Protocol of the Session on July 3, 2008

(Unruhe CDU)

Ein maßgeblicher CDU-Vertreter, dessen Namen ich nicht nennen darf, schloss im Ausschuss nicht

aus, man müsse gegebenenfalls schon in einigen Monaten nach eventuellen Urteilen von Gerichten weiter nachjustieren. Diese Haltung ist vielleicht eine Tatsache, ist aber keine Frage schlechten gesetzgeberischen Handwerks, sondern der Ausfluss eines grundfalschen politischen Verständnisses in Ihrer Innenpolitik. Es ist doch nicht die Aufgabe der Gerichte, die Gesetze auf den Boden der Verfassung zu befördern und die Rechte des Bürgers gegenüber dem Staat zu sichern, sondern das Parlament selbst sollte von Anfang an Grund- und Bürgerrechte zum Ausgangspunkt der Gesetzgebung machen.

(Beifall DIE LINKE)

Stattdessen betreiben Sie eine Innenpolitik, die damit beschäftigt ist, auszuloten, was an Eingriffen in Grund- und Freiheitsrechten gerade noch so geht. Eigentlich aber müssten Sie sagen, was auf keinen Fall möglich sein darf, aber genau das ist nicht Gestus dieses Gesetzes.

Meine Damen und Herren, ich will diese grundlegende Kritik an einigen Punkten verdeutlichen, aber vorab muss auch noch eines deutlich gesagt werden: Wenn es nicht solch massiven Widerspruch von außen gegen die ersten Vorlagen gegeben hätte, wäre das Gesetz wohl noch schlimmer als das, was wir heute beraten. Ich erinnere nur daran, dass noch im Referentenentwurf eine Vorschrift für einen nachtruhebedürftigen Innenstaatssekretär eingefügt war, die es in Zukunft ermöglicht hätte, feiernden Nachbarn ein Rollkommando auf den Hals zu schicken. Minister Gasser hatte angesichts des öffentlichen Aufruhrs seinerzeit die Reißleine gezogen, weil ihm klar war, dass die Unverletzlichkeit der Wohnung ein Grundrecht ist, das nicht wegen banalen Nachbarschaftsstreits außer Kraft gesetzt werden kann. Die CDU-Fraktion hat nun übrigens still und heimlich jenen Lex Baldus wieder eingeführt. Doch das ist nur eine Randglosse.

Die eigentliche Gefahr geht von vielen anderen, auch neuen Befugnissen der Polizei und des Verfassungsschutzes aus, die es den Behörden erlauben, unbescholtene Bürger auszuforschen. Zentral ist dabei natürlich die Frage, wie verfassungsgerichtliche Anforderungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung erfüllt werden; die Antwort - schlecht.

Die Regelungen zur Frage, wann und unter welchen Umständen die Abhöranlage ausgeschaltet wird, sind unklar formuliert und werden in der Praxis sicherlich ganz unterschiedlich, nämlich letztlich völlig subjektiv entschieden werden.

Wenn wir, meine Damen und Herren, keinen BigBrother-Staat wollen, dann darf aber die Frage nicht

sein, wann im Schlafzimmer das Bettgeflüster beginnt und staatliche Späher und Lauscher den Ausknopf betätigen müssen. Wenn wir keinen Überwachungsstaat wollen, dann haben Staates Wanzen, Mikrofone und Kameras erst gar nichts in Schlafzimmern verloren.

(Beifall DIE LINKE)

Es muss Räume geben, in denen sich der Bürger vollkommen unbeobachtet fühlen kann, anderenfalls gibt es faktisch keinen Kernbereich privater Lebensgestaltung mehr.

Eine ziemlich neue Eingriffsnorm im Gesetz ist die Möglichkeit der automatisierten Kfz-Kennzeichenerfassung und -auswertung. Nach Kritik hat die CDUFraktion zwar nun in das Gesetz eingefügt, unter welchen Umständen die Kfz-Kennzeichenerfassung möglich sein soll und welche Datenbestände abgeglichen werden. Das wird aber die verfassungsrechtliche Bedenklichkeit der Maßnahme nicht beheben, die sich gegen jedermann richtet. Wenn das Gesetz auch die Möglichkeit eröffnet, die Kfz-Kennzeichenerfassung zur Eigensicherung einzusetzen, dann ist das die Hintertür, durch die diese Maßnahme auch im Kontext des Versammlungsrechts zum Einsatz kommen könnte.

