Protocol of the Session on June 5, 2008

(Beifall DIE LINKE)

Es geht also nicht an, so zu tun, als habe man bzw. frau mit Defiziten der Thüringer Justizpolitik, wie sie ja selbst in der eigenen Rede und Regierungserklärung dargestellt werden, nichts zu tun und jetzt die neuen, die besseren Vorschläge auf den Tisch zu legen. Ich möchte auch nicht unerwähnt lassen, dass frau auch in der früheren Funktion als stellvertretende Abteilungsleiterin und Referatsleiterin Personal der Abteilung Justizvollzug im Justizministerium zumindest für die derzeitige Situation und die Personalsituation im Thüringer Justizvollzug Mitverantwortung trägt. Was ist daher von der Ankündigung „unabhängig, modern, leistungsfähig“ für die Thüringer Justiz zu erwarten?

In den Zeitungen liest man und in der Regierungserklärung kann man es deutlich nachvollziehen, dass Sie, Frau Ministerin, eine scheinbare Vorliebe für politische Forderungen der LINKEN entwickeln. Als Beispiel seien nur die Aufstockung der Richter am Sozialgericht und die Stärkung der Bewährungshilfe genannt. Auch Ihre eindeutige Position zur Privatisierung ist eine seit Langem von uns formulierte Forderung und wird daher von uns begrüßt, ebenso wie die Überlegung, zusätzliches Personal im Justizvollzug einschließlich entsprechenden Fachpersonals. Das haben wir in mehreren Anträgen im Ausschuss schon problematisiert gehabt. Was das von Ihnen, Frau Walsmann, genannte Projekt der elektronischen Entwicklung im Justizgebiet zu Arbeitsabläufen und Dienstleistungen der Justiz angeht, kann dies tatsächlich dazu beitragen, dass es ein logis

tischer Gewinn wird, und wir spüren es zum Teil für die Betroffenen und auch für die Bediensteten. Jedoch sollten im Rahmen der Umsetzung auch die ernst zu nehmenden Mahnungen von Fachleuten aufgegriffen werden; das Entstehen einer „elektronischen Zweiklassengesellschaft“ muss verhindert werden. Wir werden uns im Laufe der Abarbeitung der Tagesordnung des Landtags noch mal mit dem Internetbreitband befassen. Auch das sind Probleme, die in dem Zusammenhang zu benennen wären. Wie haben Bürgerinnen und Bürger Zugang, damit sie überhaupt diese elektronischen Gegebenheiten nutzen können?

Meine Damen und Herren - unabhängige Justiz: Wir sind uns theoretisch wohl alle einig, die Unabhängigkeit der Justiz ist die entscheidende Säule, die die Justiz zur dritten Staatsgewalt machen lässt. Ohne diese Unabhängigkeit kann die Justiz der ihr von der Verfassung zugedachten Kontrollfunktion gegenüber der Verwaltung und der Gesetzgebung nicht nachkommen. Sie ist die Basis des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger in eine wirksame, das heißt vor allem auch faire und unparteiische Rechtsdurchsetzung und das nicht nur, wenn es um Rechtsstreitigkeiten vor Verwaltungsgerichten geht. Die Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz ist für die Fraktion DIE LINKE gleichbedeutend mit einer umfassenden Demokratisierung in der Justiz, vor allem im Sinne des Ausbaus der Mitbestimmungsrechte von Richtern, Staatsanwälten und anderen Justizbediensteten.

(Beifall DIE LINKE)

In diesem Sinne ist die Befreiung des Generalstaatsanwalts aus seiner Stellung als politischer Beamter ein richtiger Schritt. Diesen Schritt hat ja der vorige Justizminister auf eine Mündliche Anfrage meiner Person am 16.11.2007 im Landtag angekündigt. Nun wollen Sie, Frau Ministerin, den angekündigten Schritt endlich auf den Weg bringen. Wie wir jetzt zur Kenntnis nehmen dürfen, entsprechend des nächsten Tagesordnungspunkts auch auf den Weg gebracht werden soll. Ich kann nur mit Blick auf den Entschließungsantrag sagen, hier geben wir dem Haus, geben wir allen Parlamentarieren noch mal die Möglichkeit, den politischen Willen eindeutig zu artikulieren, um hier deutlich zu machen, wie wichtig uns dieser Schritt weg vom politischen Beamten ist. Ich fordere die Mitte des Hauses auf, auch hier Ihren Willen deutlich zu artikulieren.

