Protocol of the Session on November 12, 2004

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat die Abgeordnete Lieberknecht.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist bekannt, dass ich mich immer wieder auch zu dieser Frage des Pro und Kontra im Blick auf ein Referendum zum Europäischen Verfassungsvertrag zu Wort gemeldet habe. Das habe ich getan in meinem früheren Amt als Landratspräsidentin, durchaus auch in dem Sinne, wie die Landtagspräsidentin Professor Schipanski sich am 25. Oktober geäußert hat. Ich habe es getan in einem Bereich, wie wir sagen, der Zivilgesellschaft als Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschlands, als Präsidiumsmitglied, wo ich im Übrigen auch mal ganz interessante Purzelbäume bei dem sehr plural zusammengesetzten Gremium in verschiedenen Phasen der Diskussion erlebt habe. Ich denke, ich sollte das auch jetzt tun als Vorsitzende der Mehrheitsheitsfraktion hier im Thüringer Landtag, zumal in den kommenden Monaten der Entwurf über den Verfassungsvertrag über die Europäische Union ja in vielen Parlamenten in ganz Europa diskutiert werden wird und natürlich muss. Über diesen Verfassungsvertrag fordert nun die PDS-Fraktion in ihrem Antrag einen Volksentscheid. Darauf möchte ich ganz speziell zu sprechen kommen, möchte aber zuvor, weil es wirklich wichtig ist, damit wir wissen, worum es geht, im Anschluss an das, was Kollege Carius gesagt hat, noch mal einen Blick auch auf den Vertrag selbst werfen, damit uns deutlich wird, dass dieser Verfassungsvertrag seinen Ursprung in dem Bestreben hat, die Europäische Union institutionell zu festigen und umzubauen, dass sie eben handlungsfähig bleibt, insbesondere auch im Blick auf die nunmehr abgeschlossene Osterweiterung. Effizientere Entscheidungsabläufe, größere Durchschaubarkeit durch klare Strukturen und eine Stärkung des Subsidiaritätsprinzips waren die wesentlichen Ziele. Die deutschen Länder haben dafür nicht zuletzt im Europäischen Konvent intensiv gestritten und auch im Thüringer Landtag haben wir uns im Vorfeld ganz bewusst mehrfach mit diesem Thema beschäftigt und auch

ganz deutlich gemacht, worum es uns dabei auch als Thüringer Landesparlament insbesondere geht. Der Weg, der dann beschritten worden ist, der Weg, der zu dem vorliegenden Ergebnis geführt hat, war beschwerlich. Auch das konnte man im Übrigen ganz intensiv verfolgen und das hat auch unser Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten in der 3. Legislaturperiode gut begleitet, weil hier wirklich eine Transparenz war - das möchte ich lobend erwähnen -, man konnte sehr schnell die Debatten immer gleich sehr aktuell im Internet abrufen. Aber es war ein Weg, der sich so wohl kaum wiederholen lassen wird. Nun haben die Mitgliedstaaten, in welcher Form auch immer, darüber zu entscheiden, ob sie diesen Vertrag haben wollen oder ob sie auf dem verharren wollen, was mit dem Amsterdamer Gipfel erreicht worden ist und was vor Jahren schon als unbefriedigend kritisiert wurde. Der inzwischen vorgelegte Entwurf eines Verfassungsvertrags verbessert manches - ohne Zweifel, das ist gelungen -, aber er bietet keinen Anlass zu irgendeiner Euphorie. Ich denke, das müssen wir auch ganz selbstkritisch sagen. Die für Länder und Bund gleichermaßen wichtige Trennung der Kompetenzen ist eben nur zum Teil gelungen. Das Subsidiaritätsprinzip ist zwar stärker ausgebildet, aber bei weitem nicht so fest, wie wir uns das gewünscht hätten und - das finde ich immerhin auch zumindest der Diskussion und auch der kritischen Diskussion zu unserer Vergewisserung wert - in insgesamt 20 Politikbereichen erhält die Europäische Union neue Mitwirkungsmöglichkeiten, darunter die allgemeine und berufliche Bildung, Kultur, Jugend, Sport. Die vom Bundesrat zu Recht kritisierte "offene Koordinierung", zu der wir hier auch im Thüringer Landtag intensiv um eine Position gerungen haben, und zwar zur Ablehnung dieser "offenen Koordinierung", weil sie eben auch immer neue Einflussmöglichkeiten begründet. Sie ist nicht aufgegeben worden, sie ist ausgeweitet worden im Blick auf Bereiche des Sozialen oder auch der Technologiepolitik. Auch wenn der Verfassungsvertrag, das möchte ich nun auch wiederum feststellen, im Wesentlichen den erreichten Integrationsstand systematisiert, ist natürlich auch vieles festgeschrieben, was deutlich über das Bisherige hinausgeht. Das ist auch nicht problematisch, es war gewollt. Integration bedeutet eben für sich, dass man immer mehr gemeinsam macht. Das halte ich persönlich für absolut wichtig, gerade im Blick auf die Erweiterung, um die wir auch lange genug gerungen haben. Uns war immer beides Kredo, auch hier im hohen Haus im Thüringer Landtag: Vertiefung und Erweiterung, beides musste vorangebracht werden, beides sollte gelingen. Nun muss man bedenken - und das ist eigentlich mir der wichtigste Punkt -, europäische Verträge entfalten ihre Wirkung jeweils im konkreten staatsrechtlichen Umfeld der Mitgliedstaaten. Konstitutives Element des Mitgliedstaats Bundesrepublik Deutschland ist die Bundesstaatlichkeit. Wenn man nun aber die Folgen einer jahrzehn