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Das ist Ihre Denkart.)

Das ist Ihre Denkart, Frau Groß. Ähnlich wie bei der Kfz-Kennzeichenerfassung ist die CDU-Fraktion auch in der Frage des Schutzes von Berufsgeheimnisträgern auf dem Weg der Sicherung von deren Rechten einfach stehen geblieben. Zugegeben, es gibt Verbesserungen zum Gesetzentwurf der Landesregierung, denn die Differenzierung unter den Gruppen der Berufsgeheimnisträger, denen mal mehr und manchmal weniger Schutzrechte zugestanden werden, zog die Kritik der Verbände ebenso auf sich wie das Fehlen eines effektiven Rechtsschutzes. In der Summe hat die CDU-Fraktion nun lediglich ein unklares Verwertungsverbot von Informationen aus Vertrauensgesprächen oder Telefonaten zugestanden. Wir aber bleiben bei unserer Forderung nach einem klaren Erhebungsverbot. Rechtsanwalt und Mandant, Arzt und Patient, Seelsorger und Ratsuchender brauchen geschützte, sichere Kommunikationsräume.

Meine Damen und Herren, noch drei weitere Punkte, die Eingriffsnormen betreffen, bei denen wir erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken sehen. Da ist die präventive Telefonüberwachung, an der die Landesregierung und die CDU-Fraktion festhalten wollen, obwohl aus Sicht des Grundrechts- und Datenschutzes diese Eingriffsnorm verschwinden

müsste. Der Katalog der CDU-Fraktion, wann diese Maßnahme ergriffen werden soll, ist grotesk. Was zum Beispiel haben wir uns darunter vorzustellen, wenn Sie gesetzlich regeln, die Telefonüberwachung könne bei Personen stattfinden, Zitat: „die sich zur Begehung einer solchen Straftat ernstlich bereit erklären“ oder Zitat: „sich zur Begehung einer solchen Straftat schulen ließ oder lässt“. Das sind so absonderlich unbestimmte Formulierungen, die den Einsatz einer solchen Maßnahme schon dann rechtfertigen, wenn ein Arbeitnehmer im Ärger sagt, er könne seinen Chef in die Luft jagen oder ein anderer in seiner Freizeit gern mit Farbpatronen im Wald herumschießt. Solche unklaren Formulierungen erfüllen nach unserer Sicht nicht im Mindesten das verfassungsrechtliche Gebot der Bestimmtheit einer gesetzlichen Regelung.

Im Gesetzentwurf finden sich auch jene unseligen Bestimmungen zur Rasterfahndung, die wir für ebenso verfassungsrechtlich bedenklich halten, wie die Bildaufzeichnung bei verdachtsunabhängigen PkwKontrollen. Um eines ganz klar zu sagen, damit es uns nicht wieder vorgehalten wird: Der Eigenschutz von Polizeibeamten ist auch für uns eine zu bedenkende Sache und sollte durch entsprechende Ausrüstung gesichert sein. Warum aber ein Bürger den Behörden bei einer Pkw-Kontrolle, zu der er selbst keinen Anlass gegeben hat, preisgeben soll, mit wem er wann und wohin unterwegs im Auto sitzt, das ist nicht nachzuvollziehen. Diese Informationen gehen den Staat nun einfach mal nichts an.

(Beifall DIE LINKE)

Übrigens, allen diesen massiven Eingriffsrechten stehen minimale Unterrichtungspflichten der Behörden und wackelige Auskunftsrechte der Betroffenen gegenüber. Ein effektiver Rechtsschutz ist damit hinreichend oft nicht gegeben. Faktisch existiert für Bürger kaum eine Möglichkeit zur Gegenprüfung, ob eine gegebene Auskunft tatsächlich den Rechtsanspruch erfüllt.

Meine Damen und Herren, zu den Änderungen des Verfassungsschutzgesetzes nur so viel: Die Beobachtung von Abgeordneten ist auch nach dem Verfassungskommentar von Linck und anderen verfassungswidrig. Nun will ich Joachim Linck nicht zu so etwas wie einem Verfassungspapst stilisieren, aber nur wenige Juristen kennen die Landesverfassung aus ihrer Entstehung heraus in Text, Sinn und Geist so gut wie er. Die vorgesehene Unterrichtung der Präsidentin und der PKK über vonstatten gegangene Beobachtungen von Mandatsträgern aber ist lächerliche Kosmetik an einem verunstalteten Recht.