(Beifall DIE LINKE)

Die Befreiung der Justiz von der Gefahr politsicher Gängelung ist angesichts zurückliegender Thüringer Skandale um versuchte politische Einflussnahme auch dringend geboten.

(Beifall DIE LINKE)

Ohne ins Detail zu gehen, möchte ich hier nur das Stichwort Verfahren Pilz vor dem Landgericht Mühlhausen nennen und etwas genauer natürlich die Frage der Durchsuchung von Ministerien bzw. der Staatskanzlei. Mit der Beseitigung des Gängelbandes politischer Beamter ist die Gefahr aber noch nicht gebannt. Hinzukommen muss nach Ansicht der Fraktion DIE LINKE auch eine Einschränkung des Weisungsrechts im Bereich der Staatsanwaltschaften. Gegen allgemeine Weisungen zur Vereinheitlichung von Arbeitsabläufen etc. ist nichts einzuwenden, solange nicht unzulässig in die Sacharbeit eingegriffen wird. Vor allem ist aber die Abschaffung des sogenannten externen Weisungsrechts im Einzelfall notwendig. Das betrifft vor allem die Einflussmöglichkeiten der Ministerialebene auf die Bearbeitung von Einzelfällen. Der Deutsche Richterbund, nicht gerade als linksradikale Vereinigung bekannt, fordert dieses übrigens seit Jahrzehnten. Um Ihre Gedanken, um Ihre Vorstellungen Wirklichkeit werden zu lassen, ist dieser Entschließungsantrag allemal geeignet.

Meine Damen und Herren, dieser Verzicht auf politische Gängelung muss noch in gleichem und sogar größerem Maße für die Gerichte und Richter gelten. Hier haben sich gerade in Thüringen seltsame Erscheinungen gezeigt. Schriftliche Anregungen von Ministern für den Umgang mit Prozesskostenhilfeentscheidungen nach dem Motto „Lieber mal etwas auf die Haushaltslage achten“ ist dort nicht unbedingt ein deutliches Zeichen für die Unabhängigkeit von Gerichten. Gegenfrage: Wo bleibt da, wenn der Haushalt in solchen Fragen herangezogen wird, der gesetzliche Rechtsanspruch des betroffenen Bürgers? Auch eine Reihe von Personalentscheidungen, gerade auch Leitungsfunktionen bei Gerichten betreffend, haben in der öffentlichen Wahrnehmung den Eindruck hinterlassen: „Politische Korrektheit geht vor fachlicher Eignung.“ Falls Sie, Frau Ministerin, es etwas konkreter möchten, seien hier die Besetzungsverfahren des OLG-Präsidenten oder die des Landesarbeitsgerichts genannt. Diese Personalentscheidungen haben ja auch wieder selbst die Gerichte beschäftigt, zum Teil bis zum Bundesverfassungsgericht. Das Justizministerium musste schallende, im wahrsten Sinne des Wortes, schallende juristische Ohrfeigen einstecken.

Meine Damen und Herren, Berufsverbände wie der Deutsche Richterbund oder die Neue Richtervereinigung fordern seit Jahren Reformen bei den Personalauswahlverfahren bis hin zur Festlegung nachvollziehbarer Kriterienkataloge für die letztendliche Bewerberauswahl. Nach den Vorstellungen dieser Berufsverbände könnte aber die Unabhängigkeit und Selbstverwaltung der Gerichte noch weiter gestärkt