telang zulasten der Länder gelaufenen Entwicklung der bundesstaatlichen Ordnung und die erweiterten Zugriffsmöglichkeiten, die eben auch mit dem neuen Vertragswerk gegeben sind, zusammennimmt, dann stellt sich für uns in Deutschland in den deutschen Landesparlamenten eine ganz spezielle Frage. Die möchte ich wie folgt skizzieren: Was wird aus der Staatlichkeit der deutschen Länder und damit aus der Bundesstaatlichkeit Deutschlands, wenn die Föderalismuskommission, die wir ja mitdenken müssen, in diesem Zusammenhang z.B. nicht die gewünschten Ergebnisse bringt? Dafür gibt es viele Indizien, dass die Länderforderungen in dem Maße, wie wir sie auch hier formuliert haben, wie wir auch heute noch mal in einem nächsten Tagesordnungspunkt diskutieren werden, nicht so zum Zuge kommen, wenn sie also fehlschlägt und gleichzeitig aber der Europäische Verfassungsvertrag rechtlich wirksam wird. Ich denke, da muss über die Frage gesprochen werden, ob die so genannte Ewigkeitsklausel des Grundgesetzes, nämlich Artikel 79 Abs. 3, berührt wird. Die Bundesstaatlichkeit, die in diesem Artikel mit Ewigkeitsklausel versehen diskutiert wird, ist eben der Verfügung einer verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit der Parlamente vom Bundestag und Bundesrat klar und eindeutig entzogen. Ein deutscher Staat, in dem die Länder nur noch höhere Verwaltungseinheiten werden, widerspräche ganz klar und unabänderlich den Fundamenten unserer Staats- und Verfassungsordnung. Das müssen wir zusammen sehen. Kollege Matschie, bitte.

Verehrte Frau Kollegin Lieberknecht, wir haben ja heute keinen Antrag, der eigentlich dazu Anlass gibt, inhaltlich über den Verfassungsvertrag zu diskutieren, sondern der die Frage stellt, ob wir dazu einen Volksentscheid haben wollen. Ich würde Sie deshalb noch mal gern bitten, zu dieser Frage etwas zu sagen. Sind Sie dafür, dass wir diesen Europäischen Verfassungsvertrag in einem Volksentscheid abstimmen? Denn das ist die Frage, die heute hier zur Abstimmung steht.

Kollege Matschie, dazu komme ich ja, aber für mich hängt die Frage, wie ich über einen Vertrag abstimme, natürlich auch von den Inhalten und den Fragen, die davon berührt sind, ab.

