Protocol of the Session on April 10, 2008

mal deutlich machen, dass das ein Spiel mit dem Feuer ist. Es hätte nämlich gravierende Auswirkungen für den Freistaat Thüringen. Fällt die Erbschaftsteuer weg, weil es bis Jahresende 2008 keine Neuregelung gibt, dann gehen dem Freistaat nicht nur die eigenen Erbschaftsteuereinnahmen in Höhe von ca. 10 Mio. € pro Jahr verloren, viel schwerer würden die negativen Auswirkungen im Länderfinanzausgleich ins Gewicht fallen. Wenn wir mal sehen, für 2008 in der Prognose für dieses Jahr ist ein Erbschaftsteueraufkommen von 4,2 Mrd. € für die 16 Länder vorgesehen, davon 4,14 Mrd. €, also 98,5 Prozent in den alten Bundesländern. Für die reichen Länder, für Bayern, Baden-Württemberg, Hessen oder Hamburg, wäre es ein Null-SummenSpiel, wenn die Erbschaftsteuer wegfallen würde, weil sie andererseits viel weniger in den Länderfinanzausgleich einzahlen würden. Die Dummen wären die Nehmerländer, aber da gehören wir mit dazu. Die armen Länder im Osten - das sind wir nun einmal, sind diejenigen, die insbesondere aus dem Finanzausgleichstopf löffeln -, die wären die Dummen dabei.

Zu dem Wegfall des eigenen Erbschaftsteueraufkommens in Höhe von ca. 10 Mio. € würden dem Freistaat zusätzlich zwischen 50 und 100 Mio. € im Länderfinanzausgleich verloren gehen. Der Wegfall der Erbschaftsteuer liegt einzig und allein im Interesse der Geberländer. Das Landesinteresse gebietet deshalb der Thüringer CDU, die Reform der Erbschaftsteuer im Sinne des vorliegenden Koalitionskompromisses positiv zu begleiten.

(Beifall SPD)

Wenn die Landesregierung hier um die einzelnen Punkte ringt und dann vielleicht auch manche Punkte nachgebessert werden, ist das alles legitim und auch in Ordnung, aber es darf nicht so sein, dass zum Schluss der ganze Kompromiss hinfällig ist, dass es aufgeweicht wird oder dass das Ganze über die Zeit gebracht wird und zum Schluss stehen wir als die Dummen da. Ich kann auch nicht verstehen, dass im Bundesrat der Antrag von Rheinland-Pfalz abgewiesen worden ist, der besagte, es soll doch nur geprüft werden, ob trotz der Änderung, die die Union noch möchte, das Aufkommen von 4 Mrd. € Erbschaftsteuer gehalten werden kann. Das ist nun nicht nachzuvollziehen.

Meine Damen und Herren, zum Sachverhalt Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat Herr Huster schon gesagt - ich möchte gar nichts weiter dazu ausführen -, dass die Betriebsvermögen neu geregelt werden müssen. Unter der Arbeitsgruppe von Koch/Steinbrück sind wichtige Prämissen gesetzt worden, die wir für richtig halten. Die Zahl der Steuerpflichtigen soll sich nicht erhöhen. Es muss sichtliche Verbesserungen für Betriebe geben und das bisheri

ge Steueraufkommen soll bei den 4 Mrd. € bleiben. Der Kompromiss, der aus dieser Arbeitsgruppe hervorging, war, dass künftig alle Vermögensarten nach dem jeweiligen Verkehrswert als Bemessungsgrundlage der Erbschaftsteuer gelten. Firmenerben zahlen auf das produktive Vermögen keine Erbschaftsteuer, wenn sie den Betrieb in kaum verändertem Umfang fortführen. Zur Entlastung naher Verwandter werden die Freibeträge deutlich angehoben.

Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion begrüßt diesen Kompromiss der Großen Koalition ausdrücklich, weil er - ich sage mal - fast 1:1 einen Beschluss des Thüringer SPD-Landesvorstands von vor zwei Jahren etwa zur Erbschaftsteuerreform umsetzt.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Weil ihr das abgeschrieben habt. Das glaubt ihr doch selber nicht.)

