Protocol of the Session on March 2, 2007

Ich möchte noch auf einige Schwerpunkte und Widersprüche in Ihrer Antwort eingehen. Nehmen wir das Beispiel der Ein-Euro-Jobs. Dazu ein Zitat: „Aus der Sicht der Landesregierung ist die Gefahr der Verdrängung regulärer Arbeitsplätze durch EinEuro-Jobs gering.“, heißt es in der Antwort. Die Experten sehen das anders. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit kommt nach einer Unternehmensbefragung aktuell zu dem Ergebnis, dass durch Ein-Euro-Jobs „in einem nicht zu vernachlässigenden Teil der Firmen reguläre Arbeitsplätze ersetzt werden. Das geschieht, indem man Ein-Euro-Arbeitskräfte zur Abfederung des Personalabbaus einsetzt oder für Krankheitsvertretungen. Nicht selten übernehmen sie Arbeiten der Stammbelegschaft, damit diese Überstunden abbauen kann.“ Das ist übrigens noch einmal ein Argument auch für die Arbeitszeitverkürzung, die wir einfordern. Wenn die Landesregierung sagt, ihr seien „derzeit keine wesentlichen Verstöße bekannt“, liegt das offenbar an ihrer mangelnden Sorgfalt, denn dass das Land Thüringen sich von der bundesweiten Situation erheblich unterscheidet, ist eher unwahrscheinlich. Das Informationsdefizit wird auch daraus deutlich, dass die Landesregierung keine Angaben zur Zahl der Ein-Euro-Jobs in Kindergärten, Schulen, Hochschulen, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen machen kann. Wie soll dann aber sichergestellt werden, dass nicht gegen die Forderung im SGB II verstoßen wird? Ein-Euro-Jobs führen übrigens nur in wenigen Fällen dazu, dass die Betroffenen anschließend übernommen werden, sagt das IAB. Im Land Thüringen haben wir praktische Beispiele dafür. Zum Beispiel hat Jenarbeit im Jahr 2006 900 sogenannte Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung - also Ein-Euro-Jobs - mit 71 Trägern durchgeführt - 900 -, keine einzige Vermittlung auf den ersten Arbeitsmarkt. Das ist wirklich nur eine vorübergehende Beschäftigung.

Widersprüche finden sich auch bei den Aussagen zur Landesarbeitsmarktpolitik. Ein besonders eklatantes Missverhältnis ergibt sich beim Thema der Qualifikation und Weiterbildung; der Kollege Günther ist schon darauf eingegangen. In der Antwort der Landesregierung heißt es dazu, ich zitiere: „Im Rahmen einer auf Nachhaltigkeit angelegten Arbeitsmarktpolitik kommt der Aus- und Weiterbildung eine zunehmende Bedeutung zu. Ein hohes Ausbildungsniveau trägt nicht nur zur Sicherung von bestehenden Arbeitsplätzen bei, es erleichtert auch Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen den Einstieg in eine berufliche Tätigkeit. Die Landesregierung sieht für das Land hierin eine besondere Aufgabe, die im Gegensatz zu vielen Reformmaßnahmen auf Bundesebene auch aktiv von ihr gestaltet werden kann.“ Das klingt zunächst gut. Doch wie sieht die Realität aus? Die Förderinstrumente des Landes, welche gerade diese o.g. Zielgruppen einschließen, wurden in den zurückliegenden Jahren massiv heruntergefahren oder ganz eingestellt. Ich verweise hier auf die Richtlinie „Soziale Wirtschaftsbetriebe“ beispielsweise, die wurde im August 2005 außer Kraft gesetzt und es kam nur noch zu einer sogenannten Abfinanzierung der bestätigten Projekte. In der Begründung zur Außerkraftsetzung ist unter anderem angeführt, dass die Kosten pro integrierten Arbeitslosen im Vergleich mit anderen Instrumenten sehr hoch sind. Stimmt schon, Qualifikation kostet Geld. Zweck der Richtlinie war doch gerade der Nachteilsausgleich der Unternehmen, weil diese Langzeitarbeitslose, Geringqualifizierte oder auch Schwerbehinderte einstellen und diese innerbetrieblich qualifizieren sollten. Landesmittel waren in der Förderung übrigens überhaupt nicht enthalten. Das Bekenntnis der Landesregierung zur Bildung war also demnach ein Lippenbekenntnis, denn die Fort- und Weiterbildung von Arbeitslosen ist in Thüringen in den letzten Jahren drastisch zurückgegangen. Die Zahl der Eintritte in berufliche Weiterbildungsmaßnahmen ist zwischen 2003 und 2005 von sage und schreibe 14.400 auf nur noch 5.100 Teilnehmer gesunken. Das ist ein Rückgang um 64 Prozent.