werden. Die Entscheidungskompetenzen der Richterwahlausschüsse bei der Einstellung und Stellenbesetzung sollte gestärkt werden. Die Gerichte sollten bei der Regelung ihrer Verwaltungsangelegenheiten weitgehend unabhängig werden, bis hin zur eigenständigen Haushaltsverantwortung vor Ort bei den Gerichten, also eine Art „Budgetmodell“. Im Gegenzug bekommen die Gerichte auch die Möglichkeit, nach eigenen Berechnungen mit Haushaltsforderungen an die Parlamente heranzutreten. Das wäre dann wirklich Gewaltenteilung. Die Anforderungen für die Arbeitsabläufe und den Personalbedarf sollten die Gerichte eigenständig entwickeln. Die Diskussion um die Bemessungssysteme PEBB§Y hat deutlich gemacht, dass nicht alle Fragen dadurch zu lösen sind, dass Ministerien Unternehmensberater anfragen. Auf den Ebenen des Bundes und der jeweiligen Länder könnten so die Berufsverbände auch als Koordinationsgremien, sogenannte Gerichtsbarkeitsräte, gebildet werden, die die Verwaltung der Gerichte durch die Justizministerien weitgehend ersetzen. Eine Rechtsaufsicht des Ministeriums über die Gerichte ist damit aber nicht ausgeschlossen. Wir als Fraktion DIE LINKE meinen, für diese Vorschläge der richterlichen Berufsverbände sollte ganz ernsthaft nach praktikablen Wegen zur konkreten Umsetzung gesucht werden. Im Rahmen dieser Diskussionsprozesse sollten dann auch Erfahrungen und Modelle anderer europäischer Länder Berücksichtigung finden, die schon mehr Unabhängigkeit gewagt haben, als Beispiel seien hier nur Frankreich, Spanien und die Niederlande genannt. Wenn Sie es, Frau Ministerin, als die Verantwortliche ernst meinen mit der Unabhängigkeit der Thüringer Justiz, dann greifen Sie diese Punkte in Ihrer Arbeit auf.

(Beifall DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, nehmen wir die Situation an den Sozialgerichten. Die Klageflut wegen Hartz IV und auch die Zunahme in anderen Rechtsbereichen sind ein Spiegel des Einzugs neoliberaler Politik in das Sozialrecht, nicht nur im Bereich von Arbeitslosigkeit und Arbeitsförderung. Die Abschaffung der früheren Arbeitslosenhilfe zulasten pauschalisierter Sozialhilfe für Arbeit Suchende, auch - wie bekannt - ALG II genannt, dieser politischen wie gesetzgeberischen Murksaktion bei Nacht und Nebel haben sich jetzt die Gerichte zu stellen und müssen entsprechende Korrekturen vornehmen. Das aktuelle Chaos an den Sozialgerichten war schon bei Inkrafttreten des Gesetzes von Fachleuten angekündigt worden. Die aktuelle Situation bedeutet für die Betroffenen faktisch Rechtsverweigerung. Anders kann man die Tatsache, dass selbst Eilverfahren auf existenzsichernde Leistungen mehrere Monate dauern; das muss man sich dann gegebenenfalls im Einzelfall vorstellen, wenn jemand diese Leistungen braucht und dann Monate warten muss. Die PDS bzw. Links-Fraktion