Im Übrigen, einen Kernbereichsschutz kennt das Verfassungsschutzgesetz faktisch überhaupt nicht.

Der Schutz der Berufsgeheimnisträger ist noch löcheriger als im Polizeiaufgabengesetz, der V-Leute-Einsatz wird nicht etwa einem Richter vorbehalten, unterstellt und die PKK bleibt der zahnlose Tiger, der sie schon immer war. Eine wirksame Kontrolle des Geheimdienstes findet nicht statt und - das wissen wir - sie wird ja auch eigentlich nicht gewünscht.

Neben diesen Einzelfragen können noch grundsätzliche systematische Probleme benannt werden. Die notwendige Trennung der Bereiche Gefahrenabwehr und Strafverfolgung wird unterlaufen; genauso wird das verfassungsrechtliche Trennungsgebot zwischen Verfassungsschutz und Polizei verletzt. Dies geschieht z.B. durch die Ausstattung der Polizei mit geheimdienstlichen Mitteln durch die Formulierung ausufernder Gefahrentatbestände, die in den Bereich der sogenannten Vorfeldarbeit hineinreichen, und Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für wirksame Rechtsschutzverfahren werden nicht erfüllt. An zentralen Stellen fehlen zudem notwendige Richtervorbehalte.

Ihr Gesetz, meine Damen und Herren, ist bürgerunfreundlich und dieses Gesetz ist sogar polizeiunfreundlich. Es schafft eine Reihe von neuen Eingriffsnormen, ohne den Beamten verständliche und eindeutige, das heißt, auch klare und sichere Anwendungsvorschriften zu geben. Das Maß an Überantwortung der Einzelentscheidungen wird damit nicht mehr verantwortbar und belastet am Ende die Polizeibeamten mit den Resultaten ihrer Unfähigkeit, klaren Regelungen den Vorzug zu geben.

Hinzu kommt, immer weniger Bedienstete sollen immer kompliziertere Technik bedienen. Die Leute wollen aber nicht, dass ihre Telefonate im Käscher der Behörden landen oder dass ihre privaten Gespräche belauscht werden oder dass ihr Auto überall verfolgt wird und auch noch dem Beifahrer oder der Beifahrerin die Kamera vors Gesicht gehalten wird. Nein, die Leute wollen mehr Grün oder eben jetzt Blau auf der Straße, mehr Streifen, mehr Polizeibeamte, an die man sich wenden kann und die nach einem Anruf schnell vor Ort sind. Die Bürger wollen Verkehrserziehung in den Schulen, Prävention durch Kommunikation, soziale Kompetenzen bei der Polizei und strikte Strafverfolgung.

Alles in allem stellt dieses Gesetzespaket zusammen mit OPTOPOL die Weichen falsch. Nicht die Wünsche und die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger werden beachtet, sondern die technischen Phantasien und Allmachtsträume der Sicherheitsfanatiker werden bedient. Mit diesem Gesetz nehmen Freiheit, Bürger und Polizei Schaden. Wir lehnen nicht nur die Art der parlamentarischen Beratung dieses Gesetzes ab, wir lehnen vor allem den Geist dieses Gesetzes ab und wir lehnen also die

ses Gesetz ab.

(Beifall DIE LINKE)

Das Wort hat der Abgeordnete Höhn, SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, Freiheit und Sicherheit sind nun einmal fundamentale Voraussetzungen unseres Zusammenlebens. Freiheit ist zur Entfaltung der Persönlichkeit unerlässlich, sie ist sozusagen der Nährboden unserer Demokratie. Freiheit darf aber nicht auf Kosten der Freiheit anderer ausgelebt werden. Sie hat die Freiheit anderer zu respektieren. Deshalb ist es Aufgabe des Staates, durch seine Rechtsordnung die Freiheit und Sicherheit aller miteinander zu vereinbaren. Denn eins ist auch klar: Ohne Sicherheit ist auch die Freiheit zumindest eingeschränkt. Die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit steht für mich und meine Fraktion im Zentrum der Auseinandersetzung um die Thüringer Sicherheitsgesetze. In den vergangenen Jahren ist es in der Tat immer schwieriger geworden, diese Balance zu finden. Für alle, die sich mit der konkreten Ausgestaltung des Thüringer Polizeiaufgabengesetzes und des Verfassungsschutzgesetzes befasst haben, ist dies unübersehbar.