(Beifall bei der CDU)

Das ist nicht zuletzt eine verfassungsrechtliche Frage, auf die wir eingehen müssen. Ich komme dazu, ich werde Ihnen eine Antwort sagen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind - auch Kollege Matschie, was ich eben gesagt habe - keine müßigen theoretischen Erwägungen. Sie hätten mir vielleicht noch ein bisschen Zeit lassen sollen. Sie zeigen zum einen, wie wichtig ein Erfolg der Bundesstaatskommission ist und das heißt, wie wichtig es ist, substanzielle Zuständigkeiten bei den Ländern zu belassen. Einer Eigenstaatlichkeit der Länder ist es beispielsweise nicht angemessen - da haben wir ja auch die kleinen Punkte, die zugestanden werden: Schornsteinfegerwesen, Ladenschlussgesetz, Entscheidung über örtliche Jahrmärkte und Ähnliches -, sie damit abzuspeisen. Es geht wirklich darum, Bundesstaatsreform und Europäischen Verfassungsvertrag zusammen zu sehen. Dabei wird auch deutlich, dass es beim Europäischen Verfassungsvertrag eben nicht um irgendeinen völkerrechtlichen Vertrag geht, sondern dass die Frage steht, inwieweit wird substanziell in das innerstaatliche Gefüge der Bundesrepublik Deutschland eingegriffen. Für den Fall, dass das geschieht, dass die Ewigkeitsklausel in Artikel 79 Abs. 3 Grundgesetz berührt würde, heißt das ganz klar, da kann nicht mehr ein Verfassungsgeber allein abstimmen, sondern da ist das Staatsvolk zu fragen. Das wäre Plebiszit - ganz deutlich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, genau hier ist in Deutschland der, wenn Sie so wollen, neuralgische Punkt, der bei dem ganzen Fragenkomplex eigentlich zur Debatte stehen sollte, wenn man mit Blick auf Europa über Volksabstimmung redet. Bundestag und Bundesrat sollten sich das deswegen noch einmal genau ansehen. Weil aber - und das ist eben der andere Punkt - berechtigte Zweifel bestehen, halte ich es aus verfassungsrechtlichen Gründen geradezu für geboten, diese Diskussion zu führen, wenn wir das Ergebnis der Bundesstaatskommission tatsächlich haben, wenn wir die Abwägungen vornehmen können. Das heißt im Moment, die Tür zu einem Verfassungsvertrag nicht von vornherein zuzuschlagen. Das ist auch klar. Es wäre ohne Zweifel zu kurz gegriffen. Aber es ist eben auch wahr, dass wir, wenn wir die Ernsthaftigkeit dieser Fragen sehen, dies jetzt weder ablehnen noch zustimmen können. Damit habe ich noch nichts zu dem Antrag gesagt, sondern zu den Hintergründen, die dahinter stehen. Dann, wenn man eben generell auf die Plebiszite zielen will, so wie das die PDS-Fraktion in ihrem Antrag macht, wundere ich mich, warum diese Frage und auch Ihr Entwurf, den Sie vorgelegt haben von der rotgrünen Koalition in Berlin, nicht an dem Ort gestellt wird, wo er eigentlich hingehört. Er gehört nämlich in die Bundesstaatskommission hinein, denn eine Frage von Plebisziten hat natürlich Auswirkungen auf Statik und Architektur des Grundgesetzes. Wenn wir jetzt ringen, wo wird welche Entscheidung in Zukunft liegen, was wird Bundeskompetenz sein, was wird Frage von Bundesregierung und Bundestag sein, was wird Frage von Landesparlamenten bzw. auch Bundesrat

sein, gehören diese Fragen hinein. Genau an diesem Ort ist diese Frage aber nicht gestellt worden und das muss schon verwundern. Denn wir haben eine Gesamtarchitektur des Grundgesetzes. Von daher stellt sich der Verdacht, dass es sich tatsächlich auch hier wieder nur um einen Schaufensterantrag handelt.