Lassen Sie mich noch drei Fakten zur Berufsausbildung sagen. Die Anzahl der betrieblichen Ausbildungsplätze ist seit 1999 auf 57 Prozent zurückgegangen. Das sind 8.000 betriebliche Ausbildungsplätze weniger. Die Übernahmequote nach erfolgter Ausbildung ist von 56,7 Prozent auf 36 Prozent gesunken. Auch die Landesmittel für Berufsausbildung wurden drastisch abgesenkt bei gleichbleibenden Ausgaben insgesamt, weil hier andere Fördermöglichkeiten relativ stabil geblieben sind.

Besondere Unterstützung werde auch für ältere Arbeitslose ab 50 geleistet, behauptet die Landesregierung in der Antwort. So weit die Theorie. In der Praxis wurde jedoch das Programm „50 Plus“, was

ein gutes Instrument war, mit Wirkung vom 31.07.2006 in die Richtlinie „Schwer vermittelbare Arbeitslose“ übergeleitet, wobei die Förderhöchstdauer von 24 auf 12 Monate reduziert wurde und die Förderhöhe von 16.000 auf 12.500 € abgesenkt wurde - für die Betroffenen eine deutliche Verschlechterung. Gestatten Sie mir noch mal zu sagen, um welche Größenordnung es sich hier handelt. Über 55 Jahre sind aktuell etwa 25.000 Menschen betroffen. Das ist eine rückläufige Zahl, weil man natürlich nicht vergessen kann - vergleicht man die Statistik -, dass in den letzten Jahren vor allen Dingen Ältere auch aus der Statistik der Arbeitslosigkeit herausgedrängt wurden. Das ist eine Frage, die schon im Kontext steht mit der Problematik „Rente ab 67“, weil wir doch ganz genau wissen, dass die Arbeitsmöglichkeiten und die Chancen für Menschen jenseits der 50 Jahre sehr schlecht sind, dass sie kaum Chancen auf Neueinstellung haben. Dort ist dringender Handlungsbedarf geboten.

Weiteres Thema: Direkt peinlich sind die Aussagen der Landesregierung in der Antwort auf die Große Anfrage wie die, man könne zu den beschäftigungswirksamen Effekten der Förderpolitik keine Aussagen treffen. Es liegen keine Daten vor, teilt uns die Landesregierung mit. Doch bei der ESF-Förderung existierte ein sogenanntes Stammblattverfahren. Dafür wurden an die Träger von ESF-Projekten pro erfasstem Teilnehmer 21 € und pro erfasstem Unternehmen 25 € zur Deckung des zusätzlichen Verwaltungsaufwands ausgereicht. Erfasst wurde dabei auch der Verbleib des Teilnehmers nach der Beendigung der Maßnahme. Wenn also keine Daten vorliegen, dann muss man sich fragen, wie wirtschaftlich in Thüringen mit ESF-Mitteln umgegangen wird, und die Problematik, dass vieles auch bürokratisch versickert, muss man schon hier ansprechen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Die Möglichkeit zur Analyse der Effekte von Förderprogrammen wird nicht ausreichend genutzt. Ich sage, man will das gar nicht, und ich bin sehr gespannt auf die Beantwortung meiner Kleinen Anfrage, die sich genau mit diesem Thema beschäftigt. Denn laut Aussage des Wirtschaftsministers müsste ja dort, wo Unternehmen bei der Antragstellung auf Förderung einer Anzahl von Arbeitsplätzen, die zu schaffen wäre, auch abgefragt werden, wie ist denn die Realität, denn ansonsten müssten immer Fördermittel zurückgezahlt werden. Ich bin gespannt, was bei dieser Analyse herauskommt.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Meine Damen und Herren, es gibt aus der Sicht der Landesregierung auch keine fundierten Prognosen über die Entwicklung der Branchen und Regionen.