Einerseits, meine Damen und Herren, haben verschiedene weltpolitische Entwicklungen insbesondere seit dem 11. September 2001 einen, ich möchte ihn als Sicherheitsaktivismus bezeichnen, begünstigt, der immer umfangreichere Beschränkungen der Grundrechte der Bürger bringt. Aber andererseits haben die höchsten deutschen Gerichte überzogenen sicherheitspolitischen Vorstellungen immer wieder eine klare Absage erteilt, frei nach dem Grundsatz „Keine Sicherheit auf Kosten der Freiheit“. Und speziell die Innenpolitiker der CDU - sowohl im Bund als auch der Länder - mussten sich von den Verfassungsgerichten immer wieder belehren lassen, dass ihre Politik, die Gewichte auf Kosten der Freiheit zu verschieben, gescheitert ist.

Die Reihe höchstrichterlicher Urteile mit Auswirkung auf die Polizeigesetze der Länder ist lang. Ich möchte einige davon in Erinnerung rufen, denn ich habe den Eindruck, es gerät allzu schnell in Vergessenheit: März 2004 Urteil zur akustischen Wohnraumüberwachung, Juli 2005 Urteil zur präventiven Telefonüberwachung, April 2006 Urteil zur Rasterfahndung, Februar 2008 Urteil zur Online-Durchsuchung und das jüngste in dieser Reihe vom März 2008, das Urteil zur automatischen Kennzeichenüberwachung. All diese Urteile, meine Damen und Herren, setzen

Schranken für staatliche Eingriffe und stärken die fundamentalen Freiheitsrechte. Staatliche Eingriffe in diese Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger darf es nur aus gewichtigem Anlass geben. Und vor allem Maßnahmen, von denen der sogenannte Kernbereich der privaten Lebensführung betroffen sein könnte, sind ganz enge Grenzen gesetzt.

Was ist nun im Land Thüringen auf diesem Gebiet passiert? Die Thüringer Landesregierung hat nur verspätet und - man kann auch einschätzen - unvollständig Konsequenzen aus diesen Urteilen der Verfassungsgerichte gezogen. Der Auftrag der Verfassungsrichter, für Ausgewogenheit zwischen Sicherheit und Freiheit zu sorgen, wurde und - ich darf Ihnen sagen, meine Damen und Herren von der CDU - wird nach meiner Auffassung nach wie vor von Ihnen einfach nicht ernst genommen. Spätestens seit 2004 dürfte Ihnen klar sein, dass insbesondere die Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensführung sowohl im Polizeiaufgabengesetz als auch im Verfassungsschutzgesetz neu gefasst werden mussten in Thüringen. Sie wurden frühzeitig darauf hingewiesen. Die betroffenen Verbände, insbesondere freie Berufe, drängen seitdem auf notwendige Änderungen und haben frühzeitig ihre Teilnahme an dieser fachlichen Diskussion angeboten. Das dürfte Ihnen auch nicht verborgen geblieben sein.

Daraufhin tat sich zunächst einmal in der Thüringer Landesregierung überhaupt nichts, stattdessen aussitzen, ankündigen, beschwichtigen. Statt zu handeln, statt Gesetzentwürfe zu erarbeiten, statt bestehende Gesetze zu verbessern, schreiben Sie Dienstanweisungen und erklären darin den Polizistinnen und Polizisten, welche Paragraphen wie ausgelegt und wie angewendet werden dürfen. Von Normenklarheit, die die Polizei, aber auch die betroffenen Bürger befähigt, ihr Verhalten anhand der gesetzlichen Norm auszurichten - das ist ja das Ziel eines jeden Gesetzes -, keine Spur, meine Damen und Herren. Erst über ein Jahr und auch nur, nachdem die SPDFraktion einen Gesetzentwurf zur Sicherung verfassungsmäßiger Regelungen im Polizei- und Sicherheitsrecht in Thüringen eingebracht hatte, präsentiert die Landesregierung dem Landtag eigene Vorschläge. Trotz dieser außergewöhnlich langen Bedenkzeit ist das Ergebnis einfach ungenügend.