hat schon im September 2004 mit einer Mündlichen Anfrage angefangen, das Justizministerium mit der unbequemen Frage nach Konzepten zum Umgang mit der Hartz IV-Problematik zu nerven. Es folgten im Dezember 2004 sowie im Januar 2006 Selbstbefassungsanträge im Justizausschuss. Dann im Juni 2006 brachte die PDS-Fraktion das Thema mit dem Antrag „Bedingungen der Rechtsdurchsetzung verbessern - Situation der Sozialgerichte in Thüringen“ sogar hier ins Plenum. Das hatte seine Gründe, denn zuerst plante der damalige Justizminister gar keine neuen Richter in der Sozialgerichtsbarkeit. Obwohl der Thüringer Verband der Sozialrichter schon im Herbst 2004 mehr Sozialrichter gefordert hat - 21 an der Zahl -, geschah zum damaligen Zeitpunkt nichts. Dann, als die tatsächliche Welle auf die Gerichte zurollte, fing nun auch - etwas halbherzig, etwas improvisiert - der damalige Justizminister an, sich diesem Problem zu stellen. Mittlerweile zeigen die Ergebnisse einer Kleinen Anfrage des jetzigen justizpolitischen Sprechers - meinem Kollegen Ralf Hauboldt - vom März dieses Jahres, dass der Scheitelpunkt der Klagewelle noch nicht erreicht ist. Frau Ministerin hat es in ihrer Regierungserklärung deutlich gemacht - die Zahlen steigen weiter. Immer wieder wird auch durch die Verantwortlichen - und hier möchte ich namentlich die Direktoren der Thüringer Sozialgerichte nennen - die Forderung nach Personalaufstockung aufgemacht, zuletzt der Direktor des Sozialgerichts Altenburg. Nun endlich - und da finden Sie uns an Ihrer Seite, Frau Ministerin - fordern Sie und wollen Sie eine Aufstockung in diesem Bereich vornehmen. Falls Sie behaupten, das sei Ihnen schon länger klar gewesen, dann kann ich mich nur wiederholen: Warum haben Sie nicht als justizpolitische Sprecherin der Mehrheitsfraktion sich damals eindeutig positioniert? Im Gegenteil, bei Beratungen unseres Antrags zu den Sozialgerichten sagten Sie im Juni 2006, ich zitiere: „Der Personalstand ist freilich nicht üppig, das streitet keiner ab. Die Arbeitsbelastung ist auch keineswegs gering, aber sie ist zu bewältigen. Das ist auch die Meinung der Praxis.“ Schon damals stand fest, die Arbeitsbelastung ist nicht zu schaffen, und sie ist es heute noch viel weniger.

(Zwischenruf Abg. Carius, CDU: Eben, deswegen müssen wir heute handeln.)

Wir hätten schon damals handeln können, Kollege Carius, wir hätten schon damals im Grunde genommen die Situation entspannen können, wir hätten schon damals entsprechend bei der Gestaltung des Doppelhaushalts entsprechende Linien einziehen können, um die Problematik nicht so aufkommen zu lassen, wie sie sich jetzt darstellt.

(Beifall DIE LINKE)

Der Umgang mit den Problemen bei den Sozialgerichten zeigt ein altbekanntes - und Kollege Carius, da ist Ihr Einwurf sogar berechtigt - Politikmuster der Thüringer CDU, sei es nun die Landesregierung oder die Landtagsfraktion. Statt tragfähige oder umfassende Problemlösungskonzepte anzuheben oder hier in das Plenum zu bringen, hangeln Sie sich lieber mit improvisierten Notlösungen fachlich, personell und finanziell von Ast zu Ast.

(Zwischenruf Abg. Carius, CDU: Ach, das ist aber unangemessen.)

Ich weiß nicht, wie Sie das Hangeln beschreiben wollen, wie Sie sich da hangeln wollen, aber das überlasse ich jetzt Ihrer eigenen Fantasie.

Wir als Fraktion DIE LINKE fordern ein solches umfassendes Konzept für die Sozialgerichte, und zwar unter Einbeziehung auch anderer Gerichtszweige. Es ist noch gar nicht so lange her, da hat der Innenminister Gasser sich bitterlich darüber beklagt, dass die Thüringer Verwaltungsgerichte die längsten Verfahrensdauern in Deutschland anzubieten haben. Und wenn ich heute zur Kenntnis nehme, dass Sie mit Blick auf die Finanzministerin für ihr Entgegenkommen bei den sozialen Diensten und der entsprechenden gegebenenfalls Aufstockung einen Appell an sie richten, kann ich nur sagen, die Zahl ist das eine, aber die Einstiegsgruppierung, die heruntergesetzt worden ist, ist das andere. Dieser Zusammenhang macht deutlich, Sie wollen im Grunde genommen mehr Leute, die billiger bezahlt werden, und das halten wir für den falschen Weg.