Das soll wohl heißen, in der Staatskanzlei und im Wirtschaftsministerium entscheidet man nach dem Motto „Schauen wir mal“. Angesichts dieser Situation kommt es uns wie ein schlechter Witz vor, wenn die Landesregierung behauptet, durch Analysen werde weitgehend bestätigt, dass „die Arbeitsmarktpolitik des Landes zieladäquat und wirkungsvoll ausgerichtet ist“. Wie will man denn das ermittelt und bewertet haben? Das ist aus der Großen Anfrage nicht zu erkennen.

Das Land gibt Millionen Euro in der Wirtschaftsförderung aus, kann aber nicht sagen, wie viele Arbeitsplätze entstanden sind. Das Land finanziert vor allem mit ESF-Mitteln eine quantitativ und qualitativ rückläufige Arbeitsmarktpolitik, kann aber nicht sagen, welche Effekte erzielt werden. Ist das adäquat und wirkungsvoll? Wir fordern darüber hinaus auch den stärkeren Einsatz der Landesregierung für den Erhalt der vorhandenen Arbeitsplätze.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich will die Diskussion hier nicht aufmachen, ich sage nur als Stichwort „Telekom“. Gestern die Antwort auf die Mündliche Anfrage war meines Erachtens doch etwas unbefriedigend, denn bei der CeBIT wird der Wirtschaftsminister sicherlich nun nichts mehr erreichen. Die Landesregierung sagt, sie setze auf Innovation in den Unternehmen. Das ist richtig. Doch die Forschungs- und Technologieförderung ist chronisch unterfinanziert, Schwerpunktsetzungen gibt es nicht.

Kommen wir noch zum Thema „öffentlich geförderte Beschäftigung“: Sie ist nach Ansicht der Landesregierung - Zitat - „nachrangig zum ersten Arbeitsmarkt und auch künftig komme ihr nur partielle und temporäre Bedeutung zu“. Sie begreifen geförderte Arbeit nicht als eigenständigen Wert und, meine Damen und Herren, Sie diskriminieren damit Menschen, die dort mit hohem persönlichen Einsatz tätig sind. Lassen Sie mich sagen, dass gerade in der öffentlich geförderten Beschäftigung, auch in der Wissenschaft ganz aktuell, Udo Ludwig, Chefökonom des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle, die Tatsache darin begründet sieht, dass viele Arbeitslose - ich darf das zitieren - „Bundesweit“, sagt er, „sehen das 3 Mio. so, dass für sie nur Hoffnung auf dem dritten Arbeitsmarkt besteht.“, nachzulesen in der TA vom 22.02.2007. Gleichzeitig neben der Tatsache, nur partiell und temporär die öffentliche Beschäftigung anzugehen, wird in der Beantwortung der Großen Anfrage festgestellt: „Kurz- und mittelfristig wird auf einen begrenzten wettbewerbsneutralen zweiten Arbeitsmarkt in Thüringen nicht verzichtet werden können.“ Da frage ich mich schon, wenn das so ist, dann muss die Landesregierung mit Konsequenz dieses Ziel auch verfolgen. „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“, das geht nicht. Deswegen denke

ich, dass das Ziel darin bestehen soll - da sind wir uns, glaube ich, einig -, Arbeit zu finanzieren statt Arbeitslosigkeit. Deshalb möchte ich an dieser Stelle auch die Landesregierung auffordern, sich dafür einzusetzen, dass beim Bund die Deckungsfähigkeit von aktiven und passiven Leistungen durchgesetzt wird, weil das die Voraussetzung ist, dass bisherige Modellprojekte - wie immer sie sich auch nennen, ich sage nur mal das Stichwort „Bürgerarbeit“ - auch in größerem Maßstab mit genau dieser Zielrichtung umgesetzt werden können.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Zum Schluss noch zusammengefasst vier unserer Forderungen; wir werden ja Gelegenheit haben, im Wirtschaftsausschuss darüber weiter zu diskutieren. Ich freue mich, wir werden dem Antrag von Herrn Günther natürlich zustimmen.

