ich auch, dass Wissenschaftler wie Helpke, Weinert, wie Keller, Schwartzer sagen, dass starke und schwache Schüler profitieren von einer frühen Differenzierung.
Das Abschneiden einzelner Schulen einer Schulart klafft in Deutschland ebenfalls sehr weit auseinander, was zeigt, dass es innerhalb dieser Schulen noch ein großes Potenzial gibt, besser zu werden. Die Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel Klassengröße, Unterrichtszeit sind zwischen den OECD-Ländern sehr erheblich. Allerdings führen solche vermeintlich günstigeren Bedingungen nicht automatisch zu besseren Schülerleistungen. Eine flache Diskussion um mehr Personal und Geld hilft also auch nicht weiter. Ich bin froh, dass wir diese Diskussion im Wesentlichen auch schon überstanden haben. Thüringen war in der nationalen PISA-Studie auf Platz 4. Der Abstand der besten deutschen Länder, im Übrigen unionsregierte, zur internationalen Spitze ist geringer als der Abstand der besten deutschen Ländern zu den schlechtesten deutschen Bundesländern, das sind übrigens Länder mit SPD-Bildungstradition.
Was macht die Opposition in Thüringen nun aus diesen Feststellungen, die PISA getroffen hat? Den Pressemeldungen ist zu entnehmen, dass SPD und PDS in Thüringen ganz andere Dinge herauslesen als wir. Wir haben das heute auch hier wieder gehört.
Nachdem die jahrzehntelange Gesamtschuldebatte in den Altländern verloren ist, nimmt man nun Anlauf unter neuem Namen, längeres gemeinsames Lernen.
Der Fraktionsführer der SPD-Fraktion sagt, das schlechte Abschneiden ist die Quittung für das frühe Sortieren der Schüler und fordert, dass die Schüler künftig gemeinsam länger lernen müssen bis einschließlich Klasse 8.
Das ist das Einzige, was öffentlich bekundet wird. Da wird auch eine Kampagne angekündigt. Die PDS konzentriert sich in Pressemitteilungen mehr auf das Beklagen sozialer Benachteiligungen, kommt aber zu demselben Schluss. Nicht dass wir nicht auch für Chancengerechtigkeit sind, aber zur Wahrheit gehört auch, dass Bundesländer wie Bayern und Thüringen mit ganz klarem Bekenntnis zum gegliederten Schulsystem hinsichtlich der sozialen Ausgeglichenheit deutlich besser abschneiden als Länder wie NRW und Bremen, die das Gesamtschulsystem präferieren.
Herr Emde, kennen Sie den Unterschied zwischen den Gesamtschulen in den gebrauchten Ländern, die meistens mehr als tausend junge Menschen in sich vereinen und die wir alle zusammen, die wir hier sitzen, mit Sicherheit nicht wollen, und beispielsweise einer reformpädagogischen Schule, wie Jenaplan, wo vom Kindergarten bis zur 13. Klasse alle unter einem Dach sind. Können Sie sich vorstellen, dass das zwei total verschiedene Dinge sind, die nichts miteinander zu tun haben und das nicht einfach nur ein anderer Begriff ist?
Frau Reimann, das kann ich mir nicht nur vorstellen, das ist mit Sicherheit so, dass eine Gesamtschule was anderes ist als eine Reformschule. Ich weiß aber auch, dass dazu erstens die pädagogi
schen Konzepte an der Schule hingehören, dass dazu eine Verantwortung vor Ort hingehört und dass dazu auch ein ganz anderer Umgang mit den personellen Möglichkeiten notwendig ist. Dem verweigern Sie sich doch sicherlich auch, oder?
Dann machen wir im Ausschuss weiter. Also ich sage es jetzt schon mal. Wir machen dann im Ausschuss weiter. Vielleicht kommen wir da der Sache näher. Manchmal ist es ja besser, man spricht in kleineren Kreisen. Im Übrigen finde ich nicht schön, Herr Döring, wenn dann von dort drüben "Lüge" gerufen wird. Ich lüge nicht, denn es ist in der Tat so, dass die regionalisierte PISA-Studie erwiesen hat, dass wir in der sozialen Auslese eben nicht so schlecht sind wie andere Bundesländer.
Also in meiner Erinnerung ist es Bayern auch. Wenn es nicht stimmt, unterhalten wir uns im Ausschuss noch mal und Sie bringen mir die Daten nachher mit. Wenn Sie Recht haben, dann werde ich das auch bekunden.
Meine Damen und Herren, Sie können ja nun behaupten, dass mit dem neuen Anlauf für gemeinsames Lernen oder Gesamtschule alles besser gemacht wird, allein mir fehlt der Glaube dazu. Sie sollten es lieber mit den seriösen Leuten aus den sozialdemokratischen Reihen zum Beispiel halten, wie zum Beispiel Kultusministerin Ute Schäfer aus NRW. Die spricht sicherlich aus guter Erfahrung, wenn sie davor warnt, in der Gesamtschule die Lösung aller Probleme zu sehen oder auch Frau Ahnen,
die Präsidentin der KMK derzeit, lehnt eine Verkürzung der Diskussion auf Schulstrukturen als ideologisch ab. Welche Gefahr erwächst denn daraus, aus einer solch verkürzten Diskussion? Andreas Schleicher, OECD-Bildungskoordinator - wurde hier schon mehrfach genannt -, propagiert die Einheitsschulen. Jürgen Baumert, Direktor am Max-PlanckInstitut und deutscher Leiter der ersten PISA-Studie, stellt fest - ich darf zitieren -, "dass alle Forderungen nach einem Gesamtschulsystem nicht durch wissenschaftliche Untersuchungen untermauert sind, man solle nicht den Eindruck erwecken, dass politisch gemeinte Ratschläge wissenschaftlich gedeckt sind." Neben den Schulstrukturen gibt es eine lange Reihe von Faktoren, die einfach ausgeblendet werden, wenn man die Diskussion so verkürzt. Und ich habe gehört, man will die Diskussion verkürzen, indem man es auf einen Volksentscheid ankommen lässt. Die Dinge sind genannt. Qualität von Unterricht, Ausund Fortbildung von Lehrern, Bildungsstandards, Unterstützungssysteme für die Schulen, kommunale Einbindung, leistungsfördernde Personalpolitik, gesellschaftliche Stellung von Lehrern und Pädagogen, die familiäre Situation von Kindern usw.
Aber Sie erlangen mit Ihrer Diskussion eben die Verkürzung und dann geht es um all diese Bedingungen eben nicht mehr.
(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Stimmt doch gar nicht. Hätten Sie doch zugehört. Ich habe ganz andere Bedingungen ge- nannt.)
Ich scheue mich nicht, eine Diskussion über sinnvolle Strukturen zu führen, aber dies ist eben nicht die zentrale Frage und da haben in Thüringen andere Themen Vorrang. Wichtig ist das, was in Schulen selbst passiert. Im Vordergrund stehen muss die eigenverantwortliche Schule, die im Rahmen von definierten Bildungsstandards auf kreativen Wegen den einzelnen Schüler zu seiner individuellen Höchstleistung fördert oder führt. Und dazu braucht die Schule auch ein entsprechendes Unterstützungssystem. Was Sie hier durchboxen, ist aus meiner Sicht der blanke Wahnsinn und würde unsere gute Thüringer Schule um Jahre zurückwerfen.