Apropos Improvisation von Einzelfall zu Einzelfall hangeln: Das gilt wohl auch im Bereich des Justizvollzugs. Hier haben die Ergebnisse der Großen Anfrage der Fraktion DIE LINKE erhebliche Defizite im Strafvollzug aufgedeckt. Zum Teil bestehen diese Probleme schon seit Jahrzehnten und sind mitnichten alle auf die Entwicklung oder die Ergebnisse der DDR zu schieben. Die schwierigen Arbeitsbedingungen im Strafvollzug mit den vielen Überstunden, das Problem, dass 42-Stunden-Wochen und Schichtdienst schwer unter einen Hut zu bringen sind, der hohe Krankenstand, der Beförderungsstau - all das gibt es schon seit Jahren, wenn nicht gar seit Jahrzehnten. Hat die Justizministerin davon in den letzten Jahren, in den letzten Wochen und Monaten nichts zur Kenntnis genommen? Die Große Anfrage fördert auch zutage, dass es wohl vor zwei bis drei Jahren im Justizvollzug eine entsprechende Mitarbeiterbefragung gegeben hat. Deren kritische Ergebnisse sollen aber, so wie wir zur Kenntnis nehmen müssen, in der Schublade verschwunden sein. Der Mangel an medizinischem, therapeutischem, sozialarbeitermäßigem Fachpersonal ist nicht neu und soll dringend und zeitnah gelöst werden. Die Ankün

digung weiterer Stellenaufstockungen ist gut. Allerdings würden wir uns als LINKE noch etwas mehr Stellenkapazität bei den Kriminologen wünschen. In einer Anhörung des Justizausschusses ist deutlich geworden, dass die kriminologische Forschung in Thüringen bisher offensichtlich eine Art Schattendasein führt und das, obwohl sie nach § 166 des Strafvollzuggesetzes stattfinden müsste, vor allem als wichtiges Instrument der Qualitätskontrolle. Über mögliche Zusammenhänge zwischen dem Mangel und der Tatsache, dass Thüringen eine Quote im offenen Vollzug hat, die weit unter dem Bundesdurchschnitt liegt, will ich nicht ins Detail gehen. Verschiedene Vorkommnisse, z.B. Gefangenenprotest in Hohenleuben, die Tatsache, dass es seit 2002 an die 10 Selbsttötungen im Vollzug gab, und die Untersuchung einer Kommission des Europarats, die in der Justizvollzugsanstalt Weimar eine Repressions- und Gewaltproblematik zutage gefördert hat, würden entsprechende weitere Analysen und wissenschaftliche Untersuchungen notwendig machen. Im Rahmen einer von den LINKEN beantragten Selbstbefassung im Justizausschuss hat aber die Mehrheit, die CDU-Mehrheit, es abgelehnt, eine solche wissenschaftliche Begutachtung vorzunehmen. Es bleibt also vieles zu tun, das Reden ist das eine, es anzugehen das andere.

(Beifall DIE LINKE)

Das neue Thüringer Jugendstrafvollzugsgesetz wird zwar für seine Resozialisierungswirkung von Ihnen hoch gelobt, jedoch trägt es deutliche Züge von eher autoritärem Erziehungsverständnis. Disziplinarmaßnahmen sind Ihnen von der CDU wichtiger als deeskalierende Konfliktlösungsstrategien. Entsprechende Vorschläge in einem alternativen Gesetzentwurf der LINKEN zum Jugendstrafvollzugsgesetz haben Sie strikt abgelehnt, trotzdem diese Vorschläge

(Zwischenruf Abg. Carius, CDU)