Erstens: Thüringen braucht ein arbeitsmarktpolitisches Leitbild mit einem klaren Bekenntnis zu öffentlich geförderter Arbeit und nicht Ein-Euro-Jobs als „Arbeit-light-Variante“, wie das unter Insidern genannt wird.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Für uns Linke sind die Forderungen, die wir an eine öffentlich finanzierte Beschäftigung knüpfen, klar: versicherungspflichtig, existenzsichernd, freiwillig und unbefristet mindestens für die Zielgruppe der älteren Arbeitnehmer, um ihnen einen würdigen Übergang in die Rente zu sichern.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Dabei muss der Spezifik jugendlicher Arbeitsloser, älterer Arbeitsloser und Menschen mit Behinderungen besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.

Zweitens, auch wenn Sie das nicht hören wollen: Gerade das Niedriglohnland Thüringen braucht bundesweit den gesetzlichen Mindestlohn. Glauben Sie mir, Herr Dr. Aretz, wir haben das mehrfach geprüft - ich meine, das ist immer die Frage, ich will jetzt nicht den Satz sagen: „Glaube nur der Statistik, die du selber gefälscht hast!“ -, jeder Zweite in Thüringen bezieht Niedriglohn. Man muss wirklich mal schauen - es sind ja hier schon die Aussagen von Herrn Pilger aus der Großen Anfrage zitiert worden, das kann ich mir sparen -, gerade in prekärer Beschäftigung, in diesen unsäglichen, zum Teil auch richtigen und regulären Arbeitsverhältnissen, wo immer weniger rauskommt für die Betroffenen, kann man das einfach nicht ignorieren. Ich denke, das geht an der Realität für viele Menschen, was Sie hier statistisch versucht haben nachzuweisen, einfach vorbei.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Es ist viel argumentiert worden. Ich will nur noch zwei Punkte anfügen. Ein großer Teil der Hartz-IV-Empfänger bezieht Hilfeleistungen trotz Arbeit. Das ist beispielsweise im Altenburger Land jeder Vierte. Interessanterweise gleichen sich die Zahlen beispielsweise auch mit denen von Jenarbeit. 26 Prozent der Hilfebedürftigen bekommen Leistungen trotz der Tatsache, dass sie arbeiten, nicht arbeitslos sind. Ich kann Ihnen auch sagen, viele, die Niedriglöhne beziehen, die wissen überhaupt nicht, dass sie noch Anspruch haben auf ergänzende Leistungen aus Hartz IV. Deswegen muss man das sehr ernst nehmen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einen Satz sagen, verehrter Kollege Pilger, zum SPD-Antrag: Wenn Sie „Pfändungsfreigrenze“ sagen, dann meinen Sie 8 €. Wir streiten uns nicht um 50 Cent rauf oder runter. Wir wollen den Mindestlohn, da sind wir uns sehr einig. Lassen Sie uns den Maßstab der Pfändungsfreigrenze anlegen, das ist völlig in Ordnung. Bei den derzeitigen Berechnungen sind das 8 €, aber darüber zu streiten, denke ich, lohnt sich nicht. Deswegen werden wir Ihrem Antrag auch zustimmen und bedauern natürlich, dass Sie unserem Antrag nicht zustimmen können, weil in der Sache, glaube ich, das Gleiche gemeint ist. Den Betroffenen hilft das auch nicht weiter, wenn wir uns an dieser Frage auseinanderdividieren.