Im Plenum im Juli des vergangenen Jahres haben wir hier die Wünsche der SPD dargelegt und die Erbschaftsteuer ausführlich erläutert. Jetzt im Gesetzentwurf finden wir das ziemlich gleich wieder. Da sind wir natürlich zufrieden. Herr Mohring, dass Sie hier sagen, Sie waren das, die das ins SPDPapier geschrieben haben, dann lasse ich Ihnen Ihren Glauben.

(Heiterkeit CDU, SPD)

Meine Damen und Herren, wenn wir uns den Inhalt des Gesetzentwurfs genauer ansehen, dann beinhaltet er eine deutliche Anhebung der Freibeträge in der Steuerklasse 1 für nahe Verwandte. Die Steuersätze sollen dagegen unverändert bleiben. So soll für Ehepartner künftig ein Freibetrag von 500.000 € gelten, bisher waren 300.000 € steuerfrei. Für Kinder steigt der Freibetrag von 200.000 € rund auf 400.000 € und für Enkel von 50.000 auf 200.000 €.

Zur Entlastung von Unternehmenserben hat sich die Koch-Steinbrück-Arbeitsgruppe auf folgende Positionen verständigt: Demnach gelten im Erbfall 85 Prozent des Betriebsvermögens pauschal als produktives Vermögen, der Rest als nicht produktives Vermögen. Die Erbschaftsteuer auf das Produktivvermögen entfällt zehn Jahre lang, jedoch nur dann, wenn der Betrieb mindestens 15 Jahre im sogenannten Haftungsverbund bleibt. Über diese Dinge kann man ja, wie gesagt, noch reden. Mit dieser Regelung soll verhindert werden, dass wesentliche Teile des Unternehmens nach dem Erbfall sofort verkauft werden, und wenn das erfolgt, dann müsste eine Nachversteuerung erfolgen. Das sind die wichtigsten Dinge, die hier geregelt sind.

Lassen Sie mich noch einmal für die SPD-Fraktion zusammenfassen: Mit dem Gesetzentwurf zur Erb

schaftsteuer werden enge Familienverbünde ebenso entlastet wie diejenigen Unternehmen, die Arbeitsplätze erhalten. Die Erben wirklich großer Vermögen, die es aber in Thüringen so gut wie nicht gibt, werden mehr Erbschaftsteuer zahlen müssen als bisher. Eine Abschaffung der Erbschaftsteuer würde nur den Geberländern nützen. In den neuen Bundesländern würden neue Löcher in die Haushalte gerissen. Deshalb bitte ich die CDU-Fraktion und die Landesregierung, im Bundesrat konstruktiv und nach vorn gerichtet den Prozess zu begleiten, damit wir einen gesunden Kompromiss aus dem Bundesrat und Bundestag hören, der das Aufkommen bei 4 Mrd. € lässt, und daran möchten wir keine Abstriche vornehmen. Danke schön.

(Beifall SPD)

Seitens der Abgeordneten liegen mir keine weiteren Redeanmeldungen vor. Für die Landesregierung Ministerin Diezel bitte.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, die Bundesregierung hat am 04.01.2008 den Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Erbschaftsteuer und des Bewertungsrechts vorgelegt.

Meine Damen und Herren Kollegen Abgeordneten von der SPD, ich stimme mit Ihnen überein, die Umsetzung des Gesetzes ist eilbedürftig. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber für eine verfassungskonforme Neuregelung der Erbschaft- und Schenkungsteuer eine Frist bis zum 31.12.2008 gesetzt, aber aus Gründen der Rechtssicherheit für die Steuerbürger soll das Gesetz frühestmöglich in Kraft treten. Der vorliegende Gesetzentwurf ist im Grundsatz eine geeignete Grundlage für die Umsetzung der Erbschaftsteuerreform. Um dies zu erfahren, hätte es nicht dieses Antrags bedurft. Ich halte ihn deswegen für einen Schaufensterantrag, aber er gibt mir Gelegenheit, über die Aktivitäten der Landesregierung im Rahmen des Bundesratsverfahrens zu berichten.