- man hätte den Halbsatz noch abwarten müssen, Kollege Carius, dann hätten Sie immer noch reinrufen können - von zahlreichen Fachleuten in der Landtagsanhörung unterstützt wurden. Doch Sie haben als CDU bei der Schaffung dieses Gesetzes auch die europäischen Bestimmungen für einen unabhängigen Beauftragten im Strafvollzug missachtet ebenso wie die UN-Vorgabe für den Umgang mit Schusswaffen im Jugendstrafvollzug. Wir als LINKE fordern die Reparatur dieser Pannen und eine intensive Gesetzesevaluierung des Jugendstrafvollzugsgesetzes. Doch wir befürchten als LINKE, dass Sie als neue Justizministerin eher das repressive Element des Jugendstrafvollzugs, wie im Strafvollzug allgemein, was Sie auch in Ihrer Regierungserklärung betonten, bevorzugen. In der von uns beantragten Aktuellen Stun

de zur Jugendkriminalität haben Sie deutliche Affinität zum Warnschussarrest - heute haben Sie es noch einmal belegt - vorgenommen. Ich wiederhole meine Frage vom Anfang: Worin besteht die Modernität, also das hervorragend Neue beim Warnschussarrest oder bei der Frage zu geschlossenen Erziehungseinrichtungen? Wir als LINKE-Fraktion halten diesen repressiven Weg für kontraproduktiv in Sachen erfolgreicher Sozialisierung bzw. Resozialisierung. Das hatten wir auch deutlich in unserem Entwurf zum Jugendstrafvollzug zum Ausdruck gebracht. Doch mit diesen Problembildern der Gewalt und Kriminalität lässt sich im konservativen ordnungspolitischen Sinne hervorragend Politik machen. Vor allem dient auch das Spielen mit Kriminalitäts- und Terrorängsten der Bevölkerung dazu, politisch immer ein gutes Spiel zu spielen. Dabei zeigen Untersuchungen von renommierten Forschungseinrichtungen, wie zum Beispiel des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, dass bei den Bürgern die Furcht davor, Opfer von Kriminalität und Terror zu werden, erheblich höher ist als die tatsächliche Gefahr sie anzeigt. Dennoch galoppiert der Sicherheits- und Überwachungsstaat von Vorratsdatenspeicherung und den Behördentrojanern auf dem PC bis zu Vorschlägen für die Sexualstraftäterdatei. Die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger, wie zum Beispiel das Recht auf Unverletzbarkeit der Privatsphäre oder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, bleiben aus unserer Sicht hier deutlich auf der Strecke.

(Beifall DIE LINKE)

Die Grundrechte und ihr wirksamer Schutz sind aber der unantastbare Kern eines demokratisch-freiheitlichen und sozialen Rechtsstaats. Zu einer modernen Justiz gehört nach Ansicht der Fraktion DIE LINKE auch eine moderne Juristenausbildung. Das erfordert, angehende Juristen so auszubilden, dass sie nicht automatisch Fans der herrschenden Meinung werden sollen, sondern die Fähigkeit entwickeln, eigene kritische Meinungsbildung zu betreiben. Angehende Juristinnen und Juristen können nur dann im Sinne des sozialen und demokratischen Rechtsstaats agieren, wenn ihnen vermittelt wird, dass sich Rechtswissenschaft und die Berufstätigkeit als Jurist nicht im Gesetzeshandwerk im luftleeren Raum erschöpft, sondern im Komplex gesellschaftlicher Aufgabenstellung mit hoher Verantwortung. Ob diese Kriterien der bisherigen Juristenausbildung immer gerecht werden, ist etwas zweifelhaft; ziemlich sicher ist aber, dass die durch den Bologna-Prozess angestrebten bzw. installierten Bachelor- und Masterabschlüsse diesem hohen Qualitätsanspruch wohl kaum noch gerecht werden. Deshalb nehmen wir zur Kenntnis, dass Sie sich auch hier diesem Prozess und dieser Problematik stellen wollen und entsprechend dahin wirken, dass die Juris

tenausbildung an den Universitäten ihre Qualität beibehält.

Mit Blick auf die Regierungserklärung verbinden wir natürlich auch die Hoffnung, dass durch eine schrittweise Veränderung zum Schutz der Ausbildung an deutschen Universitäten zu dieser hohen Qualität beigetragen bzw. vorgenommen wird.