Drittens: Thüringen braucht eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die auf zukunftsfähige Regionalentwicklung und die Verknüpfung von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen mit Wirtschafts- und Strukturförderung orientiert ist. Das sind mindestens zwei Punkte: Stärkung und Vernetzung der Kompetenzen und Potenziale kommunal und regional, also vor Ort. Zweitens bedeutet das, die Bereitstellung eines praktikablen Handlungsinstrumentariums mit entsprechenden Förderinstrumenten unbürokratisch und gut zu handhaben. BSI-Maßnahmen müssen weitergeführt werden - ich denke, das wird auch so sein -, denn die Landesregierung hat das ja hier sehr gelobt. Wir fordern auch in diesem Zusammenhang für das neue Operationelle Programm ein wirksames Qualifizierungs- und Beschäftigungsprogramm für klein- und mittelständische Unternehmen zur Einstellung von Langzeitarbeitslosen und Geringqualifizierten, vielleicht ein bisschen anders als die Richtlinie „Sozialer Wirtschaftsbetrieb“, aber mit ähnlicher Tendenz, um diese Menschen regulär wirtschaftsnah in Arbeit zu bringen.

Und Viertens: Thüringen braucht eine Aufstockung der Haushaltsmittel für die notwendige Ergänzung der wirtschaftsnahen Forschungsinfrastruktur, um Innovation durch Industrieforschung, Technologieförderung und den Wissenstransfer an den Hochschu

len zu realisieren.

Es ist also ein ganzes Programm und ich bitte die Landesregierung sehr, von ihrer Beharrung „Wir sind gut - weiter so“ Abstand zu nehmen, weil, das können Sie den Menschen im Land Thüringen, die von diesen Auswirkungen betroffen sind, nicht erklären.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Das Wort hat der Abgeordnete Kretschmer, CDUFraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich war nach Vorlage der Antwort auf die Große Anfrage der Kollegen von der PDS der Meinung, es gibt keinen aktuellen Anlass zur Beantragung oder zur Besetzung des Themas "Gesetzlicher Mindestlohn", vermehrt auch, wenn ich noch einmal zurückschaue auf die interessanten Ausführungen, die wir im Rahmen einer Anhörung hatten zu den beiden Entwürfen der Fraktionen der SPD und PDS zum Vergabegesetz, die ja den Bestandteil Mindestlohn auch drin hatten. Auch dort hat sich nach meinem Kenntnisstand bis dato nichts geändert in der Argumentation. Also auch für mich ist nicht erkennbar, warum wir uns mit dieser Frage erneut hier im Plenum, mit dem Antrag eines gesetzlichen Mindestlohns, beschäftigen sollen, außer dass man - und das ist ja hier erkennbar gewesen - die Klaviatur von Mitleid, Neid und Unkenntnis bedient und damit Unruhe stiften will. Ja, ja, wenn Sie einmal den Antrag Ihrer Fraktion, Herr Hausold, in die Hand nehmen, dann könnte man meinen, er stammt aus einer Delegiertenmappe zu einem Parteitag und das passt ja auch ganz gut. Sie schicken den großen Vorsitzenden, um seinen Antrag zu erklären. Nur, meine Damen und Herren, fest steht, Herr Kollege Pilger hat gesagt, es wäre der Schaufensterteil. Herr Staatssekretär Aretz hat sehr deutlich gesagt, dass die Zahlen falsch sind. Sie sind einfach falsch, die Sie dort nennen; die Behauptung ist eine Lüge.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich werde bei dieser Behauptung auch bleiben, bei dieser Feststellung, solange Sie uns nicht andere Zahlen bringen. Man kann sehr wohl unterschiedliche Maßstäbe nehmen, was ein Niedriglohnsektor ist und wie die Bezüge zu werten sind, aber selbst Herr Kollege Pilger hat es etwas vornehm formuliert: Sie wollen durch die Hintertür eine neue, durch nichts begründete Grenze einführen. Aber selbst mit dieser Grenze stimmt die Behauptung „über 50 Prozent“ nicht, meine Damen