(Beifall bei der CDU)

Ich kann Ihnen die Purzelbäume schildern. Als Mitglied der Europäischen Bewegung, als Präsidiumsmitglied, Teil der Zivilgesellschaft, wenn Sie so wollen, habe ich natürlich gesagt, ich als mündige Bürgerin möchte mir eigentlich wünschen, über diesen Vertrag abzustimmen. Aber die Reaktion der Vorsitzenden, deren Parteienzugehörigkeit jedem bekannt ist, der Vertreter des Außenministeriums: "Um Gottes Willen, niemals!" Dies ist zu diesem Zeitpunkt etwa ein Jahr her. Ich dachte, ich bin im falschen Film, zumal wir uns in Thüringen ständig rechtfertigen mussten über Positionen, bei denen wir uns dann auch langsam erst entwickelt haben und die dann auch hier in Thüringen zur Verfassungsänderung geführt haben. Man kann vielleicht auch, ich will das nicht unterstellen, aber auch den Gedanken muss man ja haben, den Entwurf vorlegen, vielleicht unter dem Blickwinkel vorlegen, wenn Ablehnung gesichert. Auch das sind Verfahren, die wir im politischen Alltag haben. Von daher möchte ich ganz deutlich machen, die Frage, um die es geht, ist wirklich ernster. Die Frage ist so ernst, dass man sie im Moment nicht mit einem klaren Pro oder einem klaren Kontra, wenn es einem um den Zusammenhang geht, beantworten kann. Dass die Basis des PDS-Antrags nicht die Basis ist, auf der man dieser Frage zustimmt, ist auch klar. Das habe ich deutlich gemacht. Sie wollen eine ganz andere Zielrichtung. Sie wollen die generelle Einführung von Plebisziten, von Volksabstimmungen im Grundgesetz. Da sage ich, man kann diese Bestrebung haben, aber wenn man sie ehrlich meint, gehört sie an eine andere Stelle und nicht hierhin. Deswegen lehne ich auch für die CDU-Fraktion eine Umgehensweise in dieser Form, wie Sie das in Ihrem Antrag formuliert haben, ab. Die CDU-Fraktion ist aber sehr wohl seit langer Zeit auf dieser Linie, zu sagen, wir wollen eine Stärkung Europas, ganz klar durch klare Kompetenzzuweisung auf die europäische Ebene. Wir wollen eine klare Stärkung auch der Handlungsfähigkeit des Bundes, deswegen Entflechtung in der Bundesstaatskommission. Wir wollen eine klare Stärkung der Länderebene. Deswegen auch hier unser Einsatz in der Bundesstaatskommission und im Rahmen des Europäischen Verfassungsvertrags. Davon haben auch unsere Bürgerinnen und Bürger natürlich eine Stärkung, wenn man weiß, wer wofür verantwortlich ist. Und ob die Bürger, das deutsche Staatsvolk, in dieser Frage das letzte Wort haben werden, ist tatsächlich eine verfassungsrechtliche Frage, jedenfalls für mich, die ich für die repräsentative Demo

kratie stehe. Aber wenn hier ein Punkt überschritten ist, der der Kompetenz letztlich von Bundestag und Bundesrat entzogen ist, weil sich vielleicht die Frage der "Ewigkeitsklausel" stellt, dann wäre das deutsche Staatsvolk zu fragen. Aber diese Entwicklung möchte ich erst einmal abwarten und dann können wir uns ja erneut mit dieser Frage befassen. Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Bitte.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte doch noch einmal auf die Redebeiträge ganz kurz eingehen. Kollege Höhn, das war die Pirouette und der Purzelbaum, den Sie hier gemacht haben. Sie würden gern zustimmen, aber dann

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Das war bei Ihnen doch auch so.)

zum Schluss? Gut, Sie haben das Beispiel praktisch gegeben. Herr Carius, Sie

(Unruhe bei der SPD)

wollten uns dankbar sein, haben Sie uns immer gesagt. Ich denke, Sie sollten uns dankbar sein, dass wir diese Debatte hier geführt haben. Wenn Sie immer sagen, Sie hätten sich gewünscht, habe ich echt überlegt, ob ich vielleicht das nächste Mal zu Ihnen komme und mir anhöre, was Sie sich in meiner Rede wünschen. Ich würde dann darüber nachdenken, ob ich das auch bringen würde.

(Beifall bei der CDU, PDS)

Wir haben die Punkte gebracht, die wir für wichtig gehalten haben und wenn Sie dann sagen, Kollege Carius, der Landtag beschließt es vielleicht hier oder auch nicht, im Grunde genommen kümmert es keinen. Ich stelle mir die Frage, wie ernst nehmen wir uns eigentlich hier in diesem Plenum? Ich hatte an manchen Stellen das Gefühl, dass sich manche zu ernst nehmen. Aber der Landtag als dieses ist ein Gremium der Bürgerinnen und Bürger von Thüringen. Und wenn er ein Zeichen nach Berlin setzt, ist das ein großes Zeichen.