Stichwort „Ehrenamt“: Das Ehrenamt in der Justiz - Schöffenbetreuer usw. - stellt für DIE LINKE ein Element der demokratischen und sozialen Bereicherung und der Rückkopplung der Justiz in die Gesellschaft dar. Daher sollte nach bisheriger Anstrengung noch mehr Anstrengung unternommen werden, Menschen für die Übernahme solcher Funktionen zu gewinnen. Ihnen sollten dann aber auch Angebote zu fundierten Informationen, Qualifizierung und Weiterbildung gegeben werden.

Ein zweites Stichwort „Zivilcourage im Alltag - Rechtsextremismus“: Ich gebe Ihnen ausdrücklich recht, Frau Ministerin, es ist Zivilcourage im Alltag durch die Bürgerinnen und Bürger vorzunehmen, damit wir dem rechtsextremistischen Gedankengut und den entsprechenden Auswirkungen auf der Straße begegnen können, auch Ihre Formulierung „Politiker und Politik hat an erster Stelle zu reagieren“, aber dann fordere ich Sie auch auf, entsprechend sichtbar in diesem Prozess auf den Straßen vor Ort und auch in den Veranstaltungen zu werden, um hier die Gemeinsamkeit im Kampf gegen den Rechtsextremismus deutlich zu machen.

(Beifall DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, kommen wir zum Punkt „Leistungsfähigkeit“: Leistungsfähigkeit im Sinne der optimalen Rechtsdurchsetzung für Bürgerinnen und Bürger, da gibt es dann nicht nur bei Sozial- oder anderen Gerichten Probleme mit der Arbeitsauslastung. Es geht auch um Probleme bei der Finanzierung der Bewährungshilfe, um Probleme der praktischen Durchführung der Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe oder auch um die Gefahr der Einführung weiterer Kostenhürden, z.B. an Sozialgerichten. Gerade Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe sind wichtige Ausprägungen des sozialen Rechtsstaats. Sie sollten sicherstellen, dass alle Betroffenen die Möglichkeit haben, ihre Rechte wirksam durchzusetzen. Kostenhürden dürfen nicht sein, dennoch schrauben CDU-regierte Länder mit dem Entwurf eines Prozesskostenhilfebegrenzungsgesetzes an diesem wichtigen sozialen Instrument herum. Auch Thüringen hat offensichtlich mitgemischt. Mit dieser Demontage des sozialen Rechtsstaats sollte schnellstens aus unserer Sicht Schluss gemacht werden.

(Beifall DIE LINKE)

Der Umgang mit der Prozesskostenhilfe und den Kosten im Landeshaushalt ist im Übrigen auch ein Paradestück für die Frage Haushaltswahrheit/Haushaltsklarheit. Wir möchten die neue Justizministerin auffordern, hier und auch in jedem Fall in den Bereichen der Auseinandersetzungen mit der Finanzministerin realistische Haushaltsansätze vorzunehmen. Immer wieder müssen wir feststellen, dass an diesen Bereichen bei den Debatten um den Haushalt eingespart und gekürzt wird und wir dann weitere Monate später feststellen müssen, dass hier die Kosten nicht ausreichen und in Nachtragshaushalten aufgestockt werden müssen.

Unter der Rubrik „Leistungsfähigkeit“ noch ein paar Worte zur Privatisierungsdiskussion in der Justiz: Auch hier nehmen wir - und das habe ich vorhin schon gesagt - deutlich zur Kenntnis, dass Sie die Modelle, die in Hessen praktiziert werden, ablehnen. So kann natürlich auch eine leistungsfähige Justiz nicht agieren, wenn mit der Privatisierung und Auslagerung von entsprechenden hoheitlichen Aufgaben Fakten geschaffen werden, die dazu führen, dass scheinbar kostenintensive Vorgänge aus den entsprechenden staatlichen Haushalten weggenommen werden. Sehr deutlich wird dieses Thema bei der Privatisierung der Gerichtsvollzieher. Wir hatten das anhand der Großen Anfrage im Plenum schon diskutiert. Wo bleiben nach einer Privatisierung die sozialen Interessen der Gläubiger und Schuldner? Wo bleiben die sozialen Absicherungen der Gerichtsvollzieher selbst? Wo bleiben die sozialen Ausgleichsfunktionen des Vollstreckungsverfahrens? Andere Länder, wie zum Beispiel Österreich, machen die Privatisierung des Gerichtsvollzieherwesens gerade wieder rückgängig.