und Herren. Das ist also eine Lüge und wenn Sie mit einer Lüge Ihren Antrag einbringen wollen, dann wissen wir auch schon, in welche Richtung wir kommen. Ich will zum Weiteren sagen, warum ich sage, ich sehe den Anlass nicht, sich im Augenblick mit diesem Thema zu beschäftigen. Natürlich kann man sagen, die Menschen sollen von ihrer Arbeit leben können. Da bekommen Sie in jedem Saal auch die Zustimmung, weil das natürlich ein Narr oder ein Tor wäre, der behauptet, wir sollen an dieser Stelle die Frage von einem einkömmlichen Einkommen nicht thematisieren. Aber Sie merken vielleicht, dass ich differenziere zwischen Lohn und Einkommen, weil - das ist ja eigentlich der springende Punkt, der bei Ihnen nicht hervorkommt -, man muss an dieser Stelle auch sachlich bleiben. Auf die Frage, von ihrer Arbeit leben zu können, ist sehr deutlich zu sagen, ja, das ist schon richtig, es gibt die entsprechenden Internetseiten und die entsprechenden Aktivitäten. Ich habe mir einmal die Internetseite von mindestlohn.de angesehen. Dort werden auch prominente Leute bemüht, die gerade bei dieser Arbeit mitarbeiten sollen. Ich habe mir einmal das Interview von Bischof Reinhard Marx genommen, weil, Frau Kollegin Jung, Sie haben das gestern ja so anzüglich gesagt, kirchliche Würdenträger, ich weiß nicht, was da in Ihrem Hinterkopf vorgeht,

(Heiterkeit bei der Linkspartei.PDS)

aber hier ist der Bischof Marx sehr gut mit seiner Aussage komplett wiedergegeben worden. Es wird als Überschrift geschrieben: "Das Ganze im Blick: Ein Mindestlohn würde dafür sorgen, dass die Löhne nicht zu weit absinken." Wie gesagt, das ist wiederum die Frage der Einkommensbetrachtung. Aber, meine Damen und Herren, ich finde das gut, dass sowohl von ver.di als auch von der Seite, die vom DGB als Mindestlohn betrieben wird, das Interview komplett abgedruckt wird. Der Bischof führt nämlich dann fort: Die Forderung, mit einem Mindestlohn „Arbeitseinkommen zu garantieren, die zur Existenzsicherung ausreichen und dem durch Zuwanderung und Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer befürchteten Lohndruck entgegenzuwirken,“ ist „verständlich und wünschenswert. Doch“ - es geht weiter - „es ist wichtig, das Ganze im Blick zu haben. Deshalb ist schon zu fragen, welche Wirkungen hat die Einführung eines Mindestlohns, der über den untersten Gruppen einer Reihe von Tarifverträgen läge und deutlich über den Löhnen in einigen nicht tarifgebundenen Branchen gezahlt würden? Man muss das realistisch sehen: Arbeitsplätze entstehen und bleiben nur dann erhalten, wenn die Arbeitskosten nicht höher sind als die auf ihnen erwirtschaftete Produktivität.“ So weit der Bischof Marx. Wie gesagt, ich finde es anerkennenswert, dass dieser Teil des Interviews auch nachlesbar ist in den Seiten, die ich beschrieben habe.

Natürlich ist dieser Ruf nach Mindestlohn verständlich, um niedrige Einkommen der Arbeitnehmer zu verhindern. Als Musterbeispiel wird immer wieder das Beispiel der Friseure und Friseurinnen genommen, die in Sachsen mit einem Tariflohn von 3,06 €, in Thüringen mit 3,18 € pro Stunde am Ende der Tariflohnskala stehen. Angeblich gefährden hier Mindestlöhne keine Arbeitsplätze, weil niemand nach Polen fährt, um sich die Haare schneiden zu lassen. Doch die Kunden brauchen gar nicht in das Ausland zu reisen, wenn der befreundete Friseur um die Ecke wohnt und die Haare zu Hause schneidet. Schwarzarbeit und Scheinselbstständigkeit sind die Kehrseite von Mindestlöhnen.

(Zwischenruf Abg. Doht, SPD: Das ist doch Unsinn!)

(Beifall bei der CDU)

Die Argumente der Befürworter machen deutlich, dass es um eine Verteilungspolitik geht und darum, die erodierende Tarifbindung zu kompensieren. Staatliche Lohnsetzung ist jedoch das völlig falsche Instrument der Sozialpolitik.