(Beifall SPD)

Die Verbände der freien Berufe und andere Sachverständige zeigen sich mehr als enttäuscht. Die Landesregierung verzichtet im Entwurf darauf, Eingriffe in die Freiheitsrechte auf ein notwendiges Mindestmaß zu beschränken und einen effektiven Rechtsschutz gegen polizeiliche Maßnahmen zu gewährleisten. Insgesamt, so die Bewertung - Zitat aus einer Stellungnahme „… wurden die verfassungsrecht

lichen Vorgaben nicht entsprechend umgesetzt“. Und selbst die CDU-Fraktion hat gegenüber dem Regierungsentwurf höchstselbst verfassungsrechtliche Bedenken und meldete Änderungsbedarf an den Vorschlägen der Regierung. Das war ziemlich mutig und schon allein deshalb ziemlich außergewöhnlich. Der mangelnde Ernst, meine Damen und Herren, mit dem sich die CDU hier in Thüringen der Balance zwischen Sicherheit und Freiheit widmet, ist auch im weiteren Verfahren deutlich geworden. Während die von der Landesregierung nach jahrelanger Bedenkzeit präsentierten Vorschläge auf fast einhellige Ablehnung stoßen, lässt die CDU-Fraktion zunächst jeglichen konstruktiven Beitrag vermissen. Erst vor drei Wochen, also ziemlich genau nach zwei Jahren inhaltlicher Diskussion hier im Landtag, legt die CDUFraktion ihre Vorstellungen in einem ziemlich umfangreichen Änderungsantrag zum Regierungsentwurf vor - ich erwähnte es eben - und fast zeitgleich beschließt sie in einer Sondersitzung des Innenausschusses eine Frist von gerade einmal einer Woche für Stellungnahmen der Sachverständigen.

Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, was Sie hier veranstaltet haben, hat mit verantwortungsvoller Sicherheitspolitik im Interesse Thüringens nichts zu tun. Das, was hier passiert ist, ist Aktionismus pur, Sicherheitspolitik sozusagen im Schweinsgalopp.

(Beifall SPD)

Bisher haben Sie sich ja alle Zeit der Welt genommen und nun in der entscheidenden Phase der Beratungen verweigern Sie - einmal abgesehen von ihren Kollegen in den anderen Fraktionen, aber hauptsächlich den Sachverständigen - die notwendige Zeit, um ihre Vorschläge auch wirklich zu bewerten. Ich hatte es, glaube ich, im Innenausschuss schon einmal zum Ausdruck gebracht, ich hatte den Eindruck, Sie hatten nicht wirklich ein Interesse gehabt, dass diese Bewertung vorgenommen werden sollte. Eines ist klar: Offensichtlich sind Sie sich Ihrem Mangel an Kompetenz an dieser Stelle durchaus bewusst und wollen so der gründlichen inhaltlichen Diskussion ausweichen. So wenig Souveränität, verehrte Kollegen, ist in diesem Haus wirklich ohne Beispiel. Eine gründliche Diskussion Ihrer Vorschläge wäre dringend nötig, Herr Kollege Fiedler, vor allem wegen der erheblichen Folgen für die Rechte für die Bürgerinnen und Bürger, aber auch, weil ich den Eindruck habe, dass Sie mit Ihren Änderungsanträgen, die Sie so kurzfristig eingebracht haben, dem ohnehin schon schwer verständlichen Gesetzentwurf der Regierung sozusagen ein Monstrum an Unübersichtlichkeit noch angefügt haben. Von Normenklarheit für diejenigen, die mit diesem Gesetz umgehen sollen, kann an dieser Stelle weiß Gott nicht die Rede sein.

(Beifall SPD)

Der Inhalt des Gesetzentwurfs und die Änderungsanträge der CDU-Fraktion zeigen, dass Ihnen die Entschlossenheit fehlt, die geforderte, von mir schon mehrfach angesprochene Balance zwischen Freiheit und Sicherheit in Thüringen umzusetzen. Am anschaulichsten wird das - und das will ich gerne tun, meine Damen und Herren - bei einem Vergleich der Konzepte von SPD-Fraktion und CDU am Beispiel des Schutzes des Kernbereichs privater Lebensführung. Das Bundesverfassungsgericht hat den staatlichen Behörden aufgegeben, einen absolut unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zu schützen. Äußerungen, durch die Empfindungen, Überlegungen, Ansichten und Erlebnisse höchstpersönlicher Art zum Ausdruck kommen, Gespräche mit Personen des höchstpersönlichen Vertrauens sowie das Verhalten innerhalb von Privaträumen müssen vor staatlicher Überwachung geschützt sein. Selbst überwiegende Interessen der Allgemeinheit können einen Eingriff in diesen absolut geschützten Kernbereich nicht rechtfertigen. Das ist der Geist des Urteils des Bundesverfassungsgerichts.