Nach der Kompetenzregelung des Grundgesetzes werden Bundesgesetze vom Bundestag beschlossen; der Bundesrat ist an der Bundesgesetzgebung zwingend beteiligt nach Artikel 78 des Grundgesetzes. Der Bundesrat besteht gemäß Artikel 51 Abs. 1 Grundgesetz aus den Vertretern der Regierungen der Länder. Das Mitwirkungsrecht bei der Bundesgesetzgebung haben damit die Landesregierung und die Exekutive. Das sei hier noch mal eindeutig gesagt. Ihre Beschlussfassung zielt letztlich auf eine

Bindung der Landesregierung im Verfahren der Bundesgesetzgebung ab, und das bereits vor der Expertenanhörung. Das heißt, Erkenntnisgewinne aus der Expertenanhörung sollten nicht mehr in die Meinungsbildung der Landesregierung mit einfließen können. Das Gesetzgebungsverfahren läuft schon seit geraumer Zeit, und dies nicht ohne Beteiligung Thüringens. Sie hingegen versuchen in Ihrem Antrag den Eindruck zu erwecken, das wäre so. Das kann nicht so stehen bleiben. Selbstverständlich hat die Landesregierung die Umsetzung des Kompromisses der Erbschaftsteuerreform konstruktiv begleitet bisher und im Bundesrat unterstützt. Ich werde das an ganz konkreten Beispielen darstellen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Gesetzgebung, im Gesetzentwurf und in den Entwürfen der Rechtsverordnungen wird den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen. Als Bewertungsmaßstab für alle Vermögensgegenstände wird auf den Verkehrswert abgestellt. Der politisch gestaltete Teil der Erbschaftsteuerreform ist in den Regelungen über die Freibeträge, Steuersätze und den Verschonungen zu finden. Auch hier hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber enge Spielräume vorgegeben. Das Bundesverfassungsgericht meint - und jetzt sinngemäß -: Jeder Vergünstigung für den Erben oder Beschenkten muss ein mindestens gleichwertiger volkswirtschaftlicher Nutzen für die Allgemeinheit gegenüberstehen. Das Bundesverfassungsgericht hat formuliert, dass für jede Begünstigung ausreichende Gründe des Gemeinwohls vorliegen müssen. Bei den Freibeträgen, den Steuersätzen und den Verschonungen hat die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hart um die Regelungen gerungen. Letztlich war ein Kompromiss gefunden.

Bei jedem Kompromiss kann man zu den Ergebnissen unterschiedlicher Meinung sein. Die Eckdaten dieses Kompromisses sind teilweise in Ihrem Antrag vorhanden. Ich möchte folgende Kerngründe noch einmal nennen: Die Bewertung und die Besteuerung aller Vermögenswerte erfolgt nach Verkehrswert. Entsprechend wurden die persönlichen Freibeiträge für nahe Verwandte angehoben: Ehegatten 500.000 € - bisher 307.000 €, Kinder 400.000 € - bisher 205.000 € und Enkel 200.000 € - bisher 51.200 €. Der Unternehmensübergang wird steuerbegünstigt bei der langfristigen Sicherung von Arbeitsplätzen über zehn Jahre und bei der Fortführung des Betriebes über 15 Jahre bzw. 20 Jahre bei Betrieben der Land- und Forstwirtschaft. Das neue Recht soll spätestens am 1. Juli 2008 in Kraft treten. Für den Zeitraum 1. Januar 2007 bis zum Inkrafttreten des Gesetzes besteht nur in Erbfällen ein Wahlrecht, das neue Recht in Anspruch zu nehmen. Bei Schenkungen besteht kein Wahlrecht. Die Gegenfinanzierung erfolgt insbesondere durch den Ansatz der Vermögensgegenstände mit dem Verkehrs

wert und durch die Anhebung der Steuersätze für nicht nahe Verwandte und sonstige Erben.