Meine Damen und Herren, das Arbeitslosengeld II gewährleistet bereits heute allen Arbeitnehmern ein existenzsicherndes Einkommen. Droht ein Arbeitnehmer unter das Existenzminimum zu fallen, kann er seinen Lohn aufstocken. Das gilt, Herr Kollege Pilger, für Friseure und Floristen genauso wie für Wachleute und Gärtner. Die Mindesteinkommenssicherung ist also gewährleistet. Sie ist eine gesellschaftliche Aufgabe der Sozialpolitik und nicht eines kleinen Mittelständlers, der selbst um die Existenz ringt. Mit einem Mindestlohn würde der Staat per Gesetz Arbeitsplätze zu einem niedrigen Lohn verbieten. Herr Kollege Hausold, ich finde es auch schon in der Wortwahl etwas merkwürdig, „niedrig“ ist eine Kategorie, die sich sicher an der Produktivität orientiert. Wenn Sie von „billig“ sprechen, sind Sie schon wieder gleich diskriminierend. Das will ich als Nebensatz einmal dazusagen.

Diese Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor würden mit dem gesetzlichen Mindestlohn verloren gehen, bzw. sie entstehen nicht, die Arbeitsgelegenheiten werden nicht angeboten. Von einem Mindestlohn, meine Damen und Herren, von 4,50 € wären 1,2 Mio. Arbeitnehmer betroffen, viele davon in Ost- und Mitteldeutschland. Besonders gefährdet wären Frauen, die 70 Prozent der Niedriglohnempfänger ausmachen. Benachteiligt wären genauso die Jüngeren, weil sie nach dem Berufsstart lernend im Betrieb mitarbeiten, ohne schon die Leistung eines erfahrenen Beschäftigten bringen zu können. Dies zeigen die Erfahrungen besonders aus Frankreich.

Viele Menschen schaffen den Zugang zum Arbeitsmarkt nur über den Niedriglohnsektor; untersagen wir Beschäftigung dort, schaden wir vor allem den Schwächsten, Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen. Ein Mindestlohn raubt ihnen die Chance, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, weil sie ihre volle Leistungsfähigkeit noch nicht erreicht haben. Der Staat würde per Gesetz Menschen aus dem Arbeitsmarkt drängen, um sie dann im teueren Sozialsystem zu alimentieren. Kleine Unternehmen mit weniger als 20 Mitarbeitern sind durch einen Mindestlohn besonders gefährdet, weil sie mehr als die Hälfte der Beschäftigten im Niedriglohnbereich anstellen. Vielen dieser Betriebe steht das Wasser bis zum Hals, bereits kleinste Kostenanstiege führen zur Entlassung. Wenige Unternehmen können ihre Produktion nach Tschechien oder sogar nach China verlagern. In viel größerem Maße wird der Mindestlohn die Rationalisierung vorantreiben. Noch mehr als bisher werden Maschinen und Elektronik die einfachen Arbeiten ersetzen. Reinigungsmaschinen, Backshops und Supermärkte ohne Verkäufer, Pfandautomaten und Paketstationen sind die Vorboten. Von den Befürwortern eines gesetzlichen Mindestlohns werden - Herr Dr. Aretz ist zum Teil darauf eingegangen - oft die Niederlande und Großbritannien als Vorbild genannt. Beide Länder haben Mindestlöhne von ca. 8 €. Doch die Wissenschaft belegt, dass Mindestlöhne Arbeitsplätze zumindest nicht befördern, insbesondere mit Blick darauf, dass - aus der Presse zu erlesen - insgesamt 86 neuere Studien vorliegen, die zu zwei Dritteln Anzeichen für negative Beschäftigungseffekte liefern. Das sind insbesondere die Studien der Wissenschaftler, die dieses zusammenstellen. Weniger als zehn Untersuchungen zeigen das Gegenteil. Sie beziehen sich auf die USA und Großbritannien, die eine viel geringere Arbeitslosigkeit, flexiblere Arbeitsmärkte und kein vergleichbares System der Grundsicherung haben. Ich meine also die Zusammenfassung von 86 Studien im Bereich des Mindestlohnsektors, die durch die beiden Wissenschaftler Neumark und Wascher zusammengestellt worden sind, die versuchen, in einem sehr breit aufgestellten Feld von Untersuchungen des Mindestlohnsektors etwas zu generalisieren, und die oftmals auch widersprüchlichen Aussagen, etwas zu bringen.