(Beifall SPD)

Es hat auch klar gemacht - und das scheint Ihnen nun bis heute entweder nicht klar oder entgangen zu sein -, dass sich die Pflicht, den Kernbereich privater Lebensgestaltung zu schützen, nicht auf einzelne heimliche Überwachungsmaßnahmen beschränken darf, sie gilt vielmehr bei allen heimlichen Überwachungsmaßnahmen, die geeignet sind, in diesen Kernbereich vorzudringen. Die SPD-Fraktion - und das haben die Sachverständigen in der Anhörung nach meiner Auffassung eindrucksvoll bestätigt - hat diese Vorgaben in ihrem Gesetzentwurf beispielhaft umgesetzt. Wir machen ganz klar, dass nicht erst die Verwertung von Daten aus dem Kernbereich vermieden werden muss, sondern bereits deren Erhebung. Das ist der gravierendste Unterschied an dieser Stelle, meine Damen und Herren.

Mit unserem § 31 a im Polizeiaufgabengesetz und korellierend 8 a im Verfassungsschutzgesetz haben wir den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung kompakt geregelt, und zwar für alle heimlichen Überwachungsmaßnahmen von Polizei und Verfassungsschutz. Überwachungsmaßnahmen durch die in diesen Kernbereich eingegriffen wird, sind also grundsätzlich verboten. Maßnahmen, die mit dem Risiko behaftet sind, in den Kernbereich privater oder persönlicher Lebensgestaltung einzudringen, dürfen allein zum Schutze eines besonders hochrangigen Rechtsguts ergriffen werden, und zwar nur, wenn es konkrete Anhaltspunkte für eine unmittelbar bevorstehende Straftat gibt. Auch das ist ein ganz, ganz deutlicher Unterschied in der Heran

gehensweise und auch in der Ausführung der Gesetzentwürfe, meine Damen und Herren.

Zusätzlich haben wir in unserem Gesetzentwurf für solche Maßnahmen eine zeitliche Befristung vorgesehen und sie zudem noch unter den sogenannten Richtervorbehalt gestellt. Neben dem grundsätzlichen Verbot von Maßnahmen, die den Kernbereich privater Lebensführung verletzen, haben wir Unterbrechungspflichten, Löschungspflichten, Verwertungsverbote für den Fall geregelt, dass es dennoch zu Kernbereichsverletzungen kommen sollte. Und genau das ist der Mangel in Ihren Ausführungen, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion. Ich denke, nur auf die von mir eben beschriebene Art und Weise lassen sich die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts 1 : 1 umsetzen. Ihr Gesetzentwurf der Regierung respektive der jetzt eingebrachten Änderungen lässt an dieser Stelle die notwendige Konsequenz vermissen. In jeder Eingriffsregelung gibt es einmal mehr oder einmal weniger Kernbereichsschutz, häufig aber weniger.

Meine Damen und Herren, die CDU scheitert aber nicht nur an den Vorgaben der Verfassungsgerichte. Die Vorschläge für das Polizeiaufgabengesetz dokumentieren auch ihre insgesamt verkorkste Politik im Bereich der inneren Sicherheit im Freistaat Thüringen. Sie wollen - Stichwort „automatisierte Kennzeichenerfassung“ - die Aufgaben und die Befugnisse der Polizei ausweiten. Ich sage, das ist doch pure Augenwischerei. Sie gaukeln den Bürgerinnen und Bürgern mehr Sicherheit durch neue Gesetze vor. In Ihrer Begründung schreiben Sie selbst - ich darf an dieser Stelle zitieren: „Es gibt einen deutlichen Sicherheitsgewinn, da 70 Prozent aller Straftaten mit der Nutzung von Fahrzeugen verknüpft sind.“ Mein Gott, was heutzutage alles mit der Nutzung von Fahrzeugen verknüpft ist, wenn Sie das als Maßstab nehmen, da kann einem nur Angst und Bange werden.