(Beifall bei der PDS)

Insofern verstehe ich Ihre Zurückhaltung da nicht, dass es ja sowieso keinen kümmert. Dann sagen Sie ja immer - und Frau Lieberknecht hat das jetzt auch

noch mal gesagt -, es soll auf Bundesebene entschieden werden. Aber wir sind Teil dieser Bundesrepublik, Thüringen, wir sind Teil Europas und deshalb ist es, denke ich, wichtig, dass wir unsere Haltung als Thüringerinnen und Thüringer hier auch zum Ausdruck bringen und vor allen Dingen die Debatte dazu führen. Herr Carius, ich freue mich, dass Sie unser EU-Wahlprogramm gelesen und sich damit beschäftigt haben, dass Sie unsere Haltung dazu erkannt haben, aber, ich denke, eine offene Diskussion, die setzt eine Entscheidung voraus. Das hatte ich in meinem Redebeitrag gesagt. Sie wissen sicher genauso gut wie ich, dass die Parteienhaltung, weder Ihre noch unsere, nicht immer der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger entsprechen muss. Deshalb muss man sie einbeziehen in die Debatte und muss eventuell auch Korrekturen vornehmen. Deshalb diesen Vorwurf, im Programm steht die Ablehnung, halte ich für völligen Quatsch.

Frau Lieberknecht, die Anfrage von Herrn Matschie, ich habe verstanden, wo er hin will und Ihre Antwort klar geht es auch um Inhalte, aber die Inhalte sind natürlich wichtig, um mich dann zu entscheiden. Unsere Frage hier für den Thüringer Landtag ist: Wollen wir ein Referendum, ja oder nein? Geben wir dieses Signal an die Bundesregierung und dieses wollen wir mit unserem Antrag heute tun. Deshalb bitte ich also noch mal um Zustimmung zu unserem Antrag, um dieses Zeichen aus Thüringen zu setzen und dann auch die Debatte zu den Inhalten der EU-Verfassung auch in diesem Hause weiterzuführen.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort hat Staatssekretär Scherer.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, die PDS-Fraktion strebt mit ihrem Antrag ein Referendum über den Europäischen Verfassungsvertrag in Deutschland an und setzt aber darüber hinaus sich auch für die Einführung weiter gehender plebiszitärer Elemente in das Grundgesetz ein. Im Übrigen, Frau Naumann, Sie haben die Zahl genannt, 73 Prozent der Bürger seien dafür, mehr plebiszitäre Elemente einzuführen. Es ist sogar noch eine höhere Zahl, jedenfalls wenn ich den Zitaten aus der Thüringer Landeszeitung vom 02.11.2004 glauben darf, da stehen sogar 89 Prozent aus einer Emnid-Umfrage drin. Aber da muss man die EmnidUmfrage ganz vortragen, Sie, Herr Höhn, haben sie vorhin erwähnt. Wenn ich mit Ihrer Erlaubnis weiter zitieren darf, da steht nämlich noch was drin, da steht drin: "Die Befragten trauen allerdings sich selbst mehr als anderen zu, weil 63 Prozent bezweifeln, ob die

Wähler, von denen sich sowieso nur noch 25 Prozent für Politik interessieren, kompetent genug sind, über Gesetzesvorhaben selbst zu entscheiden und nur 34 Prozent trauen den Wählern sachlich begründete Entscheidungen zu." Dann muss man die EmnidUmfrage ganz vorlesen.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Landesregierung lehnt den Antrag der PDS-Fraktion ab, und zwar aus folgenden Gründen:

Herr Staatssekretär Scherer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja.

Herr Staatssekretär, Sie haben mir hoffentlich vorhin ordentlich zugehört. Ich habe mich auf das ZDFPolitbarometer

(Unruhe im Hause)

bezogen und nicht auf die Emnid-Umfrage. Diese Umfrage, auf die ich mich bezogen habe, die ging ausdrücklich auf das Referendum zur EU-Verfassung und das sind 73 Prozent. Und die Zahl, die Sie nennen, ist natürlich...

Frau Naumann, bitte eine Frage stellen.