Am 15. Februar war die erste Lesung im Bundestag, am 5. März die Anhörung der Sachverständigen aus Wissenschaft und den Verbänden. Nach guter Tradition im parlamentarischen Verfahren sind die Inhalte dieser Diskussion sorgfältig zu prüfen, erst danach kann über die einzelnen Forderungen entschieden und sich ein abschließendes Meinungsbild geschaffen werden. Ich zitiere dazu Ihren Bundestagsfraktionsvorsitzenden, der einmal gesagt hat: „Kein Gesetz kommt aus dem Bundestag wieder heraus, wie es hineingeht.“

Ein Schwerpunkt der Diskussion hat die Bindungsdauer der Erben an der Betriebsfortführung gehabt. Mit dem Kompromissvorschlag sollen zum einen 85 Prozent des Betriebsvermögens über eine Abschmelzregelung von der Erbschaftsteuer freigestellt werden. Nach dem geltenden Steuerrecht kann im Betriebsvermögen auch sogenanntes gewillkürtes Betriebsvermögen enthalten sein. Dieses steht in Verbindung zum Betrieb, ist für seinen Bestand jedoch nicht zwingend notwendig. Durch die Beschränkung der Verschonung auf 85 Prozent des Betriebsvermögens ist ohne gewaltigen Bürokratieaufwand sichergestellt, dass nur zwingend notwendiges Betriebsvermögen bei der Erbschaftssteuer begünstigt ist. Begünstigt werden jedoch damit nicht einzelne Erben. Ziel dieser Regelung ist vielmehr das Funktionieren der Volkswirtschaft und damit der Erhalt von Arbeitsplätzen auch in der Generationsnachfolge zu gewährleisten.

Gerade in den nächsten Jahren ist durch den Generationswechsel eine sehr hohe Zahl von Unternehmensübergängen geplant. In vielen Fällen könnte der neue Betriebsinhaber in Steuerförderung konfrontiert werden - aus der Schenkungssteuer dann -, welche die Liquiditätsplanungen des Betriebes sprengen. Durch den Erbfall wird dem Betrieb selber ja kein Vermögen und keine Liquidität zugeführt. Andererseits müssen wir dafür Sorge tragen, dass das Unternehmen bei deren Fortführung nicht an zu lange Behaltensfristen gebunden wird. Das würde die Handlungsfähigkeit der Unternehmen einschränken und letztlich zulasten von Arbeitsplätzen gehen.

Die rasante technologische und globale wirtschaftliche Entwicklung erfordert gerade heute mehr denn je Flexibilität in der Unternehmenshandlung. Die eigentliche Begründung für die erbschaftsteuerliche Begünstigung des betrieblichen Vermögens liegt in der Sicherung und dem Erhalt sowie der Gewinnung von Arbeitsplätzen in Deutschland. Wir müssen gewährleisten, dass dieses Ziel nicht durch überzogene Behaltensregelungen und Auflagen für die Betriebsinhaber konterkariert wird. Es ist sowohl volks

wirtschaftlich als auch rechtsstaatlich wichtig, die Relationen zwischen der Freistellung von Betriebsvermögen und der Behaltensdauer ausgewogen und entsprechend der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu gestalten.

Aus diesen Gründen hat Thüringen in der Sitzung des Finanzausschusses des Bundesrates am 31. Januar 2008 vier Anträge zum Erbschaftsteuerreformgesetz eingebracht. Zum einen soll die Bindungsdauer der Erben an die Betriebsführung - auch als Behaltensdauer bezeichnet - von 15 auf 10 Jahre verkürzt werden. Zehn Jahre gelten als äußerste Grenze dessen, was man einem am Markt behaupteten und sich behaupten müssenden Unternehmen als Restriktion für Steuerverschonung aufbürden kann. Zum anderen muss vermieden werden, dass der Verschonungsabschlag selbst dann vollständig anfällt, wenn der Betrieb im letzten Jahr der Behaltsfrist aufgegeben werden muss, sogenannte Fallbeileffekt, Herr Mike Mohring hat darauf hingewiesen. Wir haben vorgeschlagen, diesen Fallbeileffekt zu ändern und eine Grundbehaltsfrist von fünf Jahren und dann einen Abschmelzbetrag einzuführen. Ferner wollen wir Manipulationen der Lohnsummenregelung ausschließen. Deshalb soll der Lohn von Betriebsübergeber und Betriebsübernehmer nicht in die Lohnsummenberechnungen einfließen. Schließlich sind auch bei der Bewertung von Grundvermögensbewertungen Überbewertungen zu vermeiden. Es bietet sich deshalb an, den 20-prozentigen Abschlag von Bodenrichtwerten und Bodenwertermittlungen beizubehalten. Diese Toleranzgrenze wurde auch im Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 7. November 2006 akzeptiert.

Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, diesen Thüringer Anträgen haben im Finanzausschuss des Bundesrats einzelne SPD-Länder zugestimmt. Sie malen hier ein Bild, was der Tatsache nicht entspricht. In seiner Sitzung am 15. Februar hat der Bundesrat eine umfangreiche Stellungnahme abgegeben. Darin fanden unter anderem die Anträge Thüringens Berücksichtigung. Insbesondere hat der Bundesrat empfohlen, die vorgesehene Behaltensfrist von 15 auf 10 Jahre zu reduzieren und den sogenannten Fallbeileffekt zu mildern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, sie sehen, es bedurfte Ihres Antrags nicht. Es war ein Schaufensterantrag, aber er gab mir die Gelegenheit darzustellen, wie wir für den Mittelstand Thüringens in den Bundesrat Anträge eingebracht haben. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall CDU)

Mir liegen keine weiteren Redeanmeldungen mehr vor, damit kann ich die Aussprache schließen.

Eine Ausschussüberweisung ist nicht beantragt worden. So stimmen wir direkt über diesen Antrag in der Drucksache 4/3726 ab. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Danke schön. Die Gegenstimmen bitte. Das ist eine Vielzahl von Gegenstimmen. Stimmenthaltungen? Es gibt keine Stimmenthaltungen. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 10 und rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf

Folgen des Verkaufs von Bahnhofsgebäuden für die Entwicklung des ÖPNV und für die Stadtentwicklung in Thüringen Antrag der Fraktion der SPD - Drucksache 4/3773 -

Mir ist nicht signalisiert worden, dass die SPD-Fraktion das Wort zur Begründung nehmen möchte, aber signalisiert worden, dass die Landesregierung den Sofortbericht erstatten wird, und zwar Herr Minister Trautvetter. Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, lassen Sie mich zunächst erst einmal feststellen, dass es sich bei den im Antrag genannten Verkäufen um bilaterale Verträge zwischen der bundeseigenen Deutschen Bahn AG und einem privaten Dritten handelt. Insofern war und ist die Landesregierung in diese nicht eingebunden.

Die Information über den Umfang des Verkaufs von Bahnhofsgebäuden in Thüringen wurde durch die Deutsche Bahn AG zur Verfügung gestellt. Demnach hat die Deutsche Bahn AG im November letzten Jahres deutschlandweit 490 nicht mehr betriebsnotwendige Empfangsgebäude an ein Konsortium verkauft. In Thüringen betrifft dies 49 Bahnhofsgebäude. Dieses Konsortium hatte bereits im Vorfeld das Empfangsgebäude-Portfolio der insolventen First Rail Property übernommen und verfügt damit über ca. 1.000 ehemalige Empfangsgebäude nebst zugehörigen Grundstücken. Die Deutsche Bahn AG hat die Gebäude nach eigenen Angaben zuerst den Kommunen zum Kauf angeboten, wovon diese aber keinen Gebrauch gemacht hätten. Im Ergebnis dieses Prozesses verbleiben noch 12 Bahnhofsgebäude in Thüringen im Eigentum der DB Station & Service AG. Der Verkauf erfolgt nach Angaben der DB AG