Aufgaben der Familiengerichte sollten auf Notare verlagert werden. Die Kritik geht hier in ähnliche Richtung wie im Fall der Gerichtsvollzieher. Auch wenn Ihr Amtsvorgänger, Herr Schliemann, die Justizvollzugsanstalten nicht privatisieren wollte und Sie, Frau Ministerin, das auch deutlich heute gesagt haben, wollen wir in keiner Weise, dass Blicke nach Hessen in das Nachbarland vorgenommen werden. Wo bleiben dann die hoheitlichen Kernaufgaben der Justiz, wenn hier Privatisierungen in verschiedenen Bereichen vorgenommen werden? Was wird aus dem Grundrechtsschutz der betroffenen Insassen in den Justizvollzugsanstalten, wenn wir so etwas tätigen würden? Wenn es um Leistungsfähigkeit im Justizbereich der Länder geht, darf nicht vergessen werden, dass durch die Föderalismusreform hier Gesetzgebungszuständigkeit dazugekommen ist - leider. Denn in diesem Bereich hätte es auch vor dem Hintergrund verfassungsrechtlicher Gleichbehandlung und Gleichwertigkeitsangebote nicht zu einer Übertragung auf die Länder kommen sollen. Das bedeutet nach Ansicht der LINKEN, die seit Jahren

bestehende Gesetzeslücke im Bereich der Untersuchungshaft zu schließen - Sie haben es angekündigt -, noch in dieser Legislaturperiode vorzunehmen. Für den Bereich des Vollzugs der Untersuchungshaft sollte noch in dieser Legislaturperiode auch in Abstimmung mit anderen Ländern eine entsprechende Gesetzesinitiative vorgenommen werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrte Frau Ministerin, wir werden jede Vorstellung und Veränderung, was Verbesserungen für Bürgerinnen und Bürger, was Verbesserungen der Arbeitsbedingungen von Bediensteten, was Unabhängigkeit von Richtern und Staatsanwälten von politischer Einflussnahme und Kalkül anbetrifft, jederzeit mittragen. Da, wo Sie durch Verschärfung, Aufstockung und Erhöhung regressive Formen im Rechtsstaat installieren und schaffen wollen, werden wir entschiedenen Widerstand anmelden. Danke.

(Beifall DIE LINKE)

Für die CDU-Fraktion hat sich Abgeordneter Carius zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, vielleicht gestatten Sie mir einige Anmerkungen zu meinen Vorrednern.

Zunächst zu Herrn Matschie: Sie haben natürlich recht, es hängt vieles mit vielem zusammen - Ihre Rede hängt weniger mit Justizpolitik, mehr mit Ihrem Parteitag zusammen.

(Beifall CDU)

Ich hoffe natürlich sehr, dass Sie Ihre Munition noch nicht ganz verschossen und morgen einen guten Parteitag haben können. Im Übrigen, Herr Matschie, darf ich auch noch sagen, man sollte den Fleiß anderer nicht geißeln, wenn man selbst den eigenen deswegen nicht unter Beweis stellen kann, weil man sich in einer permanenten Personaldebatte befindet. Insofern darf ich Sie auffordern, seien Sie doch etwas sachlicher, auch im Umgang mit der neuen Justizministerin. Ich habe eher den Eindruck gehabt, dass Ihre Kritik vor allen Dingen daher rührte, dass die Impulse, die die neue Ministerin in den ersten Tagen ihrer Amtszeit gesetzt hat, Sie überrascht haben und Sie als getroffener Hund da lieber laut bellen und lieber in Fundamentalkritik