Also, ob Sie mich richtig verstanden haben in der Frage, 73 Prozent möchten ein Referendum zur EUVerfassung. Ich habe also nicht aus einer Emnid-Umfrage zitiert.

Wenn Sie mir zugehört hätten, hätten Sie gemerkt, dass ich in der zweiten Hälfte des Satzes auf den Herrn Höhn eingegangen bin. Der hat nämlich aus der Emnid-Umfrage zitiert.

(Unruhe im Hause)

Da müssen Sie mir zuhören, das ist ganz einfach.

(Zwischenruf Abg. Buse, PDS: Sie haben ihr vorgeworfen, nicht richtig zitiert zu haben aus der Emnid-Umfrage. Das hat sie aber gar nicht getan!)

(Glocke der Präsidentin)

Sie haben mir nicht richtig zugehört. Ich habe Ihnen die Antwort gegeben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere politische Ordnung in Deutschland ist in Anlehnung an Artikel 20 und 38 Grundgesetz die repräsentative Demokratie und das bedeutet eben, dass das Parlament das Volk vertritt und für das Volk auch entscheidet. Dieses System der repräsentativen Demokratie hat sich bewährt seit vielen, vielen Jahren. Wenn wir über plebiszitäre Elemente sprechen, dann müssen wir erstens differenzieren, was genau vorgeschlagen wird und insbesondere um welche Entscheidungsebenen es geht. Auf kommunaler Ebene gibt es überschaubare örtliche Sachverhalte, die im Vordergrund stehen. Es sind Fragestellungen auf Landesebene und erst recht auf Bundesebene, die dann bereits deutlich komplexer sind. Dem entsprechend haben sich alle im Thüringer Landtag vertretenen Parteien vor zwei Jahren auf eine ausgewogene und angemessene Regelung zum Volksbegehren und Volksentscheid auf Landesebene verständigt. Auf Bundesebene sind politische Fragestellungen regelmäßig so komplex, dass sie einfache plebiszitäre Jaund Nein-Antworten aus meiner Sicht nicht zulassen. Sie erfordern ein differenziertes demokratisches Verfahren der Willensbildung. Gerade deshalb haben sich auch die Väter des Grundgesetzes für eine ausschließliche parlamentarische Gesetzgebung auf Bundesebene entschieden, zumal nur das parlamentarische Verfahren auf Interessenausgleich und auf Kompromiss ausgelegt ist. Und überlegen Sie, welche Beratungen den Entscheidungen in den Ausschüssen vorausgehen. Es gibt Gutachten, Expertenanhörungen und ausführliche Erörterungen, in denen das Pro und Kontra abgewogen wird. Das Verfahren der Volksgesetzgebung durch Plebiszit ist dazu einfach nicht in der Lage; dieses Verfahren kennt nur Ja- oder Nein-Entscheidungen. Mit Volksbegehren und Volksentscheiden auf Bundesebene werden außerdem - es ist vorhin schon einmal angeklungen die Mitwirkungsrechte des Bundesrats und damit eben gerade die Länderinteressen tangiert und nicht berücksichtigt. Wir müssen sehen, dass unser Grundgesetz mit seiner föderalen Ordnung auf das System der parlamentarischen Demokratie zugeschnitten ist. Die Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern mittels der ausschließlichen konkurrierenden und der Rahmengesetzgebung lässt plebiszitäre Elemente grundsätzlich nicht zu und daran wird sich auch durch eine Neustrukturierung der Zuständigkeiten im Einzelnen als Ergebnis der

Föderalismuskommission nichts ändern. Nach wie vor wird es auch Vermittlungsverfahren im Bundesrat geben, die es den Ländern ermöglichen, ihre Interessen bei der Bundesgesetzgebung, wie dies für die Länder legitim ist, einzubringen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, wollen wir wirklich etwa Fragen des Ausländerrechts oder des Strafrechts Plebisziten zugänglich machen? Sollen in Zukunft Abstimmungskämpfe unter dem Motto "Ausländer raus" oder "Wegsperren für immer" geführt werden? Den in letzter Zeit leider und hoffentlich nur vorübergehend erstarkten rechtsextremistischen Kräften in Deutschland würde gerade hier, glaube ich, ein Betätigungsfeld eröffnet.

(Beifall bei der CDU)