unabhängig vom Betrieb der Stationen. Die für die Abwicklung verkehrsnotwendigen Anlagen, wie zum Beispiel Bahnsteige und Zuwegungen, bleiben im Eigentum der DB Station & Service AG. Das bedeutet, dass die Veräußerung der Empfangsgebäude keine direkten Auswirkungen auf die Durchführung des Personenverkehrs hat. Gerade an den heute nicht mehr besetzten Stationen sind oftmals erhebliche Vandalismusschäden und vernachlässigte Bahnhofsumfelder zu verzeichnen. Durch die Gewinnung von externem Kapital, verbunden mit der Kompetenz der privaten Immobilienwirtschaft kann sicher ein Beitrag geleistet werden, dass die Gebäude einer neuen Verwendung zugeführt werden und sich damit die Attraktivität der Bahnhöfe und ihrer Umfelder insgesamt verbessert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Bahnhöfe, Bahnanlagen und deren Umfeld sind das Tor zur Stadt und zugleich die Visitenkarte eines Ortes. Aus Sicht der Städte und Gemeinden bieten sie daher große Chancen, als Marketing- und Wirtschaftsfaktor, stellen aber zugleich eine nicht zu unterschätzende Herausforderung im Hinblick auf eine funktionale und gestalterische Einbindung in die zukünftige Entwicklung der Stadt bzw. Gemeinde dar. Häufig bieten sich Bahngelände als attraktive Dienstleistungsstandorte an, doch kommen auch weitere Nutzungen wie Gastronomie, Hotel- und Freizeitangebote, Gewerbe, Kultur oder auch Wohnen in Betracht. Insgesamt zielt die Lösung der Nachfolgenutzung, sei es durch die Gemeinde selbst, sei es durch eine Drittnutzung, auf eine städtebauliche Attraktivitätssteigerung ab, die öffentliche und private Interessen miteinander verbindet und dabei kommt es für die Nachfolgenutzung verstärkt auf individuelle und differenzierte Konzepte an. Erfolg versprechend sind diese jedoch nur, wenn die jeweilige Nutzung nach Art und Umfang im Rahmen eines tragfähigen Gesamtkonzeptes, zum Beispiel Stadtentwicklungskonzept und der Einbindung aller Beteiligten, festgelegt worden ist. Eine besondere Herausforderung besteht in Regionen mit einer stagnierenden Entwicklung, für entbehrliche Bahnflächen besteht hier auch in innerörtlichen Lagen häufig kein unmittelbarer Bedarf für eine bauliche Nachfolgenutzung. Um diese Flächen nicht der Verwahrlosung preiszugeben, kommen hier in Kooperation zwischen dem Eigentümer und der Kommune auch Zwischennutzungen, zum Beispiel Grünflächen, in Betracht. Die Politik des Landes war und ist immer auf das gesamte Bahnhofsumfeld, das Tor zur Stadt, ausgerichtet. Vonseiten des Landes wird von der Bahn erwartet, dass sie zuerst mit den Kommunen über den Verkauf der Bahnhofsgebäude spricht und ggf. gemeinsame Konzepte erarbeitet werden; dabei sollten alle Beteiligten an guten städtebaulichen und verkehrlichen Lösungen interessiert sein. Ein aktives Handeln des Landes oder der Gemeinden bei der

Revitalisierung nicht mehr betriebsnotwendiger Flächen setzt voraus, dass die Bahnflächen vom Fachplanungsvorbehalt freigestellt werden. Erst danach greift die kommunale Planungshoheit als Grundlage für Umsetzungsschritte, die seitens des Landes insbesondere durch die Bereitstellung von Fördermitteln unterstützt werden können. Für die Freistellung ist das Eisenbahn-Bundesamt zuständig, wobei sowohl die DB-AG als auch die Gemeinden ein Antragsrecht haben. Die DB-AG nutzt ihr Antragsrechts im Regelfall zur Optimierung immobilienwirtschaftlicher Ziele, die Gemeinden scheuen hingegen im Regelfall den Antragsaufwand. Somit können häufig die Möglichkeiten des Landes, die Revitalisierung von nicht mehr betriebsnotwendigen Flächen zu unterstützen, nicht zum Einsatz kommen.

Wegen der geänderten Rahmenbedingungen ist eine große Anzahl ehemaliger Bahnflächen oder Gebäude aus Sicht der Eisenbahn entbehrlich geworden, sie stehen zur Veräußerung an Dritte an bzw. wurden bereits verkauft. Der praktische Umgang mit der Umnutzung dieser Immobilien gestaltet sich aus Sicht der Kommunen schwierig, zumal abgestimmte Vorgehensweisen weitgehend fehlen und eingeübte sowie abgesicherte Verfahren notwendig sind. Auch wenn die Landesregierung nicht unmittelbarer Beteiligter an derartigen Immobiliengeschäften ist, hat sich die Landesregierung von Anfang an als Interessenvertreter der Thüringer Kommunen verstanden.