Man kann schon sehr deutlich sagen, wir haben ein Lager - ich will es mal gewerkschaftsnah sagen -, das versucht, die Effekte auf dem Arbeitsmarkt dahin gehend seidenweich darzustellen, dass man sagt, es gehen keine Beschäftigungseffekte verloren. Wir haben die Einrichtungen der Wirtschaft und insbesondere der wirtschaftsnahen Ökonomen. Alle Institute der wirtschaftsnahen Forschung sagen sehr deutlich, es gehen Arbeitsplätze damit verloren. Gerade heute liegen mir insbesondere auch die Forderungen aus den Wirtschaftsverbänden vor, die dann sagen, Mindestlöhne sind unsozial. Die IWF-Studie sagt:

Mindestlöhne schwächen Geringqualifizierte. Ich will es nicht weiter ausführen.

Ich habe aber, um ein wenig Ausgewogenheit vielleicht auch noch darzustellen, mir die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Hand genommen: „Gesetzliche Mindestlöhne auch in Deutschland?“. Das ist eine Studie, die die Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegeben hat, und zwar für das damalige Institut für Arbeit und Technik in Gelsenkirchen. Zumindest die fachlich Interessierten kennen beispielsweise eine der Autorinnen, Frau Weinkopf, die an dieser Stätte schon lange arbeitet.

Ich will mal sagen, dass auch dieses Studium das nur sehr seidenweich, so will ich es mal sagen, beschreibt, die Auswirkungen der Mindestlöhne charakterisiert. Es steht beispielsweise hier, das ist die Seite 27 aus der Studie - Frau Präsidentin, wenn ich daraus vortragen darf: „Theoretisch lässt sich kein strikter Zusammenhang zwischen Mindestlöhnen und Beschäftigung ableiten. Die Einführung von Mindestlöhnen kann je nach Marktkonstellation und Reaktion der Akteure positive oder negative Auswirkungen haben.“ Das ist, wie gesagt, die Studie aus der EbertStiftung, seidenweich formuliert. „Die Beschäftigungseffekte hängen von den Reaktionen der Akteure ab. Bei einem großen Arbeitskräfteangebot kann ein Mindestlohn zu einer Substitution geringer Qualifizierter durch höher Qualifizierte führen. Dieser Effekt kann jedoch durch höhere Qualifizierungsanstrengungen für die geringer Qualifizierten neutralisiert werden.“ Ich wollte das jetzt komplett vorlesen. Sie sehen also, dass diese Frage zumindest im wissenschaftlichen Bereich überaus kritisch gesehen wird, selbst bei den gewerkschaftsnahen Ökonomen. Deshalb habe ich diese Studie zur Hand genommen. Ich will sie nochmals nehmen, wiederum den Teil des Antrags der Linkspartei.PDS-Fraktion betreffend. Es steht in der Ebert-Stiftung: „Erhöhungen des Mindestlohns haben leicht negative Auswirkungen auf die Beschäftigung von Teenagern und Jugendlichen.“ Schauen Sie mal in Ihren Antrag. Das ist ein Eigentor, das Sie sich geschossen haben. Sie sagen, wir müssen feststellen, dass sie alle unter Tarif, also ganz schlimm beschäftigt werden mit schlechten Einkünften, und das führt nun dazu, dass junge Leute abwandern. Mit dem Mindestlohn würden Sie diese Sache sogar noch schlechter stellen. Also klassisches Eigentor, wenn ich das mal so sagen darf an dieser Stelle, aber durch die Erkenntnisse aus dieser Studie hervorholbar.

Herr Abgeordneter Kretschmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Leukefeld?