Mit der Einführung des § 23 in das allgemeine Eisenbahngesetz, wonach Gemeinden das Recht erhalten, beim Eisenbahnbundesamt die Freistellung der Bahnflächen zu beantragen, hat sich die Rechtslage zugunsten der Gemeinden verbessert. Auf diese geänderte Rechtslage hat die Deutsche Bahn AG mit der Einführung des sogenannten konsualen Verfahrens reagiert.

Das Thüringer Ministerium für Bau und Verkehr hat bereits Ende 2005 darauf unmittelbar reagiert und die LEG Thüringen im Rahmen der Projektinitiative „Genial zentral“ mit einer Begleitung dieses Verfahrens beauftragt. Im Rahmen dieses Auftrags konnte die LEG Thüringen noch 2006 mit der DB AG eine Absichtserklärung in Bezug auf etwa zehn Standorte in fünf Städten ausverhandeln, um die Anwendung des sogenannten konsualen Verfahrens beispielhaft darstellen zu können. Die LEG soll als Zwischenerwerber die Bahnbrachflächen einschließlich Bahnhofsgebäude so aufbereiten, dass die betroffenen Kommunen diese Flächen im Rahmen ihrer kommunalen Planungshoheit zur Erreichung ihres Stadtentwicklungs- bzw. Sanierungsziels nutzen können.

Als Thüringer Pilotstädte wurden Eisenach, Gotha, Jena, Nordhausen und Sonneberg ausgewählt. Die LEG Thüringen hat im November 2006 einen Bericht über ihre Tätigkeit und das bisherige Ergebnis zum Thema Inwertsetzung nicht mehr betriebsnotwendiger Bahnflächen in Thüringen in einer Broschüre veröffentlicht.

Abschließend möchte ich feststellen, dass durch den Verkauf von nicht mehr betriebsnotwendigen Bahnimmobilien keine negativen Auswirkungen auf die vom Land bestellten SPNV-Angebote zu erwarten sind. Die Verbesserung der Attraktivität, insbesondere der Erreichbarkeit, der Information und des Service der Zugangsstellen bleibt weiterhin im Fokus der Landesregierung und wird auch zukünftig gefördert.

(Beifall CDU)

Wird die Aussprache zum Sofortbericht gewünscht? Das signalisieren CDU- und SPD-Fraktion und auch die Fraktion DIE LINKE. Ich rufe als Erstes auf für die SPD-Fraktion Frau Abgeordnete Doht.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Bahnhofsgebäude und -areale sind Visitenkarten für die Städte. Herr Minister, Sie haben es fast genauso ausgedrückt, wie ich es hier stehen habe, denn sie sind letztendlich das Eingangstor zur Stadt. Die Bahnreisenden, die in diesen Bahnhöfen ankommen, bekommen einen ersten Eindruck von der Stadt und der erste Eindruck ist meistens der bleibende.

Deswegen dürfen uns die Bahnhöfe - auch diejenigen, die von der Deutschen Bahn als nicht mehr betriebswirksam erklärt werden - nicht egal sein. Die meisten Bahnhofsgebäude in Thüringen sind repräsentative Bauten, die das Stadtbild prägen. Da widerspreche ich dem, was Sie heute Morgen gesagt haben, dass die meisten Bahnhöfe irgendwo weitab wären. Nein, wenn wir von Haltestellen auf dem flachen Land reden sicherlich, aber zumindest in den Städten sind die Bahnhöfe an zentralen Orten. Es sind das Stadtbild prägende Bauten, sie stammen aus einer Zeit, als die Deutsche Bahn auch noch Städtebau betrieben hat. Das kann man heute nicht mehr in jedem Fall sagen, heute zählen vielfach für die Bahn nur noch die betriebswirtschaftlichen Aspekte.